Der immer lacht

Aymen Barkok entwickelt sich in der laufenden Saison zum Joker vom Dienst.  Diesen verrichtet er mehr als zuverlässig. Der Mittelfeldspieler schickt sich in diesen Wochen zum doppelten Neustart an: Im Verein wie in der Nationalmannschaft.

Die frohe Botschaft erfuhren die Medienvertreter am 4. November um kurz vor 13 Uhr gewissermaßen aus erster Hand. „Gerade habe ich meine Flugdaten erhalten“, frohlockte Aymen Barkok auf die Erkundigung nach einer neuerlichen Nominierung für die Nationalmannschaft Marokkos. Es war das nächste Indiz, dass der doppelte Neuanfang, den der 22-Jährige 2020/21 wagt, von immer nachhaltigerer Natur ist. Weitere Belege ließ das Eigengewächs an den folgenden Wochenenden auf dem Platz folgen.

Spätestens mit seinen zwei Vorlagen zur 2:2-Aufholjagd beim VfB Stuttgart ist Barkok die öffentliche Aufmerksamkeit gewiss. Intern fliegt der nach zwei Leihjahren bei Fortuna Düsseldorf im Sommer in seine Heimatstadt zurückgekehrte Frankfurter längst ohnehin nicht mehr unter dem Radar. Inklusive der ersten Hauptrunde im DFB-Pokal beim TSV 1860 München stand die Nummer 27 in jedem der [bis Redaktionsschluss; Anm. d. Red.] möglichen acht Pflichtspiele bei Abpfiff auf dem Rasen. Einerseits zwar jeweils als eine der ersten Einwechseloptionen, andererseits so oft wie sonst nur sieben weitere Adlerträger.

Adi Hütter schätzt am einstigen Riederwäldler, der seit 2013 den Adler auf der Brust trägt und seine erste Saison unter dem Cheftrainer absolviert, vor allem dessen Fähigkeiten, „ins Eins-gegen-eins zu gehen und sich durchzusetzen“. Makoto Hasebe, der nach dem wechselhaften Auftritt im Schwabenland mit Lob äußerst sparsam umging, attestierte seinem über 14 Jahre jüngeren Kollegen, „unserem Spiel mit seiner Schnelligkeit [34,57 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit; Anm. d. Red.] und Stärke im Eins-gegen-eins weitergeholfen“ zu haben. Zumal Aylo, wie ihn seine zwei jüngeren Brüder und wenige Freunde rufen, nicht allein die rechte Außenbahn belebte, sondern seine Gegenspieler auch ohne Ball entnervte. Neun Balleroberungen verzeichneten die Statistiker innerhalb 45 Minuten, so viele wie bei keinem anderen Frankfurter. Die engagierte Herangehensweise des 1,89-Meter-Mannes hatte sich bereits eine Woche zuvor bezahlt gemacht, als er vor dem 1:1 gegen Werder Bremen allein auf weiter Flur zum Ballgewinn ansetzte und anschließend den vorletzten Pass zum Ausgleich beisteuerte. „Ich bin energisch am Mann geblieben und habe auf einen Fehler spekuliert“, stellte Barkok die Schlüsselszene in seiner für ihn typisch simplen Art dar.

Der Emporkömmling ist sich zugleich bewusst, dass er nach dem Geschmack seines Übungsleiters phasenweise noch etwas einfacher agieren könnte. „In gewissen Aktionen muss er noch konkreter werden, denn manchmal unterlaufen ihm noch kleine Abspielfehler“, erklärte Hütter zwischen dem sechsten und siebten Spieltag den Balanceakt zwischen Leichtigkeit und Leichtsinn, der auch zur Wahrheit der Stern-stunde in Stuttgart gehört, als ebenso acht Ballverluste zu Buche standen. Fast eine 50:50-Quote also, die auf der Seite freilich weniger Risiken birgt als im Zentrum, wo Hütter den selbsternannten Instinktfußballer perspektivisch am besten aufgehoben sieht: „Auf der Acht oder Zehn.“

