Die
Eintracht im Nationalsozialismus
Viele Jahre
war die Frage nach der Verantwortung für das eigene Verhalten während des
Nationalsozialismus für die großen deutschen Sportvereine kein Thema. Erst Ende
der 1990er Jahre begann die Aufarbeitung. Gerhard Fischer und Ulrich Lindner
veröffentlichten das Buch „Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen
Fußball und Nationalsozialismus“. Anfang der 2000er Jahre folgten erste Vereinsmonographien,
so zum Beispiel „Der BVB in der NS-Zeit“, „Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“
(FC Schalke 04), „Der Betze unterm Hakenkreuz“, „Hertha unterm Hakenkreuz“ und
„Der FC Bayern und seine Juden“. Auch der Deutsche Fußball-Bund beauftragte mit
Nils Havemann einen Historiker, der das Verbandsleben im Nationalsozialismus
beleuchtete. Die Eintracht gehört zu den Vereinen, die sich verhältnismäßig
früh mit dem Vereinsleben im Nationalsozialismus beschäftigt haben. Am 25.
November wird nun eine Studie des Fritz Bauer Instituts veröffentlicht, die das
Verhalten von Verantwortlichen des Vereins zu jener Zeit beleuchtet.
1998 widmete
Ulrich Matheja dem Thema in seinem Buch „Schlappekicker und Himmelstürmer“
einen größeren Rahmen, 1999 wurde das Vereinsleben zwischen 1933 und 1945 in
der Ausstellung „Frankfurt am Ball – 100 Jahre Eintracht & FSV“ ausführlich
behandelt. 2007 erschien das Buch „Wir waren die Juddebube – Eintracht
Frankfurt in der NS-Zeit“, das die erste detaillierte Darstellung der
Vereinsentwicklung unter nationalsozialistischer Herrschaft darstellte. Die
Eintracht zog aus dem neuen Wissen Konsequenzen und entwickelte in den
folgenden Jahren ein breitangelegtes erinnerungspolitisches Engagement. 2008
wurden vom Verein erstmals Stolpersteine für verfolgte und ermordete Mitglieder
verlegt, seitdem gibt es jährlich Stolpersteinverlegungen. Mit dem Projekt „50
Eintrachtler“ dokumentiert das Museum die Lebensläufe jüdischer
Vereinsmitglieder, es bietet Lehrerfort-bildungen und Workshops für
Schulklassen und Jugendgruppen. 2011 errichteten Fans auf dem Gelände des
Stadions ein Mahnmal, das an die Verfolgten erinnert. Seitdem verleiht das
Fanprojekt Frankfurt jedes Jahr den Preis „Im Gedächtnis bleiben“, der
Initiativen auszeichnet, die sich gegen Rassismus engagieren. 2019 organisierte
die Fanbetreuung der Eintracht gemeinsam mit dem Museum eine
Veranstaltungsreihe „Spurensuche“, die mit einer Bildungsreise nach
Theresienstadt abgeschlossen wurde. Gemeinsam mit Vizepräsident Stefan Minden
und dem Mitglied Helmut „Sonny“ Sonneberg, der als Kind deportiert wurde und
die Shoa überlebte, reisten 30 Anhänger für vier Tage nach Theresienstadt,
nahmen an Führungen und Diskussionsrunden teil und enthüllten am letzten
Reisetag im Kolumbarium, in dem einst mehr als 20.000 papierene Aschebeutel mit
den Namen der Toten aufbewahrt wurden, eine Gedenkplatte der Eintracht.
Ein weiterer –
notwendiger – Schritt in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte war es nun, den
Blick auf die Akteure im Verein zu wenden, die zur damaligen Zeit in
Verantwortung waren und zum Funktionieren des Systems beigetragen haben.
Aus diesem
Grund wandte sich Eintracht Frankfurt 2018 an das renommierte Fritz Bauer
Institut zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust und regte
eine externe und unabhängige Untersuchung des Wirkens der Vereinsführung
während der NS-Zeit an. Mit Hilfe dieser unabhängigen Forschung möchte die
Eintracht einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte
gehen. Neben dem wichtigen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus will
der Verein ganz bewusst auch die eigene Verantwortung am Funktionieren des
Nationalsozialismus in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Ein solcher Schritt
ist schmerzhaft, denn beim Blick auf diese Verantwortung wird das Wirken von
Menschen, die oftmals gesellschaftlich hochgeachtet waren, nach deren Tod mit
ihrem Wirken im Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Fakt ist aber, dass
die notwendige Aufarbeitung weder in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch in
den 1960er, 1970er oder 1980er Jahren stattfand und deswegen überfällig ist.
