Dramatisch, emotional, aber irgendwie auch ganz entspannt
Vor zehn Jahren gewinnt der 1. FFC Frankfurt in Berlin das Finale der UEFA Women’s Champions League. Torhüterin Desirée Smisek (geb. Schumann) und Co-Trainer Kai Rennich blicken auf den historischen Tag und die Reise dorthin zurück, die beschwerlich begann, sich zwischenzeitlich fast wie Urlaub anfühlte und mit einer Heimkehr endete.
Text: Marie Huhn
Fotos: Alfred Harder, Frank Hess, Jan Hübner, Stefanie Stavrakidis, FFC-Archiv

„Ich bezeichne unsere Anreise mal als … beschwerlich.“ Ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht von Kai Rennich verrät, dass doch ein bisschen mehr dahintersteckt. Genauer gesagt: zwei Zwischenstopps, ein Nachtflieger, drei Stunden Zeitverschiebung, insgesamt rund 15 Stunden Anreise. So fing alles an. „Vor Ort mussten wir erstmal klären, dass wir statt Pferdefleisch gerne lieber Hühnchen essen würden.“ Und auch Desirée Smisek erinnert sich rückblickend mit einem Lachen: „Wir waren alle fix und fertig – in einem Hotel in the middle of nowhere. Alles war so weit weg von dem, was wir aus der Bundesliga kannten.“

Die erste Reise in der Champions-League-Saison 2014/15 führte den 1. FFC Frankfurt im Hinspiel zum kasachischen Rekordmeister BIIK Kazygurt, mehr als 5.500 Kilometer von der Mainmetropole entfernt und auch kulturell durchaus eine Umgewöhnung, die es Mitte Oktober im Jahr 2014 zu bewältigen gab. Denn eigentlich wollte man doch zu Beginn dieser Reise sportlich direkt voll da sein.

Da zu sein, ist ein gutes Stichwort, denn kurz vor Anpfiff gab es noch eine weitere Stolperfalle in Eurasien: „Wir als Trainerteam waren – weil es keine weitere Kabine gab – im Büro des Vereinspräsidenten untergebracht; entsprechend pompös sah es aus“, erinnert sich Rennich. „Als wir fünf Minuten vor Anpfiff zum Platz wollten, war die Tür von außen verschlossen, wir kamen nicht raus. Erst als wir uns lautstark bemerkbar gemacht haben, haben wir es gerade noch rechtzeitig geschafft.“ Rund lief an diesem ersten Spieltag also so wirklich gar nichts – auch auf dem Platz nicht: Ein 2:2 stand nach Abpfiff auf der Anzeigetafel. „Wir haben echt schlecht gespielt“, gibt Rennich zu. Und auch Smisek erinnert sich: „Ich weiß noch, dass Colin [Bell, damaliger Trainer, Anm. d. Red.] richtig sauer war. Zu Recht. Es war ein seltsamer Start in diese Champions-League-Saison.“ Aber mit einem Happy End: Bei einem souveränen 4:0 in gewohnter Umgebung im Stadion am Brentanobad wurde der Achtelfinaleinzug trotzdem klargemacht.

Hätte man dem damaligen Team von Trainer Colin Bell gesagt, dass das Sechzehntelfinale in Kasachstan die größte Stolperfalle bis zum Finale werden würde, hätte das wohl kaum jemand geglaubt. Auf dem Weg aus den besten 16 zu den besten Zwei war allerdings eine gute Portion Losglück im Spiel. Mit einem 5:0-Erfolg im Hinspiel im Gepäck ging es im Achtelfinale zum ASD Torres nach Sardinien, was sich aufgrund der guten Ausgangssituation „ein bisschen wie Urlaub angefühlt hat“, beschreibt Co-Trainer Rennich. Hotel am Hafen mit Blick aufs Wasser, Pizza essen vor und nach dem Spiel. „Überragendes Wetter – bis eine Stunde vor Anpfiff. Dann ging die Welt unter.“ Geschadet hat es nicht. Mit einem 4:0-Auswärtssieg war der Viertelfinaleinzug mehr als klar.

Und es sollte in den nächsten beiden Runden sogar noch eindeutiger werden. 5:0 in einem „typisch englischen, schönen altehrwürdigen Stadion“ beim Bristol Academy WFC, 7:0 im Rückspiel und ein Halbfinale gegen Dänemarks Vizemeister Brøndby IF, das mit einem 7:0-Hin- und 6:0-Rückspielerfolg sogar die höchsten Siege hervorbrachte. So zog der 1. FFC Frankfurt erstmals seit 2012 wieder in ein Finale der UEFA Women’s Champions League ein.

