20 Aufstiegsgründe und Schlüsselmomente
Der Trainer
Friedhelm Funkel. Der akribische Arbeiter. „Auf den Fußball fokussiert, ohne Ballyhoo an der Seitenlinie, er hat Spieler besser gemacht“, urteilt Heribert Bruchhagen heute. Funkel ist der Ruhepol. Heute, mit 71 Jahren, das zeigte er gerade erst wieder in Köln. Aber auch schon damals. „Der Aufstieg muss der Anspruch sein, und das ist durchaus machbar“, sagt er bei seiner Auftaktpressekonferenz im Juni. Als es sportlich nicht immer nach Wunsch lief, macht Friedhelm Funkel Friedhelm-Funkel-Sachen. Mit acht Punkten Rückstand geht dieEintracht in die Winterpause, und sollte der Auftaktsieg im neuen Jahr nicht gelingen, „haben wir immer noch 16 Spiele und werden in aller Ruhe unsere Ziele weiterverfolgen“. In der Ruhe liegt die Kraft.
Die Mannschaft
„Ich warne davor, nur auf die Jungen zu setzen. Für unser Ziel braucht man auch erfahrene Spieler“, sagt Funkel schon während der Vorbereitung. Nach den Abgängen von unter anderem Ioannis Amanatidis, Ingo Hertzsch, Christoph Preuß, Ervin Skela und Urgestein Uwe Bindewald arbeiten Vorstandsboss Heribert Bruchhagen und der neue Chefscout Bernd Hölzenbein daran, den jungen Wilden um Markus Husterer (bei Saisonbeginn 21 Jahre alt), Christopher Reinhard (19), Marco Russ (18), Patrick Ochs (20), Daniyel Cimen (19) und Alex Meier (21) auch gestandene Akteure an die Seite zu stellen. Unter anderem mit Torben Hoffmann (29) und Arie van Lent (33). Erst in der Rückrunde findet sich die Mannschaft, auch wenn erfahrene Kräfte wie Jens Keller (33/kam ohnehin aus einer einjährigen Verletzungspause) und der Aufstiegsheld von 2003 Alexander Schur (beide 33) dann nur noch wenig bis gar nicht spielen. „Trotzdem hat Alex als mein Gesprächsvertrauter und wichtiger Mann in der Kabine einen ganz entscheidenden Anteil am Aufstieg. Dass sich die jungen Leute so entwickeln konnten, lag an seinem Charakter“, meint Bruchhagen heute.
Die Heimstärke
Die Haupttribüne war in der Sommerpause 2004 im Zuge des kompletten Stadionneubaus für die WM abgerissen worden, das Fassungsvermögen war auf etwas über 30.000 Zuschauer beschränkt. Letztlich kommen rund 23.000 Fußballfans im Schnitt zu den Partien. Dies hält die Eintracht nicht von einer herausragenden Saison vor eigenem Publikum ab. 14 Siege aus 17 Spielen, zwischenzeitlich zehn Erfolge in Serie – Vereinsrekord!
Die Trainer-Konstanz
Am elften Spieltag verliert die Eintracht zum vierten Mal in Folge, der Abstiegsplatz (nur ein Punkt entfernt) liegt weit näher als Platz drei. Vorstandsboss Bruchhagen sagt: „Nun müssen wir sehen, wie wir wieder in die richtige Spur kommen. Mit dem Trainer, denn schließlich genießt Herr Funkel unser Vertrauen.“ Natürlich habe es im Laufe der Saison Kritik gegeben, auch an ihm. „Das ist normal“, erklärt Bruchhagen mit dem Abstand von 20 Jahren entspannt. Funkel bleibt – und siegt am nächsten Spieltag wieder …
Die erste weiße Weste
… mit 2:0 gegen Aue am zwölften Spieltag. Die Eintracht bleibt erstmals ohne Gegentor.
Die beiden Partien gegen Aue
Auch der zweite Saisonvergleich mit der Mannschaft aus dem Erzgebirge spielt eine große Rolle. Nach dem 5:0 in Aue, dem von den Fans online zum besten Saisonspiel auserkorenen Vergleich, steht die Eintracht nach 29 Partien erstmals auf Rang drei. Und gibt diesen nicht mehr ab.
Die Torwarthierarchie
Während der Vorbereitung entscheidet sich Friedhelm Funkel für Markus Pröll als Nummer eins, er hatte in der vergangenen Bundesligasaison nur in den letzten drei Partien gespielt. Oka Nikolov reagiert enttäuscht, nimmt es aber gewohnt sportlich und hält Pröll den Rücken frei. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Pröll fehlt nur einmal in der Bundesliga – wegen Rückenbeschwerden.
Die nicht erfolgte Schönspielerei
Friedhelm Funkel hat’s vorher gewusst. „In der Zweiten Bundesliga sind Kampfkraft, Laufbereitschaft und eiserner Wille gefragt. Da geht es nicht mit Schönspielerei, da gibt es auch mal auf die Stäbe.“ In der Tat ist die Eintracht eher die Arbeitermannschaft.
Richtlinie I: Finanzen
Heribert Bruchhagen betont auch in schlechten Phasen immer wieder, „unsere drei Richtlinien nicht aufzugeben“. Nummer eins: Nicht mehr ausgeben als einzunehmen. Kein Wunder, dass Finanzvorstand Dr. Thomas Pröckl vor der Saison meint: „Wir haben die beste finanzielle Situation, seit ich bei der Eintracht bin“. Schließlich hat der gebürtige Bensheimer auch den Sommer 2002 mitgemacht, als die Eintracht um die Zweitligalizenz kämpfte – letztlich mit Erfolg.
