Mit einem
11:0 geht’s los
Vor 50
Jahren hebt der DFB das Frauenfußball-Verbot auf. Heute ist er auch bei der
Eintracht akzeptiert und wird gelebt. Das war nicht immer so. Helga Altvater,
Sandra Minnert, Siegfried Dietrich und Stefan Winterling erzählen von der
Entwicklung des Frauenfußballs in Frankfurt und bei der Eintracht seit dem 31.
Oktober 1970.
Von einer
„Kampfsportart“ ist die Rede, die der „Natur des Weibes im Wesentlichen fremd
ist“. Körper und Seele würden „unweigerlichen Schaden“ erleiden, das
„Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“. So begründet
der Deutsche Fußball-Bund auf seinem Verbandstag seinen Beschluss, den im DFB
organisierten Vereinen das Angebot des Frauenfußballs zu untersagen. Das war am
30. Juni 1955, und immerhin 15 Jahre hatte diese Entscheidung Bestand. Denn
aufgehoben wurde sie am 31. Oktober 1970, also fast genau vor 50 Jahren.
„Kein
Frauenfußball bei Eintracht Frankfurt“ – Satzungsbeschluss von 1997
Bei Eintracht
Frankfurt hat der Frauenfußball erst viel später richtig Fahrt aufgenommen –
und das, nachdem wenige Jahre zuvor noch die nächste Vollbremsung eingelegt
worden war. Stefan Winterling, heute im Verwaltungsrat tätig und im Jahr 2003
zum Abteilungsleiter Fußball gewählt, erinnert sich. „Zusammen mit Axel
Hellmann [Anm. d. Red.: damals Geschäftsführer und Präsidiumsmitglied] haben
wir geprüft, ob wir Frauenfußball bei uns anbieten können, weil wir das sehr
interessant fanden. Zumal wir uns gerade in einer Phase befanden, in der die
U-Teams ins Nachwuchsleistungszentrum abwanderten und die Fußballabteilung
zwangsläufig ausdünnte. Aber Klaus Lötzbeier [Anm. d. Red.: Präsidiumsmitglied]
wies uns darauf hin, dass man 1997 beschlossen hatte, dass es keinen
Frauenfußball bei Eintracht Frankfurt geben wird“, erzählt Winterling. Doch
dieser Beschluss wurde im November 2003 aufgehoben, der Weg war nun frei.
Die Bremse war
gelöst, und das Gaspedal wurde in Sachen Frauenfußball schnell durchgedrückt.
Mit Tamara Varga wurde eine Trainerin gefunden, ein Sichtungstraining wurde
angeboten, eine Mannschaft angemeldet. Im ersten Pflichtspiel zuhause – eines
der ganz wenigen auf dem Hauptplatz am Riederwald – wurde die TGM/SV Jügesheim
II, der spätere Meister, mit 11:0 bezwungen. Auch der zweite Platz reichte zum
Aufstieg in die Bezirksober-liga, aus der 2008 der Sprung in die Verbandsliga
gelang. Diese war nur Durchgangsstation, und 2012 ging es sogar hinauf in die
Regionalliga. Es war das Jahr, in dem Stefan Winterling den Staffelstab an
Ottmar Ulrich übergab und daher mit einem Augen-zwinkern heute sagt: „Unter mir
ging es nur aufwärts“. Denn neben allen Erfolgen wie auch drei Hessenpokalsiegen
gab es 2016 mit dem Abstieg aus der Regionalliga den einzigen großen sportlichen
Rückschritt. Die Korrektur folgte prompt, und wiederum nur ein Jahr später
klopften die Adlerträgerinnen in der Aufstiegsrunde an das Tor zur Zweiten
Bundesliga. Nach der Fusion mit dem 1. FFC gehören viele Spielerinnen der
ehemaligen Ersten nun zum Kader der dritten Mannschaft, die damit seit 2012 mit
einem Jahr Unterbrechung in der Regionalliga beheimatet ist.
