Ruth Cahns Lost Place

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt zeigt bis 17. April als Besonderheit ein Gemälde des alten Sportgeländes am Riederwald, der Geburtsstätte der Eintracht. 

Text: Albert Mehl Fotos: Michael Schepp

Markant in satten Grüntönen erhebt sich die Reihe Kiefern im Zentrum des Gemäldes. Markant und unverkennbar. Denn dadurch lässt sich das Motiv des Aquarells zumindest von Frankfurt-Kennern leichter zuordnen. Auf etlichen alten Fotos ist die Baumreihe ebenfalls abgebildet; und auch heute noch ragen die Nadelgehölze in den Himmel. Im Vordergrund des Kunstwerks sind eine Rundlaufbahn und ein Fußballtor zu sehen. Klick macht es hier vor allem bei Frankfurter Fußballexperten. Sie wissen: Das ist das Sport-Gelände am Riederwald. Der Geburtsort der Frankfurter Eintracht. 

Präsentiert wird das Gemälde mit den Maßen 47,5 mal 63 Zentimeter in der Ausstellung „Zurück ins Licht“, die noch bis zum 17. April im Jüdischen Museum am Main zu sehen ist. Gemalt hat es Ruth Cahn in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die aus einer alteingesessenen und wohlhabenden jüdischen Familie stammende Künstlerin wurde 1875 in der Frankfurter Myliusstraße als Amalie Leontine Cahn geboren. Sie steht genauso im Blickpunkt wie Rosy Lilienfeld, Amalie Seckbach und Erna Pinner. „Das sind vier jüdische Künstlerinnen aus Frankfurt, die in den 20er Jahren sehr berühmt waren, aber jetzt vergessen sind. Mit Ausnahme von Erna Pinner vielleicht“, berichtet Eva Atlan, die Stellvertretende Leiterin des Jüdischen Museums. Bei Ruth Cahn kommt hinzu, dass die meisten ihrer Werke durch den Zweiten Weltkrieg und den Spanischen Bürgerkrieg verschwunden sind. Von einem Großneffen von „Fräulein Cahn“, wie sie seinerzeit genannt werden wollte, konnte der Großteil dieser Werke für die Ausstellung geliehen werden. Dieser Verwandte aus Barcelona besorgte auch bei einer Cousine (die genau wie ihr Cousin anonym bleiben will) das Riederwald-Gemälde.

Das weist gleich mehrere Besonderheiten auf. Es ist das einzige Bild der gesamten Ausstellung mit einem sportlichen Motiv. Zudem sind ansonsten aus Cahns Werk überwiegend Frauenporträts sowie Pflanzen- und Gartenbilder bekannt. „Es ist das einzige Kunstwerk, das ich vom Riederwald kenne“, ordnet Matthias Thoma, der Leiter des Eintracht Frankfurt Museums und profunder Kenner der Örtlichkeiten, das Werk ein. Er korrigiert auch gleich den Eindruck, dass damit das aktuelle Riederwald-Gelände in früherer Nutzung dargestellt sei. „Das liegt jetzt zwei Kilometer weiter.“ Da, wo jetzt auf dem Bild in Grün-, Braun- und Grautönen die Laufbahn angedeutet und außerhalb davon (!) ein Tor mit rot-weißen Balken abgebildet ist, da befinden sich heute die A66 und ein Einkaufsmarkt. Auf dem jetzigen Riederwald-Gelände mit seinen vielen Gebäuden und Sportanlagen ist die Eintracht erst seit 1952 zu Hause. 

Doch wie kommt Ruth Cahn, eine „moderne Frau der 20er Jahre“ (wie sie Eva Atlan beschreibt), dazu, sich einem Sportmotiv zu widmen? Dafür dürfte ihr jüngster Bruder verantwortlich sein, Arthur Cahn. 1883 geboren, zählt er um die Jahrhundertwende zu den Frankfurter Fußballpionieren und ist unter anderem von 1908 bis 1911 Vorsitzender der Frankfurter Kickers. Nicht von ungefähr wird er bereits 1925 zum Ehrenmitglied der Eintracht ernannt. Der spätere Prokurist der Firma Telefonbau und Normalzeit in Frankfurt, der 1936 vor den Nationalsozialisten nach Südamerika flüchtet und 1952 im Alter von 69 Jahren in Chile stirbt, hat den Eintracht-Vorgänger Victoria von 1899 mit ins Leben gerufen. Später wechselt er zu den erwähnten Frankfurter Kickers. Er betreibt vehement die Fusion der beiden Vereine zum Frankfurter Fußballverein (FFV) und nach dem Ersten Weltkrieg die Vereinigung mit der Turngemeinde (TG) von 1861 zur SG Eintracht. Oder wie sie seinerzeit vollständig heißt „Frankfurter Turn- und Sportgemeinde Eintracht (FFV) von 1861“.

Durch die Fusion und einen Neubau verfügen die Eintracht-Fußballer, berichtet Thoma, erstmals über ein größeres Stadion, nachdem sie zuvor am Rosegger-Sportplatz beheimatet waren. Und was für eines! Denn bei einem Länderspiel 1922 der deutschen Kicker gegen die Schweiz wird von „35.000 bis 40.000 Zuschauern“ berichtet. Die Spielstätte bleibt auch lange der Austragungsort der Eintracht-Spiele. „Nur bei wichtigen Spielen wurde in das Waldstadion ausgewichen, das 1925 errichtet worden war. Das war eine Vereinbarung mit der Stadt“, erzählt Thoma. 

Doch das Glück hält nur knapp 20 Jahre. 1943 im Zweiten Weltkrieg sei im Rahmen der großen Bombardierung der Stadt auch der alte Riederwald bombardiert worden, sagt Thoma. Danach werden an diesem Platz immer wieder Trümmer abgeladen, sodass nach 1945 dort die Frankfurter Trümmerverwertungsgesellschaft ihre Arbeit aufnimmt. Vier Jahre später einigt sich die Eintracht-Führung mit den städtischen Verantwortlichen auf das nicht weit entfernt liegende Gelände an der Pestalozzi-Schule als Ausgleichsfläche. Hier ist die Frankfurter Eintracht seit 1952 zu Hause, am neuen Riederwald. Das alte, von Ruth Cahn dargestellte und so nicht mehr vorhandene Gelände darf seitdem als „Lost Place“ gelten.