Einer
wie keiner
Der Kapitän ist von Bord gegangen. Das Fußball- und
Eintracht-Leben von Sebastian Rode in 17 Sequenzen mit 17 Zitaten von oder über
Eintrachts Nummer 17.
So viel Kitsch musste sein. Die letzte EintrachtSzene
dieser Saison, die allerletzte Aktion in der Karriere des Sebastian Rode: ein
Elfmetertor zum 13:1-Endstand im zweiten „Eintracht in der Region“-Spiel in
Dreieich gegen den indirekten Vorgängerverein der Eintracht, den VfL Germania
1894. „Es war schön, nochmal ein Tor zu machen, gerade zum Abschluss. Danke an
Timmy, der so eiskalt war und einen Elfmeter herausgeholt hat“, bekundete die
Nummer 17 hinterher grinsend. Warum sich gerade Chandler dermaßen aus dem
Häuschen zeigte, ist kein Zufall – führt zu Rodes Anfängen und bildet die erste
von 17 Anekdoten.
1.Vom Gegner in Grünberg zum Freund fürs
Leben
„Seppl ist ein Arbeitskollege, aber auch ein sehr, sehr
guter Freund für mich“, schwärmt Timothy Chandler in der zweiteiligen
Sky-Produktion „Kapitän, Kämpfer, Comebacker – die Sebastian Rode Story“. Die
Eintracht-Urgesteine sind nicht nur auf dem Platz durch dick und dünn gegangen,
sondern auch außerhalb. Was nur die wenigsten wissen: Im Jugendbereich waren
die heutigen Mittdreißiger knallharte Konkurrenten, trafen im Rahmen der
Hessenauswahl direkt aufeinander. Rode vertrat den Bezirk Darmstadt, Chandler
verteidigte schon damals die Frankfurter Farben.
2. Der prägendste Trainer 14
Profitrainer zählt das Fußballportal transfermarkt.de. Der
nach Aussage von Rode bei der Hessenauswahl und Kickers Offenbach größte
Förderer fehlt in dieser Liste: Günter Wegmann, der neulich per Videogruß im
hrheimspiel ein Gespräch zwischen Meister und Lehrling wiedergab: „Du warst 16
Jahre, als ich dir einen Wunsch für die Zukunft formulierte: Sei dominanter,
sei energischer auf dem Platz. Geh‘ mehr aus dir heraus. Fordere deine
Mitspieler und gehe noch stärker voran.“ Rückblickend scheint diese Botschaft
mehr als angekommen zu sein.
3. Der erste Titel
Neben
dem Europa-League-Triumph mit der Eintracht 2022 gewann Rode einst in Dortmund
und München je zweimal den DFB-Pokal und die Deutsche Meisterschaft – sowie
2009 und 2010 unter Hans-Jürgen Boysen mit dem OFC den Hessenpokal.
„Wenn er sich nicht durchsetzt, kann er auch wieder gehen.
Es wäre schön für uns, wenn wir in einem Jahr über eine Ausleihe sprechen
könnten.“ Eintrachts Vorstandsboss Heribert Bruchhagen, als Rodes Wechsel zu
den Bayern 2014 feststand. Rode wechselte nach zwei Jahren zum BVB, ehe er nach
Frankfurt zurückkehrte.
4. Der nächste Schritt
Wenn
Sebastian Rode seine Laufbahn zusammenfasst, fallen in der Regel nicht mehr als
zwei Worte: Step by Step oder Schritt für Schritt. Über den SVK Hähnlein zum FC
Alsbach ging die Reise weiter über Griesheim, Darmstadt, Frankfurts
Nachbarstadt und schließlich 2010, mit dem Abi in der Tasche, direkt in die
Mainmetropole. Erstmals Bundesliga.
„Ich habe den Eindruck, dass er wechseln wird. Er ist ein
großes Talent und hat Charakter, er kann den Sprung schaffen.“ OFC-Präsident
Dieter Müller 2010, als sich der Wechsel von Offenbach nach Frankfurt anbahnt.
5. Das erste Mal Oberhaus
Bis
Rode zum ersten Mal ans Tor zur Bundesliga klopfte, dauerte es nicht zuletzt
wegen eines Knorpelschadens etwa ein halbes Jahr: 21. Januar 2011,
Volksparkstadion Hamburg. Nicht als Abräumer und Antreiber, wie ihn die
Fußballwelt kennengelernt hat, sondern als Innenverteidiger neben Ricardo
Clark.
„Das erste Bundesligaspiel werde ich nicht vergessen. Ich
hatte auch in der Jugend nie Innenverteidiger gespielt“, erinnert sich Rode in
seiner Abschiedsdoku an die Premiere unter Michael Skibbe.
6. Das erste Tor in Deutschlands Beletage
23.
