„Positive
Aufbruchstimmung zu spüren“
Michael
Krichbaum ist seit Mai 2020 der neue Leiter der Leichtathletikabteilung –
zunächst kommissarisch, seit September nun zusammen mit dem neuen Vorstand
gewählt. Einige Monate sind seither vergangen. Die EvM-Redaktion hat mit dem
39-Jährigen über die Neuausrichtung, die Herausforderungen, den Wohlfühlfaktor
und die Ziele gesprochen.
Michael, wie
und wann bist du zur Eintracht gekommen?
Ich bin seit 2017
Mitglied bei der Eintracht. Vorher war ich bei der TSG Nordwest und habe den
Verein als Trainer unterstützt. Als ich Zehnkämpfer und Eintrachtler Andreas
Bechmann von seinem damaligen Trainer Daniel Limburger übernommen habe, weil er
leider aus privaten Gründen kürzertreten musste, bin ich zur Eintracht
gewechselt. Mit dem Vereinswechsel wurde ich 2017 direkt auch Jugendleiter. Ich
bin also erst relativ spät Adlerträger geworden, habe dann aber auch recht
schnell Verantwortung übernommen (lacht).
Wie bist du
denn zur Leichtathletik gekommen?
Ich komme aus dem
Siegerland, wurde als Neunjähriger beim TV Jahn Siegen Mitglied und bin es
heute noch. Bis zum Abitur habe ich Skilanglauf auf Leistungssportniveau
betrieben und auch diverse Jugendnationalmannschaften durchlaufen. Anschließend
gab es drei Möglichkeiten, Profi zu werden: entweder zum Bund, zum Zoll oder
zum Bundesgrenzschutz. Das war alles nicht das, was ich wollte, und damals war
der Skilanglauf der Männer auch noch nicht sehr erfolgreich. So habe ich dann entschieden,
den Leistungssport an den Nagel zu hängen und die akademische Ausbildung
gewählt. Zur Leichtathletik bin ich dann über meinen Freundeskreis gekommen.
Schon früher habe ich im Sommer immer mal wieder an Cross- und Wiesenläufen
teilgenommen. Nach dem Wehrdienst wurde ich angesprochen, ob ich mir nicht
vorstellen könnte, als Übungsleiter für das Kindertraining einzusteigen. So bin
ich damals dazu gekommen und seit 2002 Übungsleiter. Mitte der 90er Jahre war
übrigens Jürgen Sammert hauptamtlicher Trainer beim TV Jahn Siegen. So trifft
man sich in Frank-furt wieder.
Anfang des
Jahres 2020 trat der bisherige Abteilungsleiter Wolfram Tröger zurück. Wie kam
es dann zur Entscheidung, den neuen Vorstand zu bilden und sich in dieser
Konstellation aufzustellen?
Wir mussten relativ
schnell handeln und eine neue Mannschaft zusammenstellen. Dabei war uns vor
allem Vertrauen in der Zusammenarbeit und Transparenz enorm wichtig. Der neue
Vorstand setzt sich nun aus sechs Personen zusammen, vier waren bereits zuvor
im Vorstand. Marianne Bechmann ist schon seit vielen Jahren
Nachwuchskoordinatorin und hat nun zusätzlich den Posten der Schriftführerin
inne. Es ist wichtig, jemanden zu haben, der die Protokolle schreibt, diese
transparent weiterträgt und eng mit der Geschäftsstelle am Riederwald
zusammenarbeitet. Ihr Mann Jürgen blieb als Sportwart und stellvertretender
Abteilungsleiter weiterhin an Bord. Mir war es ein großes Anliegen, dass auch
Ilse Bechthold im Vorstand bleibt. Ihre Vernetzung und ihre Erfahrungen sind
für uns enorm wichtig. Zudem scheut sie sich auch nicht, ihre konträre Meinung
mitzuteilen. Und ich selbst war zuvor Jugendleiter und habe nun die Leitung der
Abteilung übernommen. Mit Holger Kunz – verantwortlich für die Finanzen – ist
es uns gelungen, einen sehr engagierten Mann ins Boot zu holen. Er ist ein
Urgestein und hat bereits in den 90ern angefangen, bei der Eintracht zu
trainieren. Und mit Bernd Knack als neuen Jugendleiter konnten wir einen jungen
Kerl überzeugen, der im Nachwuchs sehr gut vernetzt ist und der Eintracht
Frankfurt lebt.
