Beten Marschieren Gewinnen
Vor 40 Jahren wird Eintracht Frankfurt letztmals Deutscher A-Jugend-Meister, vor 15 Jahren letztmals B-Jugend-Champion. Alexander Schur, Klaus Gerster, Alex Conrad und Bruno Pasqualotto sprechen über ein goldenes Nachwuchsjahrzehnt bei der Eintracht, die Gründe für die Titel 1985 und 2010, (verpasste) Sprünge zu den Profis und den Einfluss von Klaus Mank.
Interview: Michael Wiener
Bilder: imago images, privat
Die Gesprächspartner:
Klaus Gerster (69): Im Frankfurter Nordend aufgewachsen. Später bekannt geworden als Manager (unter anderem BVB, Eintracht, FSV Frankfurt, Kickers Offenbach). In den 1980er Jahren Jugendtrainer am Riederwald. Coachte die 1985er-Meistermannschaft.
Alex Conrad (58): 1985 U-Nationalspieler und U19-Spieler, war schon beim 1983er-Titel als B-Junior dabei. Durch viele Verletzungen „nur“ 24 Bundesligaspiele und frühes Karriereende, später Trainer (unter anderem FSV Frankfurt, Waldhof Mannheim). Heute Trainer in der Eintracht-Fußballschule.
Alexander Schur (54): In Frankfurt geboren und aufgewachsen, seit 30 Jahren Adlerträger. Spieler (als Profi u.a. dreimal mit der Eintracht aufgestiegen, heute Tradimannschaft), viele Jahre Trainer am Nachwuchsleistungszentrum (U17-Meister 2010), Botschafter, Mitarbeiter der Fußball AG seit 2018.
Bruno Pasqualotto (56): 1987 mit Eintrachts U19 unter Trainer Gerster im Finale um die Deutsche Meisterschaft (1:2 gegen Uerdingen), zwei Jahre später mit dem BVB DFB-Pokalsieger. Seit 2018 Cheftrainer Fußball im Hessischen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband. Lebt seit jeher in Friedrichsdorf (Hochtaunus).
Alex, als Spieler der Meistermannschaft von 1985: Was sind deine prägendsten Erinnerungen an diesen Titel?
Alex Conrad: Wir hatten eine super Truppe damals. Bis zum Halbfinale hatten wir in dieser Saison nur ein Turnierspiel in Dortmund gegen Real Madrid verloren. Wir haben viel Kraft aus Siegen gezogen, hatten Selbstvertrauen. Dass wir gegen den VfB Stuttgart nach dem 0:3 im Hinspiel noch ins Finale einziehen konnten, war natürlich grandios.
In Klaus Gersters Heft, in dem er die Saison auf über 50 Seiten mit Zeitungsausschnitten und Bildern zusammengefasst hat, ist zu lesen, dass die Medien euch nach diesem Ergebnis keineswegs abgeschrieben hatten.
Conrad: Die Leistung hat gestimmt, wir hatten auch unsere Chancen. Klaus hat gesagt: Wir beten, dass es beim Rückspiel 40 Grad heiß wird. Wir werden marschieren, als ob es kein Morgen gäbe. Ein 1:0 zur Halbzeit ist okay. Genau so ist es gekommen.
Klaus Gerster: Ich habe an die Mannschaft geglaubt. Der Sportplatz im Höchster Stadtpark war ein Hexenkessel. 4.500 Zuschauer, Gluthitze. Wir haben einen Platz gebraucht, und das war schon vor der K.o.-Runde klar, der keine Laufbahn hat, bei dem die Jungs die Atmosphäre hautnah spüren. Das hat geklappt. Nach dem 1:0 zur Pause sind wir danach noch höheres Tempo gegangen und haben 4:0 gewonnen.
Im Endspiel wurde Bayer 04 Leverkusen besiegt. In Trikots von Flamenco Rio de Janeiro …
Gerster: Rainer Calmund, damals Offizieller bei Leverkusen, hat uns am Tag vor dem Spiel diese Trikots geschenkt. Wir haben sie getragen – und gewonnen.
