„Ich war
der Petar-Hubchev-Typ“
Aufsteiger mit der U23 der Eintracht als Kapitän, heute in
der Fußballschule und der Traditionsmannschaft eine feste Größe: Tuncay
Nadaroglu schlug einst aus Bad Honnef am Rhein die Profikarriere ein, spielte
für Köln und Bursaspor in den höchsten Ligen des jeweiligen Landes – und ist
heute als Sportdirektor bei Viktoria Aschaffenburg tätig, hält aber auch die
Verbindung zu Eintracht Frankfurt. Kürzlich wurde der frühere Innenverteidiger
50 Jahre alt. Im Interview anlässlich seines Geburtstags spricht er über seinen
fußballerischen Lebensweg, wichtige Weggefährten wie Petar Hubchev und Peter
Neururer, besondere Gespräche mit seinem Vater, seine verrückte Zeit in der
Türkei und eine Einladung von Peter Fischer.
Interview: Philipp Dibelka
Fotos: Joachim Storch, Martin Ohnesorge
Tuncay,
was hat dir im ersten Halbjahr mehr Kopfzerbrechen bereitet – die Verletzung
beim Tradispiel in Waldgirmes oder der Abstiegskampf mit dem Regionalligisten
Viktoria Aschaffenburg, bei denen du seit Januar als Sportlicher Leiter
fungierst?
Die Verletzung beim ersten Tradispiel in Waldgirmes war
sehr schmerzhaft, denn ich habe mir die Rippe angebrochen. Ich konnte nicht
atmen, ohne ein Druckgefühl im Oberkörper zu spüren. Mit der Viktoria haben wir
angesichts der verfügbaren Mittel eine gute Runde gespielt, sind nicht
abgestiegen und haben die Klasse in der Regionalliga Bayern gehalten. Das war
unser Ziel vor der Saison, welches wir erreicht haben. Darauf können wir
aufbauen, auch wenn wir in der neuen Spielzeit noch nicht wie gewünscht
gepunktet haben [acht Punkte aus neun Spielen; Anm. d. Red.].
Für
die Fußballschule der Eintracht, bei der du im vorletzten Jahr erstmals dabei
warst, bleibt da wenig Zeit. Was bedeutet für dich die Arbeit mit Kindern?
Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Camp. Das
war in Goldbach, direkt vor meiner Haustür, zusammen mit Rudi und Slobo [Rudi
Bommer und Slobodan Komljenovic; Anm. d. Red.]. Die Arbeit mit Kids macht mir
sehr viel Spaß, auch wenn es mal anstrengend werden kann. Aber die Kinder
machen den Sport rein aus Spaß – alle wollen kicken, egal ob der eine besser
oder schlechter ist. Das ist die Basis des Fußballs. Aufgrund meines Berufs
kann ich nicht immer dabei sein, aber ich halte mir spielfreie Wochenenden oder
die Sommerpause frei.
Aktuell
geht es in den Medien immer wieder um das Thema Jugendarbeit in Deutschland.
Wie siehst du diese Thematik?
Im Fußball wird es immer große Talente geben. Ich denke
eher, dass es ein gesellschaftliches Problem oder Generationenproblem ist. Die
Kids von heute haben viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. Hinzu kommt,
dass viele Eltern mitreden und Einfluss nehmen wollen. Das sehe ich tatsächlich
kritisch. Man sollte den Kindern nicht alles abnehmen, sondern sie kritikfähig
machen. Ich habe das Gefühl, dass der absolute Wille immer kleiner wird. Im
Fußball kann man durch Arbeit wachsen. Aber man muss arbeiten. Da fehlt mir im
Moment etwas.
Du
hast natürlich auch im Kindesalter mit dem Fußball begonnen. Wie waren deine
Anfänge mit dem runden Leder?
Zum Fußball bin ich über meinen Vater gekommen. Ich bin in
einer absolut fußballverrückten Familie aufgewachsen. Als ich klein war, war ich
immer mit meinem Bruder unterwegs und habe mit ihm gekickt. Das fing alles Ende
der 1970er, Anfang der 1980er Jahre an. Jede freie Stunde habe ich mit ihm auf
dem Bolzplatz verbracht. Hauptsache, der Ball war dabei. Irgendwann wollte ich
unbedingt in einen Verein. Mit sechs, sieben Jahren hat mich mein Vater dann
beim Siegburger SV 04 angemeldet.
Du
hast einige Zeit beim Siegburger SV 04 verbracht, bist dann aber zu Bayer 04
Leverkusen gewechselt.
Ich hatte viel Freude am Kicken und habe dann auch in den
Auswahlmannschaften gespielt, bis hin zur NRW-Auswahl. Doch da war Ende, denn
ich hatte keinen deutschen Pass, sondern einen türkischen. Damals war das für
Ausländer alles noch etwas anders als heute. In der B-Jugend hatte ich dann
Angebote von Leverkusen und dem 1. FC Köln. Ich entschied mich für Leverkusen.