Für den
Unterbau wurde ebenso gesorgt. Im Jahr 2006 kamen Mädchen hinzu, zwei Jahre
später wurde eine zweite Mannschaft in den Spielbetrieb aufgenommen. „Unser
Ziel war es immer, organisch zu wachsen. Wir wollten klein anfangen, aber als
Eintracht Frankfurt ist nach oben natürlich immer Luft“, erklärt Stefan
Winterling den Aufschwung, den man aus eigener Kraft bewerkstelligen wollte.
„Deswegen haben wir auch 2006 nicht die Lizenz des FSV Frankfurt übernommen,
als dieser sich zurückgezogen hat.“ Werder Bremen und der 1. FC Köln haben etwa
zur gleichen Zeit mit dem Frauenfußball begonnen und seien schneller nach oben
gekommen. „Wir haben aber auch eine große Schwester in der Stadt gehabt, den 1.
FFC Frankfurt“, begründet Winterling. Das dadurch entstandene Wechselspiel
zwischen der Eintracht und dem 1. FFC sei aber für beide Seiten eine
Win-win-Situation gewesen. Vor den Toren Frankfurts entstand in Bad Vilbel beim
SC Dortelweil ein weiterer Standort mit Mädchen- und Frauenfußball, alle drei
Vereine stellten in der Saison 2019/20 jeweils eine Mannschaft in der
U17-Bundesliga. Ein Indiz dafür, wie viel Anziehungskraft der Fußball bei den
Mädchen und Frauen in der Rhein-Main-Region besitzt.
Winterling
erinnert sich an die Anfänge des Frauenfußballs bei der Eintracht. „Wir haben
mit weiblichen Fans angefangen, die Fußball spielen konnten. Sie haben zunächst
abgetragene Trikots der Männer getragen, wir sind durch ganz Frankfurt
getingelt und haben auf durchweichten Plätzen zu absoluten Randzeiten
trainiert, bis wir auf dem einen oder anderen Platz ohne Flutlicht den Ball
nicht mehr gesehen haben.“ Am alten Riederwald habe man erstmal einen Platz für
einen kleinen Spind für das Material finden müssen. „Aber es hat immer Spaß gemacht“,
betont Winterling.
Viel hat sich
seitdem getan, nicht nur bei der Eintracht, sondern in Deutschland allgemein.
Spiele werden live im Fernsehen übertragen, längst wird auch 90 Minuten gegen
den Ball getreten (früher nur 60), Erfolge der Nationalmannschaft sowie der
deutschen Vereine international haben zum Wachstum ebenso beigetragen wie die
Heim-WM 2011 mit vier Spielen (darunter ein Halbfinale und das Endspiel).
Eintracht Frankfurt unterhält heute vier Frauenmannschaften in den vier
höchsten Ligen Deutschlands, hinzukommen vier Mädchenmannschaften, in allen
deutschen Nationalteams spielen über 15 Adlerträgerinnen. Kürzlich bot die
Fußballschule das erste reine Mädchencamp an. Sandra Minnert, ein Kind der
Region und Deutsche Meisterin mit dem FSV und dem 1. FFC Frankfurt, sagte am
Rande des Camps, in dem die 147-fache Nationalspielerin als Trainerin
fungierte: „Die Mädchen haben viel bessere Bedingungen als wir damals. Die
Fusion tut dem Frauen-fußball in Frankfurt richtig gut.“
Von nochmals
ganz anderen Bedingungen kann Helga Altvater berichten. Als noch niemand bei
Eintracht Frankfurt an Frauenfußball dachte, war sie für den Verein als
Schiedsrichterin unterwegs. „Ich war immer mit meinem Vater im Waldstadion, war
fußballinteressiert. Montags wollte ich auf der Bank über Fußball reden – keine
Chance bei den Männern. In einer Anzeige habe ich gelesen, dass Schiedsrichter
gesucht werden. Und weil der Lehrwart Eintrachtler war, bin ich nun seit 1971
Vereinsmitglied“, erzählt sie. Eben in jenem Jahr legte sie am Riederwald ihre
Schiedsrichterprüfung ab, nur ein Jahr nach dem DFB-Beschluss.
