„War mit nicht bewusst, dass ich ein Vorbild bin“ 

Fußballerisch hat Sara Doorsoun in ihrer mittlerweile fast 15-jährigen Profikarriere viele Erfolge gefeiert. Mit der Zeit hat die Abwehrspielerin zu den Erfolgen aber auch immer häufiger Momente außerhalb des Platzes gezählt und eine neue Bedeutung für sich und ihren Sport entdeckt, die bis in den Iran führt.

Text: Marie Huhn

Fotos: Carlotta Erler, Marie Huhn, DFB

Auf den Social-Media-Kanälen der Eintracht ist zum Weltfrauentag ein Video veröffentlicht worden. Darin wurden sowohl die Spielerinnen als auch die Spieler der beiden Profiteams gefragt, wer eigentlich ihr Vorbild sei und wer sie inspiriert habe. In beiden Mannschaften war man sich dabei erstaunlich einig: „Meine Mama“, lautete die fast einstimmige Antwort. Ein Vorbild zu nennen, scheint also einfach zu sein, sich selbst als Vorbild sehen, vermutlich deutlich weniger. Sara Doorsoun hat im Laufe ihrer Karriere immer wieder diese Zuschreibung bekommen, auch wenn das ursprünglich gar nicht unbedingt ihre Intention gewesen ist. „Als ich jünger war, wollte ich ehrlich gesagt nur Fußball spielen“, gibt die Abwehrspielerin in einem Sky-Interview am Weltfrauentag zu. „Mittlerweile sehe ich das etwas anders.“

Zunächst aber zum fußballerischen Weg, denn der hätte kaum erfolgreicher verlaufen können. „Schon mit vier Jahren hat man mich immer mit dem Ball am Fuß gesehen, im Kindergarten haben alle gesagt: Das Mädchen muss in einen Fußballverein“, erinnert sich die gebürtige Kölnerin zurück – und lief kurze Zeit später beim SV Wesseling für ihren ersten Verein auf. Der erste große Schritt folgte als Jugendliche, bei dem sich auch ihre Eltern, so erinnert sich die heute 31-Jährige, zunächst etwas schwertaten. „Ich habe von Anfang an unglaublich viel Rückhalt von zu Hause bekommen. Das Einzige, was meinem Vater richtig schwergefallen ist, war, als ich als Jugendliche aufs Sportinternat nach Wattenscheid gegangen bin, auch wenn es nur eine Stunde von uns entfernt war.“ 

Blickt man auf Doorsouns Wurzeln – ihr Vater ist gebürtiger Iraner, ihre Mutter kommt aus der Türkei –, könnte man schnell zu dem Trugschluss kommen, ihr kultureller Hintergrund habe ihr den Weg erschwert. Tatsächlich sagt Doorsoun aber: „Für meine Eltern war es wirklich nie ein Problem, dass ich Fußball spielen wollte.“ Die Bedenken bezüglich des Sportinternats seien deshalb auch vielmehr praktischer Natur gewesen. „Die größte Sorge meines Vaters war, dass ich nicht genug zu essen bekomme. Er ist deshalb auch einmal in der Woche mit einem Großeinkauf zu mir gekommen und hat meinen Kühlschrank aufgefüllt“, erzählt sie mit einem Schmunzeln.

Die Verpflegung war also sichergestellt, der erfolgreiche Weg setzte sich fort: Mit dem SC Bad Neuenahr absolvierte die damals 19-Jährige 2010 ihr erstes Bundesligaspiel, kam über Turbine Potsdam und die SGS Essen zum VfL Wolfsburg, wo sie mit der zweifachen Deutschen Meisterschaft, drei DFB-Pokalsiegen und dem Champions-League-Finaleinzugsen zum VfL Wolfsburg, wo sie mit der zweifachen Deutschen Meisterschaft, drei DFB-Pokalsiegen und dem Champions-League-Finaleinzug 2020 ihre größten Erfolge feierte und im Januar 2022 schließlich zur Eintracht wechselte. Parallel lief Doorsoun seit der U15 im Trikot der deutschen Nationalmannschaft auf, sodass ihre Datenbank mittlerweile neben über 233 Bundesligaspielen und 22 Champions-League-Einsätzen auch stolze 42 A-Nationalmannschaftsspiele zeigt.

