„Den Fans eine Stimme geben“
Eine Gruppe von rund 20 Personen hatte vor 25 Jahren eine Vision und stieß die Idee von einer Fanabteilung bei Eintracht Frankfurt an. Einer der Initiatoren war Axel Hellmann, heutiger Vorstandssprecher der Eintracht Frankfurt Fußball AG. Im Interview spricht er über die Idee zur Gründung, die Visionen der jungen Fans und seinen Weg von der Fanabteilung bis zu seiner heutigen Funktion.
Axel, welches Bild kommt dir zuerst in den Kopf, wenn du an die Fanabteilung denkst?
Es sind so viele Bilder, weil die Fanabteilung eine große Bedeutung in meinem Leben hat. Ich habe sehr viele Erinnerungen an die Gründungsphase, die vereinspolitisch nicht einfach war. Wie die Gründergruppe damals zusammen im Backstage in Frankfurt [frühere Kneipe im Nordend, siehe Seiten 100/101; Anm. d. Red.] saß und Pläne geschmiedet hat, das hatte eine unfassbar gute Dynamik. Die Gründergruppe ist heute auch miteinander vernetzet und kommt gelegentlich zusammen. Ich könnte aber gar nicht ein Ereignis benennen. Die Fanabteilung war in der Gründungsphase ein wichtiger Teil, um der aktiven Fanszene eine Organisationsform innerhalb der Eintracht zu geben. Und das ist mit das Wichtigste, was eine Fanabteilung schaffen kann. Das ist das, was ich auch eigentlich am meisten im Kopf habe: Es ist uns gelungen, den Fans eine Stimme innerhalb Eintracht zu geben.
Was waren damals die Motive für die Gründung?
Man muss sich in die Zeit hineinversetzen, um zu verstehen, dass die Welt eine ganz andere war, als sie heute ist. Die Eintracht war damals ein wirtschaftlich ausgebrannter, sportlich nicht erfolgreicher und schlecht geführter Klub. Wir waren in der Zweiten Liga und da mitunter auch nicht gut, wir waren wirtschaftlich kurz vorm Sterben. Zudem wurde der Profifußball aus dem Verein in die Fußball AG ausgegliedert. Und in dieser Zeit waren die einzige Konstante die Fans, die aktive Fanszene. Dieser Begriff hatte damals aber eine etwas andere Bedeutung. Wir wollten die Rahmenbedingungen im Profifußball bei der Stadioninfrastruktur, im Verein und in der Gesellschaft zugunsten der Fans verändern. Ausgangspunkt war für uns die Planung des neuen Waldstadions um die Jahrtausendwende. Das sollte nach Vorstellungen der Frankfurter Politik ein Leichtathletikstadion werden und daraufhin wurde von aktiven Fans die „Initiative Reines Fußballstadion” ins Leben gerufen. Der Kampf für ein reines Fußballstadion begann bereits, bevor ich aktiv wurde, aber aus dieser Initiative ist die spätere Gründergruppe hervorgegangen, weil wir gemerkt haben, Faninteressen spielen in der Welt von Eintracht Frankfurt damals – also vor 25 Jahren – keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Uns war wichtig, genau diese Themen konzeptionell so aufzubereiten, dass sie in die Vereinspolitik hineingetragen werden können. Das haben wir gemacht, wir haben ein Konzept erstellt und die für uns wichtigen Punkte niedergeschrieben. Nahezu alles davon ist bis heute umgesetzt worden, als weiteres Beispiel darf ich das Museum nennen. Also ganz viel von dem, wie die Eintracht heute ist, hat seinen Ursprung in der Gründung der Fan- und Förderabteilung. Die Gründer sind in den großen 70ern zur Eintracht gekommen. Sie haben den Fußball 2000 in den 90ern erlebt. Wir wollte einfach raus aus dem Grau der Zweiten Liga, wollten einen gut geführten, erfolgreichen und wettbewerbsfähigen Verein, auf den man stolz sein kann.
Wie kam es dann dazu, dass du zur späteren Gründergruppe gekommen bist?
Ich habe damals in Berlin gelebt und bin regelmäßig zu Heimspielen nach Frankfurt und zu Auswärtsspielen gefahren. Aus der Entfernung habe ich die Aktivitäten der „Initiative Reines Fußballstadion“ mitbekommen und auch, dass es einen Schritt weitergehen soll und die aktiven Fans sich besser organisieren wollen. Es gab zu der Zeit eine Mailing-Liste, auf der 80 bis 100 aktive Eintracht-Fans standen, und dort zirkulierte diese Idee. Guido Derckum, der ja der Gründervater der FuFa ist und erster Abteilungsleiter wurde, hat Mitstreiter für die Mitarbeit gesucht. Einige andere und ich haben sich gemeldet und daraus ist quasi dieseGründergruppe entstanden. Damals kannte man sich unter den aktiven Auswärtsfahrern. Es gab dann regelmäßige Treffen im Backstage, auf denen viele Ideen und Ansätze diskutiert wurden. Meine Rolle war, das alles etwas zu sortieren, zu strukturieren und in ein griffiges Konzept zu packen. Damit war sozusagen die konzeptionelle Grundlage dieser Gründergruppe geschaffen. Wir haben als Sprecher der Gruppe dann Termine mit den Gremienvertretern im Verein gemacht und auch die formellen Prozesse aufgegleist. Da hat es auch geholfen, dass ich als Jurist die formellen Fragen und Satzungsthemen gut abarbeiten konnte. Das ist die technische Seite. Die spannende Seite war jedoch mehr die vereinspolitische und da ging es hoch her.