Schiedsrichterinnen gab es damals kaum, sodass auch die Kleiderordnung eine
Herausforderung war.
„Ich habe mir
einen Hockeyrock gekauft. Der hängt heute im Deutschen Fußballmuseum in
Dortmund. „Frauenspiele waren ein Albtraum. Von der Oma bis zur Enkelin hat
jeder gegen den Ball getreten. Mit Fußball hatte das wenig zu tun“, sagte sie.
Altvater konnte hierzu-lande zunächst mangels Möglichkeiten keine Frauenspiele
pfeifen, arbeitete sich über Jugendspiele hinauf. Später gelang ihr das auch
auf Funktionärsebene, bis in den Süddeutschen Verband hinein bekleidete sie
Posten, schaffte Strukturen, setzte sich gegen Vorurteile durch.
„Wir haben
die abgetragenen Trikots der Männer angezogen“ – Stefan Winterling
„Kampflos gab
es nicht. Alles musste hart erarbeitet werden. Ich habe bei Verbandstagen am
Schluss gesprochen, wenn schon Aufbruchstimmung war und keiner mehr zugehört
hat. Als ich in den Vorstand des Hessischen Fußball-Verbandes wollte, haben
alle Männer mit dem Kopf geschüttelt. Ich habe mich durchgesetzt und wurde mit
499 von 500 Stimmen gewählt. An all diesen Sachen bin ich gewachsen“, sagt sie
heute, während die Nationalmannschaft ab den 1980er Jahren Titel um Titel gewann
und die Bundesliga 1990 gegründet wurde – übrigens mit zwei Frankfurter
Vereinen (SG Praunheim, FSV Frankfurt). Nach rund 30 Jahren in verschiedenen
Funktionen schied sie um die Jahrtausendwende aus, der Frauenfußball lässt sie
aber nicht los. Sie nimmt an Talkrunden teil, ist Schirmherrin eines Projekts
mit acht- bis zwölfjährigen Mädchen im Gallus, nahm rund um die WM 2011 an
vielen Veranstaltungen wie auch der Kinder-PK im Eintracht-Museum teil
(„Höhepunkt war die
offizielle
Willkommensveranstaltung für alle Schiedsrichterinnen“) und arbeitet mit
der ersten Fußballtrainerin Hessens Monika Koch-Emsermann an einem Buch über 50
Jahre Frauenfußball in Hessen. Eine Nachfolgerin auf Schiedsrichter-Ebene
gibt’s bei der Eintracht mit Julia Boike. Die 25-Jährige pfeift bei den Frauen
in der Zweiten Liga und assistiert in der Bundesliga, zu ihren Höhepunkten
gehört die Leitung des Testspiels zwischen der Eintracht und dem VfL Wolfsburg
in diesem Sommer. Über die Entwicklung des Frauenfußballs sagt derweil Helga
Altvater: „Ich hole manchmal meinen Mann vor den Fernseher, weil ich so
begeistert bin, und zeige ihm, welch hohes Niveau das Spiel hat. Früher
funktionierte gerade so ein Pass über zwei Meter, heute ist das Fußball.“
Der
Überraschungsverein Oberst Schiel in den 1970ern, der FSV Frankfurt in den
1980ern und 1990ern, die SG Praunheim und der Nachfolgeverein 1. FFC Frankfurt
ab Mitte der 1990er: Frankfurter Vereine haben immer um deutsche und seit dem
1. FFC auch um internationale Titel
mitgespielt, nachdem das DFB-Verbot in
den Mülleimer gewandert war. Als vor 30 Jahren die zweigleisige
Frauenfußball-Bundesliga gegründet wurde, waren mit dem FSV und Praunheim
gleich zwei Frankfurter Vereine dabei.
