Adlerträger
„Fußball hat mich auf den richtigen Weg gebracht“
Ritsu Doan
Der jetzt kleinste Spieler in Frankfurt hinterlässt umso größere Fußspuren in Freiburg. Und wenn es nach Fans, Fußballkollegen und Verantwortlichen der Eintracht geht, unverändert in der Bundesliga. Ritsu Doan ist seit wenigen Wochen ein Adlerträger und kommt als sechster Japaner an den Main. Im Interview spricht er über Duelle im Park mit seinen älteren Brüdern, „gefährliche“ Freunde in seiner Kindheit, eine ganz besondere Saison in der U15, die Besonderheit der Nummer 10, seine Fußballschule und darüber, warum er vom Charakter her kein typischer Japaner ist. Außerdem gibt’s zehn Fakten zu zehn Profijahren von Doan mit seiner Einschätzung dazu.
Interview und Text: Daniel Grawe, Michael Wiener
Fotos: Bianca Jockel, Martin Ohnesorge
Ritsu, die ersten Tage sind vorüber. Wie sind deine Eindrücke?
Mein erster Eindruck ist, dass hier alle – Mitspieler und Trainerteam – sehr eng miteinander sind. Das fühlt sich gut an. Es ist hier alles einen Schritt größer als bei den Klubs, bei denen ich vorher gespielt habe. Man merkt, wie viele Menschen hier arbeiten, und die Anlage ist riesig – das hat mich sehr beeindruckt. Alles ist top – sauber, durchdacht, genau das, was ein Spieler braucht. Wirklich sehr beeindruckend.
Wie hast du Eintracht in den vergangenen Jahren wahrgenommen, als du in der Bundesliga gegen sie gespielt hast?
Es ist immer schwer, besonders hier im Stadion. Die Fans sind unglaublich – im positiven Sinne verrückt. Letztes Jahr zum Beispiel waren Omar Marmoush und Hugo Ekitiké extrem gefährlich. Man durfte ihnen keinen Raum geben, sonst konnten sie das Spiel dominieren. Auch taktisch war das Team sehr clever. Die Eintracht war insgesamt ein sehr harter Gegner.
Wie würdest du dich als Fußballspieler beschreiben?
Ich bin ein Spieler mit einem kompletten Paket. Ich kann Tore schießen, Vorlagen geben und auch verteidigen. Mein linker Fuß ist meine größte Stärke. Ich bin nicht der Typ, der drei oder vier Verteidiger ausdribbelt. Ich spiele lieber mit meinen Mitspielern zusammen, bin dann im Strafraum zur Stelle. Mein Schuss ist nicht schlecht, das habt ihr schon gesehen (lacht).
Du bist in Japan geboren und aufgewachsen. Wann hast du angefangen, Fußball zu spielen?
Mit drei Jahren – wegen meiner Brüder. Ich habe zwei ältere Brüder, die schon Fußball spielten, ich bin ihnen gefolgt.
Wo habt ihr gespielt – im Garten, auf der Straße oder auf dem Platz?
Zunächst im Park. Mit drei Jahren habe ich neben dem Platz gespielt, während meine Brüder dort trainierten. An Familientagen sind wir immer in den Park gegangen. Natürlich habe ich damals immer gegen sie verloren. Gegen ältere Brüder zu spielen war körperlich einfach zu schwer. Aber das war eine gute Lektion.
Wie haben dich deine Eltern unterstützt, als du im Verein warst?
Sie waren streng. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, gab es schon mal eine handfeste Ermahnung. Aber das war normale Erziehung und hat mir gutgetan. Ich komme aus Amagasaki in der Präfektur Hyogo, damals keine besonders sichere Gegend. Auf der Straße gab es schon mal Schlägereien. Meine Eltern sagten mir: Entweder konzentrierst du dich auf den Fußball, oder du hängst mit diesen Jungs auf der Straße ab – beides geht nicht. Ich habe mich für Fußball entschieden und den Kontakt zu manchen Freunden reduziert. Zum Glück haben die das akzeptiert.
Wie warst du in der Schule?
Gut. Vielleicht haben meine Eltern deshalb gesagt: „Du bist gut im Fußball, probier es doch als Profi.“ Fußball hat mich wirklich auf den richtigen Weg gebracht. Ohne ihn wäre die Wahrscheinlichkeit auf jeden Fall größer gewesen, in diese gefährlichen Kreise zu geraten.
In einem früheren Interview hast du von Mr. Yo Hayano gesprochen, den du kennengelernt hast, als du auf die Primary School gekommen bist. Du sagtest, dass deine erste Begegnung mit ihm ein Wendepunkt für dich war.
Das stimmt. Er war wie ein Freund für mich, nicht nur ein Trainer. Er sagte immer: „Sei der Beste – mit dem zweiten Platz bin ich nicht zufrieden.“ Das war ein wichtiger Satz für mich. Ich war damals der Beste in meiner Altersklasse, aber er stellte mich gegen Ältere, um mich herauszufordern. Diese vier Jahre mit ihm waren die besten meiner Karriere. Wir haben immer noch Kontakt.
Mit der U15 von Gamba Osaka hattet ihr eine historische Saison, habt drei Titel gewonnen. Das war seinerzeit für einen Verein wie Gamba etwas sehr Außergewöhnliches. Wie erinnerst du dich daran?
Das war verrückt! Wir haben alles gewonnen, drei Titel in einer Saison. Ich war damals 13, 14 Jahre alt und habe bei den Älteren gespielt. Wir waren sogar bei einer Art Weltmeisterschaft dabei, sind Zweiter geworden und haben zum Beispiel São Paulo geschlagen.