Doch die Reise war für mich schnell vorbei, aus gutem Grund. Nach einem Monat,
ich erinnere mich noch sehr gut an das Gespräch mit meinem Vater, sagte ich zu
ihm: ‚Papa, ich hab‘ keinen Bock.‘ Mir ging es immer um Spaß, den Spaß am
Fußball. Dann bin ich nach Leverkusen gewechselt, wo alles anders war.
Konkurrenzkampf, Neid, schlechte Stimmung. Also wechselte ich nach der kurzen
Zeit zum FV Bad Honnef. Ich spielte ein Jahr B-Jugend und zwei Jahre A-Jugend.
Nach dem letzten Juniorenjahr haben sie mir einen Vertrag bei der ersten
Mannschaft in der Oberliga, damals die dritte Liga, angeboten. Ich habe mich
schnell durchgesetzt und wurde Stammspieler.
Mit 22
Jahren bist du aus der Oberliga Nordrhein in die Bundesliga, zum 1. FC Köln,
gewechselt. Ein großer Sprung, oder?
In Bad Honnef habe ich ungefähr vier Jahre gespielt. Bei
unserem Spiel gegen die Amateure des 1. FC Köln habe ich das Spiel meines
Lebens gemacht. Privat war ich gut abgesichert, hatte zwischenzeitlich eine
Ausbildung absolviert. Eines Tages saß ich im Büro und mein Telefon klingelte.
Ich ging ran, da war Stefan Engel, der damalige Trainer der Amateure des 1. FC
Köln, in der Leitung. Er hatte Interesse und wollte mich verpflichten.
Wie
bist du damit umgegangen? Wie kam der Wechsel zustande?
Sie haben mir einen Profivertrag angeboten, ich habe
angeommen. Zu der Zeit war Peter Neururer Trainer bei den Geißböcken. Ich
wollte mich fußballerisch weiterentwickeln. Peter gab mir das Vertrauen, setzte
mich in vier Bundesligaspielen ein. Nach seiner Entlassung wurde die Situation
für junge Spieler schwierig, weil der neue Trainer auf erfahrene Hasen gesetzt
hat. 1998 folgte der Abstieg.
„[…]
dass hier nicht nach Leistung, sondern nach Kontakten, Sponsoren und mächtigen
Leuten aufgestellt wird. Das war das reinste Chaos.“ --
Tuncay Nadaroglu --
Du
bist daraufhin in die Türkei gewechselt.
Über einen Kontakt bin ich im Winter 1998 zu Bursaspor
gekommen. Zu der Zeit war das ein großer Erstligaverein in der Türkei. In
Deutschland war ich Türke, in der Türkei war ich Deutscher – überall war ich
Ausländer. In zwei Jahren in der Türkei hatte ich drei Vorstände und fünf
Trainer. Das war nicht gerade einfach. Meine Leistungen im Training waren
ordentlich, doch ich spielte kaum. Auf Nachfrage beim Trainer kamen immer
wieder dieselben Aussagen wie ‚Du musst Geduld haben‘. Nachdem ich mich dort
eingelebt habe, lernte ich neue Leute kennen. Die sagten dann zu mir, dass hier
nicht nach Leistung, sondern nach Kontakten, Sponsoren und mächtigen Leuten
aufgestellt wird. Das war das reinste Chaos.
Bereust
du, den Schritt in die Türkei gemacht zu haben?
Es war schon ein großer Fehler, dort hinzugehen. Das war
der Knackpunkt meiner Karriere. Mit der Zeit kamen Verletzungen hinzu, ich bin
krank geworden, habe Gelbsucht bekommen. Mein Vertrag lief aus, doch der Verein
schuldete mir noch Geld. Damals musste man an die Vereine noch Ablösen zahlen,
auch wenn der Vertrag ausgelaufen ist. Zu Bursa habe ich gesagt, dass sie das
Geld behalten, mir im Gegenzug aber die Freigabe erteilen sollen. So kam es
auch, ich ging zurück nach Deutschland.
Zum SV
Darmstadt 98.
Dort habe ich mich durchgesetzt und regelmäßig gespielt.
Nach zwei Jahren habe ich ein Vertragsangebot abgelehnt, weil ich dachte, dass
es nochmal höher gehen kann. Ich war ein Jahr vereinslos, hielt mich bei
Viktoria Aschaffenburg, damals noch Oberligist, fit. Dann klopfte im Sommer
2002 Babelsberg 03 an. Ich spielte ein halbes Jahr Regionalliga Nord, bis der
Verein plötzlich insolvent war.
Wie
hast du das aufgenommen?
Das war natürlich ein Schock für mich. Der damalige
Vizepräsident von Babelsberg wurde 2003 Präsident bei Viktoria Aschaffenburg.
Ich ging wieder zurück, spielte vier Jahre lang bei der Viktoria in der Oberliga.
Nach
den vier Jahren bei der Viktoria bist du zur U23 von der Eintracht gewechselt.