Die Idee, dass eine anerkannte Forschungseinrichtung zu Funktionären des
Vereins recherchiert, basiert auch auf der Erkenntnis, dass es neben einem
„Familiengedächtnis“ auch etwas wie ein „Vereinsgedächtnis“ geben muss. Im
vielbeachteten Buch „Opa war kein Nazi“ (Welzer, Moller, Tschuggnall) wurde
2002 dargelegt, dass Familien gegenüber der objektiven Geschichtsschreibung
generationsübergreifend geschönte Bilder vermitteln. Im Familiengedächtnis finden sich vorwiegend
Erinnerungen an Bomben, Entbehrungen, Leiden und Widerstand. Die
Mitverantwortung der eigenen Familie für die Schreckensherrschaft des
Nationalsozialismus findet hierbei oft keine Erinnerung. Diese
Erinnerungsmuster tauchen auch bei Vereinen auf, die sich gerne als „Vereinsfamilie“
bezeichnen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung am
Unrechtssystem oft schwerfällt und nur bedingt stattfindet. In einem Aufsatz
zur Erinnerungskultur im deutschen Sport nach 1945 kommt der Sporthistoriker
Hans Joachim Teichler zu folgendem Schluss: „Die spezifischen
zwischenmenschlichen Bindungskräfte im Sport, die ihn für uns so liebenswert
und attraktiv machen, sind für eine kritisch-historische Aufarbeitung seiner
Geschichte nicht immer günstig. Eine falsch verstandene Solidarität mit
früheren Funktionsträgern oder Sportlern, die sich zum Aushängeschild einer
Diktatur haben machen lassen, verstärkt die Tendenz des Ausblendens, Wegsehens,
des Unter-den-Teppich-Kehrens.“
Max Aigner vom
Fritz Bauer Institut recherchierte die Lebensläufe der Eintracht-Vereinsführer
Egon Graf von Beroldingen, Hans Söhngen, Rudolf Gramlich, Adolf Metzner und
Anton Gentil, die an dieser Stelle kurz vorgestellt werden sollen.
Egon Graf von
Beroldingen stand dem Verein von 1927 bis zu seinem Tod im Oktober 1933 vor.
Zuvor war der Leiter des Flughafens am Rebstock bereits Präsident des VfB
Stuttgart.1933 verantwortete von Beroldingen als Vereinsführer maßgeblich die
Gleichschaltung der Eintracht. Jüdische Funktionäre und politisch unliebsame
Personen mussten den Verein verlassen. Max Aigner kommt zu dem Ergebnis, dass
„der Vorsitzende Egon Graf von Beroldingen in alle Richtungsentscheidungen
während dieser heiklen Phase maßgeblich involviert war und den Kurs des Vereins
daher wesentlich prägte. Angesichts der Hinweise auf seine autoritäre und
nationalkonservative Haltung ist davon auszugehen, dass er sich den
Entwicklungen dabei nicht nur aus opportunistischen oder an Bestandserhaltung
orientierten Motiven fügte, sondern sie zumindest grundsätzlich auch politisch
unterstützte.“
Hans Söhngen,
Vereinsführer von 1933 bis 1938, wurde bereits 1931 Mitglied der NSDAP und
schloss sich dieser am 15. Dezember jenen Jahres an. Söhngen, der in der
Mitgliedschaft der Eintracht nicht besonders beliebt war, war bestrebt, den
Verein in regimekonformer Weise zu lenken. Max Aigner bilanziert, dass Söhngen
„in der Anfangszeit des ‚Dritten Reichs‘ persönlich stark von seinem Ansehen
als ,alter Kämpfer‘ und seinen Kontakten zu ranghohen NS-Funktionären
profitierte. Aus seiner enormen Ämter- und Machtkumulation lässt sich darüber
hinaus auf einen relativ hohen Grad der funktionalen Einbindung in das
nationalsozialistische Herrschaftssystem schließen.“
Dr. Adolf
Metzner, der von 1938 bis 1942 eine Doppelspitze mit Rudolf Gramlich bildete,