„Die größte Sorge meines Vaters war, dass ich nicht genug zu essen bekomme“ – Sara Doorsoun – 

Bei nationalem wie internationalem Erfolg bleibt die Aufmerksamkeit nicht aus. Dass aber die Herkunft ihrer Eltern dabei noch einmal eine Rolle spielen sollte, habe sie, die sich zu 100 Prozent als Deutsche sehe, doch etwas überrascht, erinnert sich Doorsoun. „Die ersten Berührungspunkte gab es nach der Weltmeisterschaft 2019. Ich hatte innerhalb weniger Tage Hunderte an Instagram-Followern dazugewonnen, alles iranische Staatsbürger. Mein erster Gedanke war: Mein Konto wurde gehackt.“ Weiterhelfen konnte ihr Vater: „Er hat mir erzählt, dass es im iranischen Fernsehen einen Bericht über mich gab, durch den vor allem viele Frauen und Mädchen im Iran auf mich aufmerksam geworden sind und mir super viele Nachrichten geschrieben haben.“ 

Da sie selbst kein Farsi, die Amtssprache im Iran, spreche, habe sie auch hier wieder Hilfe von ihrem Vater und ihrer Tante gebraucht. „Ich wollte wissen, was die Menschen mir schreiben. Als ich es dann übersetzt bekommen habe, habe ich gesehen: Es ging eigentlich immer darum, wie unfassbar stolz man im Iran auf mich ist.“ Davon sei sie ziemlich überrascht gewesen: „Das war mir im Vorfeld überhaupt nicht bewusst. Meine Eltern haben zwar einen Migrationshintergrund, aber ich habe mich immer nur als Deutsche gesehen.“ Ausgelöst hätten diese unverhofften Rückmeldungen vor allem eines: „Stolz“. 

„Je älter ich werde, desto mehr beschäftige ich mich auch mit meiner Außendarstellung und Rolle und möchte etwas daraus machen“, erklärt Doorsoun. 2019 habe sie deshalb zum ersten Mal als Trainerin beim Mädchenfußballcamp ihrer Freundin Tugba Tekkal teilgenommen, einer ehemaligen Spielerin des 1. FC Kölns, die durch die Herkunft ihrer Eltern beim Fußballspielen deutlich mehr Steine in den Weg gelegt bekommen hatte. An dem Camp hätten deshalb auch sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund teilgenommen. An die Worte der Kinder erinnere sie sich noch heute, sagt Doorsoun: „Sie haben mir gesagt: ‚Es ist so cool, du bist eine von uns!‘ Das hat mein Herz total berührt.“ Vor ein paar Wochen habe Tekkal sie deshalb gefragt, ob sie als Botschafterin für die Mädels fungieren wolle. „Da habe ich nicht ein Mal überlegen müssen und direkt zugesagt.“

„Mein erster Gedanke war: mein Konto wurde gehackt“ – Sara Doorsoun –  

Auch wenn es nicht der Fußball war, bei einer Sache hat sich Sara Doorsoun aber aufgrund der Kultur ihres Vaters doch Gedanken gemacht. In der Dokumentation „Born for this“ über die DFB-Frauen auf dem Weg zur und bei der Europameisterschaft 2022 war die Kölnerin den Schritt gegangen, offen über ihre homosexuelle Beziehung zu sprechen – so offen, wie sie es zuvor nicht ihrem Vater gegenüber getan hatte. „Ich habe mir damals gesagt, dass ich sehr viel Respekt davor habe, aber auch jede Reaktion aufgrund seines kulturellen Hintergrunds verstehen kann. Ich wünschte mir nur, dass er mich weiterhin so sieht, wie ich bin.“ Ob ihr Vater das Interview gesehen habe oder nicht, wisse sie bis heute nicht. „Ich habe ihn nie aktiv danach gefragt, er hat mich einfach ganz normal so behandelt wie immer. Wahrscheinlich werden wir auch nie darüber sprechen, aber das ist okay für mich. Tief im Inneren glaube ich schon, dass er es gesehen hat.“ Und auch unabhängig davon habe sie erneut viele positive Rückmeldungen bekommen: „Mir haben so viele Menschen geschrieben, die in einer ähnlichen Situation sind.“ Das zeige: „Auch hier konnte ich irgendwie wieder ein Vorbild sein.“