„Mit Geld
nicht zu kaufen“
Seit sage
und schreibe 46 Jahren ist er schon Trainer von Eintracht-Athleten. Über 280
Meistertitel gewann er in dieser Zeit mit seinen Sportlern, nahm an fünf
Olympischen Spielen, 15 Weltmeisterschaften, 22 Europameisterschaften teil.
Dazu kommen 20 Teilnahmen an Universiaden, den Weltsportspielen für Studenten,
sowie zahlreiche Vorträge und Kongresse im Ausland. Die Rede ist von Günter
Eisinger, Leichtathletiktrainer Sprung bei der Eintracht. Ihn jedoch nur an
seinen Erfolgen zu messen, würde ihm nicht gerecht werden, vor allem ist er
beeindruckend als Mensch, der auch im Alter von 70 Jahren mit Herzblut und
Leidenschaft 24 Stunden am Tag für seine Athleten da ist.
Eine Geschichte
über Günter Eisinger auf den zwei geplanten Klubmagazin-Seiten unterzubringen,
ist ein schwieriges, wenn nicht sogar ein unmögliches Unterfangen – das wird
mir schon nach dem ersten Telefonat klar. Weitere stundenlange Gespräche
folgten, in denen er mir zahlreiche Geschichten über seinen Werdegang, seinen
Beruf als Lehrer, vor allem aber mit Stolz über seine Sportler sowie damit
verbunden viele äußerst unterhaltsame Anekdoten aus Kuba, China oder Bali
erzählte. Man könnte ihm stundenlang zuhören. Und mit jedem Wort, das Günter
ausspricht, spürt man seine Liebe und Leidenschaft für seine Athleten und das
Trainerdasein. Günter liefert Stoff für ein Buch oder besser gesagt einen
Wälzer.
Die
Anfänge
Seit der
gebürtige Eberstädter im zarten Alter von fünf Jahren dem Turn- und Sportverein
Griesheim (bei Darmstadt) beitrat, ist der Sport sein absoluter
Lebensmittelpunkt. Dass aber einmal die Leichtathletik, im Speziellen der
Hochsprung, seine Karriere prägen würden, war damals noch absolut nicht
abzusehen. „Wir hatten bei der TuS die Möglichkeit, überall mal
reinzuschnuppern. So habe ich von Turnen über Fußball, Tischtennis,
Leichtathletik alles einmal ausprobiert. Im Winter haben wir Handball
gespielt“, berichtet Günter über seine sportlichen Anfänge. In den
Leichtathletik-Wettbewerben bei den Turnern erzielte er bundes-weite Erfolge –
und wurde im heute fast unbekannten Schleuderballwurf 1968 Deutscher Meister.
Schon in seinen jungen Jahren bei der TuS fiel er durch ehrenamtliches
Engagement auf.
Die ersten
Schritte im Beruf und als Trainer
Mit inzwischen
20 Jahren stellte Günter die Weichen für seine berufliche Zukunft. 1970 legte
er in Frankfurt eine staatliche Prüfung zum Turn- und Sportlehrer ab und fing
direkt im Anschluss an, am Friedberger Burggymnasium zu unterrichten. 47 Jahre
lang war er am Burggymnasium Sportlehrer und hörte erst 2017 im Alter von 67
Jahren auf. Dort war er unter anderem zehn Jahre Vorsitzender des Vereins
ehemaliger Burgschüler und auch Schulsportkoordinator im Wetteraukreis.
Parallel zu seinem Einstieg als Lehrer fing er 1971 in Bad Nauheim und
Friedberg als Leichtathletiktrainer an. Zu jener Zeit entdeckte Günter in einer
Nachbargemeinde von Friedberg ein junges deutsch-amerikanisches Talent Namens
Douglas Henderson. Nach Gesprächen mit den Eltern und mehreren Tagen
Probetraining konnte er ihn für die Leichtathletik gewinnen.Douglas wurde nur
ein Jahr später im Dreisprung Deutscher B-Jugend-Bester und 1974 Deutscher
Meister in der A-Jugend. Das sollte der Beginn einer großen Trainerkarriere
werden. Nachdem Günter 1975 als Trainer nach Frankfurt gewechselt war,
entschied sich Douglas, in Bad Nauheim zu bleiben. Vier Jahre später wurde er
Deutscher Meister bei den Männern – zwar mit einem anderen Trainer, aber
inzwischen als Adlerträger.
