„Ich habe noch Steine drin“

Alex Richter hat im Frühjahr 2022 die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums von Eintracht Frankfurt übernommen. Ein großer Schritt für den 52-Jährigen, der in Bochum aufgewachsen ist und sich beruflich gesehen immer stets unweit der Heimat aufgehalten hat. EintrachtTV und die „Eintracht vom Main“ haben Richter in Bochum und an seinem Arbeitsplatz am Riederwald besucht und mit ihm an den entsprechenden Orten über seine Kindheit, seine fußballerische Laufbahn und seine Ziele mit dem NLZ gesprochen.

Interview: Lars Weingärtner

Reportage: Michael Wiener, Dominic Dylka 

Bilder: Leon Mathieu, Martin Ohnesorge

 

Ortsbesuch in Bochum, Stadtteil Hofstede, nördlich der Innenstadt gelegen. Der Straßenrand ist nahezu geschlossen mit drei-, teilweise vierstöckigen Häusern bebaut. Von der A40 waren es nur einige hundert Meter bis hierher. Neben der von Alexander Richter genannten Hausnummer befindet sich eine Durchfahrt in den Hinterhof, in dem ein freistehendes Haus den Abschluss bildet. Unter dem Carport steht ein Auto mit einem Aufkleber des VfL Bochum, daneben einer mit Eintracht-Emblem. Links der Haustür hängt ein Schild: Werner und Ulli Richter. Es ist jenes Haus, in dem Alexander Richter aufgewachsen ist. Der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums ist ein Kind des Ruhrpotts, hat in Bochum studiert und viele Jahre beim VfL Bochum gearbeitet. Richter genießt den letzten Urlaubstag und ist zu Besuch bei seinen Eltern, um den Zusehern von Eintracht- TV und den Lesern der „Eintracht vom Main“ ein Blick durchs Schlüsselloch zu gewähren.

Die Atmosphäre ist herzlich, auch die Eltern freuen sich über den Besuch aus der gar nicht mehr so neuen beruflichen Heimat des Sohnemanns. Mutter Ulli ist gebürtig ebenso aus Bochum, Vater Werner hat es einst aus Ostfriesland in den „Pott“ verschlagen. „Ich habe ihn eingedeutscht“, sagt die Mutter über den Vater, seit 56 Jahren sind sie verheiratet. Es wird viel gelacht, auch im weiteren Verlauf des Gesprächs im Wohnzimmer der Familie. An den Wänden hängen allerlei Bilder von Kindern, Enkeln und Geschwistern – und den Eltern in jungen Jahren. Anekdoten werden von allen Seiten erzählt – und machen eines deutlich: Alexander Richter hatte hier eine unbeschwerte Kindheit, musste aber auch mit anpacken.

Opa, Onkel und auch der Vater führten einst ein Fuhrunternehmen, zwei heutige Garagen neben dem Haus waren die Lagerhallen. „Da habe ich früher Kohle gescheppt“, erzählt Richter junior. Später, als die Eltern das Vereinsheim des örtlichen Fußballklubs Phönix übernahmen, kellnerte er dort. Er reinigte riesige Industriekessel („das war im wahrsten Sinne des Wortes Drecksarbeit“) und fuhr Fleischwurst aus – Dienstbeginn um 3 Uhr morgens, Feierabend um 9 Uhr. „Dann Uni, dann schlafen, dann trainieren“, blickt Richter zurück.

 

„Bis heute profitiere ich davon, wie ich großgezogen wurde“ – Alex Richter –

 

