„Das große Ziel der kleinen Momente“
Mario Götze

Mario Götze hat im Alter von 33 Jahren im Fußballerleben viel erreicht, sieht sich aber auf dem Platz noch lange nicht am Ende. Auch neben dem Spielfeld hat er Tätigkeiten für sich entdeckt, die ihn erfüllen. Fußball, Familie, Business und ein Herzensprojekt – über all das berichtet der Mittelfeldstratege an einem Tag, an dem ihn die „Eintracht vom Main“ und EintrachtTV begleitet haben. Ausführlich über seine Karriere hat er übrigens auch im ersten Band von „Stimmen der Eintracht“ gesprochen, das im vergangenen Jahr erschienen ist und dessen Nachfolger seit Kurzem erhältlich ist. Auszüge aus dem Kapitel „Mario Götze – der ewige Torschütze“, in dem Götze einen Brief an sein jüngeres Ich schreibt, sind in dieser Ausgabe der „Eintracht vom Main“ abgedruckt.
Interview: Alina Friedrich
Reportage: Michael Wiener
Fotos: Manuel Bahmer

 

Ein sonniger Tag am ProfiCamp im Deutsche Bank Park. Mario Götze steht abfahrbereit vor dem Eingang in das Gebäude, wo die Profis der Eintracht viel Zeit verbringen. Kabinen, Physio- und Arzträume, ein Kino für die Analyse, Schlafräume und nicht zuletzt ein großer Athletikbereich – das vor rund vier Jahren eröffnete Gebäude bietet nicht nur für Profis und Staff optimale Bedingungen, sondern ist ganz nebenbei auch die Geschäftsstelle der Eintracht Frankfurt Fußball AG. Bei dieser hat Mario Götze im Sommer 2022 einen Vertrag unterschrieben, nachdem er zwei Jahre beim niederländischen Topklub PSV Eindhoven gespielt hatte.

Götze steht an seinem Auto, der Trainingstag liegt bereits hinter ihm. Er kann sich nun Dingen widmen, die ihm ebenso wie der Fußball unglaublich am Herzen liegen. „Wir fahren jetzt in die Stadt zu Eterno“, erzählt er. Auf der kurzen Fahrt dorthin spricht er über die Anfänge seiner Profikarriere im November 2009 und die Situation im Herbst 2025 bei Eintracht Frankfurt.

Mario, blicken wir zurück auf deine Anfänge im Profifußball. Wie sind deine Erinnerungen?
Das Erste, was mir direkt in den Kopf kommt, ist mein Debüt bei Borussia Dortmund, als ich 17 Jahre alt war. Ich wurde für zwei Minuten gegen Mainz eingewechselt und war leicht nervös. 80.000 Menschen im Stadion, das war schon eine Wucht (lacht).

Wie bist du danach in die Kabine gegangen?
Ich war in dem Moment einfach nur erleichtert. Obwohl es nur zwei Minuten waren und ich wahrscheinlich zwei Ballkontakte hatte, aber das war einfach der Situation geschuldet. Ich war 17 Jahre alt und spielte das erste Mal vor einer vollen Südtribüne. Da war ich froh, dass alles gut geklappt hat.

Was würdest du dem Mario von damals mitgeben? Hast du einen Tipp an dein jüngeres Ich?
Rückblickend würde ich die Situation und den Moment sogar noch mehr genießen, als mir Gedanken darüber zu machen, was alles passieren oder gut und schlecht laufen könnte.