Was waren sportlich gesehen die Gründe für den Finalerfolg?
Conrad: Wir haben gut gespielt. Knackpunkt war aber sicherlich der Elfmeter, den wir beim Stand von 2:2 bekommen haben. Das war eher keiner.
Gerster: Doch, doch! (schmunzelt)
Conrad: Ich habe den Pass auf Richard Walz gespielt, der dann wohl eher ins Stolpern gekommen ist. Andres Iglesias hat ihn reingemacht und wir haben am Ende 4:2 gewonnen.
Der vorläufige Höhepunkt einer Mannschaft, die so teilweise schon beim BSC Schwarz-Weiss 1919 in Frankfurt zusammen gespielt hat.
Gerster: Ich habe als Jugendlicher beim BSC gespielt, musste meine Laufbahn aufgrund einer Knieverletzung früh beenden und bin Jugendtrainer geworden. In der C-Jugend haben wir alles geschlagen. Um weiter nach oben zu kommen, mussten wir wechseln. Wir sind mit sechs Spielern zur Eintracht, ich habe dort zunächst die B-Jugend übernommen. Fünf Spieler aus der BSC-Jugend sind 1985 Deutscher Meister geworden.
Darunter auch Andreas Möller, der später sicherlich die größte Karriere der Spieler aus dieser Mannschaft hingelegt hat.
Conrad: Er war sicherlich ein Ausnahmespieler. Aber da waren auch andere Top-Jungs in der Mannschaft. Thomas Reubold, der doppelt traf im Finale, oder unser torgefährlicher Verteidiger und Kapitän Milan Vucak, der leider viel zu früh verstorben ist [bei einem Autounfall 1986; Anm. d. Red.].
Schur: Nicht zu vergessen Klaus, der als Trainer sicherlich ein wichtiger Faktor war. Du musst die Spieler reizen. Wenn du gut bist und so viele Spiele gewinnst, denkst du irgendwann, es läuft von alleine. Klaus hat da sicherlich entgegengewirkt. Ich kenne dich ja auch als Trainer. Du hast mich damals zum FSV Frankfurt geholt, als ich bei Rot-Weiß war. Ich hatte einen Kreuzbandriss, hatte schon abgeschlossen mit dem Profifußball. Dann kam vor Saisonende dein Anruf.
Gerster: Wir sind dann über die Aufstiegsrunde aufgestiegen, plötzlich warst du Zweitligaspieler. Es ging danach noch viel weiter für dich, bei der Eintracht. Siehste, wieder ein gutes Auge gehabt (lacht).
Zurück zu 1985. Alex Conrad, du selbst warst als U-Nationalspieler ein Leistungsträger. Als einziger U19-Spieler durftest du in jener Saison schon bei den Profis mitspielen. Eintrachts Jugendteams waren seinerzeit Stammgast in den Endspielen um den Titel. Warum?
Conrad: Klaus hat, wie auch Klaus Mank [Meistertrainer von 1982 und 1983 mit der U19; Anm. d. Red.], versucht, die besten Spieler Frankfurts und der Region zu sich zu holen. Ich habe wenige Hundert Meter entfernt vom Riederwald gewohnt, Klaus Gerster wollte mich unbedingt beim BSC in Eschersheim haben. Also bin ich damals vom FSV zum BSC gewechselt, obwohl es ein viel weiterer Weg zum Training war.
Gerster: Wir haben damals eine gute Mannschaft zusammengestellt. In Eigenregie, wir sind selbst durch die Region gefahren und haben die Jungs gesichtet. Da hat uns keiner geholfen. Und dann Spieler mit Charakter und Potenzial von unserem Weg überzeugt. In den Vorjahren hatten wir auch Rückschläge zu verkraften. Diese haben uns den Willen und die Kraft gegeben, solch eine Leistung zu vollbringen. Ich war auch Co-Trainer bei Dietrich Weise, das hat kurze Wege ermöglicht.
