„Ausgeprägte Kommunikationskultur ist der Schlüssel!
Fabian Plachel spricht über seine Arbeit als Leitender Mannschaftsarzt, über Präventionsparameter, Schnittpunkte zum NLZ- und Frauenfußball, Zahnarzttermine und die Wichtigkeit des Schlafs.
Interview: Daniel Grawe
Bilder: Max Galys, Felix Leichum

Fabian, zu Beginn ganz allgemein gefragt: Du bist 2022 als Mannschaftsarzt zur Eintracht gekommen und firmierst seit dieser Saison als Leitender Mannschaftsarzt – was sind die Hauptunterschiede?
Zuallererst im tagtäglichen Umgang mit den Spielern. Ich sehe mich noch mehr in der Rolle, unsere Philosophie auf die medizinischen Bereiche bei den Frauen und im Nachwuchsleistungszentrum zu übertragen und ihnen unsere Erfahrungen weiterzugeben. Dieser Austausch steht im Vordergrund.

Wie kam es eigentlich damals zum Wechsel zur Eintracht?
Die Fußballwelt ist auch auf medizinischer Ebene relativ klein, Florian Pfab kannte ich vorher bereits gut. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis und liegen inhaltlich auf einer Wellenlänge, was das sportmedizinische Verständnis angeht. Als klar war, dass ich das Kapitel Union und Berlin beenden werde, hat sich über Florian die Tür bei der Eintracht aufgetan. Ich musste nicht lange überlegen. Als es konkret wurde, gab es kein Halten mehr.

Welche Strukturen und Inhalte von Florian Pfab, der 2024 nach fünf Jahren nach Brighton gewechselt ist, habt ihr übernommen? Gab es Anpassungen?
Florian Pfab und Christian Haser haben in den vergangenen Jahren Prozesse etabliert, die fruchten und die für mich auch ein Grund waren, nach Frankfurt zu wechseln. Diesen Weg, den wir unter Florian und Christian federführend eingeschlagen haben, führen wir so fort. Grundsätzlich hat sich also nichts geändert. Was sich ändert, sind die Spieler, mit denen wir arbeiten und auf die wir jeweils unterschiedlich eingehen müssen. Zumal auch Sebastian Schneider, der hauptverantwortlich für die medizinischen Belange im NLZ ist und uns als Mannschaftsarzt unterstützt, die Philosophie ebenfalls schon verinnerlicht hatte. Generell hat der Verein im vergangenen Sommer alle offenen Positionen im medizinischen Bereich intern besetzt. Dieser riesige Vertrauensvorschuss von Markus Krösche [Sportvorstand; Anm. d. Red.] freut mich ungemein. Ich denke, er war sich auch im Klaren, dass wir ein sehr stabiles Fundament haben, in dem jeder gut in seine neue Rolle hineinwachsen kann. Deshalb war ich auch nicht der Meinung, im ersten Jahr alles auf den Kopf stellen zu müssen. Stellschrauben, wie mit Sebastian Schneider die Arbeit mit dem NLZ noch enger zu verzahnen, sind viel wichtiger, um unsere Ideen an die anderen Fußballteams weiterzugeben.

Welche Rolle spielt der wissenschaftliche Bereich?
Die Relevanz steigt stetig. Das zeigt auch der Umstand, dass wir den wissenschaftlichen Leiter Winfried Banzer intern entsprechend positioniert haben, weil er einen wesentlichen Einfluss auf unsere Arbeit hat. Wir pflegen zahlreiche Kooperationen, etwa mit der Goethe-Universität, und verfolgen den Ansatz, uns ständig weiterzuentwickeln. Das gilt für den Sport genauso wie die Sportmedizin. Wir sind hier sicher nicht am Ende, suchen immer nach neuen Erkenntnissen, das Thema wird in den nächsten Jahren gewiss einen noch höheren Stellenwert einnehmen.

Seit Jahren halten sich langfristige Ausfälle bei der Eintracht in Grenzen. Was steckt dahinter?
Was die Arbeit bei der Eintracht in meinen Augen ausmacht, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Eine ausgeprägte Kommunikationskultur ist der Schlüssel. In unserem Fall betrifft das neben dem Trainerteam der Austausch mit dem Athletik- und Reha-Team sowie mit den Physiotherapeuten. Wir verfolgen eine gemeinsame Philosophie, was die Belastungssteuerung angeht und wie wir Verletzungen vorbeugen. Das ist das Fundament. Manchmal spielt natürlich auch Glück eine Rolle. Muskuläre Geschichten lassen sich viel besser steuern als Verletzungen, die mit Gegnerkontakt zu tun haben. Das Allerwichtigste ist inhaltlich eine gemeinsame Sprache. Wir können die Jungs natürlich nicht in Watte packen, aber den vermeidbaren Verletzungen können wir alles in allem gezielt vorbeugen. 