Günters
erster Spitzenathlet: Gerd Nagel
1976 lernte
Günter durch einen Zufall über Kristiane Nagel, eine hessische
Hürdensprinterin, auch deren Bruder Gerd kennen. Beide vereinbarten in den
Ferien ein Probetraining. Danach entschloss sich Gerd, von Sulingen bei Bremen
nach Frankfurt zu wechseln. Mögliche Hindernisse wie Ausbildung und Unterkunft
wurden zuvor geregelt. Glücklicherweise wohnte Gerds Oma in Sprendlingen und
nahm ihren Enkel auf, und auch eine Konditorlehre, um später alternativ die
Konditorei seines Vaters übernehmen zu können, wurde in Darmstadt gefunden. Es
ist charakteristisch für Günter, bei allem Fokus auf die sportlichen Ziele über
den Tellerrand hinauszuschauen und sich um das Wohlergehen seiner Athleten zu
kümmern. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, vielen weiteren. Gerd trainierte
also nun in Frankfurt und musste trotz täglichem Training auch jeden Morgen um
5 Uhr seine Ausbildung beginnen. „Trotz oder gerade wegen dieser extremen
Doppelbelastung wuchs Gerd über sich hinaus und entwickelte sich zu meinem
ersten Weltklasse-Athleten“, blickt der 70-Jährige zurück. Was dann folgte,
fassen wir kurz zusammen: 1977 wurde Gerd Hessischer Meister, 1978 Vierter bei
der Hallen-EM in Wien, 1979 sprang er in Eberstadt zusammen mit Carlo
Thränhardt und Dietmar Mögenburg gemeinsam gleich zweimal Deutschen Rekord.
Ebenfalls 1979 gewann Gerd in Stuttgart überraschenderweise seinen ersten
Deutschen Meistertitel. Mittlerweile war er Student geworden und holte bei der
Universiade in Mexico-City seinen ersten internationalen Titel
(Studentenweltmeister). 1982 gewann er Bronze im Hochsprung bei der
Leichtathletik-EM in Athen. Und mit Gerd war Günters erster Spitzenathlet
geboren. Zahlreiche weitere sollten folgen und damit die Reisen um die gesamte
Welt beginnen. Bis heute brachten die Athleten ihn in 56 Länder. Dazu aber später
mehr.
Ziehtochter
Ariane Friedrich
2003 kam mit
Ariane Friedrich eine hochtalentierte Athletin unter Günters Fittiche. Sie war
erst 19 Jahre alt, hatte gerade das Abitur gemacht und kam aus einem 300-Seelen-Nest
St. Ottilien nach Frankfurt. Ariane genoss das neue Leben in der Großstadt und
hatte Mitbewohner im Internat, die für ordentlich Stimmung sorgten. Zwar wurde
sie Junioren-Europameisterin 2003, nationale Meisterin 2004, aber in den
Jahren2005 und 2006 stagnierten ihre Leistungen. Es konnte schon mal passieren,
dass sie ihrem Trainer nachts um 2 Uhr eine SMS schickte, dass sie mit einem
Jäger unterwegs sei und gerade einen Bock geschossen habe. Das wurde Günter
irgendwann zu bunt, ein klärendes Gespräch musste her, in dem er circa 30
Punkte auflistete, über die unbedingt gesprochen werden musste. Bei dem
darauffolgenden Gespräch flossen viele Tränen. Erfreulicherweise stellte Ariane
ihr Leben um, wurde ein Vorbild in Sachen Professionalität – und eine
Weltklasse-Athletin: Olympia-Vierte in Peking 2008, Gold bei der Hallen-EM in
Turin (2009), Bronze bzw. im Nachhinein Silber bei der Heim-WM in Berlin
(2009), Deutscher Rekord mit 2,06 Metern (2009; bis heute gültig), Bronze bei
der EM-in Barcelona (2010) und zahlreiche nationale sowie internationale Titel
mehr. „Heute bin ich froh, dass Ariane ihre Jugend trotz des Sports ausgelebt
hat“, kann Günter inzwischen darüber lachen. Beide haben in den vielen Jahren
und den unzähligen Reisen ein sehr inniges Verhältnis aufgebaut und auch nach
Arianes Karriereende im Jahr 2016 bis heute nahezu täglich Kontakt. „Sie ist
wie eine Ziehtochter“, sagt Günter.