Welche Ziele
habt ihr euch gesetzt? Welche Philosophie und welche Veränderungen strebt ihr
an?
Unsere mittelfristigen
Ziele sind, die Vermarktung voranzutreiben und die notwendigen sportlichen
Weichen zu stellen. Hierfür wollen wir hin zu mehr hauptamtlichen Kräften, ohne
die Basis zu vernachlässigen. Ein hauptamtlicher Trainer hat einen anderen
Zugang zu den Athleten, da er mehr Zeit in den Leistungssport investieren kann.
So engagiert unsere Ehrenamtler sind und so gute Arbeit sie machen, stoßen sie
aus Zeitgründen an ihre Grenzen. Hinzu kommt, dass für einen talentierten
Sportler nicht nur die Rahmenbedingungen stimmen müssen, sondern vor allem der
Trainer ausschlaggebend ist. Wir
brauchen alles: gute hauptamtliche Trainer, gute Rahmenbedingungen und unsere
engagierten Ehrenamtler. Wie vorhin schon erwähnt, ist für uns Transparenz
enorm wichtig, Ehrlichkeit und vor Ort präsent zu sein, um zeigen zu können,
woran wir arbeiten und was uns am Herzen liegt. Bisher haben wir immer offene
Türen vorgefunden. Zudem legen wir Wert darauf, für alle Athleten ein offenes
Ohr zu haben und unsere Handlungen an den Bedürfnissen der Sportler
auszurichten.
Und wie
sehen die sportlichen Ziele aus?
Sportlich legen wir den
Fokus ganz klar auf die Entwicklung eigener Talente. Wir wollen sie für die
Eintracht sowie die Stadt Frankfurt begeistern und ihnen Möglichkeiten
aufzeigen, Spitzensport und Ausbildung gut miteinander zu verbinden. Eintracht
Frankfurt soll und muss die erste Anlaufstelle für Talente aus der
Rhein-Main-Region und Hessen sein. Einen ersten Schritt haben wir bereits
getan, indem wir die LG Eintracht Frankfurt aufgelöst haben und seit dem 1.
Januar wieder eigenständig sind. So können wir zukünftig leistungssportliche
Aktivitäten viel besser bündeln, und zwar unter dem Dach von Eintracht
Frankfurt. Auch Synergien mit anderen Abteilungen werden wir in Zukunft besser
nutzen können. Außerdem werden wir die Leichtathletik der Eintracht nun in der
Vermarktung vorantreiben. Hierbei können wir auf die Unterstützung der
Eintracht-Familie zählen, um ein größeres Netzwerk aufzubauen und die
Leichtathletik auf die Tages-ordnung zu bringen. Wenn es uns gelingt, den
ersten Partner an Land zu ziehen, bin ich sicher, dass weitere folgen werden.
Ich bin davon überzeugt, dass wir ein tolles Produkt haben und großartige
Athleten. Auch Unternehmen können davon profitieren.
Es gibt
denkbar einfachere Zeiten als die Corona-Pandemie als Start für einen neuen
Abteilungsvorstand. Wie verliefen die ersten Monate?
Nach der
kommissarischen Übernahme des Vorstands im Mai waren die ersten beiden Monate
dadurch geprägt, uns einen Überblick zu verschaffen: Wo stehen wir? Welche
Einnahmen und Ausgaben haben wir? Wie sind die Abläufe und wer sind unsere
Ansprechpartner für welche Anliegen auf der Geschäftsstelle? Hierbei haben wir
sehr große Unterstützung von jedem Einzelnen erfahren, sodass wir uns schnell
in die neuen Aufgaben hineinfinden konnten. Die Organisation des Sports verlief
im Sommer noch relativ unproblematisch. Durch die Lockerungen konnten wir den
Trainingsbetrieb einigermaßen aufrechterhalten und für alle Gruppen Training
anbieten. Da die Trainingsgruppen kleingehalten werden mussten, waren wir
gezwungen, Ausweichtrainingsplätze zu suchen – und sind seither mit einigen
Trainingsgruppen wieder auf dem Gelände am Riederwald. Es war zwar unser Ziel,
Nachwuchstraining in der Heimat der Eintracht zu geben, auch u.a. um Kinder aus
dem Westen und Norden für uns zu gewinnen, durch Corona wurde der Prozess nun
aber deutlich beschleunigt. Die neue alte Trainingsstätte wurde von den Kindern
und Eltern sehr gut angenommen. Und wir sind gekommen, um zu bleiben (lacht).
