„Ich war mir nicht bewusst, wie viele Menschen ich erreichen kann“
Eine eigene Mode-Marke – diesen Traum hat sich Nicole Anyomi im vergangenen Jahr erfüllt. ETONAM ist gleichzeitig Nicis erster Vorname und trägt eine besondere Bedeutung für die Nationalspielerin. Zwei Schlüsselmomente für die Gründung: ein junges Mädchen in England und ein Notizblock in einem Hotelzimmer. Auf dem Platz hat die Stürmerin in den vergangenen dreieinhalb Jahren bei Eintracht Frankfurt nicht nur ihre Torquote Saison für Saison in die Höhe geschraubt, sondern auch gelernt, „befreit zu spielen“. Im Interview spricht die 25-Jährige über Leidenschaft und Inspiration, den Umgang mit Selbstzweifeln und Rückschlägen sowie den Wunsch, einen „Eindruck zu hinterlassen“.
Interview: Alina Friedrich, Marie Huhn
Fotos: Martin Ohnesorge
Mittwochmittag. Durch das Fensterglas scheinen ein paar Sonnenstrahlen und bilden ein kleines Spotlight für das kreative Chaos, das sich auf dem Ecktisch im Café ausgebreitet hat. Die Vormittagseinheit ist absolviert, bis zur zweiten Einheit auf dem Platz ist ein wenig Pause. Skizzen und Zeichnungen von Shirts und Hoodies zeigen die Papiere auf dem Tisch, davor sitzt Nicole Anyomi, über ihr iPad gebeugt. Die Zeit zwischen den Einheiten nutzt die Stürmerin gerne für ihr Studium, verrät sie. Modemanagement, im vierten Jahr. Doch bei der bloßen Theorie ist es nicht geblieben …
Nici, was bedeutet Mode für dich?
Mode ist für mich eine Ausdrucksform. Durch Klamotten kannst du zeigen, wie du dich fühlst, entscheidest aber auch selbst, wie du dich anderen zeigen möchtest. Gleichzeitig ist Mode für mich eine Haltung. Wenn man in die Historie schaut, wie sich unterschiedliche Moden entwickeln haben, hat es auch immer einen politischen und kulturellen Aspekt. Es steckt immer eine Geschichte dahinter. Und genau deshalb fasziniert mich Mode auch so.
Hast du dich schon als Kind und Jugendliche gerne gestylt?
Ich habe auf jeden Fall früh angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Wenn auch zunächst aus anderen Gründen. Ich erinnere mich daran, dass ich mir als Jugendliche keine VANS leisten konnte, als die total in waren. Ich bin mit „fake“ VANS zur Schule gegangen und wurde dafür ausgelacht. Da habe ich gemerkt, welche Wirkung Kleidung haben kann. Als ich dann mein erstes Geld mit dem Fußball verdient habe, ging es mir trotzdem nie darum, teure Marken zu kaufen, nur um zu zeigen, dass ich es mir leisten kann. Ich habe gemerkt, dass es darauf ankommt, dass ich das tragen kann, was ich tragen möchte. Und nicht das, was andere von mir erwarten.
Wie kam es dazu, dass du dann deine eigene Brand gründen wolltest?
Nach dem Abitur wusste ich erstmal nicht so genau, was ich machen möchte. Mein erstes Praktikum war in einem Architekturbüro, aber ich habe gemerkt, dass es nicht das Richtige ist. Eigentlich wusste ich damals, glaube ich, schon, dass es mein Traum ist, irgendwann einen eigenen Store zu haben, sei es in Frankfurt, Düsseldorf oder Köln. Irgendeinen Laden, in dem die Leute meine Klamotten kaufen können. Also habe ich mich an der Uni eingeschrieben, wo ich seitdem Modemanagement studiere. Die Entscheidung, eine eigene Brand zu gründen, war damals schon da. Ich habe aber immer wieder daran gezweifelt, ob ich es wirklich durchziehen soll.
Was hat den Ausschlag gegeben, esschließlich umzusetzen?