Günter als
Weltenbummler
Als Günter mit
Anfang 20 Trainer wurde, träumte er von der großen weiten Welt. Er träumte von
Kanada, von der Chinesischen Mauer, von Amerika und von so vielen Orten, Zielen
und Ereignissen. Dank des Sports und seiner zahlreichen Athleten hat er
inzwischen viele Teile der Welt gesehen und die unterschiedlichsten Kulturen
kennengelernt. „Da ich nicht als Tourist auf Urlaubstour war, konnte ich sehr
oft hinter die Kulissen schauen und wurde nicht selten als Gast mit
internationalem Familienanschluss aufgenommen“, gerät er ins Schwärmen. Günter
taucht ein in seine Erinnerungen und erzählt unterhaltsame Anekdoten von einer
Silvesterparty mit Sambatänzerinnen auf Kuba, von einem Ausflug zur
Chinesischen Mauer morgens um 5 Uhr, von einem Trip mit französischen
Bergleuten in eine der tiefsten Kohlegruben der Welt (Forbach; Frankreich), von
einer blutrünstigen Essenseinladung in China, vom Training mit Kokosnüssen
statt Medizinbällen in Samarinda (Indonesien), von einem fünftägigen Trip mit
Ariane auf Bali und so viele mehr. „Der Sport hat mir Erlebnisse ermöglicht,
die ich mir mit viel Geld nie hätte kaufen können“, so Günter.
Entscheidungen
und Träume
War bei all der
Leidenschaft für den Sport niemals der Gedanke da, den Lehrerjob an den Nagel
zu hängen und hauptberuflich Trainer zu werden, frage ich. Natürlich habe es
Angebote gegeben, sagt er. „Um ehrlich zu sein, gab es zwei Angebote, bei denen
ich beinahe schwach geworden wäre, aber glücklicherweise ist es anders
gekommen“, antwortet mir Günter. „Ich war 47 Jahre an derselben Schule und seit
1979 trainiere ich Eintracht-Athleten. Ich mag Sicherheit, ich bin zufrieden
mit meinen Entscheidungen und meinem Leben.“ Und fügt unmittelbar hinzu, dass
er trotzdem auch mit 70 Jahren noch Visionen, Träume und Wünsche habe, die er
erleben und teilen möchte. Welche diese seien, möchte ich wissen. „Ich würde
gerne mit meinen Sportlern noch nach Australien, Neuseeland und Brasilien
reisen. Dort war ich noch nicht. Dann würde ich mir die Business Class im
Flieger gönnen“, lacht das Eintracht-Urgestein. Wir drücken dir die Daumen,
Günter, und freuen uns schon sehr auf weitere Geschichten. Nun sind es eben
doch drei Seiten geworden …
Text: Nina
Bickel
Fotos: Nina Bickel, imago images, privat
Günter
Eisinger
Trainerstationen:
1971 – 1975 LSC Bad
Nauheim und LG Friedberg
1975 bis heute LG Frankfurt, Eintracht Frankfurt
seit 1979 Trainer von Eintracht-Athleten
seit 1979 Landestrainer beim Hessischen Leichtathletik-Verband
1982 – 1985 Bundestrainer im Hochsprung der Frauen
Auszeichnungen:
2020 Sportplakette des
Landes Hessen
2018 Verdienstplakette des Württembergischen Leichtathletik-Verbands
2012 Hessischer Verdienstorden am Bande
2011 Landesehrenbrief des Freistaates Thüringen
2008 Hessischer Leichtathletik-Trainer des Jahres
2005 Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Arnstadt
Teilnahmen
an:
5 Olympischen Spielen
7 Weltmeisterschaften
7 Hallen-Weltmeisterschaften
1 Junioren-Weltmeisterschaft
9 Europameisterschaften
13 Hallen-Europameisterschaften
17 Trainingslager Ausland
20 Universiaden
11 Vorträge Ausland
17 Kongresse im Ausland
Gewonnene
Titel mit Athleten:
über 30 Deutsche
Meistertitel
über 20 Deutsche Hochschulmeistertitel
über 230 Hessische Meistertitel
1. Internationaler Chinesischer Meister (Hochsprung): Gerd Nagel
1. Militärweltmeister (200 Meter): Lester Washington (20,41 Sekunden)
Rekorde
seiner Athleten:
ehemaliger Deutscher
Rekord: Gerd Nagel (2,27+2,30 Meter; 1979)
aktueller Deutscher Rekord: Ariane Friedrich (2,06 Meter; seit 2009)
aktueller Brasilianischer Rekord: Orlane Lima dos Santos (1,92 Meter; seit
1989)
aktueller Slowakischer Rekord: Alice Javad (1,95 Meter; seit 1996)
ein Neuseeländischer Rekord: Christofer Träbing
ein Südafrikanischer Jugendrekord: Christo Frey
rund 30 Hessische Rekorde