Vergangenheit
erhellt, Gegenwart beleuchtet
35 Eintracht-Fans haben im Rahmen des vierten Teils der
Spurensuche (siehe Kasten) Nürnberg besucht. Auf dem Plan stand eine geführte
Tour durch das Memorium Nürnberger Prozesse und am folgenden Tag ein
dreistündiger Rundgang über das einstige Reichsparteitagsgelände nahe des
Nürnberger Stadions.
Text:
Axel „Beve“ Hoffmann
Fotos: Joachim Storch
Memorium
Nürnberger Prozesse, Reichsparteitagsgelände und vieles mehr: Die Eintrachtler
auf Spurensuche in Nürnberg
Unmittelbar nach Ankunft und einem Altstadtbesuch ging es
weiter zum Justizpalast, der durch den ersten Nachkriegsprozess gegen die
NS-Hauptkriegsverbrecher internationale Berühmtheit erlangte. Der Justizpalast
blieb während des Krieges weitestgehend unversehrt und bot die passende
Infrastruktur für einen Prozess dieses Ausmaßes. Dass Nürnberg der Ort der
Verabschiedung der Rassengesetze war und zudem die Nazis ihre Reichsparteitage
mit Lichtdom und Massenaufmärschen vor Ort abhielten, spielte für die
Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle.
Im Justizpalast befindet sich heute das Museum Memorium
Nürnberger Prozesse. Die Gruppe wurde durch das Memorium geführt, saß im eigens
für den Prozess umgebauten Schwurgerichtssaal 600, der unmittelbar nach der
Rückgabe an die deutsche Justiz ab 1960 wieder zurückgebaut wurde, so dass sich
heute kaum Inventar von damals findet. Erst seit 2020 wird der Saal nicht mehr
für aktuelle Prozesse genutzt und kann dauerhaft besichtigt werden, ebenso wie
die Dauerausstellung im Stockwerk darüber, die beredt Kenntnis von der
damaligen Zeit vermittelt.
Wie schon im Memorium teilte sich der Frankfurter
Reisetross am folgenden Morgen nach Ankunft an der Kongresshalle in zwei Gruppen
auf und wie schon tags zuvor führten Vertreter des Vereins „Geschichte für alle
e. V.“ sachkundig über das weitläufige Gelände, in dessen unmittelbarer Nähe im
heutigen Max-Morlock-Stadion der 1. FC Nürnberg seine Heimspiele austrägt – und
die Eintracht 1932 das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen die
Münchner Bayern verlor. Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im
Januar 1933 inszenierte die NSDAP dort mehrere Parteitage. Verantwortlicher
Architekt war Albert Speer, der später als Rüstungsminister tief in den
Holocaust verstrickt war und dem es dennoch gelang, im Nürnberger Prozess seine
wahre Beteiligung an den NS-Verbrechen zu verschleiern – woraufhin er der
Todesstrafe entging und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Ihm oblag die
Gestaltung des 16,5 Quadratkilometer großen Geländes und der Gebäude mit
Ausnahme der Kongresshalle, die von den Nürnberger Architekten Ludwig Ruff und
dessen Sohn Franz konzipiert wurde.
Die Planung sah neben der monumentalen Kongresshalle nach Art
des Kolosseums in Rom ein Stadion für 400.000 Menschen vor, dazu das
Zeppelinfeld samt Zeppelintribüne, die Bebauung des Luitpoldhains mit der
Luitpoldarena, das Märzfeld, (eine 1.000 Meter breite und 600 Meter lange
Aufmarschfläche umrahmt von Zuschauertribünen und Wehrtürmen) am Ende der
Großen Straße, eine zwei Kilometer lange und 60 Meter breite Paradestraße.
Hinter dem Märzfeld sollte ein Bahnhof entstehen. Fertiggestellt wurden die
Zeppelintribüne und die Luitpoldarena. Im September 1939 überfiel Nazi-Deutschland
Polen und der Zweite Weltkrieg begann. Und auf dem Märzfeld resp. dem Bahnhof
entstand nach Kriegsende der Stadtteil Langwasser.
Die Ruine der Kongresshalle, die eigentlich doppelt so hoch
werden sollte, zeugt selbst in der jetzigen Form von einem Größenwahn der
Nationalsozialisten, der alle Baustile des Monumentalen absorbierte, um ein in
dieser Größe noch nie dagewesenes neoklassizistisches Gesamtbild zu erzeugen.
Als Vorbilder dienten die mächtigen Bauwerke einstiger großer Weltreiche wie
das der Römer oder der Griechen. Die Kongresshalle ist ein bis heute auf halber
Höhe unvollendeter Bau ohne Dach – und symbolisiert damit auch den Untergang
des Tausendjährigen Reiches nach desaströsen zwölf Jahren. Vom gigantischen
Plan des Deutschen Stadions blieb allein der Grundstein, außer einigen
hölzernen Fassaden wurde nichts zustande gebracht.