„In einer Zeit, in der wir sehen, dass soziale Kontakte sich verschieben, auch in die digitale Welt, geben wir etwas Fühlbares, etwas Haptisches, etwas Leidenschaftliches.“
Das heißt? Mit welchen Herausforderungen oder Hürden hattet ihr zu kämpfen?
Es gab bis zur Gründung der Fanabteilung keine spezielle Mitgliedschaft für Fans. Die Eintracht war ausschließlich geprägt von den sporttreibenden Abteilungen. Und da hatten viele Angst, dass Fans, die nun als Vereinsmitglieder in großer Zahl kommen würden, den Vereinssport verdrängen und die politischen Ämter, Rollen und Funktionen, die man quasi jahrzehntelang besetz hatte, verloren gehen. Und sie hatten auch Angst, dass wirtschaftlich bei der Verteilung der Mittel im Verein Geld für den Sport verloren geht. Mit Blick auf die heutigen Realitäten eine geradezu groteske Sorge. Es war unsere Aufgabe, genau diese Ängste zu zerstreuen. Wir haben immer gesagt, ein Ziel – und deswegen ist aus der Fanabteilung auch die Fan- und Förderabteilung geworden – liegt darin, den Vereinssport zu fördern. Es stand auch genauso in unserem Konzept: Die anderen sporttreibenden Abteilungen wirtschaftlich tragfähiger zu machen. Es wurden dann aus den Vereinsgremien Zeitungsartikel gegen die Gründung lanciert. Es gab Kommentare in den Zeitungen „Was sollen die Fans im Verein? Die sollen auf den Rängen Stimmung und nicht Politik machen.” Es war schon auch sehr kontrovers, auch in den Medien. Natürlich hat man diese Gründung auch in der damaligen Füh-
rung der Fußball AG sehr kritisch gesehen, weil es fast überhaupt keinen strukturierten Austausch mit Fans gab. Die ersten Gespräche mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Fußball AG waren, vorsichtig formuliert, sehr kritisch. Wir waren selbstbewusst und so sind wir auch aufgetreten, weil unsere Themen für alle Fans, nicht nur für einige Gruppen, wichtig waren. Ich bin der Überzeugung, dass es nur kraftvoll und breitbeinig möglich war, die Fanabteilung zu gründen. Mit Geschmeidigkeit wären wir nicht weit gekommen.
Ist man im Nachhinein auch ein bisschen stolz, dass man das damals so durchgezogen hat?
Was die Gründung anbelangt, ja. Die Verdienste können wir uns in dieser Gruppe ans Revers heften. Aber was die Erfolgsgeschichte der Fan- und Förderabteilung quasi in den letzten 25 Jahren anbelangt, das haben andere gemacht. Ich bin stolz auf diese Entwicklung, weil sich andere Klubs viel schwerer mit diesen Dingen getan haben. Wir haben eine gute ausgewogene Satzung, die dem Verein viel Stabilität gibt und ihn bis heute trägt.
Wie ging es nach der Gründung der Fanabteilung bis zu deiner heutigen Position für dich weiter?
Das ist in der Tat eine Geschichte, die nicht einfach war. Ich war vorher auf der Fanseite, Gründungsmitglied auf der Fanseite und bin dann relativ schnell ins Präsidium gekommen. Ein Dreivierteljahr nach der Gründung hat Peter Fischer sein Präsidium neu sortiert. Ich hatte das gar nicht vor, ich hatte einen anderen Lebensplan, aber er hat gesagt: „Ich will, dass du mit mir ins Präsidium gehst.“ Und das habe ich dann gemacht. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass in dem Moment, in dem man aus der Fanszene in das Präsidium wechselt, die Loyalität nicht mehr originär zur Fangruppe, aus der man kommt, besteht, sondern zum Präsidium und zu den übergeordneten Vereinsinteressen. Das hat mir Peter Fischer klar gesagt und ich habe es genauso gemacht. Das führte natürlich dazu, dass ich den Mitgliedern der Gründergruppe nicht mehr alles erzählen konnte, worüber wir im Präsidium und im Aufsichtsrat der Fußball AG gesprochen haben. Was im Präsidium besprochen wird, muss da bleiben, sonst kann man einen Verein nicht seriös führen. Und da hat es am Anfang schon geruckelt, weil mancher gedacht hat, ich würde da jetzt auf einem hohen Ross sitzen. Ich kann nur jedem raten, der aus der Fanszene diesen Weg geht, das so klar zu entscheiden wie ich. Alles andere führt nur zu unauflösbaren Konflikten. Mein weiterer Weg ist bekannt. Nach einigen Jahren im Präsidium des Vereins und im Aufsichtsrat der AG bin ich 2012 in den Vorstand der Fußball AG gewechselt und seit 2021 Vorstandssprecher.
