Ein Lied als Denkmal

Am 10. März jährte sich der Todestag von Jürgen Grabowski erstmals. „Grabi wird nie ganz gehen!“, war der Tenor im Frühjahr 2022. Die Gegentribüne im Deutsche Bank Park heißt mittlerweile „Jürgen-Grabowski-Tribüne“ und die Planungen für ein Gedenkspiel laufen auf Hochtouren (siehe Grafik auf der nächsten Seite). Ein enger Freund Grabowskis war Hartmut Scherzer (84), seit über 60 Jahren als Journalist tätig und in Katar für seine 16. WM-Teilnahme von der FIFA ausgezeichnet. 2020 ist sein Buch „Welt Sport“ erschienen, das er im Deutsche Bank Park vorstellte und über das Vorstandssprecher Axel Hellmann sagte: „Das ist das Beste, was ich als Potpourri der vergangenen 60 Sportjahre kenne.“ Zudem sei er fasziniert, „wie die Eintracht mit dieser großen Welt des Sports in Einklang gebracht wurde.“ Scherzer, unweit von Frankfurt aufgewachsen und heute in Heusenstamm zu Hause, besuchte 1949 das erste Spiel der Eintracht, entsprechend hat sein Buch auch jede Menge Eintracht-Bezug. Ein Kapitel ist Jürgen Grabowski gewidmet.

Die „Eintracht vom Main“ druckt es hier in Auszügen ab. 

Von Hartmut Scherzer

Bilder: Eintracht-Archiv, imago images, privat

[...] Das Denkmal Jürgen Grabowskis ist keine Statue, sondern ein Lied. Das Letzte, was vor dem Anpfiff jedes Heimspiels aus den Lautsprechern tönt, ist die Hymne „Schwarzweiß wie Schnee ...“. Nach der Melodie „Hamborger Veermaster“ singen die Fans den eingespielten Text mit: „Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehn, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen. Sie spielte so gut und sie spielte so schön mit dem Jürgen Grabowski. Schwarzweiß wie Schnee, das ist die SGE ...“. Eine einzigartige, allzeitige Würdigung. 

Wer seine Profikarriere bis zum letzten Ballkontakt begleitet hat, bei dem weckt der Chor jedes Mal Erinnerungen, die ein Buch füllen. Das haben wir schon 1979 auch geschrieben. Ein Jahr bevor Grabi wegen einer schweren Fußverletzung nach dem harten Tackling eines gerade 19 Jahre alt gewordenen Heißsporns namens Lothar Matthäus „Tschüss“ sagte. Auch mit 36 Jahren war Grabowski immer noch genialer Spielmacher der Eintracht.

Rückblickend nennt er die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko die schönste, obwohl dieses Genie am Ball vier Jahre später Weltmeister wurde, am 7. Juli, seinem 30. Geburtstag, durch das 2:1 im Finale gegen Holland. Dank der neuen Regelung, Spieler auszutauschen, wurde ihm 1970 ein Titel verliehen, den er nur mit gemischten Gefühlen akzeptiert: „Bester Auswechselspieler der Welt“. In allen vier Spielen in Mexiko vor dem Jahrhundert-Ereignis, dem Halbfinale Deutschland gegen Italien (3:4 nach Verlängerung), wurde der „Ersatzmann“ eingewechselt: Für Haller gegen Marokko (2:1), für Löhr gegen Bulgarien (5:2), für Libuda gegen Peru (3:1) und gegen England (3:2 n.V.).

Gegen Italien stand der Rechtsaußen in der Startelf und schlug jene Superflanke, die in der letzten Minute durch die Grätsche Karl-Heinz Schnellingers zum 1:1 und zur so herrlich planlosen und zur völlig irren Verlängerung führte. Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete Jürgen Grabowski als den besten Spieler auf dem Platz: „Ein toller Dribbelkünstler von teuflischer Schnelligkeit.“ 

Vier Jahre später nahm sich „Grabi“ die Freiheit, mit dem World Cup in den Händen nicht mehr Nationalspieler zu sein, nicht mehr den Rechtsaußen spielen zu müssen, dem er zwar alles zu verdanken hatte, der trotz aller raffinierten Dribblings aber nicht seinem Naturell entsprach. 44 Länderspiele sollten genug sein. Als virtuoser Stratege seines Klubs (441 Bun-

desligaspiele, 109 Tore) konnte er all seine Fähigkeiten voll entfalten. Im Zentrum des Mittelfelds spielte der gereifte Jürgen Grabowski im Stil eines Johan Cruyff alles an die Wand. In dieser dominanten Rolle wie bei Eintracht Frankfurt sollte er nach vier Jahren die deutsche Nationalmannschaft zur erfolgreichen Titelverteidigung in Argentinien führen. Helmut Schön flehte: „Jürgen, komm zurück.“

„Grabi“ ist ein sensibler und deswegen auch ein konsequenter Mensch. Trotzdem räumt er ein, dass er sich noch heute nicht sicher ist, ob das „Nein“ 1978 und der Verzicht auf seine vierte WM die richtige Entscheidung war. Er war WM-Zweiter 1966, kam aber nicht zum Einsatz, WM-Dritter 1970, Europameister 1972, Weltmeister 1974.

Das „Happy End“ 1974 blieb ihm heilig. Er war als Sündenbock rausgerutscht nach dem Debakel gegen die DDR (0:1), reingerutscht, als das Viertelfinale gegen Schweden 2:2 und auf der Kippe stand. „Grabi“ kam von der Bank und schoss „das Tor meines Lebens“ zum 3:2. Endstand 4:2 (Hoeneß/Elfmeter). „Jürgen hat uns dieses Spiel gewonnen“, betonte Franz Beckenbauer anlässlich einer Fernseh-Talkrunde zum 40. Jubiläum des Münchner Triumphs. „Mehr Glück konnte es nie mehr geben für mich. Und deshalb habe ich aufgehört“, begründet Jürgen Grabowski seinen Rücktritt.


Gedenkspiel – In Erinnerung an Jürgen Grabowski 

Jürgen Grabowski hat als Aktiver genau einmal den Verein gewechselt, als er 1965 von seinem Heimatverein FV Biebrich 02 den Sprung zu Eintracht Frankfurt wagte. Eben jener FV Biebrich 02 aus dem Wiesbadener Stadtteil ist am 28. April Gastgeber des Gedenkspiels für Jürgen Grabowski – auf dem nach der Eintracht-Legende benannten Sportgelände. Die Ü35-Auswahl des FV trifft dabei ab 18.30 Uhr auf die Traditionsmannschaft der Eintracht. Im Rahmenprogramm werden Weggefährten Grabowskis und Funktionäre der Eintracht zu Gast sein, die Fußballschule wird ein Training mit 40 Kindern des Vereins absolvieren und auf der Eventfläche wird Spiel und Spaß für Groß und Klein geboten.

FV Biebrich 02 e.V. vs. Eintracht Frankfurt Traditionsmannschaft 

Freitag, 28.04.2023 Einlass 17 Uhr / Anstoß 18.30 Uhr

Jürgen-Grabowski-Anlage

Diltheystraße 65203 Wiesbaden 

Ticketpreise: 8€ Vollzahler; 4€ Ermäßigt