Im Buch „Stimmen der Eintracht“, das die Eintracht zusammen mit Autor Michael Horeni im vergangenen Jahr erstmals herausgebracht hat, hat sich Mario Götze im Detail zu genau dieser Frage geäußert. In zwei längeren Interviews hat der 66-fache Nationalspieler und Weltmeister von 2014 mit dem Buchautor gesprochen. Horeni hat diese Gespräche verdichtet und in einen Brief an Marios früheres Ich zusammengefasst. „Stimmen der Eintracht“ umfasst zwölf Kapitel mit ebenso vielen Lebensgeschichten von elf Protagonisten, die als Spieler oder in Funktionen für Eintracht Frankfurt gewirkt haben. „Zwölfter Mann“ oder „Zwölfte Frau“ ist eine Person aus dem nahen Umfeld der Eintracht, die ehemalige Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die zweite Auflage ist kürzlich erschienen.

Um der Frage nach einem Ratschlag an sein jüngeres Ich nachzugehen, hier Auszüge aus dem Kapitel „Mario Götze – Der ewige Torschütze“:

Lieber Mario,

wenn Du diesen Brief liest, bist Du 17 Jahre und 171 Tage alt. Es ist der 21. November 2009, der Tag Deines ersten Bundesligaspiels.

Es ist ein Tag, an den Du Dich lange erinnerst, vermutlich für immer, weil es der Moment ist, von dem Du später sagen wirst: So hat alles angefangen. 

Es ist ein Tag, den aber nur Du nicht vergisst.

Ich sage es Dir lieber gleich: Vor Dir liegt ein Leben, von dem Du heute noch keine Ahnung hast, von dem Du auch keine Ahnung haben kannst. Es ist ein Leben, von dem Du nicht glaubst, dass Du es jemals führen wirst. Aber so wird es sein.

Denn es kommt noch ein anderer Tag. Einer, den Du auch nicht vergisst. Aber den auch Millionen andere Menschen nicht vergessen werden.

Es ist der Tag, an dem Dein neues Leben beginnt. Aber dazu später.

Ich schreibe Dir diesen Brief am 3. Juni 2024. Ich werde heute 33 Jahre alt, bin verheiratet und habe zwei Kinder. Und ich habe gerade meine vierzehnte Saison als Profifußballer beendet. Du wunderst Dich vielleicht, weil das bei Eintracht Frankfurt passiert ist, denn bisher kennst Du nur Dortmund und seine Borussia. Sei ehrlich: Frankfurt, das hättest Du nicht gedacht.

Ich habe hier meine zweite Saison gespielt und fühle mich superwohl mit meiner Familie. So wohl, wie ich mich lange nicht gefühlt habe in meiner Karriere. Irre, wo einen das Leben hinführt, oder?

Ich will Dir keine großen Ratschläge geben für Dein Leben, lieber Mario. Der Zeitgeist heute ist ein ganz anderer als zu der Zeit, als ich 17 war. Und auch Dein Mindset ist ein ganz anderes, als ich es heute als Familienvater habe. Ist mir klar. Und mit Ratschlägen, die man bekommt, ist es immer schwierig, weiß ich selbst.

Ich will Dir lieber sagen, was auf Dich zukommt. Damit Du damit vielleicht besser umgehen kannst, vielleicht auch besser, als ich es konnte. Wenn das überhaupt geht.

Wir haben jetzt 2024, und ins Jahr 2009 zurückzugehen ist eine Zeitreise. Im Profifußball sind 15 Jahre eine halbe Ewigkeit. Dein Leben fühlt sich in dieser Zeit an, als würdest Du es im Zeitraffer leben.

Bisher hat sich für Dich alles im Normaltempo entwickelt. Du bist mit Deinen Eltern und Deinen Brüdern aus dem Allgäu nach Dortmund gezogen. Du bist mit nicht einmal zehn Jahren zum BVB, hast zunächst in der E1 gespielt und dort dann alle Jugendmannschaften durchlaufen. Alles normal. Aber wer will das, auf Dauer?

Dir ist zunächst gar nicht bewusst, dass Du herausragst. Du gehst zur Schule, siehst Fußball als Hobby, willst eigentlich nur ein bisschen „zocken“, wie Du es nennst. Du weißt gar nicht, was es wirklich bedeutet, dass Du in den Jugend-Nationalmannschaften spielst, dass Du in der A-Jugend zwei Jahre jünger bist als alle anderen, weil Du so gut bist.