Neben den
Herausforderungen der Trainingsbedingungen durch die Corona-Krise standen auch
zahlreiche Athletengespräche auf der Agenda. Schließlich schloss Ende November
das Transferfenster.
Nach dem Rücktritt von
Wolfram Tröger haben wir direkt versucht, mit jedem Top-Athleten Kontakt
aufzunehmen. Es war uns wichtig, ihnen das Signal zu senden, dass wir für sie
da sind. Im Juli gab es dann eine offizielle Vorstellungsrunde. Unsere Aufgabe
war klar: Wir wollten jedem Athleten die Chance und die Sicherheit geben, sich
gut auf die verschobenen Olympischen Spiele vorzubereiten. Unser Ziel war es,
alle Athleten, die wir zu dem Zeitpunkt unter Vertrag hatten, halten zu können
– und das ist uns gelungen. Wir sind sehr glücklich darüber und es zeigt aber
auch, dass wir ein guter Standort sind. Die Athleten haben uns einen kleinen
Vertrauensvorschuss gegeben, jetzt liegt es an uns, diesen in Zukunft zu
bestätigen und weiter auszubauen.
Was gab für
die Athleten den Ausschlag? Vermutlich nicht das Geld …
Ausschlaggebend war für
unsere Athleten das Wissen um ein gutes Umfeld, gutes Training und – auch wenn
wir nicht die Bestbezahlenden sind – wir bieten Sicherheit. Caro Schäfer und
Katha Steinruck sind in Frankfurt und bei der Eintracht inzwischen fest
verankert und man spürt bei beiden, dass sie in Frankfurt zu Hause sind. Beide
sind so erfolgreich, dass für sie ihr Umfeld und der Wohlfühlfaktor oberste
Priorität haben. Andreas Bechmann ist ein Frankfurter Bub durch und durch. Er
ist hier groß geworden und hat schätzen gelernt, was hier möglich ist. Die
Sportler fühlen sich bei der Eintrachtwohl und ich bin sicher, dass das in
Zukunft noch besser werden kann.
Auffällig
war, dass alle Gespräche im Sportleistungszentrum am Riederwald, der Heimat der
Eintracht, geführt wurden …
Das stimmt, wir haben
versucht, alle Athletengespräche am Riederwald durchzuführen. Es beeindruckt
die Athleten schon, das ganze Sportgelände, die Geschäftsstelle mit rund 50
Mitarbeitern in den verschiedenen Abteilungen zu sehen. Damit können einerseits
wir bei unseren Gesprächen punkten, aber auch der Athlet erfährt eine
Wertschätzung und sieht, dass Interesse an ihm gezeigt wird.
Die LG
Eintracht Frankfurt wurde zum 1. Januar aufgelöst, die Top-Athleten konnten
alle gehalten werden, vielversprechende Nachwuchshoffnungen sind hinzugekommen.
Was kommt als Nächstes?
Es ist überall eine
positive Aufbruchstimmung zu spüren – egal, ob in der Abteilung, bei den
Trainern oder bei unseren Athleten. Auch der Adler zieht und wird mit Stolz
getragen. Und das kommt als Nächstes: Wir werden zukünftig einheitlich
auftreten! Das liegt mir sehr am Herzen. Mein Aha-Erlebnis hatte ich im Jahr
2019 bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin, als wir im
400-Meter-Hürden-Finale drei Jungs hatten, die jeder ein unterschiedliches
Trikot trugen. Alle sollen zukünftig im gleichen Dress von Nike und mit dem
Adler auf der Brust starten. Wir haben viele Visionen – von weiteren
Trainingsplätzen für den Leistungssport über Lauftreff-Angebote oder einen
sportartspezifischen Shop, wie es die Tennisabteilung oder die Triathleten
bereits haben, um nur einige Visionen zu nennen.
Interview:
Nina Bickel
Fotos: imago images, Lucas Körner