Alexander Schur: Du warst der kleine Mann im Ohr von Dietrich Weise. Das war wichtig. Der Cheftrainer der Profis braucht einen Vertrauensmann an diesen Positionen in der Jugend. Dann kann er wiederum den Topspielern aus der U19 auch mal das Vertrauen schenken.
Damals haben aber nur wenige Spieler aus der U19 die Chance bekommen, bei den Profis mitzumischen. Auch nach der Saison ist keiner aus der Meistermannschaft direkt Profi geworden, sondern war erstmal für die Amateurmannschaft vorgesehen.
Gerster: Mein Credo war immer: Der Junge muss U19 spielen bis zum letzten Tag. In dieser Mannschaft entwickelt er sich zur Persönlichkeit.
Schur: Du brauchst Selbstvertrauen. Du musst auch Kommandos geben, eine Führungsrolle übernehmen können. Das kannst du bei den Älteren nicht. Deshalb ist diese Jugendzeit sehr wichtig für junge Spieler. Zumal heute der Gegner manchmal auch das normale Leben ist, weil die Jungs viel abgenommen bekommen. Das war früher anders.
Anders war früher auch der Spielmodus. Die Saison in der zweigleisigen Landesliga (Eintracht spielt im Süden und holt 44:0 Punkte) und das Hessenfinale gegen den CSC Kassel (4:0/3:2) waren 1985 quasi nur Einrollen, ebenso das Achtel- und Viertelfinale gegen Hamburg-Meister TSV Reinbek (3:1/5:2) und Berlin-Champion Reinickendorfer Füchse (7:2/8:0).
Gerster: Die Siege damals haben uns gehöriges Selbstvertrauen gegeben, klar. Aber wir hatten keine Gegner bis zum Halbfinale. Dennoch mussten wir uns die Vormachtstellung in Hessen erst erarbeiten. Bis Klaus Mank kam, war Kickers Offenbach die Nummer eins im Nachwuchs. Uwe Bein, Rudi Völler, Thomas Kroth, RalfWeber – sie waren alle beim OFC. Webi wollte ich zur Eintracht holen. Sein Vater war OFC-Fan – also keine Chance. Klaus hat dieses Verhältnis gedreht, wir sind die Nummer eins im Rhein-Main-Gebiet geworden. Dann haben wir ein gutes Image bekommen, weil wir durchlässig waren.
Schur: Durch die Nachwuchsliga ist es wieder etwas einfacher geworden, Talente zu entwickeln. In der Bundesliga zuvor mit dem Abstiegsdruck hattest du ganz andere Voraussetzungen. Du kannst wieder mehr ausprobieren, hast wieder mehr Entwicklungsmöglichkeiten für die Spieler.
In das überragende Nachwuchsjahrzehnt der Eintracht fällt 1987 auch noch Platz zwei mit der U19. Der große Wurf gelang leider nicht gegen Uerdingen.
Bruno Pasqualotto: Im Jahr zuvor haben wir das Halbfinale gegen Leverkusen verloren und wollten 1987 unbedingt weiterkommen. Das hat geklappt, die Mannschaft war super. Uwe Bindewald und Thomas Lasser waren unter anderem dabei.
Gerster: Marcel Witeczek hat uns mit seinem Tor aus 25 Metern leider abgeschossen. Vielleicht hat den Ausschlag gegeben, dass Uerdingen den besseren Torwart hatte.
Pasqualotto: Das war echt bitter, es war auch noch an meinem Geburtstag. Wir waren Favorit, diese Rolle hat uns vielleicht gehemmt. Dennoch waren diese fünf Jahre – nach vier Jahren Jugend noch eine Saison bei den Amateuren – bei der Eintracht meine schönste Fußballerzeit.
Alex [Schur], du bist mit der U17 2010 nochmal Deutscher Meister geworden. Der letzte Titel für unser NLZ bis dato. Warum ist es heute schwieriger als damals, Deutscher Meister zu werden?