Dass Dir das nicht ganz klar ist, liegt vielleicht auch daran, dass Deine Welt noch nicht digital ist. Das schützt Dich, noch. Es gibt im Jahr 2009 keine Social Media, wie wir sie heute kennen. Wo alles für alle präsent ist, immer. Aber das ist noch mal ein Thema für sich.

Dein erstes U-15-Länderspiel wurde live im Fernsehen übertragen. Da hast Du schon ein bisschen die Aufmerksamkeit gespürt, aber im Grunde sind Dir die Dimensionen nicht klar. Du fühlst dich weiter als ein ganz normaler Junge, der gerne Fußball spielt. That´s it. Reicht ja auch.

Du bist glücklich. Und Du willst immer nur weiter Fußball spielen. Du weißt, dass Du Talent hast. Alles entwickelt sich wie von selbst. Aber trotzdem ist da schon früh noch ein anderes Gefühl. Du sagst Dir: „Ich muss mehr machen als andere, mehr trainieren, mehr arbeiten.“

Deine Vorbilder sind Zidane und Iniesta, und die sprechen auch immer von harter Arbeit, wenn sie vom Fußball und ihrer Karriere sprechen. Sie sagen, dass man harte Arbeit und Talent miteinander verbinden muss. Dass es nicht anders geht, wenn man erfolgreich sein will. Du glaubst das. Und wächst in diesem Bewusstsein auf, das für Dich selbstverständlich wird:

Mehr trainieren!
Mehr trainieren!
Mehr trainieren!

Dein erstes Training bei den Profis hast Du in Dortmund unter Thomas Doll gemacht. In einer Länderspielpause durftest Du mittrainieren, Du bist 15 Jahre alt.

Und heute, am 21. November 2009, wechselt Dich Jürgen Klopp gegen Mainz 05 kurz vor Schluss ein. Jetzt bist Du 17 – und Bundesligaspieler, die Profikarriere liegt vor Dir. Aber Du bist überhaupt nicht auf das vorbereitet, was auf Dich zukommt. Das geht auch gar nicht.

Du kannst Dich auf das, was Du erleben wirst, nicht vorbereiten. Sei froh!

Eine Crux bei guten Ratschlägen gibt es immer. Jeder hat seine eigenen Gefühle, seine eigenen Emotionen. Da kann man nichts machen. Was für den einen passt, muss für den anderen nicht passen. Aber es gibt Dinge, die gelten immer, zumindest gelten sie für mich:

Du musst Deine eigenen Erfahrungen machen.
Du musst es fühlen.
DU musst es spüren.
Und Du musst verstehen, was das alles mit Dir macht.

Das ist eine Aufgabe, die kann Dir niemand abnehmen. Auch ich nicht. Aber ich kann Dir von meinen Erfahrungen erzählen. Und davon, was ich mir in Deinem Alter gewünscht hätte. Damals wusste ich noch nicht, was meine Wünsche waren. 

Gelassenheit, mehr Ruhe.
Das wärs gewesen …

Doch Ruhe und Gelassenheit habe ich mir nicht gestattet, das waren meine Gegner. In mir herrschte ein anderes Gefühl:

Jetzt!
Alles muss jetzt sein!
Alles muss perfekt funktionieren.
Und zwar jetzt, jetzt, jetzt!

Aber so ist der Fußball nicht. So ist der Sport nicht. So ist das Leben nicht.

Ich kann Dir aus Erfahrung sagen: Gib Dir Zeit! Du fragst Dich jetzt: „Warum? Was will der Typ mir jetzt erzählen? Der ist über dreißig und hat keine Ahnung von meinem Leben.“ Doch, ein bisschen schon. Und mir ist schon klar, dass Du so denkst. So habe ich auch gedacht.

