Das
Wunder von 1999
Jeder Eintracht-Fan weiß, was er am 29. Mai 1999 zwischen
15.30 und 17.20 Uhr gemacht hat. Jan Aage Fjörtoft sagt: „Wenn ich allen
glauben würde, die mir erzählen, dass sie beim 5:1 gegen Kaiserslautern dabei
waren, wäre das ein neuer Zuschauerrekord – dann müssten 200.000 Menschen im
Stadion gewesen sein.“ Der Norweger ist zugleich der Mann, der jenem heißen Tag
die historische Note gegeben hat. 25 Jahre danach blickt die „Eintracht vom
Main“ zurück auf diesen Tag und darauf, wie es überhaupt zu dem legendären
Saisonfinale gekommen war.
Texte:
Michael Wiener
Mitarbeit:
Mia Ebert
Fotos: Mathias Farto, Michael Wiener, imago images, picture
alliance, Eintracht-Archiv, privat
Zu
Besuch bei Jan Aage Fjörtoft in Norwegen, Stimmen von zahlreichen Spielern und
weiteren Beteiligten, eine Hommage an Jörg Berger
Die Dramaturgie der Wochen vor dem 29. Mai und der Tag selbst
sind in der Bundesligahistorie einmalig. Die Eintracht war vier Spieltage vor
dem Saisonende gefühlt abgestiegen; erst drei Siege brachten sie überhaupt in
die Position, am letzten Spieltag noch Außenseiterchancen auf den Klassenerhalt
zu haben. Mit der schlechtesten Ausgangslage unter fünf Vereinen, die am Ende
noch Rang 15 erreichen konnten, ging die Eintracht in die Partie gegen den 1.
FC Kaiserslautern. Dieser wiederum lag auf Rang vier, der zur Qualifikation zur
Champions League berechtigte – allerdings mit dem VfL Wolfsburg und Borussia
Dortmund in Schlagdistanz dahinter. Es war also durchaus realistisch, dass der
FCK noch punkten musste, um seinen Rang zu verteidigen.
Als Kaiserslautern dann in der 68. Minute die Führung von
Yang Chen (47.) ausglich, war der Klassenerhalt so weit weg wie Frankfurt vom
Mond. Was danach passierte, kann kein Drehbuchautor erfinden und gab es davor
und danach nicht mehr. Thomas Sobotzik mit dem Kopf (70.), Marco Gebhardt ins
kurze Eck (80.), Bernd Schneider per Direktabnahme (82.) und Jan Aage Fjörtoft
(89.) erzielten vier Tore. Das reichte, um mit dem 1. FC Nürnberg punkt- und
torgleich zu sein und durch die mehr geschossenen Tore in der Bundesliga zu
bleiben.
Für die Spieler war es eine absolute Grenzerfahrung. „Seitdem
kenne ich das Wort Gänsehaut“, sagte einst Yang Chen, während Uwe Bindewald
hervorhob: „Der entscheidende Unterschied war für mich, dass wir nach dem 3:1
mehr an den Klassenerhalt geglaubt haben als Kaiserslautern an die Champions
League.“ Thomas Zampach ist sich sicher: „Wenn wir noch ein sechstes Tor
gebraucht hätten, hätten wir das auch noch geschossen.“
Auch für die Fans war es in Zeiten ohne Smartphone und
Liveticker eine nervenaufreibende Geschichte. Alexander Schur, vier Jahre
später bei der nächsten historischen Sternstunde am 34. Spieltag per Kopf zur
Stelle (Stichworte: Reutlingen, 6:3), fasste es vor fünf Jahren in Ausgabe 23
der „Eintracht vom Main“ so zusammen: „Unsere Fans waren mit den Augen zwar bei
unserem Spiel, mit den Ohren aber auf den anderen Plätzen. Um jeden, der ein
tragbares Radio bei sich hatte und die legendäre Schlusskonferenz verfolgte,
hatte sich eine Menschentraube gebildet. […] Selbst nach dem 5:1 konnten wir
uns unserer Sache nicht sicher sein.“
Apropos 5:1: EintrachtTV und die „Eintracht vom Main“ haben
den Schützen des historischen Treffers Jan Aage Fjörtoft in Norwegen besucht
und sich mit dem heute 57-Jährigen auf die Suche begeben, wo der Übersteiger
entstanden ist. Außerdem: Zitate und Zahlen zum sensationellen Klassenerhalt,
Stimmen von zahlreichen Beteiligten, der damaligen Oberbürgermeisterin Petra
Roth und der Radiostimme des 29. Mai Dirk Schmitt sowie ein Feature zu Jörg
Berger, den viel zu früh verstorbenen Cheftrainer der Nichtabstiegshelden
1998/99.