Goldfüßchen und große Kämpfer
Vor 60 Jahren gelang den Rugby-Herren von Eintracht Frankfurt ein sportliches Wunder: Der Außenseiter aus dem Rhein-Main-Gebiet wurde deutscher Rugby-Vizemeister. Eine Erinnerung an Mut, Zusammenhalt und ein ganz besonderes Finale.

Es war der 13. Juni 1965: Ein sonniger Frühsommertag in Hannover. Rund 2.000 Zuschauer drängten sich auf den Tribünen – Freunde, Familie, Fans. Auf dem Platz: Eintracht Frankfurt gegen Victoria Hannover-Linden. David gegen Goliath im großen Finale um die Deutsche Meisterschaft. Während Hannover um seinen elften Meistertitel kämpfte, galt Frankfurt als Neuling in diesen Gefilden.

Einer von den Adlerträgern auf dem Platz war Bernd Müller. Heute ist er 81 Jahre alt, doch an diesen Tag erinnert er sich, als wäre es gestern gewesen. „Es war ein sonniger Tag, wir trugen unsere gestreiften Trikots“, sagt er. „Ich spielte in der Dreiviertelreihe – das sind die schnellen Leute.“ Und schnell musste er auch sein: Bereits in der ersten Hälfte zog Hannover davon, legte alle 17 Punkte, die am Ende auf ihrem Konto stehen sollten.

Doch Müller hatte seinen großen Moment. Nachdem Frankfurts Top-Kicker einen Straftritt – das ist im Rugby eine Art Freistoß auf die Stangen nach einem Regelverstoß des Gegners – vergab, trat Müller aus über 40 Metern Entfernung an und verwandelte. „Von da an wurde ich Goldfüßchen genannt“, erzählt er mit einem Lächeln. Zur Halbzeit stand es somit 17:6 für den Gegner.

Frankfurt kämpfte sich Stück für Stück zurück ins Spiel. „Wir wechselten unsere Strategie und spielten nur noch über den Sturm“, erinnert sich Müller. Und dieser Sturm hatte Wucht: Spieler wie Ditmar Kunz – 1,98 Meter groß, 110 Kilogramm schwer – schoben sich unaufhaltsam nach vorne. „Wenn so ein Mann auf einen zurennt, geht einem schnell die Düse“, sagt Müller. Zwei weitere Straftritte – einer verwandelt von Müller selbst – verkürzten den Rückstand. Am Ende fehlten nur fünf Punkte, für den ganz großen Triumph reichte es aber nicht. Hannover gewann mit 17:12.

„Das Wort ‚verloren‘ hatte für uns nicht den gleichen Klang wie sonst“
Bernd Müller

„Natürlich war es schade. Aber das Wort ‚verloren‘ hatte für uns nicht den gleichen Klang wie sonst“, sagt Müller. „Wir haben für unsere Verhältnisse wirklich gut gespielt. Deshalb hat es nicht so wehgetan.“ Und doch: Ein paar Tränen flossen – auch bei ihm.

Dass die Eintracht so weit kam, war eine Sensation. Der Weg ins Finale führte über Teams wie den TSV Siemensstadt, der als klar stärker eingeschätzt wurde. „Dass wir die einfach 9:0 schlagen, damit haben wir nicht gerechnet“, sagt Müller. Auch der 13:0-Sieg gegen den Polizeisportverein Hamburg sei etwas ganz Besonderes gewesen.

In der deutschen Rugby-Landschaft galten Frankfurt und andere westdeutsche Teams lange als Außenseiter. Rugby war traditionell im Norden und Südwesten stark verwurzelt – Hannover und Heidelberg galten als Hochburgen des Rugbysports. Regionen, die durch die britische und französische Besatzung nach dem Krieg geprägt wurden. Frankfurt hingegen war für viele ein Niemandsland beim Thema Rugby. Umso höher ist die Leistung der Eintrachtler von 1965 einzuschätzen. 

„Wir hatten eine schöne Zeit, es war ein großer Erfahrungswert“, sagt Müller rückblickend. Namen wie Helmut Bittner oder Ditmar Kunz sind für ihn unvergessen – die „very old boys“ erzählen sich heute noch die alten Geschichten, auch wenn leider viele der Spieler von damals inzwischen verstorben sind.

Bernd Müllers aktive Zeit auf dem Rugbyfeld liegt Jahrzehnte zurück – und doch wirkt der Tag des Finales im Jahr 1965 für ihn bis heute nach. Die Vizemeisterschaft jährt sich zum 60. Mal, aber geblieben ist mehr als nur eine sportliche Erinnerung. „Rugby war eine Bereicherung in meinem Leben“, sagt Müller. Nicht nur körperlich habe ihn der Sport geprägt, sondern auch menschlich und sogar sprachlich: „Dass ich durch Rugby Kenntnisse im Französischen und Englischen mitgenommen habe, das ist schon toll.“

Auch heute laufen in Frankfurt weiterhin Rugbyspielerinnen und -spieler mit dem Adler auf der Brust auf. Die Abteilung ist gewachsen, neue Generationen knüpfen an eine Tradition an, deren Fundament vor Jahrzehnten gelegt wurde – mit Charakter, Teamgeist und einem „Goldfüßchen“.