Ich sage es Dir trotzdem, damit Du die Dinge, die auf Dich einstürzen werden, durchleben kannst. Ich meine wirklich durchleben. Damit Du sie verarbeiten kannst, damit sie Dir nicht einfach nur passieren, sondern Du Deine Schlüsse daraus ziehen kannst.

Warum?
Um gute Entscheidungen zu treffen.

Du musst von Dir nicht erwarten, dass Du mit 17 Jahren alles weißt. Auch nicht, dass Du jetzt schon zu wissen meinst, was Dir in drei, vier Jahren passiert. Und welche Entscheidungen Du dafür treffen musst. Ich weiß, dass Du so denkst. Aber glaube es mir: Das ist unmöglich. Für Jeden!

Ich bin sicher, dass ich die Ratschläge, die ich Dir gebe, auch nicht angenommen hätte. Selbst dann nicht, wenn sie mir jemand gegeben hätte, der mit 22 Jahren das entscheidende Tor im WM-Finale geschossen hat. Ich hätte mich gefragt: Was soll das mit mir zu tun haben, mit meinem Leben?

Ich habe damals viele Ratschläge bekommen, von meinem Vater, von meiner jetzigen Frau, von meinem Berater. Alle gut gemeint. Manche hatten mehr Lebenserfahrung, manche weniger. Im Nachhinein muss ich sagen: Ich hätte den ein oder anderen Rat annehmen sollen, wäre nicht verkehrt gewesen. Aber am Ende bleibt Dir nichts anderes übrig: Du musst alles selbst durchstehen. Nur Du kannst in Dich selbst hineinhorchen und herausfinden, was es für Dich bedeutet. Dein Leben kann Dir niemand abnehmen, geht nicht.

Im Rückblick kann ich Dir sagen: Du weißt erst später, welche Entscheidung richtig war – und welche falsch. Sehr schlau, ich weiß. Aber Du weißt es nicht in dem Moment, in dem Du Dich entscheiden musst. Ganz egal, was die Menschen um Dich herum sagen.

Heute bin ich ein großer Fan von der Einstellung, dass alles, was passiert, aus einem bestimmten Grund passiert. Vorhersehung.

Meine Entscheidungen sind immer einhergegangen mit meinen Lebenssituationen. Ich habe mit 17 Jahren mein Debüt in einem übervollen Stadion gegeben, voll mit Menschen und überschäumenden Emotionen. Dann fängt es an: Was macht es mit Dir, vor so einer Kulisse zu spielen? Was macht es mit Dir, die Aufmerksamkeit und Emotionen auf Dich zu ziehen? […]

Ich kann Dir sagen: Es ist wirklich nicht die beste Idee, das Tor Deines Lebens mit 22 Jahren zu schießen. Wenn ich es mir wünschen könnte, würde ich dieses Tor mit 35 Jahren schießen. Dann würde ich die Schuhe in der Nationalmannschaft an den Nagel hängen. Und „Tschüss“ sagen. […]

Wenn ich mich in meine ersten Jahre bei der Nationalmannschaft zurückversetze: Es war superwertvoll für mich, dass es dort Spieler mit großer Erfahrung gab. Die haben geführt, von ihnen konnte ich lernen. Miro. Basti. Philipp. Manu.Sami. Per.

Du wirst das auch erleben: Erfahrene Topspieler sind eine große Hilfe. Wenn Du mit 18, 19 Jahren mit diesen Spielern zusammen bist, hast Du einen Riesenrespekt. Vor dem, was sie in ihren Klubs und der Nationalmannschaft geleistet haben. Und diesen Respekt musst Du auch haben. Du kannst Dir von diesen Spielern viel abschauen, in den guten und in den schwierigen Momenten. Aber bis Du es wirklich verstanden hast, bis Du es umsetzen kannst, dafür reichen keine paar Monate. Dafür reichen nicht mal ein, zwei oder drei Jahre. Um das zu verinnerlichen, brauchst Du vier, fünf, sechs Jahre mit einem oder zwei großen Turnieren.