„Mir ist wichtig, dass ich auf dem Platz stehe“

Der designierte und der einstige offensive Mittelfeldakteur sprechen in dieser Hinsicht eine Sprache: „Der Trainer sieht mich im Mittelfeld. Ich denke, ich kann auch links oder rechts spielen. Mir ist aber vor allem wichtig, dass ich auf dem Platz stehe. Wenn ich mich festlegen müsste, dann spiele ich am liebsten im Zentrum“, tat Barkok bereits nach seiner Rückkehr im Sommer kund und bekräftigte unlängst seine damalige Ansage, „mich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und trotzdem meine Unbekümmertheit einzubringen. In der U17-Nationalmannschaft unter Christian Wück habe ich Rechtsverteidiger, in der Jugend von Kickers Offenbach Linksverteidiger gespielt. Ich bin fit und kann laufen. Das schadet auf dieser Position sicher nicht.“

Eine bemerkenswert ausgewogene Selbstreflexion, die nicht zuletzt auf eine schier schwindelerregende Achterbahnfahrt zurückzuführen ist. Zum Erscheinungsdatum der aktuellen „Eintracht vom Main“ ist es auf den Tag vier Jahre her, dass Niko Kovac Barkok in Bremen ins kalte Wasser warf und der damals unbekannte 18-Jährige in der 90. Minute den 2:1-Siegtreffer markierte. Sein Entdecker prophezeite seinerzeit nach Unterzeichnung des ersten Profivertrags: „Ich bin froh, dass wir ein solches Talent binden konnten. Wenn alles gut läuft, wird er uns noch viel Freude bereiten.“ Eine Prognose mit Unwägbarkeiten, wie sich herausstellen sollte. Speziell 2018 geriet Barkok zwischen die Extreme. Noch im Mai reckte er den DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel, im Juli dann die Ausleihe nach Düsseldorf, nur wenige Tage später: Innenbandriss. Wiedergenesen im November folgte das Comeback in der deutschen Beletage, ausgerechnet in Frankfurt. Endergebnis: 7:1 für die Hausherren. „Meine bitterste Niederlage“, betrachtet der Frankfurter Junge das Wiedersehen mit der Nordwestkurve mit maximal gemischten Gefühlen.

2019 der nächste Anlauf im Rheinland, im August der nächste gesundheitliche Rückschlag: Schultereckgelenksprengung plus Muskelverletzung gleich Operation. Die nächste Rechnung, die nicht aufzugehen schien, zumal der zuvor drei Jahre gänzlich unversehrte Barkok in der Rückrunde 2020 zwischen Lazarett, Tribüne und Regionalliga West pendelte. Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb ist die Frohnatur rückblickend der Meinung, „dass ich in den zwei Jahren im Kopf sehr gereift bin. Insgesamt habe ich 16 Wochen pausiert. Aber ich bin seit Beginn meiner Leihe auch zwei Jahre älter und damit reifer geworden. Ich war in Düsseldorf erstmals auf mich alleine gestellt. Dadurch verändert sich die Denkweise, das hat mich geprägt. Ich komme jetzt mehr zu Ruhe und weiß die Zeit zu schätzen, die ich habe. Deshalb möchte ich die Zeit nicht missen.“ Auch Hütter kann diesen Umständen einen Mehrwert abgewinnen: „Dass es nicht immer bergauf geht, hat Aymen in der Vergangenheit selbst erfahren. Aber er hat jetzt auch gesehen, dass es immer weitergeht.“

Von Kovac geschliffen, in Düsseldorf gewetzt – unter Hütter veredelt?

