„Talente bestmöglich begleiten“
Manche Lebenswege verlaufen gradlinig, geplant und strukturiert. Andere wiederum führen auf verschlungenen Pfaden an ein Ziel, von dem man vielleicht gar nicht wusste, dass es ein Ziel sein könnte. Wie bei Ömer Erbay, dem Sportlichen Leiter der Nachwuchsmannschaften von der U9 bis zur U14. Wir haben uns mit ihm unterhalten und stellen euch seine Geschichte, Arbeitsweise und Perspektiven hier vor.
Ömer Erbay wurde in Hofheim am Taunus geboren und ist dort vor den Toren Frankfurts aufgewachsen. In der Jugend kickte er für den SV 09 Hofheim – und war lange Jahre weit davon entfernt, an eine Trainerkarriere zu denken – schon gar nicht bei Eintracht Frankfurt. Bis Ende letzten Jahres arbeitete er bei einem großen deutschen Automobilkonzern als Koordinator der Verkaufsleitung. Der Zufall wollte, dass ein Freund ihn vor zehn Jahren fragte, ob er kurzfristig bei seinem Heimatverein als Co-Trainer aushelfen könne. Ömer zögerte nicht lange und betreute die Kids derart gekonnt, dass der Gegner – der SV Wehen – auf ihn aufmerksam wurde und ihn unmittelbar darauf kontaktierte. So avancierte er kurze Zeit später zum Co-Trainer der U14 des SV Wehen, um in der folgenden Saison als Co-Trainer der U15 in der Regionalliga einzusteigen, der höchstmöglichen Spielklasse der C-Junioren. Nebenbei begann er seine Trainerscheine zu machen.
Nach fünf Jahren in Wehen erreichte ihn die Anfrage der Eintracht – da beide Klubs in derselben Liga spielten, blieb seine pädagogische Begabung auch am Riederwald nicht verborgen. Ömer sagte ohne Umschweife zu. Einem Jahr als Co-Trainer bei der U15 folgten vier weitere als Cheftrainer der U14 – bis er im Sommer 2021 hauptberuflich die Aufgabe des Sportlichen Leiters der jüngsten Jahrgänge übernahm. „Ich wurde damals ins kalte Wasser geworfen, jetzt gehe ich ins elfte Trainerjahr – und kann nicht mehr loslassen“, wundert er sich noch heute über die Wendung, die sein Leben genommen hatte. „Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen hat mir vom ersten Moment an viel Spaß gemacht. Es ist für mich eine große Erfüllung, aber auch ein großes Privileg, die Nachwuchstalente begleiten zu dürfen“.
Bei den Profis hat er ebenfalls schon hineingeschnuppert. „Aber ich habe gemerkt, dass mir aktuell die Arbeit mit den Jugendlichen zu sehr am Herzen liegt.“ Ganz ausschließen möchte Ömer den Schritt in den Profifußball dennoch nicht. Seine derzeitige Aufgabe als Sportlicher Leiter des Nachwuchses besteht überwiegend aus den drei Säulen: Spiel- und Trainingsanalyse, Scouting und Trainerentwicklung. Dabei geht es vorrangig um die Umsetzung einer einheitlichen Spiel- und Ausbildungskonzeption in Training und Wettkampf sowie die Förderung als auch Forderung der Trainertalente. Dazu gehört es auch, Denkanstöße und Hilfestellungen für die tägliche Arbeit sowohl auf als auch neben dem Platz zu geben.
„Meine Arbeit ist für mich eine große Erfüllung, aber auch ein großes Privileg.“ -Ömer-
Ein wesentliches Merkmal der Eintracht ist der regionale Bezug. Auch die Nachwuchstrainer kommen aus dem Großraum Frankfurt. „Für uns ist es nicht so wichtig, dass ein junger Trainer schon Kompetenzen auf allerhöchstem Niveau aufweist. Diese vermitteln wir durch unsere Arbeit. Vielmehr entscheidend ist, dass die jungen Trainer zum Verein passen, dass sie Begeisterung sowie Lernwilligkeit zeigen und sich idealerweise mit unserer Art und Weise der Ausbildung und Spielidee identifizieren können“, gibt Ömer die Richtung vor.