Es gab einen Schlüsselmoment bei der Europameisterschaft in England im Sommer 2022. Ein junges Mädchen dort hat mich sehr berührt. Sie war auch schwarz, hatte ein Spiel von mir gesehen und hat geweint. Sie sagte, weil sie sich selbst in mir gesehen hat und verstanden hat, dass auch sie alles schaffen kann. Es war mir vorher nicht bewusst, dass ich als Mensch so einen Einfluss auf andere haben kann, ein Vorbild sein kann, auch über das Fußballerische hinaus. Das war für mich eine Motivation, noch mehr aus meiner Komfortzone herauszukommen und zu zeigen: Du kannst deine Träume verfolgen und alles schaffen. Wir alle können das.
ETONAM hat Nicole Anyomi ihre Brand getauft – der gleiche Name, den auch ihre Eltern der Stürmerin gegeben haben. Denn Nicole ist eigentlich nur ihr Zweitname. Dass sie für ihre Mode ihren ersten Namen gewählt hat, hängt mit der Bedeutung des Namens zusammen, erklärt Anyomi. Denn Etonam bedeutet: Gott hat mir geantwortet. „Für mich steht es dafür, dass ich es trotz aller Zweifel am Ende gewagt habe, meiner Leidenschaft, der Mode, nachzugehen. Dass ich ein Zeichen bekommen habe, genau das zu tun.“
Wie fängst du an, wenn du ein neues Kleidungsstück designst?
Es fängt meistens mit einem beliebigen Zettel an. Sobald ich ein Papier in der Hand habe, fange ich an zu zeichnen. Viele meiner Entwürfe sind deshalb auch auf Notizblöcken von Hotels. Dann male ich einfach drauflos. Ich lasse mich von verschiedenen Kulturen inspirieren, viel auch durch Hip-Hop. Viele Ideen werden am Ende nie umgesetzt, andere lasse ich von einem Designer in eine digitale Grafik umsetzen, sodass wir weiter damit arbeiten können. Mir war immer klar, dass ich nicht einfach ein Logo entwerfen will, das ich auf beliebige Shirts drucke. Das ist nicht mein Ding. Jedes meiner Kleidungsstücke soll eine Geschichte erzählen.
Und welche Geschichten möchtest du erzählen?
Auf der Kollektion, die bald rauskommt, ist aufdem Rücken beispielsweise: „Leaving an Impact for Etonam“ zu lesen. Das bedeutet für mich: Hinterlasse einen Eindruck. Und trage selbst dazu bei, die Welt schöner zu hinterlassen. Niemand ist alleine und jeder kann etwas bewegen.
Du hast angesprochen, dass du dich durch Hip-Hop inspirieren lässt. Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?
Eine sehr große, ich höre sehr viel und gerne Musik. Eigentlich auch wirklich alles – außer Schlager, wobei ich auch da mal mitfeiere, wenn es in der Kabine läuft (lacht). Der Schriftzug „Leaving an Impact for Etonam“ wurde zum Beispiel durch ein Album meines Lieblingskünstlers Burna Boy inspiriert. Abseits davon spielen aber auch Gospel und afrikanische Musik eine große Rolle in meinem Leben.
Die vielen Zeichnungen auf dem Tisch verraten nicht nur, dass Nici voller Kreativität steckt. Die zahlreichen Skizzen, die es nicht zu einem fertigen Produkt geschafft haben, verraten auch einen gewissen Perfektionismus der bald 150-fachen Bundesligaspielerin. Es muss nicht nur gut aussehen, die Geschichte dahinter muss spürbar sein.
Bist du grundsätzlich jemand, der sich viel und intensiv mit sich selbst auseinandersetzt?
Ich bin schon ein kleiner Overthinker. Positiv wie negativ. Wenn ich vom Training beispielsweise komme, denke ich auf der Heimfahrt definitiv nochmal darüber nach, wie es lief und was vielleicht jemand zu mir gesagt hat. Das ist nicht immer gut, manchmal wäre es besser, die Dinge einfach auf dem Platz zu lassen und nicht alles zu hinterfragen. Gleichzeitig finde ich es auch gut, sich intensiv mit Themen auseinanderzusetzen – sei es durch Bücher oder den Austausch mit Freundinnen.