Zurück zur unbeschwerten Kindheit. Alexander Richter erzählt von täglichen „Straßenspielen“ mit den Jungs aus der Nachbarschaft, „mit richtig Zunder. Heimspiele waren auf unserem Acker, auswärts ging’s auf der Hof- oder der Wengewiese heiß her. Wir haben in Jeans und Turnschuhen gespielt, die Mädels haben angefeuert.“ Nach der Schule und den Hausaufgaben wurde gestartet, erst Stunden später war Schluss. „Wenn die Kin- der nicht früh zu Hause waren, bist du durch die Straßen gelaufen. Wir haben sie immer gefunden“, ergänzt Werner, der gerne die lange Leine ließ, aber auch durchgreifen konnte. Alexander Richter packt dazu eine Anekdote aus. „Ich hatte den Vespa-Führerschein gemacht, wollte die Freundin mitnehmen, hatte aber nur einen Helm. Gentleman-like habe ich diesen der Freundin gegeben, prompt sind wir von der Polizei angehalten worden. Diese sprach bei meinem Vater vor, der das gar nicht lustig fand. Bei den Ordnungshütern bin ich davongekommen, ihre Begründung: Aufgrund der Strenge des Vaters sehen wir von einer Strafe ab.“

Vater Werner ist auch eingeschritten, als der Fußballtrainer immer mit Bierflasche über dem kleinen Finger das Training geleitet, seine Kippe auf den Kreidelinien ausgetreten und mit kaum mehr als den Worten „Macht mal, spielt Fußball“ seinen Job gemacht habe. So gehe das nicht, meinte Werner, worauf der Trainer erwiderte: „Dann mach es doch selbst.“ Werner, der nie Fußball gespielt hatte, ließ sich das nicht zweimal sagen. „Das war aber keine Dauerlösung. In der Regel hat er die Älteren trainiert, damit es nicht heißt: ‚Hey, der bevorzugt seinen Sohn‘.“

Die Geschichte trug sich beim SV Phönix Bochum zu. Dessen Heimspielstätte ist fußläufig zwei Minuten vom Elternhaus entfernt. Dort spielte Richter in der Jugend, fußballerisch blieb er ebenso in der Gegend. Die Kirche, in der er getauft wurde und die er zu Kommunionszeiten besuchte, ist in Sichtweite. Zivildienst im Bochumer Universitätsklinikum Bergmannsheil, Studium an der Uni in Bochum, als Diplomsportlehrer später mit Lehrauftrag an der Uni in Bochum, Stützpunktkoordinator für den DFB und schließlich 14 Jahre beim VfL im Talentwerk – Lebensmittelpunkt war immer die für Bergbau und Stahlproduktion bekannte Ruhrpott-Metropole Bochum, auch wenn er heute mit seiner Familie (zwei Kinder) in Datteln etwa eine halbe Autostunde entfernt lebt. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mal aus Bochum weggeht“, sagt Vater Werner, der dem VfL seit vielen Jahren als Fahrer für Jugendspieler treu ist. „200 Kilometer am Tag“, so Richter, sei er unterwegs. Dass ihn das jung hält, ist offensichtlich – 77 Jahre alt scheint Richter senior nur auf dem Papier zu sein.

 

„Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mal aus Bochum weggeht“ – Werner Richter -- 

 

Im Wohnzimmer des Elternhauses spricht Alexander Richter zunächst über seine ersten Lebensjahre in Bochum.

Alex, wie war deine Kindheit? 

Auf der einen Seite hatte ich echt viele Kumpels und bin viel draußen gewesen. Ich habe das Gefühl, ich war nur dreckig und meine Mutter musste ständig meine Sachen waschen. Egal ob vom Fußball verdreckt oder von der Kohle, die wir als Steppkes in den Keller geschippt haben, wenn die angeliefert wurde. Das, woran ich mich erinnern kann, finde ich schon ziemlich geil. Hier im Ruhrpott aufzuwachsen, mit acht Jahren anzufangen, Fußball zu spielen – sehr spät für heutige Verhältnisse. Ich bin überall hingelaufen oder mit dem Fahrrad hingefahren, mich hat nie jemand irgendwo hingefahren. Meine Eltern haben immer gesagt: Da ist das Fahrrad, los geht’s. Egal welches Wetter.  

Was warst du für ein Schüler? 

In der Grundschule war ich immer gut. In Sport hatte ich auch danach noch immer eine Eins, ansonsten war ich eher ein mittelmäßiger Schüler. Mal mit Ausrutschern nach oben oder unten. Zum Abitur hat es aber dennoch gereicht. Das war mir auch wichtig. 