Schur: Durch die Nachwuchsleistungszentren gibt es mehr Angeln im Teich, die nach guten Fußballern fischen. Auch in anderen NLZs wird gute Arbeit gemacht. Außerdem der angesprochene Modus, du hast heute viel mehr schwere Spiele.
15 Jahre ist die angesprochene Meisterschaft nun her. Wie habt ihr es geschafft, den Titel zu holen – am Ende durch ein 1:0 im Finale gegen Bayer 04 Leverkusen?
„Wir haben damals eine gute Mannschaft zusammengestellt. In Eigenregie, wir sind selbst durch die Region gefahren und haben die Jungs gesichtet. Da hat uns keiner geholfen.“
Klaus Gerster
Schur: Wir hatten einen super Jahrgang mit Spitzenspielern auf allen Positionen. Aykut Özer im Tor, die Abwehr mit Erik Wille und Co., im Mittelfeld wirbelte Sonny Kittel, der auch die meisten Tore geschossen hat. Wichtig für das Mannschaftsgefüge war auch, dass wir uns mitten in der Runde von Murat Bildirici getrennt haben. Das Team war nicht frei, danach war es besser.
Conrad: Ich weiß noch, dass ich dich während der Runde im Main-Taunus- Zentrum getroffen habe und gefragt habe, was da los ist bei dir, warum es so gut läuft.
Schur: Ich hatte eine Charaktertruppe. Viele Soldaten, die gut gearbeitet haben. Insbesondere defensiv, Julian Dudda [in dieser Saison mit Hessenligist Türk Gücü Friedberg Gegner von Eintrachts U21; Anm. d. Red.] war überragend. Wir haben nur elf Tore kassiert in 29 Meisterschaftsspielen inklusive der Endrunde. Erik Wille war ein top Kapitän, auf dem Spielfeld wichtig, aber auch als Leader und Charakterkopf.
Conrad: Du brauchst diese Charakterköpfe. Andres Iglesias war auch so einer. Er liebte diese Situation wie beim 2:2 im Finale, als er zum Elfmeter antreten durfte.
Schur: Insgesamt hatte ich einen goldenen Jahrgang. Schade, dass nicht mehr für unsere Profis dauerhaft rausgekommen ist.
Bruno, wie sehr haderst du damit, dass es für dich nicht gereicht hat?
Pasqualotto: Gar nicht. Wie gesagt, ich hatte eine tolle Jugendzeit und auch später schöne Erlebnisse im Fußball, beispielsweise das Finale um die Deutsche Amateurmeisterschaft mit der SpVgg 05 Bad Homburg, das wir nach Verlängerung gegen Rot-Weiß Essen verloren haben. Verletzungen, aber auch meine Persönlichkeit haben nicht mehr zugelassen. Ich hatte zu wenig Selbstvertrauen, war vielleicht zu ruhig.
Dem Fußball bist du aber stets treu geblieben.
Pasqualotto: Absolut. Erstmal noch vielen Dank, dass ihr mich eingeladen habt. Klaus habe ich beispielsweise 36 Jahre nicht gesehen. Nach der Eintracht-Zeit hat er mich später zum BVB geholt, bei dem ich auch mit Alex Conrad zusammengespielt habe. Die Verbindung zu Schui ist natürlich über den HBRS da, bei dem er zusammen mit Uwe Bindewald Botschafter ist. Bei Rot-Weiß Frankfurt haben wir unter Stepi zusammen gespielt. Ich habe 2010 eine Inklusionsmannschaft in meiner Heimat Köppern gegründet, habe als Jugendtrainer gearbeitet und bin Fußballtrainer beim Hessischen Behinderten- und Rehasportverband. Mit der Fußballschule des HBRS sind sind wir auch einmal im Jahr bei der Fußballschule der Eintracht mit einem Camp dabei. Insgesamt ist natürlich klar: Fußball wird immer Teil meines Lebens sein. So wie es bei euch allen ist. Danke euch für das Gespräch. Wir sehen uns sicher in dieser Saison im Deutsche Bank Park wieder.