„Die besten Spieler noch besser machen“
Anfang April übernahm Alexander Richter die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Eintracht Frankfurt. Im Interview mit der Anpfiff-Redaktion spricht er über die Erkenntnisse aus den ersten Monaten, über Prozessoptimierungen und Potenziale am Riederwald sowie über Ziele auf verschiedenen Ebenen.
Als neuer NLZ-Leiter bist du maßgeblich für die Zukunft von Eintracht Frankfurt mitverantwortlich. Für den „Anpfiff“ ist es dein erstes Interview, weshalb wir dich noch einmal herzlich willkommen heißen, Alex. Gib uns doch einen kleinen Rückblick über deine ersten Monate.
Hallo und vielen Dank! Ich habe jetzt die ersten Monate hinter mir und nach wie vor ist alles sehr umfangreich. Dennoch konnte ich mir bis hierhin schon ein Bild über unser NLZ mache. Meines Erachtens ist es wichtig, dass wir Prozesse, Strukturen und Abläufe noch klarer definieren und verbessern. Das gehen wir nun Schritt für Schritt an. Nichtsdestotrotz macht es nach wie vor einen Riesenspaß für unsere Eintracht zu arbeiten. Ich habe meine Familie zugegebenermaßen weniger gesehen, als wir das geplant hatten – aber wir wollen hier am Riederwald ja schließlich vorankommen (lacht).
Machen wir noch einmal die Rolle rückwärts: Du bist über Jahrzehnte beim VfL Bochum groß geworden, hast dort große Erfolge gefeiert und bist nun nach Frankfurt gekommen. Wie schwer ist dir der Abschied als Ur-VfLer gefallen?
Es war ein langer Prozess vom ersten Kontakt im letzten Jahr, als ich mit Markus Krösche telefoniert habe, bis jetzt. Ich habe viel überlegt, mit der Frau, meiner Familie und den Kindern gesprochen. Viele Gedanken kamen auf. Darüber, welche berufliche Konsequenzen sich ergeben, aber auch wie sich der Job auf mein Privatleben auswirken könnte. Aber wie eben kurz angerissen: Wir wollen vorankommen und gemeinsam einen neuen Weg einschlagen. Ich konzentriere mich zu 100 Prozent auf diese Aufgabe.
Die Nachwuchsabteilung des VfL hast du von 2008 bis 2022 geleitet und dabei unter anderem Leon Goretzka entdeckt und gefördert. Was bringst du aus Bochum mit, wie würdest du deine Arbeit dort erklären?
Es ging damals und auch jetzt bei der Eintracht darum, die Jungs zu fördern, sie weiterzubringen, an ihren Stärken zu arbeiten und Potenziale auszuschöpfen. Aber auch auf eine vernünftige Art mit den Eltern umzugehen. So interpretiere ich den Job, welcher sehr intensiv ist, wenn man bedenkt, wie viele Fachbereiche an einem Spieler mitwirken. Bereiche wie die Sportpsychologie, die Athletik und der pädagogisch-schulische Bereich. Quasi eine qualitativ hochwertige Talentbegleitung über die ganze Ausbildungszeit hinweg. Das habe ich in Bochum versucht und es ist mir für die dortigen Bedingungen, denke ich, auch gut gelungen. Diesen Ansatz wollen wir jetzt auch hier anwenden. Ziel ist es, die Jungs aus unserem eigenen Jugendbereich irgendwann in unserem Stadion spielen zu sehen. Deswegen bin ich hier.
Wie willst du das große Ziel, zukünftig auch mehr Spieler der Eintracht-Jugend für die Bundesliga zu entwickeln, angehen?
Das ist tatsächlich die oberste Priorität. Wie viele Spieler wir tatsächlich bis in die Bundesliga bringen können, werden wir noch sehen. Jedes NLZ braucht grundlegend ein vernünftiges Arbeits- und Lernklima. Wenn du „oben“ Spieler rausbringen möchtest, musst du „unten“ alle mitnehmen. Egal ob es dabei um den Fahrdienst geht oder um die Athletiktrainer, die Physiotherapeuten oder den Cheftrainer. Das Ziel ist es, die ganze Abteilung mit einer hohen Qualität auszustatten und gleichzeitig Zusammenhalt zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass in diesem NLZ sehr viel Potenzial steckt – man muss nur an den richtigen Schrauben drehen.
An anderer Stelle hast du kürzlich von einem „rollierenden System“ gesprochen. Was ist damit gemeint?