Was hast du dir damals gewünscht, später mal zu werden?
Das ist schwer. Ich wusste, dass ich nach dem Abitur ein Sportstudium absolvieren möchte, wenn ich denn überhaupt studieren wollte. Alles andere habe ich im Vorhinein ausgeschlossen. Von den Jobs her habe ich darüber nachgedacht, was meine Eltern machen. Mein Vater ist Koch und Konditor, meine Mutter Drogistin. Letzteres kam nicht infrage. Aber von diesen Berufen habe ich viel mitbekommen. Bis heute koche ich eigentlich ganz gerne. Zu Hause, wenn ich die Zeit dazu finde. So einen richtigen Traumjob habe ich nie gehabt. Ich bin nach dem Zivildienst, den es damals noch gab, ins Sportstudium reingerutscht und habe da einen meiner bis heute besten Kumpels kennengelernt: Markus Kauczinski, der heute in Wehen Wiesbaden Trainer ist. Mit ihm bin ich damals um die Häuser gezogen. Wir haben zusammen studiert und ehrlicherweise auch ein paar Semester zu lange (lacht).

Das klingt nach viel Spaß, eine Steilvorlage für die Redaktion. Wir haben Markus Kauczinski gebeten, für den zweiten Teil des Drehs am Riederwald eine Videobotschaft zu übermitteln mit der Bitte, eine Frage zu stellen, die etwas mit der gemeinsamen Vergangenheit zu tun hat. Die Kollegen aus Wiesbaden nehmen ein Video auf, in dem Kauczinski von einer Gymnastik-Tanz-Prüfung spricht. „Die Aufführung deiner Gruppe war damals das Highlight schlechthin, ihr habt die vier Elemente dargestellt. Das wurde auch auf Video festgehalten. Eine Zeit lang konnten wir uns das Video noch anschauen, aber irgendwann ist es verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Wo ist das Band, das zeigt, wie du mit deiner Geschicklichkeit die vier Elemente darstellst? Ich denke, dass du es vernichtet hast!“ 

Richter antwortet: Tatsächlich habe ich es nicht vernichtet. Vielleicht mache ich mich aber nochmal auf die Suche danach. Ich kann mich gut an die Prüfung erinnern. Das war eine richtige Herausforderung, die vier Elemente tänzerisch darzustellen. Vielleicht ist es besser, wenn das Band weg ist (lacht)

 

Noch heute haben die beiden dicken Kumpels „engen Kontakt“, sei es – wenn es die Zeit erlaubt – persönlich oder telefonisch. Das Band mit der Aufführung ist übrigens ebenso nicht mehr auffindbar wie die Eintracht-Bettwäsche, in der er geschlafen hat – trotz intensiver Suche seiner Eltern auf dem Dachboden. Ein Cousin aus Ostfriesland, der Eintracht-Fan gewesen sei, habe ihn in jungen Jahren geprägt. 

 

Es hat damals aber nicht gereicht, dass du Eintracht-Fan wurdest?
Nein. Ich habe eher mal über Werder Bremen nachgedacht, durch die Nähe zu Ostfriesland und so. Ich war aber noch nie der fanatische Fan. Nach Bochum ins Stadion bin ich aufgrund der Nähe, das ist hier wie eine Art Familie. Wenn du hier 30 oder 40 Jahre lebst, immer wieder ins Stadion gehst, für den Verein spielst und dort beschäftigt bist, dann ist jeder Vergleich unfair. Aber es ist schon richtig cool bei der Eintracht. Mir macht das großen Spaß – die meisten Sachen zumindest. 