Zu der Zeit war ich schon 33 Jahre alt. Ich hatte zwei
Kinder. Petar Hubchev, der damalige Trainer der U23, rief mich an. Am Telefon
sagte er ‚Wie sieht’s aus? Ich brauche einen erfahrenen Innenverteidiger‘. Das
Ganze klang schon sehr reizvoll, das Angebot war lukrativ. Ich entschied mich
für einen Wechsel zur U23 in die Oberliga Hessen.
Du
bist dann mit der U23 in die Regionalliga Süd aufgestiegen.
Im November 2007 wurde plötzlich unser Trainer, Petar
Hubchev, entlassen. Das konnte keiner so richtig verstehen, das Verhältnis mit
Petar war immer aufrichtig und ehrlich. Zu ihm schaute ich immer auf, er war
Verteidiger und spielte ein bombastische WM 1994. Daraufhin wurde Frank Leicht
Cheftrainer, Alex Schur Co-Trainer. Wir hatten eine grandiose Mannschaft, das
war eine tolle Zeit und wir sind aufgestiegen.
Im
Alter von 35 Jahren hast du 2009 deine Karriere beendet.
Der Körper wollte nicht mehr so wie mit Mitte Zwanzig. Ich
war häufiger verletzt, meine Motivation war weg, das Verhältnis zu Frank Leicht
war auch nicht gerade gut. Ich war eher so der Petar-Hubchev-Typ. Die beiden
waren charakterlich völlig unterschiedliche Typen. Mit 35 lief mein Vertrag
aus, also entschloss ich mich, meine Schuhe an den Nagel zu hängen …“
Wie
bist du dann dazu gekommen, ins Trainergeschäft einzusteigen?
Das war reiner Zufall, denn ich wollte nicht unbedingt
Trainer werden. Ich stand im Austausch mit Zivojin Juskic, der mich nach meinem
Karriereende gefragt hat, ob ich nicht Lust hätte, sein Co-Trainer in Darmstadt
zu werden. Für mich war das ein toller Übergang. Ich war Festangestellter, wir
spielten in der Regionalliga Süd. Allerdings wurde er dann entlassen, auf ihn
folgte Kosta Runjaic. Mit Kosta kam der Aufstieg in die Dritte Liga, wir hatten
eine tolle Mannschaft. Das waren meine Anfangsschritte im Trainerbusiness. Mit
Kosta ging es 2016 zu 1860 München. Das war aber nur ein kurzes Intermezzo.
Du
warst dann zwischenzeitlich zwei Jahre Leiter der Nachwuchsabteilung bei
Viktoria Aschaffenburg, wo du seit Anfang diesen Jahres Sportlicher Leiter
bist. Was sind deine persönlichen Ziele für die Zukunft?
Das, was ich jetzt mache, macht mir Spaß. Ich übernehme
gerne die Arbeit im Hintergrund. Die Viktoria ist finanziell dünn aufgestellt,
in der Regionalliga Bayern ist das nicht so einfach. Mittelfristig wollen wir
weiterhin mit jungen Spielern zusammenarbeiten und sie weiterentwickeln,
langfristig wollen wir schauen, ob es reicht für den Weg in den Profifußball.
Dafür müssen aber auch die finanziellen Mittel sitzen. Mit der Viktoria bin ich
eng verbunden, das ist mein Verein, ich wohne hier seit mehr als 20 Jahren.
Dein
Verein ist aber auch die Eintracht, durch deine Tätigkeiten heute und deine
Vergangenheit als Spieler hier. Was war dein schönster Moment mit Eintracht
Frankfurt?
Das war eindeutig der angesprochene Aufstieg aus der
Oberliga in die Regionalliga. Wir hatten eine riesige Abschlussfeier. Peter
Fischer, der damalige Präsident hat die gesamte Mannschaft eingeladen.
Du
bist eine feste Säule in der Innenverteidigung der Eintracht Frankfurt
Traditionsmannschaft. Karl-Heinz Körbel, der Leiter, betont immer wieder, wie
die Tradi in den vergangenen Jahren, auch durch „Eintracht in der Region“
zusammengewachsen ist. Was bedeutet dir diese Verbindung zur Eintracht?
Mit den Jungs der Tradi unterwegs zu sein macht sehr viel
Spaß. Ich bin sehr dankbar dafür, mit an Bord sein zu dürfen mit all den
‚Spielern meiner Kindheit‘. Der Kontakt ist über Schui [Alex Schur; Anm. d.
Red.] entstanden. Seit 2019 bin ich dabei.
Bis
Anfang Oktober seid ihr noch auf Tour. Auf was freust du dich besonders?
Auf unsere Mannschaft und die Fans, die bei den Spielen
stets zahlreich kommen und für eine tolle Kulisse auf den Dörfern sorgen. Ich
hoffe, dass mein Terminplan zulässt, dass ich so oft wie möglich spielen kann
und ich fit bleibe – und nicht wie im Frühjahr durch eine Verletzung
ausgebremst werde.