Vier Gedenkstätten und Sonny im Geiste
In Teil V der Spurensuche (nähere Infos dazu im Kasten rechts) führt die Abschlussreise nach Berlin. Schwerpunkt der Reihe war in diesem Jahr der Widerstand gegen das NS-Regime – den es zwar durchgehend und in verschiedenen Formen gegeben hat, der aber Schätzungen zufolge nur 0,4 bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerung zuzurechnen ist.

Die Exkursion nach Berlin beinhaltete neben drei Führungen in bedeutsamen Orten der NS-Geschichte (Gedenkstätte Plötzensee, Bendlerblock, Olympiastadion) einen abschließenden Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin Mitte. Erstmals fuhr die Reisegruppe nicht mit dem Bus, sondern mit dem Zug. Im Geist fuhr natürlich Helmut „Sonny“ Sonneberg mit, der 2022 verstorbene Eintrachtler, der als Kind nach Theresienstadt deportiert worden war und das Ghetto fürs Leben gezeichnet überlebt hatte.

Plötzensee: Der erste Tag führte die Gruppe zur Gedenkstätte Plötzensee, die direkt an die heutige Justizvollzugsanstalt Plötzensee (nunmehr getrennt durch eine Mauer) angrenzt und 1952 eingeweiht wurde. Unterteilt in zwei Gruppen lauschten die Teilnehmer den Ausführungen der beiden weiblichen Guides über diesen Ort, der während der NS-Diktatur nicht nur als Strafgefängnis, sondern auch als Hinrichtungsort fungierte. Heute dient nur der kleinere Teil mit Hinrichtungsschuppen und dem angrenzenden Ausstellungsgebäude sowie der Vorhof dem Gedenken. Die Opfer, die in Plötzensee zunächst mit dem Handbeil, dann mit der Guillotine umgebracht wurden, waren in der Regel politische Gegner des Regimes und wurden vom „Volksgerichtshof“ abgeurteilt.

Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 25. April 1945 wurden im Plötzensee 2.883 Menschen hingerichtet, darunter die Frankfurter Sozialdemokratin Johanna Kirchner, der sozialdemokratische Gewerkschaftsführer und einstige hessische Innenminister Wilhelm Leuschner wie auch andere Mitglieder des Netzwerks rund um das fehlgeschlagene Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, allesamt in Schauprozessen zum Tode verurteilt – wobei die Hauptakteure noch in der folgenden Nacht im Hof des Bendlerblocks erschossen und Ludwig Beck zum Suizid gezwungen wurden. Auch 300 Frauen wurden hingerichtet.

Bendlerblock: Die zweite Führung des Tages fügte sich thematisch zum Vormittag und führte in den Bendlerblock, seit 1993 zweiter Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung. Zwischen 2005 und 2009 stand das Ministerium unter der Führung des Verteidigungsministers und Eintracht-Mitglieds Franz Josef Jung, dessen Amtszeit als hessischer Generalsekretär der CDU zwischen 1987 und 1991 just in die Ära der schwarzen Kassen fiel, die sich als jüdische Vermächtnisse deklariert, zur Spendenaffäre auswuchsen.

In der NS-Zeit diente der Gebäudekomplex als Sitz des Allgemeinen Heeresamtes und des Befehlshabers des Ersatzheeres im Oberkommando des Heeres (OKH). Hier liefen auch die Fäden der Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg zusammen. Im Hof wurden nach dem Scheitern des Anschlags die in den Augen des Regimes Hauptschuldigen um Stauffenberg erschossen. Heute erinnern in diesem Hof Gedenktafeln sowie eine Statue des Bildhauers Richard Scheibe, der einst die Frankfurter Städelschule leitete und das Ebert- Denkmal an der Paulskirche schuf, an die dramatischen Ereignisse vom 20. April 1944.

Seit 1968 befindet sich im Ostflügel des Bendlerblocks die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die an die vielfältigen Formen des Widerstands und deren Akteure in Form einer Dauerausstellung erinnert. Widerstand, der vor allem vor der NS-Zeit auch von Künstlern wie Heinrich Mann ausging, deren Bücher gleich nach dem Aufstieg der NSDAP verbrannt wurden und von denen etliche ins Exil gehen mussten. Widerstand, den vor allem Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftler leisteten, die als Erste in die ab 1933 entstehenden Konzentrationslager deportiert wurden. Widerstand, der meist wie im Fall der Weißen Rose, der von den Nazis so titulierten Roten Kapelle oder der Widerstandskämpfer des ge- scheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 mit dem Leben bezahlt wurde. Der Aufstand im Warschauer Ghetto, der Partisanenkampf, die Auflehnung gegen das Morden, das Warnen Verfolgter – all dies waren Formen des Widerstands, die Leben retteten. Im Talmud heißt es: „Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.“ Die Welt wurde einige Male gerettet und millionenfach zerstört.