Alex, wir sind in deinem Elternhaus. Welche Erinnerungen kommen dir hier hoch?
Ich bin hier relativ häufig. Seit ich in Frankfurt lebe, habe ich zumindest immer den Montag mit den Kindern, wo ich oftmals zu Hause bin. Dienstags fahre ich dann wieder zurück. Wir versuchen uns da schon immer wieder mal zu treffen. Erinnerungen gibt es hier viele an meine ganze Kindheit. Ich habe im oberen Stockwerk meine eigene erste Wohnung mit einer kleinen Küche gehabt. Ich erinnere mich an Kumpels, bei denen ich mitgeholfen habe. Hier wurde ständig irgendetwas gebaut. Die Unterstützung wurde großgeschrieben und das ist auch gut so. Bis heute profitiere ich davon, wie ich großgezogen wurde. Auch wenn du zwischenzeitlich mal keine Lust hattest, wurdest du mit deinem Kumpel in den Baumarkt geschickt und solltest irgendwelche Latten kaufen. Wenn es die falschen waren, hat der Vater uns nochmal hingeschickt. Da gab’s kein Pardon.  

Man kann schon sagen, dass du ein Familienmensch bist. Deine Eltern haben dich enorm geprägt, oder?
Definitiv. Mit allem, was sie getan haben und mir beigebracht haben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich so eine Kindheit und solche Eltern habe. Auch mit dem Musizieren, im Chor singen, immer viele Leute, viel Gesellschaft. Dieser Zusammenhalt ist schon schön. Auch mit meiner Schwester, die zwei Jahre jünger ist als ich. Aber wie das so ist mit Geschwistern, man hat sich auch mal in der Wolle. 

 

„Wenn du keinen hast, der richtig hinter dir steht und dich fördert, dann schaffst du es nicht“ – Alex Richter --

 Ortswechsel. Wie früher geht’s zu Fuß auf die andere Straßenseite, um die nächste Ecke – und schon ist das Wappen des SV Phönix Bochum zu erkennen. Die Tore sind offen, der Platzwart hat aufgeschlossen. Hinter dem Eingang liegt rechts der Rasenplatz, links das Vereinsheim und davor der Kunstrasenplatz, der bis 2017 ein Ascheplatz war. Richter erinnert sich. 

 

Ich habe früher hier gespielt, danach beim VfL, wo ich zuletzt auch 14 Jahre Nachwuchsleiter war. Früher gab es hier nur rote Asche, die gibt es bis heute noch relativ häufig. Es wird aber immer weniger. Wir sind auch mal gegen die VfL-Profis angetreten, als Dariusz Wosz noch gespielt hat. Grundsätzlich waren wir immer heiß aufs Kicken, haben auch bei Dauerregen und Schnee geschaut, ob der Platz bespielbar ist und sind dann hergekommen. 

Was warst du früher für ein Spielertyp? 

Ich habe immer im Mittelfeld gespielt. Sechser, Achter, Zehner. Irgendwann bei Wattenscheid 09 hat mich Uwe Neuhaus [später u.a. Bundesligatrainer in Bielefeld; Anm. d. Red.] umfunktioniert zum Innenverteidiger. Bei ihm habe ich viel gelernt. Er hat als Erster die Viererkette eingeführt. Wir hatten in Wattenscheid eine wirklich gute Mannschaft unter anderem mit Guiseppe „Billy“ Reina [später Meister mit Borussia Dortmund; Anm. d. Red.]. Er hat mal bei einem 7:3 fünf Tore gemacht, während wir hinten drei kassiert haben, weil wir die Viererkette noch nicht draufhatten. Später bin ich nochmal in die Bezirks- und Kreisliga zurückgekehrt, wobei ich vielleicht nicht bei jedem der Beliebteste war. Ich wollte schließlich jedes Spiel gewinnen. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich vielleicht etwas übertrieben habe. Im Alter denkt man darüber ein wenig anders. 

Warum hat es dann nicht für die Bundesliga gereicht?
Ich habe erst mit acht Jahren angefangen und bis ins Teenageralter bei Phönix Bochum gespielt. Das war nicht schlecht, wir haben gute Teams gehabt und teilweise auch die Jugendteams des VfL geschlagen. Ich habe dann auch in der Kreisauswahl gespielt, aber ich denke, dass ich einfach sehr viel verpasst habe. Wenn du keinen hast, der richtig hinter dir steht und dich fördert, dann schaffst du es nicht. Westfalia Herne, DSC Wanne-Eickel, Wattenscheid 09 – da habe ich dann im Seniorenbereich gespielt. In der Oberliga Westfalen, damals noch die Dritte Liga. Das war aber das höchste der Gefühle. Vielleicht habe ich auch nicht genug investieren können. 