April 2011 – ausgerechnet gegen den FC Bayern München gelingt Seppl der
Führungstreffer. Von der Art und Weise kurz vor der Strafraumkante liegen
Vergleiche zum 2:0 gegen SL Benfica acht Jahre später nahe. Am Ende steht gegen
den Rekordmeister ein 1:1.
„Ich habe nicht viele Tore gemacht. Das erste aber gleich
gegen Bayern, zu Hause. Ein absolut geiles Gefühl!“
7. Der Abstieg
Weniger geil war die Stimmung einen Monat später. Und doch
zählt Sebastian Rode wohl auch 13 Jahre nach dem letzten Abstieg der
SGE-Geschichte zu denjenigen Protagonisten, die jener Rückrunde etwas Positives
abgewinnen konnten. Zumindest im individuellen Sinne, wie der Leader
klarstellt: „Es gab keinen Gedanken, die Mannschaft zu verlassen. Es war eine
sehr schlechte Rückrunde. Für mich persönlich lief es besser, als Christoph
Daum kam und mich immer wieder spielen ließ. Außerdem wollte ich wieder
aufsteigen, es wiedergutmachen. Das hat wunderbar funktioniert!“
8. Vom Main an die Isar
Weiter geht es Step by Step: 2014 ruft der FC Bayern
München. Der damalige Sportvorstand Matthias Sammer präsentiert Rode liebevoll
als „Giftzwerg“, was er wie folgt begründet: „Super Charakter. Super
Teamplayer. Macht alles für die Mannschaft. Wenn ich mir so einen backen
dürfte, wäre es Seppl Rode.“
9. Letzter Ausweg: Operation
Die Wertschätzung stieg weiter, körperliche Probleme
blieben ebenso wenig die Ausnahme. Gerade Knie und Knorpel machten sich im
Laufe der Jahre bemerkbar. In Dortmund laborierte Rode schließlich an der
Leiste, eine Operation schien der letzte Ausweg. „Ich habe mit dem Gedanken
gespielt, dass falls die Operation nicht den gewünschten Erfolg bringt, ich
eventuell aufhöre mit Fußball, weil es sonst keinen Sinn gemacht hätte“,
verriet Rode in „Kapitän, Kämpfer, Comebacker“.
10. Rückkehr als Fortschritt
Ebenfalls
zur Sprache kam freilich die Rückkehr vom Ruhrgebiet ins Herz von Europa. „Ich
war extrem dankbar, dass Bruno Hübner wieder den Kontakt gesucht hat, und war
sofort Feuer und Flamme“, schildert Rode seine Gedanken und Gefühle.
Bereits im ersten Halbjahr 2019 überflügelt Rode mit seinen
Adlern halb Europa, wirft die drei Champions-League-Teilnehmer Donetsk,
Internazionale Milano und SL Benfica aus der Europa League, zieht erst im
Halbfinale gegen den Chelsea FC den Kürzeren – und sich im Rückspiel an der
Stamford Bridge erneut eine Knorpelverletzung zu. Trotz der physischen Talsohle
für den Mann von der Bergstraße: Die hellsten Sternstunden sollten noch warten.
11. Captain Rode
Der
Blick ging nach vorne, 2020 war erst im DFB-Pokalhalbfinale Schluss und 2021
beendete die Eintracht in der Bundesliga auf Platz fünf. Der neue Cheftrainer
Oliver Glasner bestimmte Rode als Nachfolger des im Januar nach Argentinien
zurückgekehrten Capitano David Abraham.
„Pirmin Schwegler, da war ich noch sehr jung. Auf der Sechs
war er auch mein Partner.“ Rode auf die Frage, von welchem Kapitän er sich viel
abgeschaut hat.
12. Geschichte geschrieben
Am 18.
Mai 2022 um kurz vor Mitternacht stand fest: Eintracht Frankfurt ist Europa-League-Sieger!
Das
erste Mal nach 42 Jahren hielt die SGE eine internationale Trophäe in den
Händen. Die Hitzeschlacht von Sevilla gegen die Glasgow Rangers war dabei
sicher nur der Schmelztiegel vieler Extreme hin zu Europas bester Party.
Betis
Sevilla – erstmals seit der Coronapandemie wieder mit der organsierten Fanszene
im Rücken.
FC
Barcelona – die Geburt von La Bestia Blanca.
West
Ham United – London reloaded und Seifenblasen, die diesmal für die Engländer
platzten.
Und
dann der dritte und entscheidende Flug nach Spanien während jener Saison: Ein
Stadtbild, das beide Fanlager so frenetisch wie friedlich zum Fußballeldorado
verwandelten; eine Choreografie der weißen Wand, die schon beängstigend schön
war.
