Fanabteilung trifft … Dr.
Fedor Weiser
Bunt ist sie, die Eintracht-Welt, voller
Geschichten und Erlebnisse – nicht nur auf dem Platz, sondern vor allem auch
abseits des Spielfelds. Getragen werden diese Geschichten durch die Fans und
Mitglieder der Eintracht. Eines davon ist Dr. Fedor Weiser.
Aufgewachsen
ist Fedor in Frankfurt-Nied. „Anfang der 60er Jahre gingen alle meine Kumpels
zum Handball, in der D-Jugend stieß ich auch dazu. Wir spielten bei der SG Nied
und ich war stolz, die Farben meines Stadtteils zu vertreten. Ich gehörte dazu,
damals in der Niddakampfbahn“, erinnert er sich an die Tage der Kindheit. „Nur
samstags bemerkte ich, dass die Älteren, die Trainer, nicht ganz bei der Sache
waren. Sie haben im Radio die Eintracht verfolgt. Ich spürte, dass es noch
etwas anderes gab, woanders die Träume sogar noch größer schienen. Und da
wollte ich hin.“ Zumal Fedor nachmittags auf dem Bolzplatz kickte – und einer
seiner Freunde der etwas ältere Hansi Lindemann war, der später für die
Eintracht spielte, auf 13 Profieinsätze kam und anschließend langjähriger
Spielführer von Darmstadt 98 wurde. „Wo gibt es so etwas heute noch, dass du
auf dem Bolzplatz mit Jungs kickst, die das Zeug zum Profi haben?“
So
rasselte Fedor erstmals 1963 mit der Straßenbahn von Nied in den Stadtwald. Die
Eintracht hatte ihn gefangen – und sollte nie wieder loslassen. „An meinem 14.
Geburtstag machte mir meine Mutter ein großes Geschenk. Sie besorgte mir und
meinem Kumpel Eintrittskarten für das Auswärtsspiel beim 1. FC Kaiserslautern –
und wir fuhren gemeinsam dorthin. Während sich meine Mutter die Stadt anguckte,
standen wir auf dem Betzenberg. Die Eintracht spielte 1:1 und ich habe
wahrscheinlich nie wieder so bei einem Spiel mitgefiebert, wie damals, am 22.
April 1967“, blickt Fedor auf die Zeiten zurück, als das Kindsein noch mit
jener Magie verbunden war, die dem Erwachsenen zuweilen abhandenkommt. Fortan
brachte ihn die Straßenbahn regelmäßig in den Stadtwald: „Ich bin aber immer
alleine zur Eintracht gegangen, habe meine Tränen alleine verdrückt“, blickt er
zurück. Sein Lieblingsspieler war damals Atze Friedrich, der später nach
Kaiserslautern wechseln sollte.
1973
verschlug es Fedor zum Studium nach Gießen, Stadionbesuche wurden seltener,
aber dennoch verfolgte er die Eintracht mit Herzblut am Radio und in der
Sportschau. Profifußball war in der linken politischen Szene, in der sich Fedor
bewegte, damals eher verpönt, nicht so bei Fedor. Samstags die Eintracht zu
verfolgen, war eisernes Gesetz. Sieben lange Jahre leistete er anschließend in
Gießen sozialpädagogische Drogenarbeit und kannte zudem das Fan-Leben aus
eigener Erfahrung. Was lag also näher, als sich in seiner folgenden
Doktorarbeit dem Thema „Fußball als Droge“ zu widmen? 1991 übernahm Fedor die
Leitung des 2. Frankfurter Fanprojekts, zuvor hatte er schon freiberufliche
Bildungsarbeit geleistet. Damals gab es noch kein eigenes Fan-Haus, die
Büroräume befanden sich in der Hanauer Landstraße und der Fan galt gemeinhin
als das unbekannte Wesen, das zuweilen Rabatz macht und Probleme verursacht.
Im
Beirat des Fanprojekts führte er die unterschiedlichen Protagonisten aus
Fanszene, Polizei, Verein und Medien zusammen, baute Brücken der Kommunikation
und schilderte die Situation der Fans gemeinsam mit Anjo Scheel selbst bei
Polizeifortbildungen. Sogar die berüchtigte Adlerfront gab sich handzahm.
Zumindest manchmal. Auch bei internationalen Spielen war das Fanprojekt dabei,
sorgte für Begegnungen mit Fans der Heimmannschaft, meist bei gemeinsamen
Fußballspielen. „In Moskau hatten sie unser Anliegen nicht genau verstanden.
Dynamo trat gegen unsere trinkfeste Truppe mit ehemaligen Profis an und hat uns
ordentlich vermöbelt. In Lodz hatten wir dann einen Dolmetscher“, lacht er.
Unter den Fittichen des Fanprojekts erblickte auch das heutige noch
existierende Fanzine „Fan geht vor“ das Licht der Welt.
Lange
Jahre war Fedor vorwiegend Fan des Spiels oder der Spieler. Der Verein selbst
kam ihm zuweilen dubios daher. Zweifelhaftes Geschäftsgebaren oder die Distanz
zu den Fans ließen seinen Blick auf das Geschehen auf dem grünen Rasen
fokussieren. Das hat sich geändert: „Ich habe mich noch sie so mit dem Verein
identifiziert wie heute. Die klare politischen Positionierung von Peter Fischer
und Axel Hellmann, die Erinnerungsarbeit des Eintracht Museums lassen mich mehr
denn je als Eintrachtler fühlen. Nicht nur wegen des Fußballs, auch wenn die
Europareisen der vergangenen Jahre für wunderbare Momente gesorgt haben und
noch intensiver waren als zur Saison 2013/14“, schildert Fedor freimütig sein
Innenleben.
Bis
März dieses Jahres stand er Woche für Woche mit seinen Freunden Gerhard, Flo,
Öri und Paul im Block 38. Dann kam Corona – und alles wurde anders. Und da
kommt ihm wieder seine alte Doktorarbeit in den Sinn: „Fußball als Droge“. Für
manch einen war das Wegbrechen des wöchentlichen Rituals der Spielbesuche wie
ein kalter Entzug. Ob sie wohl alle wieder kommen werden? Die, die Woche für
Woche in den Wald fuhren und sich nun zwangsweise mit der Situation
auseinandersetzen müssen. Wir werden es sehen. Fedors Doktorarbeit ist übrigens
ein Exponat des Eintracht-Museums. Und da bleibt sie auch. Sucht hin oder her.
Text:
Axel Hoffmann