Optimale Möglichkeiten zur Weiterentwicklung sind das eine, konkrete Perspektiven das andere. Ein Mosaikstein ist dabei die Durchlässigkeit in den Leistungsbereich. So ist Sebastian Schlosser dieses Jahr von der U11 zur U15 gewechselt, quasi aus dem Grundlagenbereich zum altersmäßig ersten Leistungsteam. „Unsere Trainer sollen in Zukunft im Idealfall sowohl die U10, aber auch die U14 jeweils altersgerecht trainieren können. Dazu haben wir eine einheitliche Herangehensweise konzipiert, in die unsere Trainer in vollem Umfang involviert sind“, erklärt Ömer. Blickt er auf die vergangenen Monate der Pandemie zurück, fällt das Fazit erstaunlicherweise nicht ganz so ernüchternd aus. Natürlich hat diese Zeit auch bei den Jüngsten Spuren hinterlassen. Doch der 44-Jährige versucht, selbst in solch einer Situation das Positive zu sehen: „Da wir weniger auf dem Platz standen, konnten wir die Zeit optimal nutzen, um in wöchentlichen Meetings mit den Trainern unsere einheitliche Ausbildungs- und Spielkonzeption weiter voranzutreiben und Strukturen zu entwickeln, welche die Trainer jahrgangsübergreifend anwenden können. Die Meetings dienten auch dazu, unsere bisherige Arbeit zu hinterfragen.“
Eine von vielen Erkenntnissen war die notwendige Aufstockung der Trainerteams. Sowohl für die U12 als auch für die U13 und U14 arbeiten nun drei Trainer pro Mannschaft, so bleibt mehr Zeit, sich intensiver mit jedem einzelnen Spieler sowohl sportlich, aber ebenso außersportlich zu beschäftigen. Dazu gehört auch seit Saisonbeginn ein Techniktrainer, der sich individuell um die Talente kümmert. Und erstmals arbeitet mit Duarte Rodrigues Saloio auch der Trainer der U14 hauptberuflich bei der Eintracht. Zudem fließt nun bei den jüngeren Jahrgängen die Videotechnologie noch ausgeprägter in den Trainingsalltag mit ein, um detaillierte Rückschlüsse für die Arbeit mit den Spielern gewinnen zu können.
Ein wesentlicher Leitsatz der Ausbildung bei Eintracht Frankfurt heißt: Erlebnis vor Ergebnis. „Diese Erlebnisse zu maximieren und positiv zu moderieren, muss in Zukunft eines unserer Ziele im Grundlagen- und Aufbaubereich sein. Wir wollen ein Stück weit wegkommen vom reinen Ergebnisfußball. Klar möchten wir so viele Spiele und Pokale gewinnen wie möglich, aber im Vordergrund steht das altersgerechte Training, der Prozess mit den dazugehörigen Freiheiten für die Kreativität. Die Jungs sollen sich ausprobieren und Fehler machen dürfen, dabei aber nicht vergessen, Teil eines Ganzen zu sein. Wenn die Spieler mit einem Lächeln zum Training kommen und mit noch größerer Vorfreude auf das nächste Training blicken, dann wissen wir, dass wir auf einem richtig guten Weg sind“, fasst Ömer die Grundlagen des Ausbildungsgedanken der Jüngsten zusammen.
