Torwarttraining: Der Frankfurter Weg
Das Leistungszentrum am Riederwald wächst. Im Zuge einer stetigen Professionalisierung gilt das für sämtliche Bereiche und Positionen. So starten die Leistungs- und Nachwuchsteams der Eintracht mit einem punktuell verstärkten Torwarttrainer-Team in die nun angelaufene Saison 2021/22. Die gesamtverantwortliche Leitung obliegt dabei nach wie vor Jan Zimmermann, der seit Ende Januar 2020 als Torwarttrainer der Profis von Eintracht Frankfurt fungiert, sich aber bereits zuvor schon dem Torhüter-Nachwuchs am Riederwald widmete.
Jan kam 1994 zur Eintracht, durchlief alle Jugendmannschaften, bis ihm der Sprung in den Profikader gelang. Über den SV Darmstadt 98, den 1. FC Heidenheim und den TSV 1860 München führte ihn sein Weg zurück zur Eintracht, mit der er 2018 Deutscher Pokalsieger wurde. Ihm zur Seite steht Jonas Gabi, seit 2016 am Riederwald, zunächst als Torwarttrainer und seit Amtsantritt Zimmermanns auch als Koordinator der Leistungsteams, wobei Jan, der von allen nur „Zimbo“ genannt wird, sofort betont, dass der Begriff „Koordinator“ die Arbeit von Jonas nicht vollumfänglich erfasst.
Analyse, Scouting, aber auch die Konzeption von Ausbildungsrichtlinien gehören zum Aufgabengebiet von Jonas Gabi, der zudem noch in diesen Monaten im Bereich Physik promoviert. Die beiden verstehen sich als Team, zu dem natürlich auch die Torhütertrainer der Nachwuchsmannschaften gehören. Stephan Loboué, verantwortlich für die U19 aber auch für die U10 und U11, Sven Schmitt – wie Jan Zimmermann ein echtes Eintracht-Urgestein – für die U17, U12 und U13, Jannis Clemens für die U16 sowie Finn Goettgens für die U14 und U15. Der erst 17-jährige Sören Schmidt verstärkt die Truppe und sammelt erste Erfahrungen als Trainer, nachdem er selbst in den Jugendteams der Eintracht aktiv im Tor spielte. Derartig viel Manpower gab es am Riederwald noch nie auf der Position des Torwarttrainers. Und sie arbeiten alle auf das große Ziel hin, dass eines Tages der Keeper der Bundesligamannschaft von Eintracht Frankfurt aus der eigenen Nachwuchsschmiede, womöglich aus der Region kommt, und vor 51.500 Zuschauern im Stadtwald aufläuft – so wie einst Jan Zimmermann selbst oder zuletzt Elias Bördner, der am letzten Spieltag der vergangenen Saison sein Bundesligadebüt gegen den SC Freiburg feierte. Leider Corona-bedingt ohne Zuschauer.
"Wir geben die Leitplanken der Ausbildung vor, aber jeder Trainer soll sein Impact dazu geben" -Jan-
So ist es wenig verwunderlich, dass das Torwarttraining nicht auf dem Platz beginnt und auch nicht dort endet. „Manchmal ruft mich Jan um sieben Uhr morgens an und auch wenn ich ihm abends um 23 Uhr noch eine Nachricht schicke, antwortet er sofort“, lacht Jonas, der neben der konzeptionellen Arbeit regelmäßig das Torwarttraining selbst beobachtet und zuweilen auch aktiv das Training leitet. Der 25-Jährige, der über die TSG Wieseck, einem der Kooperationsvereine der Eintracht, an den Riederwald kam, spielte selbst als Torwart in Wieseck, aber auch beim FSV Frankfurt. Er kennt also das Geschäft von der Pike auf. Beide brennen für ihre Arbeit, entwickeln Konzepte und Richtlinien, sodass die jeweiligen Trainer in ihren Teams auf die Arbeit des jeweils anderen aufbauen können. „Wir geben quasi die Leitplanken der Ausbildung vor, aber jeder Trainer soll sein Impact dazu geben, die Richtlinien sind keine Diktion. Im Grunde ist der Ausbildungsplan ein stetiger Prozess. Wir machen uns viele Gedanken, aber die Zeit verändert sich, alles verändert sich und so wird es einen fertigen Plan nie geben“, präzisiert Jan die strukturelle Entwicklung. Dazu gehört auch, dass die Nachwuchstorhüter