An so einer rigorosen Entscheidung hängt viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn man einmal eine solche Konsequenz an den Tag legt, dann musst Du diese Konsequenzen auch nach dem nächsten Turnier ziehen, wenn es wieder nicht gut läuft. So wie bei der EM 2021 und der WM 2022, aber da ist das nicht passiert.

Du fragst Dich vielleicht: Was ist die Lösung? Gute Frage, meine Antwort: Wenn Du eine falsche Entscheidung triffst, musst Du wenigstens in der Lage sein, Deine falsche Entscheidung schnell zu revidieren. Soll bedeuten, man hätte die drei Spieler schnell wieder zurückholen müssen.

Heute schauen junge Spieler auf mich. Ich bin nicht der Typ, der jedem tagtäglich sagt, was er zu machen hat. Was er machen sollte. Was besser für ihn wäre. 

Ich versuche das zu tun, was das Beste für mich und die Mannschaft ist. Ich versuche, immer fit zu sein. Einen guten Lifestyle zu haben. Um Leistung bringen zu können, kontinuierlich. Du wirst es bald selbst spüren: Profifußball ist ein 24/7-Job. Du musst auf alles achten: Ernährung. Schlaf. Regeneration. Performance.

Du musst immer fit sein, für Spiele, auch fürs Training. Es werden immer mehr Spiele. Und sie sind viel intensiver als vor 15 Jahren. Heute hast Du gar keine andere Wahl mehr, als dich so zu verhalten. Und das ist es, was junge Spieler bei mir sehen können. Wenn sie es wollen. Eigentlich simpel.

Das soll schon alles sein? 
Ja!

Denn was zunächst einfach klingt, um über viele Jahre Leistung zu bringen, ist am Ende eine große Kunst.

Was will ich damit sagen? Ich glaube, man lernt am meisten, wenn man anderen erfolgreichen Athleten bei ihrer Arbeit zusieht, ihren Lifestyle spürt. Du weißt ja: Mit den Ratschlägen funktioniert das nur bedingt. Aber zu sehen, wie es die Besten machen: Das funktioniert! Du siehst, was sie machen, und Du wirst dabei Dinge entdecken, die zu Dir, Deiner Perspektive und Deinem Leben passen. Das ist der richtige Weg. Und das ist vielleicht der beste Ratschlag, den ich Dir geben kann: Schau genau hin!

Wenn ich früher bei Dortmund und Bayern nicht gespielt habe: Was habe ich mir darüber für Gedanken gemacht, was hat das alles mit mir gemacht! Ich kann das heute gar nicht mehr glauben, wie verrückt ich mich manchmal gemacht habe. Doch ich kann Dich beruhigen: Heute ist das überhaupt nicht mehr so.

Natürlich will ich immer noch jedes Spiel spielen. Das wird sich nie ändern. Aber das geht natürlich nicht. Wenn ich nicht spiele, nehme ich das als Herausforderung und sage mir: „Jetzt habe ich ein Spiel nicht gemacht, dann kann ich das noch an meine Karriere hinten dranhängen.“ Ist doch auch nicht so schlecht.

Bei der Eintracht bin ich in einem Klub, der über den Tellerrand denkt. Das hat mir immer gefallen. Ich bin hier auch mit den Leuten von der EintrachtTech GmbH im Austausch. Das ist schon ein besonderes Asset. Eines, für das ich mich seit einigen Jahren interessiere. Und in das ich selbst investiere.

Woher mein starkes Interesse an Tech-Unternehmungen kommt, an Start-ups? Woher ich die Zeit dafür habe? Mit meinem Wechsel nach Eindhoven hat sich einiges verändert.