trat 1933 der SS bei. Metzner war ein erfolgreicher Leichtathlet, der 1932 und
1936 an den Olympischen Spielen teilnahm. 1934 reiste er als Deutscher Meister
im 400-Meter-Lauf zu den Leichtathletik-Europameisterschaften nach Turin und
feierte hier auch den Titel des Europameisters. Neben dem Sieg im Wettbewerb
über die 400 Meter gewann er auch mit der 4 x 400-Meter-Staffel die
Goldmedaille. In seiner Studie schreibt Max Aigner, dass sich über Adolf
Metzner „das Bild eines Opportunisten“ zeichnen lässt, „dem sich potentiell aus
gewissen ideologischen Übereinstimmungen, in größerem Maße aber wohl aus
karrieristischen und sportpolitischen Motiven ohne größere Schwierigkeiten in
das NS-Regime integrierte. Als NS-belastet kann er gelten, da er sich aktiv zum
Beitritt zu einer aggressiven und gewalttätigen NS-Organisation entschloss, das
Regime durch seine Veröffentlichungen intellektuell zu legitimieren half und
sich als Sportverantwortlicher an seiner funktionalen Aufrechterhaltung
beteiligte.“
Nach dem Krieg
war Dr. Adolf Metzner ein herausragender Repräsentant seiner Heimatstadt
Frankenthal. In seinem Testament hatte er verfügt, dass die „Metzner-Stiftung“
ein Grundkapital von einer Millionen DM erhält. Anfang der 1980er Jahre begann
die Stiftung, kulturelle, soziale und sportliche Projekte in Frankenthal zu
fördern. Es entstand ein Adolf-Metzner-Park und der
Adolf-Metzner-Musikwettbewerb, im CongressForum Frankenthal stand eine Büste
des Gönners. Mehr als 30 Jahre nach dem Tod Metzners kamen erstmals Fragen zu
seinem Lebensweg im NS auf, diese wurden angestoßen vom Förderverein für
Jüdisches Gedenken in Frankenthal. Daraufhin fand in der Stadt eine emotional
geführte Debatte über den Umgang mit dem Erbe Metzners statt.
Rudolf Gramlich
bekleidete das Amt des Vereinsführers von 1938 bis 1942 gemeinsam mit Dr. Adolf
Metzner. Gramlich war zu der Zeit in Frankfurt schon eine Institution. 22
Spiele hatte er für die Deutsche Nationalmannschaft absolviert, er war Spieler
bei der Weltmeister-schaft 1934 in Italien – und er stand 1932 mit der
Eintracht im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Rudolf Gramlich trat 1937
der SS und 1940 der NSDAP bei. Nachweisbar ist, dass er von der
nationalsozialistischen Herrschaft profitierte: 1938 übernahm er mit seinem Geschäftspartner
Eugen Fabian die Geschäftsräume der „Jakob Schönhof-Ledergroßwarenhandlung“,
deren bisheriger Inhaber der jüdische Lederkaufmann Herbert Kastellan war.
Dabei erfolgte keine Vergütung des Firmenwerts, eine Zahlung wurde lediglich
für Inventar und Warenlager geleistet. Kastellan wurde später nach
Litzmannstadt deportiert und ermordet. Nach Kriegsende einigten sich die
Inhaber der Firma Fabian & Gramlich mit den Töchtern Kastellans im Rahmen
des Rückerstattungsverfahrens auf eine Nachzahlung des „angemessenen
Kaufpreises“ für die Bestände des Lagers, der etwa das Doppelte des 1938 bezahlten Preises betrug. Im gleichen Jahr
zog Rudolf Gramlich in die Wohnung des jüdischen Fabrikanten Ludwig Pohl, der
1938 nach Kalifornien emigriert war.
Seit dem 15.
November 1939 gehörte Rudolf Gramlich zur 8. SS-Totenkopfstandarte, in der 9.
Kompanie im III. Bataillon absolvierte er bis September 1940 seinen Dienst. In
seiner Studie kommt Max Aigner zu dem Ergebnis, dass „Gramlich in der 8.
