„Fußball muss ein tolerantes Umfeld schaffen“

In deiner Heimat Norwegen hat sich FIFA-Schiedsrichter Tom Harald Hagen kürzlich als homosexuell geoutet. Das sorgte auch international für Aufsehen und viele positive Schlagzeilen. Wie waren die Reaktionen in deiner Heimat?
Leider ist es immer noch eine „Breaking News“, wenn jemand sagt, wie er sich fühlt oder sein Leben führen möchte. Es wurde bei uns in Nor-wegen sehr gut aufgenommen. Was schon mal positiv ist, denn bis Anfang der 1970er Jahre war Homosexualität bei uns sogar noch gesetzlich verboten. Inzwischen sind wir ein sehr modernes, offenes Land. Vor 20 Jahren hat sich ein damals junger Spieler namens Thomas Berling geoutet und daraufhin seine Karriere beendet, weil es zu viele negative Reaktionen gab. Solche Fälle gab es immer mal wieder, auch beispielsweise in England. Seitdem hat sich etwas verändert, aber das geht alles viel zu langsam.

Der norwegische Verbandspräsident Terje Svendsen hat Hagens Schritt ebenfalls begrüßt und seine Hoffnung geäußert, dass sich nun auch aktive Spieler ermutigt fühlen. Teilst du seine Hoffnung?
Das ist natürlich die typische Aussage eines Politikers, aber damit macht man es sich viel zu einfach. Wir können nicht einfach die Verantwortung weiterschieben und sagen, dass sich betroffene Spieler trauen sollen. Es ist nicht unsere Aufgabe, noch zusätzlichen Druck aufzubauen. Genau genommen muss es andersherum sein: Der Fußball muss zeigen, dass Homosexualität willkommen ist und ein sicheres, tolerantes Umfeld schaffen. Diese Verantwortung liegt bei uns allen. Bei dir, bei mir, den Vereinen, Spielern, Fans, den Journalisten – einfach allen. Man sollte nicht nach Spielern suchen, die sich outen, sondern anfangen, sich im Fußballsport besser zu benehmen und auch von diesem Macho-Gehabe wegzukommen.

Müsste ein Spieler nach dem Coming-out damit rechnen, in der Öffentlichkeit danach nur noch „der Schwule“ und nicht mehr „der Fußballer“ zu sein? So ging es zumindest 2013 dem US-Amerikaner Robbie Rodgers, der sich outete und im gleichen Atemzug seine Karriere vorübergehend beendete. Damals sagte er: „Ich will einfach Fußball spielen und habe keine Lust auf den Zirkus.“
Ich verstehe absolut, was er meint. Denn wenn du der Erste bist, wird überall über dich diskutiert, alle befragen dich nur noch zu diesem Thema und nicht mehr zu deinem eigentlichen Beruf. Darum ist es höchste Zeit, dass Homosexualität im Fußball Normalität wird. Geoutete Fußballer sind nicht Vorbilder für andere homosexuelle Fußballer, sondern für uns Heterosexuelle. Weil es uns zeigt, dass es keine Rolle spielen darf, wie jemand sein Leben lebt. Ob jemand einen guten Job macht, hat mit der Sexualität nichts zu tun. Thomas Hitzlsperger dient da als leuchtendes Beispiel. Er war ein toller Fußballer, Nationalspieler, setzt sich gegen Diskriminierung ein und macht einen richtig guten Job als Sportvorstand beim VfB Stuttgart. Das sind die Dinge, die zählen. Nicht, ob er mit einem Mann oder einer Frau zusammen ist.