nicht nur in ihrer sportlichen Entwicklung gefördert werden. „Die Jungs kommen im Idealfall im Alter von sieben bis neun Jahren zu uns und bleiben bis zum Ende der U19. Allen ist klar, dass nicht jeder den Sprung zu den Profis schaffen wird, egal bei welchem Verein. Aber wenn die Jungs bereit für das normale Leben sind, wenn sie auch nach der Ausbildung gut über ihre Zeit bei der Eintracht sprechen, dann haben wir viel erreicht. Jeder bei uns soll sich gefordert, aber auch gefördert fühlen“, gibt Jan ein Ausbildungsziel vor. Dazu gehört ebenso die Akzeptanz der eigenen Verantwortung gegenüber den Spielern, aber auch den Eltern, die oftmals lange Anfahrtswege in Kauf nehmen, um den Nachwuchs Woche für Woche zum Training oder zu den Spielen zu bringen. „Wir müssen dies anerkennen und für sie da sein. Und ich möchte gerne, dass es heißt: Bei der Eintracht, da spielen richtig gute Torhüter.“
Generell
ist der Blick über den Tellerrand hinaus ein wesentliches Merkmal – sowohl von
Jan, aber auch von Jonas. Jan, der gerade seinen finalen Torwarttrainerschein,
die UEFA-A-Lizenz, absolviert, hat sich schon während seiner aktiven Zeit
intensiv mit dem Wesen des Torwarttrainings beschäftigt: „Ich habe viel
hinterfragt: Was bringt mir was? Ein konkretes Vorbild hatte ich nie, ich habe
aber von allen meinen Trainern und Kollegen etwas mitgenommen. Einem einzelnen
wollte ich jedoch nie nacheifern – dann wäre ich ja nur eine Kopie geworden,
das war aber nicht mein Ziel.“ Und Jonas bläst ins gleiche Horn: „Vorbild?
Nein, ich schaue mir bei jedem ab, was ich gebrauchen kann.“ Letztlich führte
diese Auseinandersetzung dazu, dass sich Jan noch als aktiver Spieler als
Torwarttrainer im Leistungszentrum engagierte. „Die Nachwuchsarbeit ist wichtig
und ich wollte die Jungs und Strukturen kennen lernen“.
So gelangen sie zu der Erkenntnis, dass das Torwarttraining in der Struktur nur langfristig gedacht werden kann – und Jahrgang für Jahrgang auf den vorhergehenden Kenntnissen aufbaut. „Was soll ich den Jüngsten beibringen, wie sie Flanken abfangen, wenn sie erst einmal lernen müssen, wie man überhaupt einen Ball fängt?! Mit den Grundlagen fängt es an, alles andere baut darauf auf. Und von daher ist es auch wichtig, dass unsere Trainer miteinander kommunizieren, wissen, was der jeweils andere macht. Die Torhüter müssen in der Struktur von jedem Trainer das Gleiche hören. Und unsere Trainer haben richtig Bock darauf. Alle machen mehr, als sie eigentlich müssten – und niemals trainiert ein Trainer alleine“, ist Jan begeistert über die aktuelle Entwicklung. Nicht zu unterschätzen ist dabei der psychologische Faktor. „Die Jungs, die bei uns anfangen, kommen als Kinder an den Riederwald, landen dann in der Pubertät und werden langsam erwachsen – da braucht es jeweils ganz andere Ansprachen. Letztlich sind wir, die Torwarttrainer, Bezugspersonen, Unterstützer, Väter wie Lehrer gleichermaßen und jeder Keeper braucht eine unterschiedliche Behandlung“, fasst er die Kernpunkte zusammen. Und endet mit einem bemerkenswerten Satz: „Letztlich ist es die größte Anerkennung, zu jemandem ehrlich zu sein.“
So schreitet das Team auf dem Frankfurter Weg unbeirrbar voran, trotzt auch den Widrigkeiten der Pandemie und ist guter Dinge, dass eines Tages die neue Nummer Eins im Tor von Eintracht Frankfurt durch die Frankfurter Torwartschule gegangen sein wird. Dafür arbeiten sie jeden Tag mit Herz, Leidenschaft, aber auch klaren Gedanken fast rund um die Uhr. Dass sie so ganz nebenbei auch Fans der Eintracht sind, versteht sich nahezu von selbst.
Text:
Alessandro Crisafulli, Axel Hoffmann
Fotos:
Alessandro Crisafulli, Bianca Jockel