Das System soll in Trainerfragen für Planungssicherheit und ein gewisses Maß an Kontinuität sorgen. So rollieren zum Beispiel die Trainer der U10 und der U11 miteinander: Der Trainer der U10 begleitet seine Mannschaft im nächsten Jahr in die U11 und wechselt dann im Folgejahr zurück zu einer neuen U10. Das Gleiche passiert in der U12 und U13, U14 und U15 sowie der U16 und U17. In der U19 und der U21 wird dieses System dann nicht mehr greifen, ebenso noch nicht in der U9.
Du hast die U21 gerade kurz erwähnt, die zur aktuellen Saison 2022/23 in den Spielbetrieb wiedereingegliedert wurde und in der LOTTO Hessenliga an den Start geht. Wie bewertest du die bisherigen Auftritte der Mannschaft?
Die Hessenliga ist grundsätzlich kein einfaches Pflaster, das muss den Jungs immer bewusst sein. Die Grundtugenden – Laufbereitschaft, Kampfbereitschaft, Zweikampfverhalten – müssen immer da sein. Mannschaft und Trainerteam haben einen super Prozess in die Wege geleitet. Mittlerweile bestreiten wir einen richtig guten Weg. Es sind insgesamt 38 Spiele zu absolvieren, die Saison ist also sehr lang. Wir wollen jede Partie neu angehen, demütig bleiben und immer die bestmögliche Leistung auf den Platz bringen. Letztendlich geht es in erster Linie aber darum, dass der eine oder andere Spieler sich so weiterentwickelt, dass er an der Tür zu den Profis klopft – dafür wurde die Mannschaft ins Leben gerufen.
Vergangene Saison haben wir es tatsächlich geschafft, den Europapokal zu gewinnen. Das bedeutet auch für die U19 einen hohen Aufwand, denn: Erstmals sind unsere A-Junioren in der UEFA Youth League vertreten. Was bedeutet das?
Zunächst einmal bedeutet das ganz viel Neuland, denn Eintracht Frankfurt war mit der U19 noch nie in der Youth League vertreten. Das wird auf jeden Fall kein Zuckerschlecken und mit Tottenham Hotspur, Sporting Clube de Portugal und Olympique de Marseille haben wir attraktive Spitzengegner und tolle Reisen vor uns. Im Auftaktspiel im heimischen Ahorn Camp Sportpark gegen Sporting Clube de Portugal haben sich unsere Jungs wacker geschlagen und beim 1:1-Unentschieden einen verdienten Punkt geholt. Dieser Auftritt macht Lust auf den weiteren Wettbewerb.
Worauf legst du sonst noch Wert im Jugendfußball? Möchtest du in Zukunft einen klaren Spielstil implementieren?
Zunächst geht es darum, für Durchlässigkeit zu sorgen. Allerdings ist nicht das Ziel, schon in den Jugendmannschaften so zu spielen wie die Profis, sondern vielmehr in allen Jahrgängen Ausbildungsprinzipien zu installieren, die aufeinander aufbauen. Dabei geht es um Prinzipien in Ballbesitz, der Arbeit gegen den Ball, dem Umschaltspiel und in Standardsituationen, die eingehalten und umgesetzt werden müssen. In ihrem Spielsystem sind die Trainer vollkommen frei, aber die Spielphilosophie muss zu Eintracht Frankfurt passen.
„Unser Credo ist, dass wir einen dynamischen, zielorientierten Ballbesitzfußball auf den Rasen bringen möchten“ – Alexander Richter -
Werte, die unseren Verein und auch Frankfurt ausmachen, sind ebenfalls Grundvoraussetzung. All das muss auf dem Platz verkörpert werden und das möchte ich zukünftig in jedem Jahrgang sehen: Dass die Spieler lebendig sind und Bock auf Fußball haben. Auf diesem Weg können wir, denke ich, gute Jungs hervorbringen.
Ralph Gunesch ist als Übergangstrainer auch mit im Team. Übergangstrainer – was heißt das konkret?