Wenn du gerade hier bist bei deinem Heimatverein: Gibt es da eine Anekdote, die du erzählen kannst?
Es gibt ein paar Anekdoten, einige haben es auch in die Zeitung geschafft. Einmal habe ich drei Tore geschossen. Bei einem davon gehörte der Ball beim Einwurf davor eigentlich dem Gegner. Aber ich habe einfach eingeworfen, den Ball von einem Mitspieler zurückbekommen und dann das 4:3 gemacht. Da haben die mich bald vom Hof gejagt, wohlgemerkt bei einem Heimspiel. Ich kann mich auch an eine Zeit im Nachwuchsbereich erinnern, als wir aufsteigen wollten und Extraeinheiten absolviert haben. Für uns, ohne Trainer. Das darauffolgende Spiel haben wir 4:2 gewonnen, ich habe zwei Tore gemacht. Einmal per Fernschuss aus 30 Metern direkt in den Winkel. Sowas kommt dann schon hoch, wenn ich hier über den Platz laufe. Genauso wie die Erinnerung an die Kumpels, mit denen ich hier gespielt habe. Dann gab es die dritte Halbzeit im Vereinsheim, in dem meine Eltern täglich gearbeitet haben später. Das war eine coole Zeit.  

Wie oft waren die Knie damals offen auf dem Hartplatz?
Ich glaube, ich habe noch Steine drin (lacht).

Ich denke vor allem an Grätschen auf dem Hartplatz. Das hat einen schon abgehärtet, oder?
Ich kannte nichts anderes. Du warst glücklich, wenn du mal auf einem Rasen gespielt hast. Kunstrasen gab es gar nicht. Für die technische Ausbildung heutzutage ist das schon Gold wert. Die technisch etwas schwächeren Spieler waren meistens in dem Waldstück hier unterwegs, weil die ständig über den Zaun geschossen haben.

Zurück im Elternhaus, haben Ulli und Werner mittlerweile einige Fotoalben auf dem Wohnzimmertisch aufgeschlagen. Sie zeigen Bilder von Urlauben auf Föhr („da hatten wir früher eine Ferienwohnung“), alte Mannschaftsfotos und Kindheitsbilder von Alexander Richter. Gesprochen wird auch über Alex‘ Kinder. Während die elfjährige Tochter Reiten zu ihrem größten Hobby auserkoren hat, pfeift der 15-jährige Sohn bereits Spiele in der Bezirksliga der Senioren. „Was er sich da manchmal seitens der Spieler, Trainer oder Eltern gefallen lassen muss, kann man sich kaum vorstellen. Ich hätte das in diesem Alter nicht gekonnt.“ Und wer fährt den Sohnemann gelegentlich zu den Spielen? Natürlich unter anderem Opa Werner.

Ein Stop ist noch geplant, typisch Bochum: an einer Currywurst-Bude. „Gehse inne Stadt. Wat macht dich da satt, ne Currywurst“, hat schon Bochums vielleicht berühmtester Sohn Herbert Grönemeyer gesungen. Seine Lieblingscurrywurst bei einem Familienbetrieb in der Stadt habe „ich schon mit der Muttermilch aufgenommen“, erzählt Richter. „Da bin ich mit groß geworden. Wenn du Pech hast, stehst du bei ihm an 20. Stelle in der Schlange. Heute fahren wir zu einer Currywurstbude direkt am Bermudadreieck, wo früher der Engelbertbrunnen stand, ein Wahrzeichen der Stadt. „Wenn ich früher ins Kino ging, habe ich vorher eine Currywurst gegessen und mir dann Popcorn geholt – nur gesunde Sachen. Guten Appetit“, lacht er. Zu seinem Einstand bei Eintracht Frankfurt spendierte er übrigens auch Currywurst ...