Erneut in zwei Gruppen geteilt, informierten sich die Frankfurter Spurensuchenden sehr genau über die Formen des Widerstands. Dabei entpuppte sich der Historiker Julian Bleymehl als Frankfurter und ehemaliger Fan Yeboahs, der mit Verve durch die Ausstellung führte.

Olympiastadion: Dieser monumentale Bau repräsentiert unmittelbar die NS-Diktatur, wurde das Stadion doch eigens für die Olympischen Spiele 1936 errichtet, als damals auf Hitlers ausdrücklichen Wunsch weltgrößtes Stadion. Zuvor hatte an gleicher Stelle das Deutsche Stadion gestanden, geschaffen für die Spiele 1916, die wegen des Ersten Weltkriegs jedoch niemals stattfanden. Für den Neubau wurde es 1934 abgerissen. In nur 28 Monaten Bauzeit entstand daraufhin auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern der gigantische Bau, der seinerzeit 100.000 Besucher fasste. Zum Gelände gehörten auch das Schwimmstadion sowie das Maifeld im Westen, dahinter der 77 Meter hohe Führerturm, der jetzt Glockenturm heißt, darunter die Langemarckhalle, nebenan die Reitanlage. Das Ganze hieß „Reichssportfeld“. 1937 begrüßten Hitler und Mussolini auf dem Maifeld rund 700.000 Anhänger, die ihnen fackeltragend zujubelten.

Die Olympischen Spiele sollten der Welt ein offenes Deutschland vorgaukeln – und gleichzeitig über Codes die wahre Größe Deutschlands vermitteln.

Die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann, die ausgewandert war, wurde unter Druck zurückbeordert und zum Training unter erschwerten Bedingungen gezwungen – um dann, als die Teilnahme der US-Delegation feststand (diese galt dem NS-Regime als Legitimation), trotz herausragender Leistungen nicht nominiert zu werden. Als Feigenblatt für vermeintliche Weltoffenheit diente auch die jüdische Fechterin Helene Mayer, die für Deutschland startete. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nazis schon Sinti und Roma aus dem Straßenbild entfernt und in Lager gesteckt. Star der Spiele wurde der schwarze Leichtathlet Jesse Owens, dessen Beliebtheit auch Hitler nicht verhindern konnte.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Den Abschluss der Reise bildete der Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in der Mitte Berlins, auch Holocaust-Mahnmal genannt. Dr. Martin Liepach vom Fritz Bauer Institut schilderte in kurzen Worten Entstehung und Hintergründe des Denkmals und verwies darauf, dass aus dem Denkmal sprachlich ein Mahnmal wurde – eigentlich zwei grundverschiedene Dinge.

Text: Axel „Beve“ Hoffmann; Bilder: privat
Die ausführliche Reportage zur Reise nach Berlin gibt’s auf museum.eintracht.de

 

Spurensuche, Teil V
2019 rief das Eintracht Frankfurt Museum gemeinsam mit der Fanbetreuung das Projekt „Spurensuche“ ins Leben, welches sich seither auch in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut intensiv mit der Eintracht in der NS-Zeit und darüber hinaus beschäftigt. Begleitet wurde das Projekt bis zu dessen Tod im Februar 2023 von Helmut „Sonny“ Sonneberg, der als Kind Zeuge der brennenden Synagoge am Börneplatz geworden war und später in einem der letzten Frankfurter Transporte der Deportation ins Ghetto nach Theresienstadt anheimfiel. Während der vergangenen Jahre berichtete er als Zeitzeuge ebenso ausführlich wie anrührend über sein Leben, welches ihn nach seiner Rückkehr aus dem Ghetto zur Frankfurter Eintracht geführt hatte. Entsprechend ging die erste Fahrt des Spurensuche-Projekts im Herbst 2019 nach Theresienstadt. In den folgenden Jahren standen zudem Besuche der Konzentrationslager in Buchenwald bei Weimar sowie Dachau nahe München auf dem Programm. Im vergangenen Jahr führte die Reise nach Nürnberg, dem Ort der mächtig inszenierten Reichsparteitage der NSDAP, aber auch der Schauplatz des ersten Prozesses gegen Hauptkriegsverbrecher.

Der Abschlussreise von Teil V der Spurensuche waren, wie stets im Rahmen des Projekts, zahlreiche Vorbereitungsveranstaltungen vorausgegangen. Der Leiter des Geschichtsortes Adlerwerke, Thomas Altmeyer, sprach im Rahmen der Veranstaltungsreihe über verschiedene Formen des Widerstands sowie das nahe Worms gelegene einstige KZ Osthofen, in dem unter anderem der Journalist Richard Kirn inhaftiert war, der lange Jahre über die Eintracht berichtete. Dieses KZ besuchte die Gruppe im Februar. Alexandra Faulhaber, welche die Sportjugend Hessen und die Initative „Nie wieder“ vertritt, hielt einen Vortrag über Frauen im Widerstand – unter besonderer Berücksichtigung der drei Frankfurterinnen Johanna Kirchner, Johanna Tesch und Martha Wertheimer, die alle die NS-Diktatur nicht überlebten.