Ein Captain Rode, der den Tacker und den Turban dem
Knock-out vorzog, nach fünf Minuten vollgeblutet den ersten Trikottausch nötig
hatte und 24 Stunden später auf dem Römerbalkon – nachdem die Trophäe wieder
den Weg zu ihrem rechtmäßigen Besitzer gefunden hatte – in die Menge brüllte:
„Da ist das Ding!“
13. Charakterkopf in der Königsklasse
Im
Spätherbst darauf das nächste historische Kunststück mit der SGE: der
Achtelfinaleinzug in der Königsklasse. Im letzten Gruppenspiel bei Sporting
Lissabon war Frankfurt zur Halbzeitpause Letzter in der Blitztabelle, mit der
Einwechslung von Rode wendete sich das Blatt.
„Mit Seppl Rode kam der Schlüsselspieler rein, der die
Struktur geschaffen hat und unser Motor war. Er hat sehr viel Erfahrung und
gibt gerade den jungen Spielern viel Halt. Er erfüllt diese Rolle, die wir von
ihm und er selbst von sich einfordern“, unterstrich Sportvorstand Markus
Krösche hinterher.
14. Das Rätsel der Nation
Die
Stimmen, Sebastian Rode zur Weltmeisterschaft 2022 mitzunehmen, mehrten sich,
außerhalb Frankfurts tat sich etwa Lothar Matthäus als großer Fürsprecher
hervor. Es kam anders beziehungsweise es blieb beim Alten.
„Es ist ein kleiner Wermutstropfen in der Karriere, aber
wirklich nur ein ganz kleiner.“ Rode über die Tatsache, dass er kein Länderspiel
absolvieren durfte.
15. Der Überzeugungstäter
„Es
gab sicher Momente, in denen ich gedacht habe, dass ich gerne ein Länderspiel
gemacht hätte, wenn meine Knie gesund geblieben wären. Doch die glücklichen
Sachen des Lebens sind andere: Gesundheit, Familie und Freunde. Ich bin sehr,
sehr zufrieden mit meiner Karriere und würde nichts anders machen“, vertrat
Rode im März seine Überzeugung.
„Gibt immer 100 Prozent direkt rein“, so Chandler,
„gnadenlos gegen sich selber“, so Götze, „es hat ihn verfolgt, aber auch
ausgezeichnet“, so Schwegler, „das ist meine Spielweise, die hat mich dahin
geführt, wo ich jetzt sitze, daher bereue ich nichts“, so Rode bei Sky.
„Es
macht mich sehr stolz, dass im Nachhinein so positiv über meine Zeit hier
gesprochen wird, dass ich so einen riesengroßen Fußabdruck auf dem Feld
hinterlassen konnte und auch als Mensch eine sehr große Wertschätzung erfuhr“ –
Sebastian Rode –
16. Abseits des Platzes
Natürlich
hätte jeder Seppl Rode ein letztes Fußballjahr mit weit mehr Minuten auf dem
Platz statt in der Reha gewünscht. Gleichzeitig ist der waschechte Südhesse
keiner, der sich allein auf das Profidasein beschränkt. Seit 2012 etwa fungiert
er als Botschafter des hessischen Landespräventionsrates, um nur das
prominenteste Beispiel seiner sozialen Tätigkeiten zu nennen.
Beispielhaft für die Nähe zur Basis auch das unvergessene
Bild, als er das Heimspiel Anfang Mai gegen Leverkusen auf Einladung der Fans
90 Minuten singend und klatschend in der Nordwestkurve verbrachte. Den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im ProfiCamp spendierte er kürzlich mit Makoto Hasebe ein
feudales Mahl von Schnitzel mit Grie Soß‘.
17. Die Zukunft
Die
Geschäftsstelle wird Rode, selbst Inhaber der Trainer B-Plus-Lizenz, fürs Erste
hinter sich lassen. Im Herbst macht er zunächst eine große Reise nach
Neuseeland. Dann lasse sich abschätzen, wie es den zwei kleinen Töchtern
gefalle und ob die Reise weitergehe. Die mit der Eintracht erfährt, so hoffen
alle, nur eine Unterbrechung. Ganz sicher.
„Es sind die einfachen Sachen. Mal in den Tag
hineinzuleben, mal meinen Hobbys nachgehen, wieder zu golfen, Radtouren zu
machen mit meiner Frau und einfach Sachen zu genießen. Vielleicht auch mal
Wassersportarten wie Kitesurfen ausprobieren.“ Rode auf die Frage, worauf er
sich nach der Karriere am meisten freue.
Seppl auf die Ohren!
Am Tag seines letzten Spiels als Profi von Eintracht Frankfurt ist Sebastian Rode im Podcast „Eintracht vom Main“ zu Gast. Einige Zitate hier sind dieser Episode entnommen – und machen Lust auf mehr. Hört rein! Ein letztes Adieu im Deutsche Bank Park, nach dem Spiel gegen Leipzig.