Was macht denn eine gute Currywurst aus? 

Die Wurst muss lecker sein, schön scharf, richtig gut. Die musst du auch ohne Soße essen können. Die Soße toppt es dann nochmal. Die kaufst du als Ruhrpottker auch mal im Eimer und veranstaltest zuhause einen Grillabend. 

 

An der Currywurstbude werfen wir Alexander Richter Begriffe zu und bitten um kurze, schnelle Antworten.  

Fiege Pils? 

Ja, Traum! Aber nur eiskalt. 

Ebbelwoi? 

Wird besser bei mir. Mit Wasser gemischt, okay. 

Falsche Neun? 

Lieber richtige Neun.  

Kaffee schwarz? 

Nein, mit Milch und Zucker. 

Stutzen über Knie gezogen? 

Fürchterlich.

Instagram? 

Habe ich selber nicht, aber gehe ich mal mit. 

Joggen? 

Sehr gerne, wenn ich könnte. 

Mittagsschlaf? 

Kenn‘ ich nicht. 

Schraubstollen? 

Ja, so richtig schön: klack klack. Wie früher.

Wecker weiterdrücken? 

Nein, ich bin eigentlich derjenige, der sofort aufsteht. 

Aschenplatz? 

Ja, ist geil. Aber es ist gut, dass es nicht mehr ganz so viele gibt. 

Wasser ohne Kohlensäure? 

Nein, mit. 

Krafttraining? 

Ja, ist wichtig für den ganzen Körper.

Auto mit Automatik? 

Ja, also ist mir eigentlich egal, aber ist schon bequemer. 

Handball? 

Ja, geile Sportart, geht hin und her, höchste Körperkraft, find ich gut. 

Früh aufstehen? 

Ja, ist richtig gut. 

 

Zwei Tage später am Riederwald. Alexander Richters Urlaub ist vorbei, am Nachwuchsleistungszentrum ruft die Arbeit wieder. Auf dem Weg in sein Büro hängen eingerahmte Eintracht-Trikots, etwa von Timothy Chandler oder Marco Russ. Aber auch eines von Cenk Tosun oder Jermaine Jones. Spieler, die über die Eintracht den Weg in den Profifußball gefunden haben. Angekommen in seinem Büro, setzt sich Richter auf seinen leicht knarzenden Bürostuhl. Hinter ihm angepinnt: eine Nachricht seiner Tochter. „Ich hab‘ dich lieb“, steht auf dem kleinen, mit gelbem Textmarker beschrifteten Zettel. Seine Familie, das wurde beim Besuch in Bochum deutlich, ist ihm sehr wichtig und war auch in die sicherlich nicht leichte Entscheidung eingebunden, als es darum ging, sich beruflich zu verändern.

14 Jahre hast du das NLZ in Bochum geleitet, wo du tief verwurzelt bist. Seit April 2022 bist du bei der Eintracht. Wie kam es dazu?

In Bochum haben wir einen guten Job gemacht. Vier Jungs haben es in die A-Nationalmannschaft geschafft und waren allesamt bei der WM in Katar dabei, darunter Armel Bella- Kotchap. Nichtsdestotrotz habe ich gemerkt, dass ich etwas Neues machen möchte. Mit Markus Krösche habe ich mich mehrfach ausgetauscht, per Anruf oder Videocall. Wir hatten die gleiche Idee davon, wie wir Nachwuchsspieler ausbilden möchten. Nach ein paar Wochen intensiven Austauschs mit meiner Familie habe ich mich dazu entschlossen, zur Eintracht zu gehen. Bis heute habe ich es nicht bereut.

Auf Schalke hast du vor einigen Jahren Manuel Neuer trainiert. In Bochum hast du Leon Goretzka entdeckt. Reizt es dich, mit Jugendlichen zu arbeiten?

Mit 18 Jahren habe ich bei Westfalia Herne angefangen, Jugendmannschaften zu trainieren. Danach kam die Zeit mit Manuel Neuer auf Schalke. Auch wenn es nur ein bis zwei Jahre in der D-Jugend waren. Mein Job war und ist es, Jugendliche auch außerhalb des Sports auf das Leben vorzubereiten und ihnen Fußball so beizubringen, dass sie es möglichst gut können. Andere besser zu machen, hat mich schon immer fasziniert.