„Stimmen der Eintracht“ erzählt Geschichten von Eintracht-Legenden, die sich unsterblich gemacht haben: vom Aufstiegswillen, der aus Kriegen kommt; von Versuchungen in der Glamourwelt des Fußballs; von Torjägern, die gegen Rassismus kämpfen; oder vom Kampf von Frauen in Männerwelten. Das komplette Kapitel mit Mario Götze sowie weiteren (Ex-)Spielern wie Bernd Hölzenbein, Laura Freigang, Uli Stein, Makoto Hasebe und Jan Åge Fjørtoft gibt’s in Band 1, kürzlich erschienen ist Band 2 mit unter anderem Kevin Trapp, Robin Koch, Timothy Chandler, Alexander Schur und Maurizio Gaudino. Erhältlich im Eintracht-Fanshop!

Auf der Fahrt vom ProfiCamp in die Innenstadt geht es zunächst um Mario Götzes heutige fußballerische Situation bei der Eintracht.

Wie erlebst du den Fußball heute im Vergleich zu damals? Was hat sich für dich verändert?
Fußball entwickelt sich immer in gewissen Jahresabständen weiter. Sei es in Bezug auf Social Media, Investoren, Gelder, aber auch Formate, siehe Champions League. Ich sehe die Neuerungen als einen normalen Weg. Aber man weiß natürlich im Vorfeld nicht, wie sich der Sport in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.

Du hast im Fußball fast alles erreicht, was man erreichen kann. Was motiviert dich jeden Tag aufs Neue?
Die größte Motivation ist der Spaß zum Fußball und das Wissen, dass man es nicht für immer machen kann. Dadurch genieße ich die Zeit mehr, aber gleichzeitig motiviert es mich auch noch mehr, weil ich gemerkt habe, wie schnell die Zeit vergeht. 15 Profisaisons sind jetzt rum und es ist einfach unfassbar schnell gegangen.

Was ist für dich noch ein Ziel in der Zukunft?
Für mich sind es die kleinen Momente. Es ist nicht so, dass ich noch ein bestimmtes Ziel auf der Agenda habe. Ich möchte gesund sein und auf dem Trainingsplatz stehen. Wenn man dann noch erfolgreich sein kann, wie es die vergangenen Jahre hier in Frankfurt der Fall war, dann bin ich sehr glücklich und zufrieden mit mir selber, aber auch mit der Mannschaft.

Du bist nach Frankfurt gekommen und hast nochmal deine fußballerische Blüte hier erlebt. Wie siehst du die Entwicklung des Vereins in den vergangenen Jahren?
Ich glaube, der Verein kann sehr positiv auf die vergangenen Jahre, aber auch in die nahe Zukunft schauen. Im Fußball kann immer viel passieren. Jetzt spielen wir das zweite Mal in der Champions League. Die Entwicklung der Marke, der Mannschaft und des Vereins hat sehr gut funktioniert.

Wie siehst du grundsätzlich die aktuelle Entwicklung der Mannschaft?
Seit meinem Wechsel vor drei Jahren hat sich viel getan. Die Leistungen in der Europa League vergangene Saison sowie der dritte Platz in der Bundesliga zeigen die Substanz und Resilienz des Teams deutlich. Die große Herausforderung bleibt, konstante Leistungen zu bringen und auch knappe Spiele zu gewinnen. Grundsätzlich sehe ich die Entwicklung sehr positiv, aber auch diese Saison wird herausfordernd.

Angekommen bei Eterno in der Frankfurter Innenstadt. „Eterno ist ein Co-Working-Space für Ärzte. Diese können sich in Meeting-Räume einmieten und bekommen dadurch einen Shared-Space, wo die Service-Leistungen gebündelt werden“, erklärt Götze.

