Mentale Stärke im Fokus

Fast zwei Jahre ist Christian Nuß als Sportpsychologe im Nachwuchsleistungszentrum tätig. Mit der Anpfiff- Redaktion spricht er über seine Anfänge am Riederwald, die Aufgabenbereiche als Sportpsychologe sowie den Umgang mit den Spielern des NLZ. 

 

Du bist bereits seit einigen Jahren im NLZ tätig. Wie hast Du damals hierhergefunden? 

Ich kannte Duarte Saloio [aktuell Cheftrainer der U15, Anm. d. Red.] noch aus meiner Zeit beim FSV Frankfurt. Als er damals auf dem Sprung zur Eintracht war, fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, mitzukommen. Da habe ich natürlich „Ja“ gesagt und bin anschließend den klassischen Bewerbungsprozess durchlaufen. Zunächst war ich dann drei Jahre im Team von Duarte als Co-Trainer der U13 und U14 tätig, seit fast zwei Jahren arbeite ich nun als Sportpsychologe. 

Was hat dann Dein Interesse an der Sportpsychologie geweckt? 

Ich habe selbst im Amateurbereich Fußball gespielt und mir dabei leider auch viele langwierige Verletzungen, wie unter anderem einen Kreuzbandriss, zugezogen. Dementsprechend bin ich früh damit konfrontiert worden, wie es einem Sportler mit solch einer Verletzung gehen kann. Dann kamen noch die Fälle Sebastian Deisler und Robert Enke hinzu, bei denen ich erstmals gemerkt habe, dass noch deutlich mehr dahinter steckt – Fußballer sind Menschen und keine Roboter. Psychologie war für mich der Faktor, um zu verstehen, wie der Mensch funktioniert. Mir war wichtig, zu wissen, warum Menschen manche Dinge anders verstehen und wahrnehmen als andere, und es war mir schon früh ein Bedürfnis, andere Menschen zu unterstützen und ihnen zu helfen. 

Was ist das Besondere an der Sportpsychologie? Was unterscheidet sie von anderen Fachrichtungen der Psychologie? 

Die Sportpsychologie vereint die Praxis und die Wissenschaft. Ich versuche, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu implementieren, damit diese für die Jugendspieler ein wenig greifbarer werden. Darüber hinaus sind Leistungssportler eine sehr besondere Gruppe an Menschen, die häufig viel leistungsorientierter denken als der Großteil der Bevölkerung. Die Sportpsychologie vereint außerdem viel aus den einzelnen Teilrichtungen der Psychologie – sei es die Entwicklung-, Sozial- oder Kognitionspsychologie, sowie die pädagogische Psychologie und viele mehr. All diese Bereiche fließen in die Arbeit mit den Jugendlichen im Nachwuchsleistungszentrum ein, weil sich überall Kenntnisse in die Praxis umsetzen lassen. 

 

„Psychologie war für mich der Faktor, um zu verstehen, wie der Mensch funktioniert.“

 

Hier im Nachwuchsleistungszentrum arbeitest Du mit vielen jungen Spielern. Was ist das Besondere an der Arbeit mit Jugendlichen? 

Häufig sind sie noch ein wenig blauäugiger. Als Sportpsychologe ist man oft die erste Instanz, die zur Selbstreflexion anregt, gerade in den jüngeren Mannschaften, wie der U15 oder U16. Das ist eine der großen Komponenten, wenn die Jungs gerade in die Pubertät kommen und ihre Identität erschüttert wird. In der Zeit ist es eigentlich ganz dankbar mit den Spielern zu arbeiten, weil sie recht schnell merken, wo sie eigentlich hinwollen und was sie dafür tun müssen. 

Was sind Deine Hauptaufgaben als Sportpsychologe im NLZ? 

Die Aufgaben sind sehr weit gefasst. Zunächst ging es darum, Workshops und Veranstaltungsreihen zu erarbeiten, über die die Spieler von der U9 bis U16 aus psychologischer Perspektive alles mitbekommen, um ihr Wissen später in den älteren Jahrgängen abzurufen. Das umfasst die Bereiche Leistungssteigerung, Persönlichkeit und mentale Gesundheit – das alles soll früh erlernt werden. Dafür halte ich Kurzvorträge und leite praktische Übungen. Ziel ist, in der U17 und U19 nicht mehr der Feuerwehrmann sein zu müssen, sondern dann nur noch nachzujustieren. Darüber hinaus gehört auch die Teambetreuung zu meinen Aufgaben: Welche verschiedenen Stadien der Teamentwicklung gibt es, wo hakt es vielleicht auch innerhalb der Mannschaft, beispielsweise an der Kommunikation, an bestimmten Rollenverteilungen oder an der Führungsstruktur? Das alles fällt in meinen Arbeitsbereich – genauso wie der Austausch mit anderen Fachbereichen. 