Zum Rahmenprogramm der Reichsparteitage gehörten
Sportveranstaltungen, an denen auch Vertreter, vorwiegend Leichtathleten, der
Eintracht teilnahmen. Aber auch die Fußballer statteten im März 1939 vor einem
Freundschaftsspiel gegen den Club dem Gelände einen Besuch ab. Die einstigen
Juddebuben lobpreisten in den Stadionheften regelrecht Bauten und Politik des
Nationalsozialismus. Dass der Überfall auf Polen dafür sorgte, dass der 1938er
Parteitag auch der letzte seiner Art blieb und der für 1939 geplante „Parteitag
des Friedens“ wegen des Einmarschs in Polen ins Feuer fiel, ahnten sie wohl
ebenso wenig wie die fast vollständige Zerstörung Nürnbergs nach Kriegsende.
Heute zeigt sich das Gelände am Dutzendteich eher
friedlich. Im See schwimmen rosa leuchtende Bootsflamingos, auf dem
Volksfestplatz wartet ein Riesenrad auf Kundschaft und vor dem Mittelteil der
Zeppelintribüne mit der einstigen Führerkanzel, dem neben der Kongresshalle
einzig verbliebenem Bauwerk der Nazis, drehen Jogger ihre Runden. Der Rest der
mächtigen Tribüne, die an den griechischen Pergamonaltar erinnerte, wurde 1967
gesprengt. Einerseits wegen Baufälligkeit, andererseits wurde so auch ein Teil
der unangenehmen Vergangenheit entsorgt. Eine der markanten Feuerschalen steht
heute im Goldenen Saal, eine über 300 Quadratmeter großen Halle innerhalb der
Tribüne. Die andere wurde buntbemalt bis 2008 als Kinderplanschbecken im
Schwimmbad genutzt. Als Bob Dylan 1978 auf dem Zeppelinfeld konzertierte, wurde
dessen Bühne so konzipiert, dass die 80.000 Zuschauer die Führerkanzel hinter
sich wussten und anders als in den 30er Jahren Hitler während des Konzerts
symbolisch den Rücken zukehrten.
Zeitgeschichtlich Interessierte können heutzutage das
gesamte Areal rund um den Dutzendteich durchwandern und sich auf einem
historischen Rundgang anhand von zwölf Tafeln über die großmannssüchtigen Pläne
der Nazis und deren krachend gescheiterte Umsetzung informieren.
Müde und voller Gedanken erreicht die Eintracht-Reisegruppe
am Abend wieder Frankfurt. Bis zur nächsten Spurensuche. Die ja nicht nur die
Vergangenheit erhellt, sondern auch die Gegenwart beleuchtet. Nie wieder ist
jetzt!
Spurensuche
– Teil IV
2019 ruft das Eintracht Frankfurt Museum gemeinsam mit der
Fanbetreuung das Projekt „Spurensuche“ ins Leben, welches sich seither intensiv
mit der Eintracht in der NS-Zeit und darüber hinaus beschäftigt. Begleitet
wurde das Projekt bis zu dessen Tod im Februar 2023 von Helmut „Sonny“
Sonneberg, der als Kind Zeuge der brennenden Synagoge am Börneplatz wurde und
später in einem der letzten Frankfurter Transporte der Deportation ins Ghetto
nach Theresienstadt anheimfiel. Während der vergangenen Jahre berichtete er als
Zeitzeuge ebenso ausführlich wie anrührend über sein Leben, welches ihn nach
seiner Rückkehr aus dem Ghetto zur Frankfurter Eintracht geführt hatte.
Entsprechend führte die erste Fahrt des Spurensuche-Projektes im Herbst 2019
nach Theresienstadt. In den folgenden Jahren standen zudem Besuche der
Konzentrationslager in Buchenwald bei Weimar und Dachau nahe München auf dem
Programm. Die nunmehr vierte Reihe der Spurensuche behandelt die ersten Jahre
der Nachkriegszeit – die Abschlussreise ging nach Nürnberg, den Ort der mächtig
inszenierten Reichsparteitage der NSDAP, aber auch der Schauplatz des ersten
Prozesses gegen Hauptkriegsverbrecher.
Vorausgegangen waren wie stets im Rahmen des Projektes
etliche Vorbereitungsveranstaltungen. So referierte Felix Börner über die
Eintracht in der Nachkriegszeit, Tobias Freimüller berichtete über den
Neuanfang jüdischen Lebens in Frankfurt nach der Shoah und Matthias Thoma
stellte seine Biographie über Sonny vor, deren Veröffentlichung dieser nicht
mehr miterleben durfte. Die Eintrachtler besuchten die Westend-Synagoge sowie
das ehemalige Lager für Displaced Persons in Zeilsheim. Und wenige Tage vor
Beginn der Reise führte Stefan Minden das Drama der deutschen Nachkriegsjustiz
vor Augen. So fand sich selbst im Jahr 1957 kaum jemand in leitender Position
des Bundesjustizministeriums, der als unbelastet galt. Die meisten Mitarbeiter
waren Mitglied in der NSDAP und/oder der SA und etliche von ihnen schon vor
1945 im Reichsjustizministerium tätig.