Ist es heute ein Stück weit mehr Erziehung, als es früher der Fall war?

Natürlich verändern sich Werte und Gesellschaft. Unsere Spieler sind sehr viel mit Social Media und ihrem Handy beschäftigt. Aber alle wissen, wo sie hinwollen. Die Jungs sind ehrgeizig, machen sich selber einen intrinsischen Druck, weshalb wir hier und da die Stellschrauben in der Ausbildung anpassen müssen. Der Spieler steht immer im Mittelpunkt unserer Arbeit. Talent, technische und taktische Sachen gehören dazu, doch am Ende schaffen es die nach oben, die es am meisten wollen. Das kenne ich von Leon Goretzka, Lukas Klostermann und lkay Gündogan. Sie standen immer wieder da und wollten zusätzlich auch noch in der A-Jugend spielen, obwohl sie schon bei den Profis mitgemacht haben. 

Zum Thema Social Media: Habt ihr da klare Regeln? Nach dem Motto: Ab diesem Zeit- punkt geht das Handy in die Tasche und bleibt aus? 

Als ich nach Frankfurt gekommen bin, haben wir gemeinsam darüber beraten, ob wir komplettes Handyverbot im gesamten Kabinentrakt einführen. So ein bisschen gehört das aber auch zur heutigen Zeit. Wenn bei jemanden der Fahrdienst zu spät ist, dann muss der Spieler schließlich erreichbar sein. Aber es gibt natürlich Dinge, die verboten sind. 

 

Richter zieht sich seine schwarze Eintracht-Winterjacke an und steigt die Treppen zum Dach des NLZ hinauf. „Hier oben war ich selbst noch nie“, sagt er erwartungsvoll und öffnet die Tür, die nach draußen führt. Hier hat Richter den besten Blick auf die Fußballplätze. In der Ferne verblaut die Silhouette der Stadt.


Du bist hier, um Dinge zu verändern. Du willst zehn Scouts mehr in der Region.
Die Qualität der Trainer hat eine Schlüsselrolle im NLZ. Das Scouting kommt direkt danach. Wir wollen die besten Spieler der Region hier haben. Dafür brauchen wir einen Scouting-Leiter und Scouts, die erkennen, dass die Leistungen der Spieler keine Momentaufnahmen sind. Sondern dass sie Entwicklungspotenzial haben und auch in mehreren Monaten oder Jahren ihre Klasse zeigen. Wir sind auf einem sehr guten Weg, das im Sommer umsetzen zu können. 

Wie wichtig ist der Bereich Kinderfußball? 

Der Bereich Kinderfußball ist sehr wichtig. Wir setzen dabei auf einen polysportiven Ansatz. Das heißt, die Kinder sollen nicht nur Fußball spielen, sondern auch andere Bewegungen kennenlernen. Hier bauen sie dazu eine Verbindung zum e.V. auf, etwa zum Gerätturnen, zur Gymnastik oder zum Tanz. Diese individuellen technischen und koordinativen Inhalte sollen beim Fußball helfen. 

Kommen wir zum Thema Infrastruktur, Stichwort zweiter Kunstrasenplatz.
Im Winter haben wir nur diesen einen Kunstrasenplatz zur Verfügung. Und das für zehn Mannschaften. Bei den anderen vorhandenen Plätzen handelt es sich um einen Hockeyplatz und Rasenplätze, die zur jetzigen Zeit eigentlich unbespielbar sind. Es muss viel passieren. Im bundesweiten NLZ-Vergleich liegen wir weit hinten, der Durchschnitt liegt bei etwa sechs Plätzen.

 

„Mit der Unterschrift [eines Profivertrags] weiß der Spieler lediglich, dass er ein Talent ist. Dann fängt die eigentliche Arbeit erst an.“ – Alex Richter -- 

 

Die U21 ist ordentlich in der Hessenliga gestartet. Ein Blick in die Zukunft: Kannst du dir die U21 in der Dritten Liga vorstellen? 