Im Leistungssport wird von den Sportler:innen viel erwartet. Wie unterstützt Du die Jungs bei der Bewältigung von Leistungsdruck und Erwartungen? 

Die Jungs kriegen durch ihre Ausrüster, Mannschaftskollegen, Berater:innen oder Eltern von außen enormen Druck auferlegt, den sie häufig gar nicht als solchen wahrnehmen, sondern in sich implementieren. Der erste Schritt ist dann immer, zu schauen, wo der Druck eigentlich herkommt. Mache ich mir den Druck aufgrund meiner Ziele selbst oder kommt er eher von außen? Ist der Druck identifiziert, wird entschieden, wie man weiter vorgeht. Wenn er eher von innen kommt, kann man zum Beispiel an den Zielstellungen der Spieler arbeiten. 

Die Spieler im Nachwuchsleistungszentrum befinden sich in verschiedenen Stadien des Erwachsenwerdens. Welche Rolle spielt das Alter und die Reife der Spieler bei Deiner Arbeit? 

Ich muss mich stark an die Altersstufen anpassen, da das Selbstbild ganz anders ausdifferenziert ist. Einem U9- Spieler ist etwa häufig noch nicht ganz klar, wie gut die anderen sind – sie vergleichen sich noch nicht so viel. Das wird mit steigendem Alter immer extremer, später kommen dann noch die sozialen Medien dazu. Deshalb muss man immer wieder schauen, inwieweit der Spieler sozial und entwicklungspsychologisch auf einem Stand ist, an dem er schon ein bisschen erwachsener an die Sache herangehen kann. In den jüngeren Jahrgängen wird dagegen noch sehr viel spielerisch erarbeitet. 

Welche Rolle spielt die mentale Gesundheit im Leistungssport und wie beeinflusst sie die Leistungsfähigkeit der Spieler? 

Wir wissen nie, wie gesund die Spieler tatsächlich sind, eine solche Diagnostik ist häufig schwierig. Natürlich kann man beispielsweise über Fragebögen vermuten, ob jemand gefährdet ist, zu hundert Prozent lässt sich das aber nie objektivieren. Im Großen und Ganzen hat die mentale Gesundheit aber eine riesige Auswirkung: Wenn ein Spieler 

schlecht schläft, wenn er dauerhaft Angst hat, Fehler zu machen, dauerhaft Übelkeit vor einem Wettkampf verspürt – das sind alles Faktoren, die unter den Bereich mentale Gesundheit fallen. Wenn diese zusammenkommen, ist der Spieler nicht leistungsfähig, weil er nicht ans Limit gehen kann. Wir versuchen, diese Faktoren präventiv anzugehen, damit die Spieler mit positiven Gedanken in die Spiele gehen. 

 

„Ich treffe ständig unterschiedliche Charaktere und führe nie das gleiche Gespräch.“

 

Inwiefern beziehst Du in Deiner Arbeit auch die Eltern der Sportler und das Trainerteam mit ein? 

Die Eltern können sich immer melden, wenn irgendetwas ist. Man muss dabei aber beachten, dass ein Sportpsychologe in dem Sinne kein klinischer Psychologe ist. Sobald es bei einem Jungen in die Therapierichtung geht, muss ich weitervermitteln und die Eltern ins Boot holen. Mit den Trainern und Betreuer:innen tausche ich mich viel über das aus, was mir im Mannschaftskosmos auffällt. Manchmal bilden sich zum Beispiel Kleingruppen. Da stellt sich dann die Frage, ob wir das zulassen wollen, damit die Jungs sich in der Pubertät einer Gruppe zuordnen können, oder nicht. 

Zum Abschluss noch einmal eine allgemeine Frage: Was bereitet Dir an Deiner Arbeit am meisten Freude? 

Die Vielfältigkeit. Es birgt natürlich auch immer ein Risiko, wenn man überall mitreden soll und zu allem gefragt wird. Aber genau das mag ich. Ich treffe ständig unterschiedliche Charaktere und führe nie das gleiche Gespräch. In der Psychologie gibt es anders als etwa in der Athletik keinen Kraftplan, der für die meisten funktioniert, sondern alles ist sehr individuell. Die optimale Herangehensweise zu finden, ist natürlich eine Herausforderung. Zum Beispiel, wenn ein Spieler nicht so redselig ist oder nur schwer die richtigen Worte findet. Das bereitet mir aber unfassbar viel Spaß und es macht mich sehr glücklich, wenn es für einen Spieler am Wochenende funktioniert und er mir im Anschluss erzählt, dass er sich gar keinen Kopf gemacht und sich gut gefühlt hat.