Wie siehst du den Stellenwert von Projekten innerhalb der Fanabteilung wie FFIT, aber auch die Junior Adler oder die Adler Classics?
Der Stellenwert ist enorm groß und ich finde diese Form von Aktivierung super
wichtig. Ich habe selbst jahrelang das Angebot zum Hallenkick in Preungesheim wahrgenommen und habe auch mit dem jetzigen Abteilungsleiter Dario Minden regelmäßig gekickt. Diese Art von Begegnungen waren nicht nur für den Sport wichtig, sie haben auch Vernetzungen in den Verein geschaffen. Daraus sind wahnsinnig viele gute Projekte hervorgegangen, es gab immer Feedback, Themen, Inhalte, auch mal politisch schwierige Fragen wurden beredet, die du nicht nur digital und einmal im Jahr auf einer Mitglieder- oder Abteilungsversammlung oder im Stadion ansprechen kannst. Und dann gibt es für mich natürlich ein sehr wichtiges Feld, die Adler Classics. Wir haben in der Mitgliederstruktur viele Mitglieder, die jetzt das Renteneintrittsalter erreichen, die 60 aufwärts sind. Für sie Sport- oder Begegnungsangebote zu schaffen – quasi auf dem Weg in ihren dritten Lebensabschnitt – ist eine super Aufgabe für Eintracht Frankfurt, weil wir mit Sport, Bewegung, dieser Emotionalität, die unsere Eintracht für viele bedeutet, natürlich geeignet sind, das Leben im vorgerückten Alter angenehmer zu machen. In einer Zeit, in der wir sehen, dass soziale Kontakte sich verschieben, auch in die digitale Welt, geben wir etwas Fühlbares, etwas Haptisches, etwas Leidenschaftliches, und das ist eine Riesenchance für Eintracht Frankfurt, Leute zu binden und sie glücklich zu machen, auch wenn sie nicht mehr alle zwei Wochen ins Stadion kommen oder sich nirgendwo anders sportlich betätigen können.
„Ich habe den allergrößten Respekt vor den Leuten, die die Fan- und Förderabteilung als Vorstand geführt haben oder führen.“
Was ist die Bedeutung der Fanabteilung heute, vielleicht auch politisch betrachtet?
Das ist so ein Punkt, in dem ich den größten Aktionsbedarf sehe. Die große Herausforderung ist, dass die Fanszene komplexer, heterogener geworden ist und die Fan- und Förderabteilung den Anspruch haben muss, die verbindende Plattform zwischen allen Richtungen zu sein. Die Fanabteilung muss immer auch ein Garant dafür sein, dass dieser Verein professionell geführt, leistungsstark und wettbewerbsfähig sein muss. Wenn wir in der Dritten oder Vierten Liga spielen, dann erreichen wir weniger Menschen. Der Leistungsbegriff muss eine zentrale Rolle in diesem Klub spielen. Sonst sind Spitzensport und Profifußball nicht möglich. Ohne diese Ansprüche würde Eintracht Frankfurt an Strahl- und Anziehungskraft verlieren. Die Fanabteilung muss aber auch der Garant für Traditionspflege, Haltung und Offenheit für alle sein. Wir wollten immer bunt sein, ethnische Hintergründe, sexuelle Orientierung, Religion, Sprache und Kultur … Das spielt alles keine Rolle, wenn du den Adler auf der Brust trägst, dann bist du hier willkommen. Und auch da muss man politisch einfach klar sein. Da braucht es eine Fan- und Förderabteilung, die eine stärkere Stimme hat, als das im Moment der Fall ist. Ich würde der Fan-Abteilung zu beiden Themen etwas mehr Konsequenz in der öffentlichen Wahrnehmung wünschen.
Hast du noch irgendetwas, was dir auf dem Herzen liegt, was du gerne noch loswerden möchtest, zu dem Thema?
Ja! Ich habe den allergrößten Respekt vor den Leuten, die die Fan- und Förderabteilung als Vorstand geführt haben oder führen, weil ich weiß, wie viel Kraft das kostet. Ich werde für meine Arbeit bei Eintracht Frankfurt bezahlt. Diejenigen hier sind Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler und ich muss sagen, ich habe immer den Hut gezogen vor allen, die sich hier in den letzten 25 Jahren eingebracht haben. Die meisten kenne ich sehr gut und lange. Ihre Hingabe für diesen Verein ist bemerkenswert.