SS-Totenkopfstandarte einem der ‚wesentlichen Mittel‘ zur Verwirklichung der
antisemitischen und rassistischen Politik gegenüber Juden und christlichen
Polen angehörte, die zu jener Zeit im besetzten Polen aktiv waren“. Im Mai 1940
wurde Anton Gentil zum „stellvertretenden Gemeinschaftsführer im Krieg“
be-stimmt. Gentil, der aus der Tennisabteilung kam, bekleidete das Amt bis
Kriegsende. Anton Gentil wurde 1933 Mitglied der NSDAP, 1935 Mitglied der
Deutschen Arbeitsfront und der NS-Volkswohlfahrt. Einen gestaltenden Einfluss
auf das Vereinsleben konnte bei Gentil nicht nachgewiesen werden. Er versuchte
vor allem, den Sportbetrieb während des Kriegs aufrechtzuerhalten. Aber auch
von Anton Gentil finden sich politische Äußerungen in den Publikationen des
Vereins. 1942 lobte er in einem Feldpostbrief die Leistungen der Deutschen
Soldaten nach dem Überfall auf die Sowjetunion, deren „Opfermut“ und
„Leidens-bereitschaft“ ohne „Beispiel in der Weltgeschichte“ seien. „Wir
schauen vertrauensvoll in die Zukunft, die für uns alle erfüllt ist vom Glanze
des nahen Sieges. Mit dem Führer in ein neues, freies Großdeutschland, in dem
wir weiterarbeiten wollen, zusammen mit Euch Kameraden, die Ihr dann wieder bei
der Eintracht seid.“
Die Ergebnisse
der Fritz Bauer Studie wurden dem Ehrenrat und dem Präsidium der Eintracht
bereits Anfang des Jahres vorgelegt. Nach Sichtung der Unterlagen haben die
Gremien im Vorfeld der Mitgliederversammlung im Januar 2020 beschlossen, Rudolf
Gramlich den Titel „Ehrenpräsident“ abzuerkennen. „Ein Ehrenpräsident muss,
egal was er sportlich Positives erreicht hat, auch moralisch und ethisch ein
Vorbild sein“, begründet Vereinspräsident Fischer die Entscheidung.
Am 25. November
um 18.30 Uhr stellt Max Aigner die Studie „Vereinsführer – Vier Funktionäre von
Eintracht Frankfurt im Nationalsozialismus“ vor. Corona-bedingt findet die
Veranstaltung als Livestream statt:
https://youtu.be/MUi__9hpGPM. Die gesamte Studie „Vereinsführer – Vier
Funktionäre von Eintracht Frankfurt im Nationalsozialismus“ ist im Wallstein
Verlag erschienen, enthält 304 Seiten und kostet 38 Euro. Das Buch ist auch im Eintracht
Frankfurt Museum erhältlich.
Spurensuche
II
2021 starten
die Fanbetreuung der Eintracht und das Eintracht Frankfurt Museum das Projekt
„Spurensuche II“. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung
rund um die Studie des Fritz Bauer Instituts möchten wir bei dem geplanten
Projekt Spurensuche II den Blick diesmal auf Vereinsverantwortliche im NS
werfen.
13. Januar
2021, 19.30 Uhr
Auftaktveranstaltung im Museum.
26. Januar
2021, 19.30 Uhr
Die Vereinsführer der Eintracht im Nationalsozialismus, Vortrag mit Max Aigner,
Fritz Bauer Institut.
27. März
2021
Besuch der Erinnerungsstätte Eichberg. Im Rahmen der Tagestour werden wir mehr
über den Eintrachtler Hans Grebe erfahren, der seit 1937 Assistent am
„Frankfurter Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene“ war.
27. April
2021, 19.30 Uhr
Filmabend im Museum:
„Labyrinth des Schweigens“, anschließend Filmgespräch mit Werner Renz, Fritz
Bauer Institut.
5. Juni 2021
Tagesreise nach
Frankenthal mit Stadtrundgang und Treffen mit Vertretern des Vereins „Juden in
Frankenthal“. Der Verein hat in den vergangenen Jahren in der Stadt eine
kritische Auseinandersetzung mit der Person Dr. Adolf Metzner angestoßen. 13.
September 2021 Diskussionsrunde „Umgang
mit der eigenen Verantwortung“ mit Vertretern von Stadt, Vereinen und
Verbänden.
Oktober 2021
Abschlussreise in die
Gedenkstätte Buchenwald. Weitere
Informationen zum Projekt „Spurensuche II“ finden Sie unter museum.eintracht.de
und fans.eintracht.de.