Hast du konkrete Beispiele?
Prävention begleitet uns tagtäglich in unterschiedlichen Ausprägungen. Zum Beispiel haben wir eine Ernährungsspezialistin, eine Yoga-Lehrerin und messen auch dem Thema Schlaf eine wesentliche Bedeutung bei. Denn beim Schlafen regeneriert der Körper am besten.

Eure Leistungschecks sind mittlerweile so umfassend, dass sie sogar Termine bei Zahn- und Augenarzt beinhalten. Was hat es damit auf sich?
Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Diese Jahresgrunduntersuchung spielt deshalb eine wesentliche Rolle, weil wir den Spieler zu einem definierten Zeitpunkt zu Saisonbeginn bestmöglich durchleuchten können. Dabei geht es nicht allein darum, jemandem seine Stärken oder Schwächen aufzuzeigen, sondern Parameter zu definieren, an denen wir gemeinsam arbeiten, um Verletzungen vorzubeugen. Wir betrachten den Körper nicht nur lokal, sondern ganzheitlich. Es geht nicht immer nur um Muskelkraft, sondern auch Fehlstellungen, die wir beheben können. Kurz gesagt: Wir starten beim Status quo und überlegen, wie wir den Sollzustand erreichen – sowohl während der Vorbereitung als auch in einer möglichen Verletzungsphase. Es geht ständig um Messen, Machen, Messen, Machen. Das Schönste daran ist, dass das Trainerteam unseren Impulsen sehr aufgeschlossen gegenübersteht und viel Zeit investiert, um sich mit uns auszutauschen.

Frankfurt hat einen der jüngsten Kader der Liga. Gibt es einen Zusammenhang hinsichtlich besserer oder schlechterer Erholung, Heilung, Professionalität?
Die Annahme liegt nahe, dass jüngere Menschen besseres Heilfleisch hätten. Ich sehe hier aber keine größeren Unterschiede. Ich würde generell nicht von gut oder schlecht sprechen, alles hat seine Vor- und Nachteile. Jüngere Spieler haben vielleicht nicht die große Erfahrung im Umgang mit Verletzungen oder Erholung; umso größer ist dafür die Chance, ihnen Wissen zu vermitteln. Entscheidend ist für mich die Selbstbestimmtheit der Spieler. Ein einfaches Beispiel: Wenn ein junges Talent monatelang auf einen Startelfeinsatz hingearbeitet hat und nach einer Stunde ein geschwollenes Gelenk hat, ist sicher nicht der erste Gedanke, sich freiwillig auswechseln zu lassen, obwohl das die beste Option wäre, um eine schlimmere Verletzung zu verhindern. Dafür sensibilisieren wir, damit der Spieler einschätzen kann, was für ihn gesundheitlich am besten ist. Umgekehrt möchten wir dem Spieler das Vertrauen geben, kommunizieren zu dürfen. Das wiederum hat nichts mit „jung“ oder „alt“ zu tun.

Was Ausfalltage angeht, hatte 2023/24 Leverkusen die wenigsten und München die meisten, obwohl beide bis zum Schluss europäisch gespielt haben. Ein Zusammenhang zwischen Belastung und Verletzungsrisiko muss demnach nicht automatisch bestehen?
Die Tabellen kenne ich, aber man sollte nicht die großen Rückschlüsse daraus ziehen. Es ist natürlich naheliegend, dass ein vollständiger Kader die Erfolgschancen steigert, weil der Trainer einfach die besten und meisten Optionen für seine Aufstellung hat. Auf der anderen Seite muss nicht zwangsläufig die Mannschaft mit der höchsten Spielfrequenz die meisten Ausfälle haben, und nicht jede Mannschaft mit mehr Verletzten verliert zwangsläufig mehr Spiele. Das können wir selbst aus eigener Erfahrung sagen: als Ende 2022 die Winter-WM und nach dem Jahreswechsel der Terminkalender mit der Champions League entsprechend voll war, hatten wir trotz vieler Englischer Wochen kaum Verletzte und standen in der Bundesliga gut da.