Der Gegner: Paris Saint-Germain, ein Team, das auf dem Weg dorthin unter anderem Olympique Lyon und den VfL Wolfsburg aus dem Wettbewerb eliminierte. „Lyon war damals das Maß aller Dinge, auch wir hatten im Finale 2012 in München gegen sie verloren. Paris hatte durchaus einige Topspielerinnen in ihren Reihen. Trotzdem wussten wir, wir haben eine Chance“, erklärt Smisek, und Rennich unterstreicht: „Dadurch, dass Paris zwei Topfavoriten besiegt hatte, waren wir natürlich gewarnt. Trotzdem haben wir uns mindestens eine 50:50-Chance ausgerechnet.“

14. Mai 2015: Finaltag in Berlin. Aufstehen, Frühstück, Aktivierung, Teammeeting – „der Ablauf war im Grunde wie bei jedem anderen Spieltag. Wir haben keinen Aktionismus betrieben, sondern das Team in seiner Routine gelassen. Es lief alles ziemlich entspannt ab“, beschreibt Rennich, wie der Finaltag für das Team startete. Das von der UEFA zugeteilte Hotel kannte man bereits aus Bundesligaspielen gegen Turbine Potsdam, kannte Wege, Ansprechpartner, Gegebenheiten. „Was es uns in Kasachstan so schwer gemacht hat, war hier das genaue Gegenteil. Wir kannten alles, es war vertraut. Diese Routinen helfen dir total, das Spiel nicht noch größer werden zu lassen, als es eh schon ist“, bestätigt auch Smisek.

„Mir die europäische Krone in meiner Heimatstadt aufzusetzen – es war der schönste Titel meiner Karriere“
Desirée Smisek

So war von der großen Nervosität, die man erwarten könnte, ungewöhnlich wenig zu spüren. „Ich muss sagen, ich habe total in mir geruht. Das waren in meiner Karriere immer die schönsten Momente, wenn ich mit so einer Ruhe in Spiele gehen konnte. Natürlich war ich nervös, aber gleichzeitig hatte ich so eine Vorfreude. Es war eine positive Anspannung.“

Für die damals 24-jährige Torhüterin war es nämlich nicht nur das dritte Champions-League-Finale ihrer Karriere, als gebürtige Berlinerin durfte sie das entscheidende Spiel auch in ihrer Heimatstadt bestreiten. „Auf der Busfahrt zum Stadion habe ich ‚An Tagen wie diesen‘ von den Toten Hosen gehört. Und irgendwie hat es sich auch wie mein Tag angefühlt. Natürlich war es der Tag des gesamten Teams, aber für mich als gebürtige Berlinerin war es vielleicht nochmal einen Tick besonderer als für die eine oder andere.“

Im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark warteten auf das Team bereits 17.147 Zuschauende, ein kleiner, durchaus stimmungsvoller Pariser Gästeblock. Ganz klar zu spüren aber war: Das wird hier heute ein Heimspiel. „Es war eine geile Stimmung, die Leute, die da waren, hatten Bock auf das Spiel, das hat man zu jeder Zeit gespürt.“

Der 1. FFC Frankfurt startete gut in die Partie, dominant und mit viel Ballbesitz. Dzsenifer Marozsán hatte mit einem abgeblockten Schuss die erste Chance des Spiels nach Hereingabe von Bianca Schmidt. Kurz darauf parierte die Pariser Torhüterin Katarzyna Kiedrzynek mit einem Hechtsprung einen Marozsán-Freistoß. Nicht mal zehn Minuten waren gespielt. Die Belohnung folgte in der 32. Minute: Eine leicht abgefälschte Flanke von Kerstin Garefrekes fand Célia Šašić, die per Kopf den Ball ins Netz beförderte und gleichzeitig mit ihrem 14. Treffer im laufenden Wettbewerb einen neuen Rekord aufstellte. „Für mich war es lange Zeit ein sehr ruhiger Abend“, erinnert sich Smisek. Erst in der 40. Minute kam der erste gefährliche Schuss aufs Tor, Smisek hielt. Doch bei der anschließenden Ecke köpfte die Französin Marie-Laure Delie unhaltbar in den Kasten. Ausgleich. „Psychologisch nicht der beste Zeitpunkt.“

Tatsächlich wurde das Spiel im zweiten Durchgang ausgeglichener, das Spielgeschehen verlagerte sich ins Mittelfeld, Chancen wurden selten. „Je länger das Spiel ging, desto weniger wollte irgendwer noch einen gefährlichen Pass spielen oder sich zu sehr öffnen“, sagt Smisek. „Gerade in den letzten zehn Minuten war es eigentlich nur noch Fehlervermeidung.“ Und so begannen die Gedankenspiele: „Für mich war zu dem Zeitpunkt sicher: Es geht auf jeden Fall in die Verlängerung. Ich habe auf die Anzeigetafel geschaut und mir gesagt: Desi, jetzt reiß‘ dich nochmal zusammen. Auch über ein Elfmeterschießen denkt man als Torhüterin nach.“ Auf der Bank begannen ebenfalls die Überlegungen, sagt Rennich: „Was für Wechseloptionen hast du? Wer hat schon Gelb? Lassen wir potenzielle Elfmetertorschützinnen drauf?“