Würdest du der These zustimmen, dass das Geheimhalten der eigenen Identität besonders für junge Spieler eine große Belastung ist?
Selbst für Erwachsene und Menschen, die längst mitten im Leben stehen, ist es keine einfache Situation. Vor allem, wenn sie glauben, sich auch vor Freunden, Familie und Kol-legen verstecken zu müssen. Für junge Spieler ist die Last dann unter Umständen noch größer, denn der Druck auf dem Weg zur Profikarriere ist auch so schon immens. Ich glaube, dass der Fußball schon einige große Talente verloren hat, weil sich Spieler diesem Druck und der Macho-Kultur nicht gewachsen sahen oder sich ihr einfach nicht aussetzen wollten. Das ist ein Armutszeugnis für den Fußball und zeigt, wie groß die Verantwortung ist, die wir alle tragen. Wir haben es geschafft, dass in einer Kabine Hautfarbe, Religion und Nationalität egal sind. Lediglich Homosexualität ist nach wie vor das letzte Tabu im Männerfußball. Das ärgert mich, denn wir erzählen immer davon, dass im Fußball jeder willkommen ist. Was gut klingt, aber nicht der Wahrheit entspricht, solange sich Spieler aufgrund ihrer Sexualität verstecken müssen. Dabei ist es problemlos möglich, seine maskuline Art zu behalten und trotzdem jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist.

In Diskussionen hört man immer wieder, dass man nicht wissen könne, wie die Zuschauer auf einen offen schwulen Spieler reagieren würden. Dabei engagieren sich viele Anhänger längst selbst aktiv gegen Homophobie.
Ich glaube, dass Fans bisweilen die gleichen Probleme haben wie Fußballer. Sie gehören ebenfalls zum Kosmos Fußballkultur und müssen sich mit dieser Macho-Mentalität auseinandersetzen. Wir haben schon oft festgestellt, dass sich im Stadion ein Querschnitt der Gesellschaft abbildet. Daher werden auch immer einige homosexuelle Zuschauer und Zuschauerinnen dabei sein. Auch für sie tragen wir im Fußball eine gesellschaftliche Verantwortung. Ein Aktionsspieltag einmal im Jahr mit Regenbogenfahnen und PR-Kampagne ist schön und gut, aber letztlich ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Für Bürokraten bei Verbänden mag das toll aussehen, aber diese Leute sehen oft die eigentlichen Probleme nicht. Eine einmalige „Pride“-Aktion bringt uns nicht weiter. Wir müssen an diesem Thema jeden Tag arbeiten und uns klar positionieren. So wie es die Eintracht gegen Rassismus tut, mit klarer Kante und klar definierten Werten.

Während Homosexualität bei den Männern, wie du sagtest, das letzte große Tabu zu sein scheint, sieht die Sache im Frauenfußball signifikant anders aus. Lesbische oder bisexuelle Spielerinnen waren nie ein kontroverses Thema und gehören wie ganz natürlich dazu. Was haben die Frauen anders und auch besser gemacht als die Männer?
Zuallererst müssen wir generell die Art und Weise ändern, wie wir mit-einander umgehen. Die Frauen haben das herausragend geschafft. Sie sind wohl einfach schlauer als Männer und haben eine höhere Sozialkompetenz, das zeigt sich immer wieder. Außerdem ist Frauenfußball eine jüngere Sportart. In Norwegen beispielsweise hatten wir erst in den Siebzigern unser erstes Länderspiel der Frauen. Überall auf der Welt befindet sich der Frauenfußball immer noch in einer Art Aufbruch und Entwicklung. Im Frauenfußball ist es von Beginn an gelungen, eine moderne Gesellschaft abzubilden. Die Frauen haben „ihren“ Fußball von Anfang an auf das Fundament eines offenen Miteinanders gestellt. Sie haben glücklicherweise nicht dieses historische Gepäck aus überholten, stark maskulinen Werten und verkrusteten Strukturen. Der Männerfußball hingegen hat noch viel Arbeit vor sich und muss sich dringend verändern. Es ist geradezu peinlich, dass er der gesellschaftlichen Entwicklung so hinterherhinkt.

Interview: Markus Rutten

Jan Aage Fjörtoft, 53, hat die Eintracht 1999 zum Klassenerhalt geschossen und genießt bei den Fans nicht nur daher Kultstatus. Er ist ein fußballerischer Weltenbummler, meinungsstark, immer auf dem Laufenden, ein gefragter Experte und nicht zuletzt unserer Eintracht nach wie vor tief verbunden. Das sind Gründe genug für eine regelmäßige Interview-Kolumne mit dem Norweger.