„Herrjeeee!“

Es ist eine vielfach preisgekrönte Radioreportage, jene vom 29. Mai 1999 der ARD-Konferenz vom letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga. Mittendrin Dirk Schmitt, der sich immer wieder aus Frankfurt dazuschaltete. Die „Eintracht vom Main“ hat mit ihm über das Reporterdasein am 34. Spieltag 1998/99 und die Nachwirkungen davon gesprochen.

Sein Ausruf „Herrjeeee“ ist heute Teil seiner Twitter-AccountBeschreibung, gemeinsam mit den Konferenz-Kollegen Günther Koch und Manni Breuckmann sorgte er für einige Bonmots – und eine legendäre Konferenz, die in Zeiten ohne Smartphone eine ganz andere Zahl an Hörern erreichte als heute. Schmitt ist gebürtiger Franke, lebt seit seiner Kindheit im Rhein-Main-Gebiet, verbindet seine ersten Stadionbesuche mit Erinnerungen an Grabowski, Hölzenbein und Co. und ist seit fast 40 Jahren für den Hessischen Rundfunk tätig. An jenem Abend, nach dem 5:1, hat er sich ähnlich gefühlt wie WDR-Mann Manfred Breuckmann, der im Westen den Rostocker 2:1-Erfolg in Bochum kommentiert hatte und später in einem kicker-Interview sagte: „Ich war am Ende fix und fertig. Ich hätte nie und nimmer damit gerechnet, dass dieser Nachmittag so einen Verlauf nimmt. Wir sind die begnadeten Nachschilderer. Im Fernsehen gibt’s das nur als Konserve.“ Und Club-Fan Günther Koch litt ohnehin mit „seinem“ Verein, der völlig überraschend noch auf Rang 16 zurückfiel.

Dirk Schmitt über…

…Abstiegskampf: Ich bin Abstiegskampf-Junkie! Der Kampf um die Existenz gefällt mir aus Zuschauer- oder Zuhörersicht besser als wenn es um Europapokal geht oder nicht.

…den 1. FC Kaiserlautern: Für die Roten Teufel war es ein richtig wichtiges Spiel. Dass sie sich absichtlich hängengelassen haben, glaube ich nicht.

…die Eigendynamik: Es stand sehr lange remis. Dann begann irgendwann diese Eigendynamik. Ein Wechselspiel zwischen Zuschauern, Balljungen, Ordnern, der Mannschaft, der Bank. Eine Einheit, wie du sie sonst nicht hast. Man darf nicht vergessen: Diese Begeisterung war damals noch nicht wie heute, da sind nicht 50.000 bei jedem Spiel im Stadion gewesen.

…Neutralität: Du berichtest für die ARD, hast also auch Lautern-Fans am anderen Ende. Da willst du nicht parteiisch werden. Aber das ist richtig schwer. Denn natürlich bist du als Reporter Fan der regionalen Vereine.

…die Arbeitsbedingungen: Kein Kollege, kein Liveticker, kein Computer. Du hast damals alleine auf deinem Platz gesessen und selbst gerechnet. Da hatte ich richtig Bammel, dass ich mich verrechne. Nach jedem Tor habe ich rumgeschmiert auf meinem Zettel, durchgestrichen, etwas fett markiert. Das war herausfordernd, denn Radio war damals viel wichtiger als heute. Bloß keinen Fehler machen, bitte!

…den Dienstplan: Ich hatte Glück, dass der Dienstplan mich dorthin gespült hat. Ich wollte vorher eigentlich in den Urlaub fahren, weil ich wenig Hoffnung hatte. Dieser Verlauf der Konferenz ist dann eine Gnade für jeden Reporter.

…Emotionen: Zweckoptimismus und Hoffnung hatten sich im Laufe des Spiels in Emotionen und Enthusiasmus verwandelt. Nach dem 3:1 ist es richtig übergeschwappt. Nach dem Spiel haben sich sogar die Politiker in den Armen gelegen. Bis in den Abend hinein hat ganz Frankfurt gefeiert, weil es vorher so hoffnungslos war. Und es war ganz anders als nach den Siegen in Berlin 2018 und in Sevilla 2022. Weil es in Frankfurt passiert ist und weil viele Frankfurter Jungs in der Mannschaft waren.


„2003 war nur möglich wegen 1999“ – Dirk Schmitt --

 

…die Nachwirkungen I: Wie gesagt, die Stimmung in der Stadt danach war sensationell. 2003 war nur möglich wegen 1999. Da wurde ein Gen freigesetzt, dass du alles zu jeder Zeit schaffen kannst in Frankfurt. Das haben wir 2003 wieder gesehen, als Schur das 6:3 gegen Reutlingen geköpft hat. Das war ein HalloWach-Effekt, die Prominenz hat gemeinsam gejubelt, das hat den Zusammenhalt gefördert. Zusammen mit dem sicherlich nicht der Präsidentennorm entsprechenden Peter Fischer und dem aus der Fanszene stammenden Axel Hellmann hat die Eintracht auch abseits des Rasens Dinge besser gemacht als andere Vereine.

…die Nachwirkungen II: Die Kollegen haben mir irgendwann einen Twitter-Account angelegt. Der dritte oder vierte Follower war Jan Aage Fjörtoft. Dieses Erlebnis verbindet und ich muss immer wieder an diesen Tag denken.