Welche Maßnahmen ergreift ihr mit Blick auf die Doppelbelastung?
Auch hier geht es ganz wesentlich um Regeneration. Wir versuchen den Spielern mitzugeben, gut und viel zu schlafen. Am Tag nach einem Spiel stehen den Jungs Regenerationsmaßnahmen zur Verfügung, die sie auch brauchen. Ob das jetzt Kältekammer, Sauna oder Yoga ist, kommt auf den Typ und die Situation an. Entscheidend ist, dass wir im ProfiCamp so gut ausgestattet sind. 

Sprechen wir hier von Angeboten oder Verpflichtungen?
Ich würde sagen: Angebote, die alle Spieler sehr gewissenhaft annehmen. Alle sind sich bewusst, wie wichtig ihr Körper für die eigene Leistungsfähigkeit ist. Deshalb würde es auch zu kurz greifen, alle Maßnahmen auf das Trainingsgelände zu reduzieren. Ohne Eigenverantwortung geht es nicht, wie beim eben genannten Faktor gesunder Schlaf. Zu diesem Zweck füllen die Spieler jeden Morgen ein kleines Protokoll aus.

Was hat es damit auf sich?
Wir unterscheiden mit Blick auf die Belastungssteuerung nach objektiven und subjektiven Parametern. Objektive Werte ergeben sich, wenn wir dem Spieler immer morgens ein bisschen Blut abnehmen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie beansprucht die Muskulatur ist. Subjektive Einschätzungen ergeben sich, indem die Jungs täglich vier Fragen beantworten müssen, etwa wie ihr Schlaf war oder wie es um ihr Stresslevel steht. Dann beurteilen wir, wen wir mehr beanspruchen oder vielleicht eher etwas schonen sollten. Das klären wir schlussendlich auch im persönlichen Gespräch mit dem Spieler. Grundsätzlich ist dieser Mix für uns über eine Saison oder sogar Jahre hinweg sehr wertvoll, so lernen wir den Spieler noch besser kennen. Das heißt auch: Je länger einer bei der Eintracht ist, desto besser lassen sich seine Werte interpretieren.

„Wir können die Jungs natürlich nicht in Watte packen, aber den vermeidbaren Verletzungen können wir alles in allem gezielt vorbeugen“

Wie sehen die Aufgabengebiete und ein normaler Arbeitstag in deinem Bereich aus – falls es den überhaupt gibt?
Christian Haser als Leiter der medizinischen Abteilung ist der, der das große Ganze im Blick hat und uns in die Entscheidungen einbezieht – ob das jetzt der leitende Mannschaftsarzt oder der leitende Physiotherapeut ist. Ein klassischer Arbeitstag beginnt früh morgens mit einer internen medizinischen Besprechung, in der wir einmal die Kaderliste durchgehen und gegebenenfalls Informationen vom Vortag weitergeben. Primär befassen wir uns mit den Spielern, hinter denen ein Fragezeichen steht, und wir überlegen, welchen Spieler wir wie belasten können. Es geht also im ersten Schritt um die Trainingsfähigkeit der Spieler. Danach besprechen wir uns mit den Athletiktrainern; im Anschluss mit dem ganzen Trainerteam, dazu Christian Haser, Sebastian Schneider, Timmo Hardung und Pirmin Schwegler, denen wir unsere Einschätzungen erläutern. Für das Trainerteam sind auch Updates mit Blick auf den nächsten Spieltag wichtig, damit Dino Toppmöller möglichst früh Planungssicherheit hat, was den Spieltagskader angeht. Ansonsten geht es viel um tagesaktuelle Themen und die Begleitung der Spieler, die sich in der Reha befinden.

Wie läuft der Austausch mit dem NLZ, vielleicht anhand Beispiels Ebu Bekir Is, der bis zum Saisonende verletzt ausfällt?
An Ebu lässt sich das tatsächlich weniger gut veranschaulichen, da wir ihn wie einen Lizenzspieler betrachten und er die Reha daher bei uns absolviert. Aber natürlich erhalten die Verantwortlichen im NLZ jegliche Informationen, was den Heilungsverlauf betrifft. Grundsätzlich pflegen wir mit allen Beteiligten einen regen Austausch auf allen Ebenen: von den Athletiktrainern im Nachwuchsbereich bis hin zu den Ärztinnen bei den Frauen. Die Größe der Staffs ist zwar nicht mit unserem zu vergleichen, aber am Ende geht es um Profisport und Professionalisierung. Wir haben überall die höchsten Ansprüche.