Mario Götze ist neben seiner Fußballerkarriere einer der aktivsten Start-up-Investoren Deutschlands. Mit inzwischen einer mittleren zweistelligen Zahl an Beteiligungen hat sich der Familienvater ein beachtliches zweites Standbein neben dem Fußball aufgebaut. Seine Reise als Investor begann vor rund sechs Jahren, als er über seinen Vater ein Gründerteam kennenlernte. „Dadurch habe ich verstanden, wie Angel Investing funktioniert und wie viel in diesem Bereich passiert“, sagt er. Seitdem investiert er gezielt in Zukunftssektoren wie B2B SaaS, Digital Health, Climate Tech und die Creator Economy.

„Erfolg hängt nicht nur von Talent ab, sondern vor allem von harter Arbeit, Resilienz und ständigem Fortschritt“, sagt Götze. Diese Haltung lebt er nicht nur auf dem Platz, sondern überträgt sie auch auf seine Rolle als Business Angel – so nennt man Unternehmerinnen und Unternehmer, die Start-ups mit Kapital unterstützen.

Mario und EintrachtTV-Redakteurin Alina Friedrich sprechen in einem der Meetingräume über seine Rolle als Business Angel. Nebenbei werden beide bei einer Runde Jenga gechallenged. Bei dem Geschicklichkeitsspiel mit 60 gleichen hölzernen Bauteilen, die aufgestapelt sind, geht es darum, Steine aus dem Turm abwechselnd zu entfernen, ohne dass der Turm fällt.

Mario, reden wir über deine Business-Aktivitäten. Nach welchen Kriterien entscheidest du, ob du in ein Start-up investierst?
Zum einen ist das Markttiming super wichtig. Außerdem steht für mich das Team, also die Gründer, an oberster Stelle. Wichtig sind auch starke Co-Investoren, da ich nicht in allen Bereichen Experte bin. Ich fokussiere mich auf Europa und die USA sowie bestimmte Geschäftsmodelle und investiere gemeinsam mit vertrauensvollen Partnern aus meinem Netzwerk.

Wann hast du begonnen, dir dein Netzwerk aufzubauen?
Ich habe vor etwa fünf Jahren angefangen. Natürlich musste ich auch Lehrgeld zahlen, um ein Netzwerk und Knowledge aufzubauen. Mittlerweile macht es mir sehr viel Freude. Seit rund zwei Jahren würde ich sagen, ist das Netzwerk auf einem guten Niveau – auch mit dem Wissen, dass ich nicht in San Francisco im Silicon Valley vor Ort bin und dort die Leute treffen kann.

Gibt es ein Investment, auf das du besonders stolz bist?
Witzigerweise auf Eterno (lacht). Den Gründer Max [Maximilian Waldmann; Anm. d. Red.] kenne ich seit ein paar Jahren, das schafft einen wertvollen lokalen Bezug. So trifft man sich hier auch mal zufällig bei Meetings oder im Café, was sehr praktisch ist.

Bis 2024 hast du in Summe in knapp 70 Start-ups investiert. Wie viele sind es dieses Jahr?
Zwölf sind bisher dazugekommen. 

Was ist dabei für dich die größte Lektion gewesen?
Die Lernkurve war sehr steil, da es viele neue Themen außerhalb des Fußballs gab. Das Wichtigste war, ein vertrauensvolles Netzwerk aufzubauen und die Mechanismen im Venture Capital zu verstehen, um bessere Entscheidungen treffen zu können.

Siehst du Parallelen zwischen einem Start-up und einer Fußballmannschaft?
Definitiv. Beide sind kleine Teams mit einer Vision, die jeden Tag Höchstleistung bringen müssen. Es gibt viele Herausforderungen und ein großes Ziel vor Augen. Der Unternehmens-Lebenszyklus ähnelt dem im Fußball. Unterschiedliche Phasen, Teamarbeit und der Wille zum Erfolg. Trotz gewisser Unterschiede sind die Parallelen sehr deutlich.