Auch weil Barkok nachgewiesen hat, nicht nur Lehrgeld zu zahlen, sondern auch Lehren ziehen zu vermag. Statt Sommerurlaub 2019 stand ein privates Trainingslager auf Mallorca auf dem Plan, im Winter begab er sich in Frankfurt in die Hände eines Personal Trainers. „Mir ist wichtig, hart an etwas zu arbeiten, was mir am Herzen liegt. Dieses Programm mache ich immer während der Saisonpausen. Man muss sich fit halten, da wird der Urlaub auch mal nebensächlich“, so die einleuchtende Erklärung. Das Ergebnis im August: „Ich fühle mich fit, die Laufwerte sind gut. Nur der Spielrhythmus fehlt noch, aber das kommt mit der Zeit.“ Was hinlänglich bewiesen wäre, oder mit den Worten Hütters zu sprechen: „Ich bin froh, dass wir Aymen hierbehalten haben. Mir ist wichtig, eine Entwicklung zu sehen. Ich kann ihm dabei helfen und unterstützen, der Rest kommt dann vom Spieler.“ Barkoks kongenialer Doppelpass: „Man muss den Verantwortlichen als Jugendspieler beweisen, dass man sich bereit fühlt. Natürlich braucht man auch Trainer, die das fördern und jungen Spielern Mut machen, wie ich sie in Frank-furt vorgefunden habe und weiterhin vorfinde.“  Gegen Leipzig winkt auch deshalb der 50. Bundesliga-Einsatz für das von Kovac einst angepriesene und geschliffene „Juwel“, das nach wetzenden Zeiten in Nord-rhein-Westfalen nun an der Veredelung arbeitet.

Der erste Neustart ist also bis hierhin gelungen, der zweite verläuft nicht weniger vielversprechend. Mitte Oktober nahm der in der Nord-weststadt groß gewordene Barkok die Einladung Marokkos, das Heimatland seiner Eltern, an. „Vor zwei, drei Jahren kam die erste Anfrage, die ich damals abgelehnt hatte, weil mir das etwas zu früh kam. Nun habe ich den Schritt gewagt und bereue ihn nicht“, verrät der 15-malige deutsche U-Nationalspieler. Dass die zweite afrikanische Dienstreise im Rahmen zweier Afrika-Cup-Qualifikationsspiele gegen die Zentralafrikanische Republik (4:1/2:0, Barkok legte ein Tor auf) ausgerechnet „über Paris nach Casablanca“ ging, war für den mit zwei Brüdern und einer älteren Schwester aufgewachsenen Familienmenschen auch in privater Hinsicht besonders. „Ich war noch nie außerhalb Marokkos in Afrika. Seit ich klein bin, habe ich jedes Jahr in Marokko meine Familie dort besucht, wo meine Großeltern leben.“ Die gewiss nicht weniger Stolz auf die A-Nationalmannschaftspremiere des Enkels waren als der Debütant selbst. Beim 3:1 im Freundschaftsspiel gegen den Senegal am 9. Oktober gleich 87 Minuten in der ersten Elf lieferte Barkok prompt den Assist zum zwischenzeitlichen 2:0.

Ein Erlebnis, das sich bei Barkok eingeprägt hat wie das Einstandsständchen: „Youssef En-Nesyri vom FC Sevilla hat meine Vorlage verwertet und sich natürlich bei mir bedankt. Er hat mir dafür aber keinen ausgegeben.“ Hätte ohnehin nichts gebracht. „Ich trinke keinen Alkohol“, beteuert Barkok, was zweifelsohne mehr mit sportlichen denn religiösen Gründen zu tun hat. „Ich bin Moslem, was für mich aber keine große Rolle spielt. Ob jemand Christ, Jude oder Buddhist ist, ist mir egal, solange ich mich mit der Person gut verstehe.“ Sagt’s und lächelt, als könne er nicht anders – „egal, ob es gut oder schlecht läuft. So bin ich einfach, ich lache immer.“ Aktuell noch umso mehr.

Text: Daniel Grawe
Fotos: Max Galys