Richtlinie II: Junge Spieler
„Wir wollen junge Spieler aus dem eigenen Verein zu Stammspielern machen“, so Bruchhagen. Rückkehrer Patrick Ochs kommt 2004/05 auf 28 Einsätze, dem ganz jungen Marco Russ (drei Einsätze) sollte der Durchbruch später noch gelingen. Der wie Russ in Hanau geborene Daniyel Cimen (9) bekommt ebenfalls Möglichkeiten.
Richtlinie III: Deutschsprachige Spieler
17 Deutsche und drei weitere Deutschsprachige bilden zum Saisonstart den Kader. „Diese Tendenz ist gewollt“, sagt Bruchhagen damals, für den es primär um das Sprachverständnis geht. Auch der im Winter aus Skopje verpflichtete Aleksandar Vasoski habe sich schnell integriert.
Der Fußballgott
In der Vorsaison war Alex Meier nur auf vier Kurzeinsätze in der Bundesliga für den HSV gekommen, der gegen Ende der Transferfrist den 21-Jährigen nach Frankfurt verleiht. Die Saison 2004/05 wird zum Booster für den späteren Fußballgott, der als einziger Adlerträger in allen 34 Partien auf dem Rasen steht und neun Tore erzielt. Viele weitere sollten für die Eintracht in den nächsten 13 Jahren folgen.
Der „In Die Jahre Gekommene Mittelstürmer“
Arie van Lent hat Titel mit Werder gewonnen und in der Vorsaison 14 Scorerpunkte für Bundesligist Mönchengladbach erzielt. 16 Tore und sechs Vorlagen stehen am Saisonende zu Buche, besser sind nur der Kölner Lukas Podolski (34) und Unterhachings Francisco Copado (27).
Der Geplatzte Chris-Wechsel
Es geht im Sommer 2004 hin und her mit dem Brasilianer Chris, der eigentlich den Verein verlassen wollte, letztlich aber mit 20 Einsätzen und zwei Toren zum Aufstieg beiträgt.
Der Last-Minute-Winter-Transfer
Die Mannschaft ist nach dem erwähnten 0:3 gegen Karlsruhe Ende Januar am Boden, als Heribert Bruchhagen rund eine Viertelstunde vor Transferschluss im Januar 2005 die Rückkehr von Jermaine Jones eintütet. „Wir haben noch lange nicht aufgegeben und hoffen, mit Jones‘ Elan den Anschluss an die Spitzengruppe zu schaffen“, sagt Bruchhagen damals, heute ergänzt er: „Jermaine war privat oft in Frankfurt, wir konnten ihn leihen für kleines Geld. Das bot sich also an.“ Der Frankfurter Junge passt genau in die Richtlinien des Vorstandsbosses. „Ich bin nicht mehr der alte Jones, der um die Häuser zieht“, beteuert der 24-Jährige, der fortan fast durchgängig auf dem Platz steht.
Das Fass Bier
Über Christian Lenze schwärmt Heribert Bruchhagen bei dessen Verpflichtung: „Seit Andy Brehme hat es keinen Spieler mehr gegeben, der mit beiden Beinen so stark ist.“ Lenze wiederum, der immerhin auf 16 Einsätze kommt, gibt nach dem 1:2 in Fürth am neunten Spieltag inmitten der Niederlagenserie ein Bonmot zu Protokoll: „Vielleicht sollten wir ein Fass Bier in den Raum rollen, zusperren und uns einfach mal besaufen.“ Ob’s passiert ist, ist nicht überliefert.
Das 1:0 Gegen Köln
Direkt nach dem 0:3 gegen den KSC empfängt die Eintracht mit viel Druck Aufstiegstopfavorit und Tabellenführer 1. FC Köln, der unter Huub Stevens gerade Burghausen mit 8:1 besiegt hatte. Die Eintracht gewinnt durch Arie van Lents Kopfballtor mit 1:0. Es ist vielleicht der Wendepunkt in der bis dato mittelmäßigverlaufenen Saison.
Die Eigendynamik des Erfolgs
Auch Heribert Bruchhagen ist für sprachliche Kreativität bekannt. Nach der dritten Pleite in Serie gegen Ahlen im Oktober sagt er: „Ich bin überzeugt davon, dass wir die Eigendynamik des Erfolgs bald erreichen werden.“ Hat noch etwas gedauert, aber sie kam. 2018 spricht Bruchhagen als Vorstandschef des HSV übrigens von der „Eigendynamik des Misserfolgs“.
Die Rückrunde
Kurzer Reminder zum FR-Zitat nach dem 19. Spieltag („Der Traum vom Aufstieg ist ausgeträumt“). Der erfahrene Aufstiegscoach Funkel frohlockt am Tag der Vollendung: „Ich war noch mit keiner Mannschaft so weit weg wie mit der Eintracht. Dann leistet diese Mannschaft Wahnsinniges, spielt diese famose Rückrunde.“ Die Adlerträger gewinnen zwölf Partien in der Rückrunde, alle ohne Gegentor! Kein Verein holt im neuen Jahr mehr als die 36 Punkte der Eintracht.
Die Beiden Partien Gegen Burghausen
Erst am 17. Spieltag gelingt der erste von insgesamt nur fünf Auswärtssiegen, ein humorloses 3:0 in Burghausen. Ebenso endet die Partie im Mai zum Saisonkehraus, als die Eintracht den Punktevorsprung über die Ziellinie bringt. Da Konkurrent 1860 München gegen Ahlen verliert, hätte sogar eine Niederlage gereicht. Freudentaumel in Frankfurt also am 22. Mai 2005! „Der Aufstieg war zwingend notwendig und wir haben es geschafft“, bilanziert Heribert Bruchhagen heute.
Text: Michael Wiener
Bilder: imago images