„Ich wurde
für verrückt erklärt“ – Siegfried Dietrich
In dieser Zeit
entwickelte sich Frankfurt zur Hochburg des Frauenfußballs in Deutschland und
der 1. FFC (bis 1998 SG Praunheim) zum Aushängeschild des Frankfurter Sports
überhaupt. Zur Saison 1993/94 wurde die bisherige Spielführerin Monika Staab
Abteilungsleiterin und Siegfried Dietrich Manager der SGP. Die Strukturen
wurden professionalisiert, der sportliche Erfolg ließ nicht lange auf sich
warten. Nach zwei zweiten Plätzen 1996 (Finalniederlage gegen Siegen) und 1998
im ersten eingleisigen Bundesliga-Jahr folgte in der FFC-Premierensaison
1998/99 der erste große Wurf. Die Mannschaft von Monika Staab wurde Deutscher
Meister, Nia Künzer stellte mit ihrem Tor den DFB-Pokalsieg sicher, und auch
der DFB-Hallenpokal ging ans Brentanobad. Es war der Beginn einer titelreichen
Zeit. Sieben Deutsche Meisterschaften, neun DFB-Pokalsiege und vier UEFA-Cup-
bzw. Champions-League-Siege folgten bis 2015, das entspricht mehr als einem
Titel pro Saison – die fünf DFB-Hallenpokal-Erfolge noch gar nicht
berücksichtigt. Damit ist der 1. FFC bis heute der erfolgreichste
Frauenfußballverein Deutschlands und nach Olympique Lyon Europas. An mehreren
Zuschauerrekorden waren die heutigen Adlerträgerinnen beteiligt, über 50.000
Zuschauer kamen 2012 in München zum Champions-League-Finale gegen Lyon (0:2).
Bundesliga-Rekordspielerin ist Kerstin Garefrekes (355/253 für den 1. FFC),
Torschützenköniginnen wurden neben Garefrekes auch Birgit Prinz, Conny Pohlers,
Celia Sasic und Mandy Islacker. Frankfurter Spielerinnen waren zudem immer fester
Bestandteil der Deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen, die zwei WM-
und acht EM-Titel zwischen 1989 und 2013 gewonnen hat. Doris Fitschen und
Nadine Angerer (ohne Gegentor beim WM-Titel 2007) spielten bei fünf
Europameisterschaften, die 20 EM-End-runden-Spiele der dreifachen
Weltfußballerin Birgit Prinzübertrifft niemand, Nia Künzer erzielte 2003 das
Golden Goal zum WM-Titel. Mit Fitschen, Künzer, Rekordnationalspielerin Prinz
(214 Länderspiele), Silke Rottenberg, der ehemaligen Bundestrainerin Steffi
Jones, Renate Lingor und Heidi Mohr gehören gleich sieben ehemalige
FFC-Spielerinnen zur Gründungself der Hall of Fame.
All diese
Spielerinnen in der Mainmetropole erlebt hat Siegfried Dietrich. Nicht nur die
Frankfurter, auch die deutsche Frauenfußball-Historie ist eng verbunden mit
seinem Namen. Als Manager und Investor war er treibende Kraft in Praunheim und
beim 1. FFC, als Sportdirektor und Generalbevollmächtigter arbeitet er bei der
Eintracht weiterhin an der Weiterentwicklung des Frauenfußballs. „Als ich
damals mit dem Frauenfußball begann, wurde ich von vielen belächelt und für
verrückt erklärt. Das hat sich deutlich
verändert“, sagt der 63-Jährige. Mit seiner Ernennung zum Vorsitzenden des
DFB-Ausschusses der Frauen-Bundesligen im September 2019 trägt er zudem eine
bedeutende Mitverantwortung für das Große und Ganze im deutschen Frauenfußball.
Außerdem behielt er die Zukunft des 1. FFC im Blick und war maßgeblich an der
im Juli vollzogenen Fusion mit Eintracht Frankfurt beteiligt.
Mit dieser von
Dietrich gerne als „Hochzeit“ bezeichneten Fusion sind die Kräfte nun gebündelt
und der Weg von reinen Frauen- zu Lizenzvereinen auch in der Mainmetropole
beschritten worden. Ein neues Kapitel ist damit aufgeschlagen. Die Grundlage
dafür wurde – zumindest beim Deutschen Fußball-Bund – vor 50 Jahren geschaffen.
Text:
Michael Wiener
Bilder: Eintracht Frankfurt, imago images