Du bist Fußballprofi, Familienvater und jetzt auch Business Angel. Wie bekommst du all das unter einen Hut?
Alleine geht das nicht. Deshalb setze ich auf mein Team, ein starkes Netzwerk aus Experten und gutes Time-Management. Mit dieser Unterstützung kann ich Familie, Sport und Business gut miteinander verbinden.

… und keine seiner Aktivitäten leidet unter einer anderen. Zeit mit seiner Frau und den zwei Kindern zu verbringen, ist dem Profifußballer natürlich wichtig. Der Start ins Leben ist dabei für das erste Kind der Familie nicht nach Plan verlaufen. Ihr Sohn Rome kam zu früh auf die Welt und musste nach der Geburt einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Zum Bürgerhospital in Frankfurt, wo Tochter Gioia zur Welt kam, hat Götze auch deshalb eine besondere Beziehung. Nach dem Meeting bei Eterno steigt er in sein Auto und stattet seinem „Herzensprojekt“ einen Besuch ab.

Im Bürgerhospital Frankfurt empfängt ihn Prof. Dr. Franz Bahlmann, der auf Schwangerschaftsrisiken spezialisierte Chefarzt. Das Bürgerhospital in Frankfurt ist eine Anlaufstelle für Familien mit Risikoschwangerschaften und Frühgeburten. Professor Bahlmann erklärt, wie Frühgeborene und ihre Eltern durch das Projekt konkret profitieren und wie entscheidend professionelle und zugleich menschliche Begleitung in dieser sensiblen Lebensphase ist. „Insbesondere unterhalb von 32 Wochen haben wir große Probleme, was Frühgeburtlichkeit angeht, die Anpassung, den Start ins Leben“, so Bahlmann. Diese benötigen besondere medizinische und organisatorische Maßnahmen. Ziel ist es, betroffenen Familien nicht nur medizinisch, sondern auch emotional Stabilität zu geben. „Wir können medizinisch sehr viel leisten, aber die persönliche Wärme und das Miteinander, die Empathie, die geht häufig im Alltag unter“, erklärt Bahlmann.

Um dem entgegenzuwirken, wurde mithilfe der Unterstützung von Mario Götze eine zusätzliche Stelle geschaffen, die als konstante Ansprechperson für Eltern fungiert. Diese Person übernimmt eine verbindende Rolle im Klinikalltag. „Es ist gut, wenn eine Person einmal am Tag vorbeikommt, vorbeischaut, Bescheid sagt: Kann ich was tun? Kann ich helfen? Das gibt ein gutes Gefühl, das gibt Sicherheit“, betont Bahlmann. Das Bürgerhospital schafft damit nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich einen sicheren Raum für Familien mit Frühgeborenen. Für einen möglichst guten Start ins Leben, auch unter erschwerten Bedingungen.

Mario, wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Als wir vor drei Jahren nach Frankfurt kamen, wurde meine Frau schwanger – eine Risikoschwangerschaft aufgrund der Frühgeburt von Rome. Uns wurde das Bürgerhospital und Professor Bahlmann empfohlen. Für Ann-Kathrin war es wichtig, sich gut aufgehoben zu fühlen, und genau das war hier der Fall. Aus dieser intensiven Zeit ist eine enge Verbindung zum Krankenhaus entstanden, für die wir bis heute sehr dankbar sind.

Was macht es mit dir, wenn du siehst, was dein Engagement konkret bewirkt?
Es freut mich zu sehen, wie sehr die Unterstützung Familien hilft. Sie hat auch uns geholfen. In schwierigen Phasen ist es ein gutes Gefühl, etwas Positives bewirken zu können.

Welche Rolle spielt soziales Engagement für dich grundsätzlich?
Für mich ist es ein wichtiges Thema. Das Projekt ist durch persönliche Erfahrungen entstanden und deshalb besonders bedeutend, nicht nur für uns, sondern auch im gesellschaftlichen Kontext. Es ist ein Bereich, der viel Relevanz und Aufmerksamkeit verdient.