Die Teams von der U9 bis zur U13 nehmen nicht am Ligabetrieb teil. Stattdessen stehen Leistungsvergleiche und Turniere auf dem Programm, in denen alle Spieler auf die maximale Spielzeit kommen können. Mittlerweile hat sich die Teilnahme an der Sonderspielrunde in der U13 etabliert. Nach den durchweg positiven Erfahrungen wird auch die U12 ab der neuen Saison an einer Sonderspielrunde teilnehmen, in denen Tabellen und Ergebnisse keine Rolle spielen, die Jungs sich aber im Wettkampf auf hohem Niveau messen können. Letztlich überprüft der Wettkampf am Wochenende ja das Training unter der Woche. „Die Spieler sind unsere Hauptdarsteller, von daher muss es unsere Aufgabe sein, alles zu unternehmen, dass unsere Talente sich wohlfühlen und sich optimal in ihrem Jahrgang entwickeln können.“
„Begeisterung,
Lernwilligkeit und Identifikation bei Trainern entscheidend.“ -Ömer-
So wird der Bereich Elternmanagement zukünftig eine noch größere Rolle in der täglichen Arbeit einnehmen, die Einbindung der Eltern in den Entwicklungsprozess ihres Kindes. Auch das Vertiefen des Austausches mit den Kooperationsvereinen aus Wieseck, Königsstein, Oberrad und Erlensee hat sich die Eintracht auf die Fahnen geschrieben. „Wir können nicht nur Spieler oder Trainer aus den Vereinen holen, wir müssen auch etwas zurückgeben“, weiß Ömer und präzisiert die Inhalte: „Dazu gehören idealerweise die Teilhabe an der Spielkonzeption, wechselnde Hospitationen, aber auch der Kooperationsspieltag, an dem die Teams der Eintracht zum jeweiligen Kooperationspartner fahren und neben den Spielen vor allem die Kommunikation zwischen der Eintracht und dem jeweiligen Partner pflegen.“
Ebenso soll die Zusammenarbeit mit der Carl-von-Weinberg-Schule intensiviert werden. Ab der laufenden Saison steht mit Felix Jeckel neben den etablierten Schultrainern auch der Trainer unserer U13 an drei Vormittagseinheiten für die Jüngeren zur Verfügung. „Es ist mir wichtig, dass im Schultraining unsere Talente bestmöglich begleitet werden und dort eine einheitliche Sprache in der Ausbildung gesprochen wird. Dazu gehört die permanente Kommunikation zwischen den Jahrgangs- und Schultrainern und vor allem mit Folker Liebe, dem Koordinator an der Schule“, begründet Ömer diesen Schritt. Außerdem plant er für den Nachwuchs der Eintracht mehr Präsenz in der Region. „Unser Ziel ist es, wieder nahbarer und greifbarer für Vereine und Fans im Frankfurter Umfeld zu sein. Dazu sollen Freundschaftsspiele und Turnierteilnahmen in der Region helfen.“
Klar definierte Ausbildungsziele, altersgerechtes Training, sowie vitales, dynamisches Arbeiten und transparente Prozesse sind die Grundlagen im Bereich der Nachwuchsförderung. Wesentlich dabei ist auch die Vermittlung der Werte der Eintracht, welcher sich Ömer und sein Team bewusst sind: „Aufgeschlossenheit und Vielfalt leben wir vor. Wir wollen permanente Aufklärung betreiben und legen Wert darauf, dass sich unsere Spieler mit unseren Werten identifizieren und sie leben.“ So entwickelt sich die Nachwuchsförderung am Riederwald in allen Bereichen Schritt für Schritt weiter. „Ziel und Motivation aller ist es, dass es in Zukunft heißt: ‚Das Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht ist eine Top-Adresse für Talente‘. Dafür arbeiten wir alle täglich mit voller Hingabe und Leidenschaft, um die nächsten Eigengewächse demnächst bei den Profis zu sehen“, sagt Ömer zum Abschluss. Und macht sich wieder an die Arbeit.
„Talente
sollen sich wohlfühlen und optimal in ihrem Jahrgang entwickeln können.“ -Ömer-
Text: Axel
Hoffmann
Fotos:
Alessandro Crisafulli, privat