Er wird nicht nur für die Spieler zuständig sein, die hin- und herpendeln. Als Leistungszentrum ist es unsere Aufgabe, die besten Spieler, die da sind, noch besser zu machen. Ralph soll diese Spieler in verschiedenen Trainingseinheiten individuell weiterbringen und trainieren. Das geschieht auch in Abstimmung mit Markus Krösche und Oliver Glasner. Nach Videoanalysen werden dann eingehend Inhalte festgelegt, die mit diesen Spielern geübt werden. Das kann mal eine Zweiergruppe sein, aber auch mal eine Gruppe von zehn Spielern. In der Regel werden wir aber genau festlegen, was mit welchem Spieler gemacht wird. Du musst schon sehr detailliert arbeiten, um die Jungs oben rauszubringen. Das wird die Aufgabe von Ralph sein. Wir haben außerdem verabredet, dass er sich auch außerhalb des Platzes um die Spieler kümmert, um ebenso die soziale Komponente mitzunehmen.
Neben Ralph, der in seiner Funktion überwiegend auf den sportlichen Bereich Einfluss nimmt, ist auch Marc Hess neu im Team. Er fungiert als Leiter Strategie und Entwicklung.
Am Anfang des Interviews hatte ich angesprochen, dass es wichtig ist, Strukturen, Prozesse und generelle Abläufe zu erarbeiten und klarer zu definieren. Marc Hess ist derjenige, der hier Ordnung reinbringt. Für uns ist er auf dieser Position Gold wert, weil er einen großen Erfahrungsschatz besitzt, das Know-how hat und sich darüber hinaus seine eigenen Gedanken macht. Gemeinsam mit mir ist es die Aufgabe von Marc, genannte Prozesse und Strukturen zu installieren – und aus meiner Sicht haben wir mit ihm genau den Richtigen.
Im Bereich U9 bis U11 haben wir mit Maximilian Stumpf einen neuen Leiter Kinderfußball in unseren Reihen, der Ramtin Mehdibehesht zumindest einen Teil seiner Arbeit aus der vergangenen Saison abnimmt. Wie siehst du den Grundlagen- und Aufbaubereich grundsätzlich aufgestellt?
In den jüngeren Jahrgängen haben wir eine enorme Spielerqualität. Da macht es schon richtig Spaß, den Jungs beim Fußballspielen zuzuschauen. Im Bereich unserer Jüngsten haben wir mit Max Stumpf einen neuen Leiter Kinderfußball installiert. Hier haben wir eine gute Basis und arbeiten eng mit unseren Kooperationspartnern zusammen, zu denen wir seit Sommer 2022 zwei neue Vereine zählen dürfen. Unser Ziel ist, den Bereich Kinderfußball künftig mithilfe innovativer Ideen attraktiver zu machen. Ramtin ist natürlich in seiner Rolle als Scout und Kaderplaner genau an der richtigen Stelle. Er ist richtig gut vernetzt, sowohl intern als auch extern.
Du hast betont, dass dir das Thema Disziplin sehr wichtig ist. Sowohl im Profi- als auch Jugendfußball sind Handy und Kopfhörer immer dabei. Wie hinderlich kann das für eine Karriere sein?
Mir ist wichtig, dass wir auch neben dem Platz ein bisschen Disziplin und Ordnung reinbringen. Die Spieler müssen und sollen auch untereinander Gespräche führen, sich miteinander beschäftigen und wissen, wie ihre Mitspieler ticken. Ich finde, dass die Kabine den Spielern und Trainern gehört. Von dort sollte nichts gepostet werden, dort sollte man keine Fotos machen. Meiner Meinung nach ist das ein Ort, an dem Handys durchaus mal ausgeschaltet bleiben könnten. Ich kann als junger Spieler nicht sagen, dass ich gerne Fußballprofi werden möchte, und auf der anderen Seite fünf Minuten vor dem Training damit beschäftigt sein, zu telefonieren oder etwas auf Instagram zu posten. Es geht nicht darum, den Spielern etwas zu verbieten, sondern darum, ihnen zu erklären, was der Karriere guttut und was nicht. Ich denke, da habe ich ganz gute Ansichten. Man übt das natürlich auch zu Hause mit den eigenen Kindern.
Welche Ziele sollen in den kommenden Monaten in Angriff genommen werden?
Ein klares Ziel bis zur Sommerpause ist, dass wir ebenso personell die Zuständigkeitsbereiche noch einmal klarer definieren. Jede Fachabteilung wird sich bis zur nächsten Zwischenetappe – die Sommerpause im Juni 2023 – Ziele setzen, die wir miteinander diskutieren und hinterher schauen, ob sie erreicht wurden. Darüber hinaus wollen wir natürlich gewährleisten, dass auch im Übergangsbereich zu den Profis klare Strukturen geschaffen sind – mit dem Ziel, das eine oder andere Top-Talent zeitnah an die Profimannschaft heranzuführen.