Bei deinem ersten Profispiel warst du erst 16 Jahre alt. Wie hast du das damals erlebt?
Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, einfach gespielt und versucht, der Beste zu sein. Erst zwei Jahre später habe ich gemerkt, wie wichtig mentale Stärke ist. Damals habe ich nach dem Training oft mit mir selbst gesprochen: Was war heute gut, was schlecht? So habe ich gelernt, meine Einstellung zu verbessern.
Bei der U20-WM wurdest du der „japanische Messi“ genannt. Wie fandest du das?
Ich mochte es. Klar, Messi ist Messi, aber wenn Leute das zu einem sagen, ist es ein Kompliment.
Von Japan bist du mit 19 Jahren in die Niederlande gewechselt, zunächst auf Leihbasis zum FC Groningen. Wie groß war dieser Schritt für dich persönlich?
Sehr groß. Neue Sprache, Kultur, Essen – keine Familie, keine Freunde. Die erste Zeit war extrem hart. Meine Eltern wollten anfangs nicht, dass ich gehe, aber ich habe darauf bestanden. Später wollte ich ihnen nicht sagen, wie schwer es ist, weil es meine Entscheidung war.
„Es ist hier alles einen Schritt größer als bei den Klubs, bei denen ich vorher gespielt habe. Man merkt, wie viele Menschen hier arbeiten, und die Anlage ist riesig – das hat mich sehr beeindruckt“
Nach zwei Jahren bist du innerhalb der Niederlande zur PSV Eindhoven gewechselt. Dort hattest du nach eigenen Angaben eine „schwierige erste Saison“. Du hast mal beschrieben, wie du für dich wieder einen guten Weg gefunden hast: „Ich habe aufgehört, zu viel nachzudenken, und mich auf jedes Spiel konzentriert.“ Was meinst du damit?
Der Wechsel von Groningen zu einem größeren Klub brachte mehr Druck. Ich dachte zu sehr an die Zukunft, statt mich auf den Alltag zu konzentrieren. Irgendwann habe ich wieder wie mit 18 gespielt. Das war eine wichtige Lehre, auch wenn es ein schwieriges Jahr war.
2022 bist du nach Freiburg gewechselt und hast gleich in allen Wettbewerben im ersten Spiel getroffen. Wie kam das?
Keine Ahnung. Der Start war gut, danach gab es Höhen und Tiefen. Aber der Schritt von Eindhoven nach Freiburg war der richtige.
Du sprichst Höhen und Tiefen an. Wie schaffst du es, stets motiviert und hungrig zu bleiben?
Mich reizt es, wenn Leute sagen, dass ich in etwas nicht gut bin. Ich höre mir Kritik an, überlege, ob sie stimmt, und versuche zu lernen. Ich bin offen für alles und glaube nicht, dass nur meine Meinung zählt. Daraus schöpfe ich Kraft und Motivation, besser zu werden.
Bist du ein typischer Japaner?
Viele sagen, ich sei es nicht – vielleicht, weil ich sehr offen bin und mit allen rede (lacht).
Gibt es viele Kontakte zu anderen japanischen Spielern in der Bundesliga?
Ja, ein paar. Mit Ko Itakura [kürzlich von Mönchengladbach zu Ajax Amsterdam gewechselt; Anm. d. Red.] ist einer meiner besten Freunde, mit ihm habe ich in Groningen kurz zusammen gespielt. Mit Kaishu Sano [1. FSV Mainz 05, Anm. d. Red.] war ich mal essen.
Du hast im vergangenen Sommer geheiratet. Ist deine Frau jetzt hier in Deutschland?
Ja, sie ist schon in Frankfurt und sucht eine Wohnung für uns. Wir kennen uns, seit wir 18 Jahre alt sind.
Wir haben vom „Next 10 Football School“-Projekt gelesen. Was hat es damit auf sich?
Das ist meine Fußballschule für Kinder. „Next 10“ kommt von meinem Traum, die Nummer 10 der Nationalmannschaft zu sein. Das habe ich erreicht, und jetzt will ich die nächste Nummer 10 fördern. Es sind schon 400 Kinder dabei, in meiner Heimatstadt Amagasaki. Ich möchte die Schule auch in Osaka [liegt in unmittelbarer Nachbarschaft auf der anderen Seite des Flusses Yodo; Anm. d. Red.] aufmachen.
Warum trägst du jetzt die Nummer 20?
Eigentlich wollte ich wieder die 10, aber die hat hier eine besondere Geschichte. Die 20 war frei, und Makoto Hasebe trug sie vorher. Die Verbindung zu ihm und zur japanischen Geschichte des Vereins gefällt mir.
„Mich reizt es, wenn Leute sagen, dass ich in etwas nicht gut bin. Ich höre mir Kritik an, überlege, ob sie stimmt, und versuche zu lernen.“
Wie war es, Makoto kennenzulernen?
Er ist in Japan eine echte Legende, ein „Big Boss“. Wir haben uns schon oft in der Nationalmannschaft gesehen. Es ist schön, jemanden wie ihn in der Nähe zu haben.
Du bist auch im Sake-Geschäft aktiv, einem typisch japanischen Getränk. Wie kam es dazu?
In Europa ist mir bewusst geworden, wie fleißig und detailverliebt Japaner arbeiten. Das wollte ich irgendwie einbringen. Ich habe mit jemandem zusammen Sake hergestellt, vom Reisanbau bis zur Produktion. Das war eine tolle Erfahrung, auch wenn ich wegen des Fußballs nicht alles selbst machen konnte.