Gibt es jemanden aus dem Team, mit dem du dich besonders viel austauschst?
Sara [Doorsoun; Anm. d. Red.] kennt mich schon ewig, mit ihr kann ich über alles reden und sie alles fragen. Sie ist ja auch ein paar Jahre älter als ich und hat viel Erfahrung gesammelt. Sie ist definitiv immer die Erste, zu der ich gehe.
Gerade als Stürmerin wird man meist an Toren gemessen. Wie gehst du mit dem Druck um, der auch von außen kommt?
Es gab eine lange Phase, in der ich diesen Druck, unbedingt Tore schießen zu müssen, weil das eben als Stürmerin zählt, sehr stark gespürt habe. In dieser Zeit lief es auch nicht besonders gut. Ich habe mich ständig hinterfragt. Erst als ich Stück für Stück aufgehört habe, diesen Druck an mich heranzulassen, lief es plötzlich. Das hat mir wieder mal gezeigt, dass es manche Dinge im Leben gibt, die nicht dadurch besser werden, dass man immer wieder darüber nachdenkt. Manchmal muss man einfach machen, nicht denken. Klar will ich Tore schießen, aber in erster Linie zählt es, dass wir als Mannschaft gewinnen.
2021 wechselte Nicole Anyomi von der SGS Essen – ihrer ersten Bundesligastation – zu Eintracht Frankfurt. Auf vier Treffer in der Debütsaison unter dem Adlerdach folgten in der Saison 2022/23 acht Tore, in der vergangenen Saison netzte die 25-Jährige ganze elf Mal. Auch in der aktuellen Saison trug sich die gebürtige Krefelderin schon zehn Mal (Stand nach 18 Spieltagen) in die Torschützinnenlisten ein – Platz fünf in der Liga.
Wie siehst du deine eigene Entwicklung in den vergangenen dreieinhalb Jahren hier in Frankfurt?
Ich kam mit einer Verletzung nach Frankfurt, dadurch habe ich in der ersten Saison nur wenig spielen und meine Leistung nicht wirklich abrufen können. So richtig angekommen bin ich seit der vergangenen Saison. Ich habe es geschafft, mich immer mehr zu steigern. Das sieht man nicht nur an meinen Scorerpunkten, sondern auch insgesamt auf dem Platz. Ich denke, man kann sehen, dass ich viel befreiter und erwachsener Fußball spiele.
27 Länderspiele hast du für Deutschland absolviert, im Sommer steht die Europameisterschaft an. Zuletzt musstest du allerdings erneut erfahren, dass du zum Lehrgang nicht eingeladen wurdest. Wie gehst du mit solchen Rückschlägen um?
Der Fußball ist sehr schnelllebig, von heute auf morgen kann sich viel ändern. Ich war jetzt zum dritten Mal nicht für die Nationalmannschaft nominiert, ich konnte mich also schon ein wenig darauf einstellen. Natürlich ist es sehr schade und ich bin sehr enttäuscht, vor allem, weil ich meine Leistung im Verein bringe. Ich würde gerne wieder die Chance haben, mich international zu beweisen. Die Europameisterschaft ist definitiv ein Traum. Es ist noch Zeit bis zum Saisonende, umso mehr konzentriere ich mich auf unsere verbleibenden Spiele mit der Eintracht. Wenn ich fit bleibe und meine Leistung halte, bewahre ich mir die Hoffnung.
Du sprichst es an, der Endspurt in der Liga läuft. Was ist drin für euch?
Wir haben uns als Mannschaft nochmal zusammengesetzt und haben für uns festgehalten, was für die letzten Spiele entscheidend ist. Und zwar, dass jede ihre Rolle annimmt und wir alle 100 Prozent schon im Training geben, um am Wochenende die 100 Prozent abrufen zu können. Das Ziel ist es, mindestens Dritter zu werden. Bis zum Schluss kann einiges passieren. Wir wissen alle, wie besonders es ist, Champions League zu spielen. Wir wollen uns wieder international messen und diese großen Spiele bestreiten.