Und dann … „Dann kam dieses Tor!“ In der zweiten Minute der Nachspielzeit gelangte der Ball zu der eingewechselten Mandy Islacker. Rennich: „Sie nimmt den Ball auf eine Weise an, wie sie es eigentlich gar nicht darf. Sie muss ihn mit rechts schießen, macht stattdessen einen Scherensprung und nimmt ihn mit ihrem starken Linken. Jede andere hätte ihn vermutlich mit rechts genommen und vielleicht drübergeschossen. Aber Mandy ballerte ihn rein.“ 90.+2, die Führung für den 1. FFC Frankfurt! Riesiger Jubel auch zwischen den Pfosten auf der Gegenseite: „Ich bin sofort runter auf die Knie. Da bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut, das war unglaublich“, erzählt Smisek. Noch drei Minuten zittern, aber dann …

Abpfiff! „Man springt zusammen, kann es noch gar nicht richtig greifen, liegt sich in den Armen, ist voller Adrenalin – es war ein Durcheinander. Wir haben alle auch noch einen Diver versucht, aber der Rasen war so trocken, dass unsere Knie danach offen waren“, erinnert sich Smisek mit einem Lachen. Genauso wie an einen kleinen Fauxpas bei der Siegerehrung: „Ich bekomme meine Medaille, gehe vom Podest, wir laufen mit dem Pokal rum, feiern – da fällt Saskia Bartusiak plötzlich auf, dass ich eine Silbermedaille um den Hals hängen habe. Ich hatte da irgendwie gar nicht drauf geachtet. Entsprechend gibt es auch einige Fotos von diesem Tag von mir mit der Silbermedaille, bevor ich sie noch umtauschen konnte.“

Feiern auf dem Platz, Feiern in der Kabine, offizielles Dinner, und ab in den Club. „Dann genießt du einfach nur noch den Moment mit dem Team, mit den Leuten, die dir wichtig sind. Du singst, du feierst, nimmst alles mit“, erklärt Smisek und hat zumindest noch die Burger gut in Erinnerung, die tief in der Nacht fürs Team spontan organisiert wurden. Ein Team, das sich am Ende durch den Zusammenhalt ausgezeichnet habe. „Wir hatten großartige Einzelsportlerinnen, aber oft das Problem, dass wir es in den entscheidenden Momenten nicht geschafft haben, als Team zu funktionieren.“ So sei man auch in den Vorjahren immer wieder an großen Spielen gescheitert, habe Meisterschaften verloren, das DFB-Pokalfinale 2012 genauso wie das UWCL-Finale 2012 in München. „Aber auf den Punkt war in diesem Jahr der Zusammenhalt da, den wir gebraucht haben, um diesen Erfolg zu schaffen.“ Auch wenn in den Runden zuvor etwas Losglück dabei war: Die stärkste Leistung zeigte der FFC im Endspiel gegen Paris.

Kai Rennich stimmt zu: „Alle Egos haben sich in dieser Saison untergeordnet. Ob wir auf dem Weg ins Finale immer die stärksten Gegner hatten, sei dahingestellt. Und wenn du am Ende des Tages durch so ein Tor in der Nachspielzeit gewinnst, ist auch etwas Spielglück dabei. Aber das gehört dazu. Und: Wir haben jeden besiegt. Und das zählt. Wir hatten uns diesen Titel verdient.“ Einen Titel, von dem, obwohl es nicht ihr einziger war, Smisek auch heute noch sagt: „Mir die europäische Krone in meiner Heimatstadt aufzusetzen – es war der schönste Titel meiner Karriere.“

 

Desirée Smisek (geb. Schumann) spielte von 2011 bis 2018 als Torhüterin beim 1. FFC Frankfurt und wurde in dieser Zeit DFB-Pokalsiegerin 2014 und Champions-League-Siegerin 2015. Mit Turbine Potsdam wurde sie zuvor dreifach Deutsche Meisterin und gewann die UWCL im Jahr 2010. Heute arbeitet sie bei Eintracht Frankfurt im Bereich Vermarktung und Partnerschaften.

Kai Rennich arbeitet seit mittlerweile 15 Jahren als Co-Trainer beim 1. FFC Frankfurt beziehungsweise Eintracht Frankfurt. In dieser Zeit sammelte er neben der Champions-League-Trophäe noch zwei Titel im DFB-Pokal (2011 und 2014). Beide standen bereits 2012 im Finale der Champions League im Münchner Olympiastadion, mussten sich dort Olympique Lyon aber 0:2 geschlagen geben.