Spieler, die wir unserer Profiabteilung anbieten, müssen auch gut genug sein. Deshalb ist es wichtig, die U21 zu haben. Sie in der Dritten Liga zu sehen, bleibt vorerst ein Traum. Das wird ein paar Jahre dauern. Im besten Fall stellt die Eintracht dann noch eine dritte Mannschaft in der Ober- oder Regionalliga. Die Beispiele dafür bringen Spanien oder Portugal. Wir hätten drei Seniorenmannschaften, in denen 15-, 16- und 17-jährige Toptalente zum Einsatz kommen könnten. Sie dann irgendwann in den Profibereich zu bringen, wäre meine Idealvorstellung. 

Im NLZ mahlen die Mühlen etwas langsamer als bei den Profis. Wann sehen wir erste Erfolge?
Das ist schwer vorherzusagen. Drei, vier Jungs haben zuletzt einen langfristigen Vertrag unterschrieben. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass sie sich bei den Profis etablieren und dort spielen werden. Mit der Unterschrift weiß der Spieler lediglich, dass er ein Talent ist. Dann fangt die eigentliche Arbeit an. Mein Job ist es, in den Fachbereichen wie der Infrastruktur und dem Trainerbereich die höchste Qualität reinzubekommen. Der Spieler soll zufrieden sein und die Qualität haben, um bei den Profis Fuß zu fassen. 

 

Vom Dach geht Richter die zwei Stockwerke hinunter zum angesprochenen Kunstrasenplatz. In roten Oberteilen und mit dem Adler auf der Brust trainieren hier bereits zwei Jugendmannschaften. Der Rasen ist nass, der Ball rollt schnell, während die Sonne langsam untergeht und das Flutlicht anfängt, einen hellen Schein über das Spielfeld zu werfen.


Mit Sportvorstand Markus Krösche bist du auf derselben Wellenlänge, wenn es um die Idee geht, wie die Eintracht Fußball spielen möchte. Wie sieht diese Spielidee im NLZ aus? 

Der Schwerpunkt liegt darauf, selber Chancen zu kreieren und im Ballbesitz zu sein. Das aber aktiv und zielorientiert. Wir wollen uns hinten nicht eine Viertelstunde lang den Ball zupassen, sondern schauen, dass das Team mit Tempo nach vorne kommt. Wir gehen von vier Spielphasen aus: Ballbesitz und gegen den Ball sowie die beiden Umschaltphasen nach vorne und hinten. 

Bei der Eintracht war Aymen Barkok der bislang letzte Spieler, der es aus dem NLZ zu den Profis geschafft hat. Gibt es einen Richtwert, an dem das NLZ gemessen wird? Einen Richtwert gibt es nicht. Wir können uns aber Ziele setzen, indem wir sagen, dass wir im Jahr 2025 fünf Spieler in der Profimannschaft haben wollen, die zuvor am NLZ waren. 

Sind Spieler wie Nacho Ferri, Mehdi Loune, Anas Alaoui und Junior Awusi – vier Spieler, die bereits in der UEFA Youth League zum Einsatz gekommen sind – die aktuell hoffnungsvollsten Talente? 

Im Youth-League-Kader sind definitiv die hoffnungsvollsten Spieler dabei. Daneben gibt es aber auch sogenannte Spätentwickler. Unter anderem auch dafür ist die U21 da. Jetzt wäre es noch gut, wenn 16-jährige Spieler in der U21 zum Einsatz kommen dürften, das lässt der Verband jedoch noch nicht zu.  

Wir haben also Spieler in den Reihen, die den Weg in die Profimannschaft schaffen können?
Ja, aber es dauert bestimmt vier bis fünf Jahre, bis wir diesen Rhythmus drin haben, dass jedes Jahr einer oder zwei dabei rauskommen. Dafür brauchen wir diese maximale Qualität in allen Bereichen, die jetzt noch nicht da ist. Wir arbeiten daran.