David Abraham
war als Adlerträger Führungsspieler, Leader, Antreiber, Motivator. Kurz gesagt:
der Capitano.122-Mal führte er die Eintracht mit der Kapitänsbinde aufs Feld,
so auch beim größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte – beim Pokalsieg
2018. Fünfeinhalb Jahre trug er das Trikot von Eintracht Frankfurt. Das letzte
Mal kürzlich gegen Schalke. An jenem Tag beendete der Argentinier seine
Profikarriere, der 34-Jährige kehrt zurück in seine Heimat. In Anlehnung an
seine Rückennummer würdigt die „Eintracht vom Main“ auf 19 Seiten ihren
Capitano, der zunächst im Interview seine Zeit in Frankfurt Revue passieren
lässt.
Texte/Interviews:
Bianca Jockel, Daniel Grawe, Lars Weingärtner
Fotos: Max Galys, Jan Hübner, Bianca Jockel, Tim Peukert, Franziska Rappl,
imago images
David, wir
sprechen dich kurz vor deinen letzten Spielen für die Eintracht. Dein Sohn ist
gerade zu Besuch. Wie ist deine Gefühlslage kurz vor dem Abschied?
Zum Glück ist Alfonso
gerade hier. Das macht den letzten Abschnitt meiner Zeit hier in Frankfurt
nochmal besonders schön. Natürlich freut er sich darauf, dass ich nach
Argentinien zurückkehren und mehr Zeit für ihn haben werde. Das fordert er
natürlich auch ein. Wir werden in Zukunft viel mehr voneinander haben, darauf
freue ich mich riesig.
Was hat dich
dazu bewogen, jetzt deine Karriere zu beenden?
Dieser Prozess hat
schon vor längerem eingesetzt. Während der Saison 2018/19, in der wir es bis
ins Halbfinale der Europa League geschafft haben, ist in mir der Gedanke
gereift, mit Adi Hütter zu sprechen, um ihm zu eröffnen, dass die
darauffolgende Spielzeit meine letzte sein sollte. Mir schwebte ein Abschied
anlässlich unseres letzten Saisonheimspiels im Mai vor, das unter normalen
Bedingungen –wie alle anderen Spiele auch – gut besucht gewesen wäre. Wegen
Corona ließ sich dies leider nicht realisieren. Daraufhin habe ich beschlossen,
weitere sechs Monate dranzuhängen, um dem Verein Eintracht Frankfurt, der mir
so viel gegeben hat, zu helfen, die Zeit zu überbrücken, bis ein neuer
Verteidiger an die Mannschaft herangeführt sein würde oder die zur Verfügung
stehenden Spieler genügend Bundesliga-Spielpraxis auf meiner Position gesammelt
haben würden. Der Abschied sollte nicht von jetzt auf gleich erfolgen, sondern
eine geordnete Übergabe ermöglichen. Wir haben uns also auf eine Verlängerung
um sechs Monate geeinigt.
Die
Entscheidung ist dir unabhängig vom Zeitpunkt sicherlich nicht leicht gefallen?
Nein, auf keinen Fall.
Aber für Alfonso lohnt es sich immer! Als ich vor fast sechs Jahren nach
Frankfurt gekommen bin, hätte ich nicht gedacht, dass wir zusammen so eine
lange Reise machen würden. Es waren neben einigen traurigen sehr viele schöne
Augenblicke dabei. Deshalb fällt mir der Abschied so schwer. Ich habe einen
großen Teil meines Lebens hier in Europa verbracht, die schönsten Momente
meiner Karriere hatte ich bei der Eintracht. Jetzt ist der passende Zeitpunkt
für meine Rückkehr nach Argentinien, damit ich endlich wieder die Zeit mit
meinem Sohn und meiner Familie genießen kann.
Der Fußball
war wahrscheinlich lange Zeit die Nummer eins in deinem Leben. Verschieben sich
die Prioritäten jetzt, wo du einen Sohn hast?
Ja, definitiv. Die Priorität ist über Jahre hinweg der Fußball gewesen, mit all
der dazugehörigen Fokussierung. Doch gerade dieses Jahr war besonders hart, für
alle natürlich, aber speziell auch für mich. 2020 habe ich meinen Sohn
insgesamt nur sechs Wochen gesehen. Damit umzugehen, ist mir besonders
schwergefallen. Die Entfernung, das Alleinsein in Frankfurt. Klar habe ich
viele Freunde. Aber es ändert letztlich nichts daran, dass meine Eltern und
mein Sohn zu kurz gekommen sind. Daher der Entschluss, mich künftig mehr auf
das Familienleben zu konzentrieren. Zudem bin ich jetzt auch in einem Alter, in
dem man sich fragt, wie man seine Karriere auf hohem Niveau zu einem guten Ende
bringt. Ich wollte sie weder auf niedrigem Niveau ausklingen lassen noch in
einem Profikader hintenraus kaum oder gar nicht mehr zum Einsatz kommen. So
gesehen halte ich meine Entscheidung für richtig.
Was erkennst
du von dir in deinem Sohn wieder, was er von dir hat?
Die Energie. Er ist ein
Energiebündel, rennt überall hin. Dann dieser verschmitzte Gesichtsausdruck.
Aber ja, Hummeln im Hintern hat er definitiv, gerade wenn‘s ums Spielen geht.
Er ist so ein Duracell-Hase, immer in Bewegung und auch sehr schnell unterwegs.
Ganz so koordiniert wie der Papa ist das Ganze zwar noch nicht, aber die
Schnelligkeit bringt er schon mal mit.
Wie sieht
dein Plan nach der Karriere jetzt aus?
Nicht zuletzt wegen der
ganzen Corona-Pandemie habe ich mich entschieden, meine Profikarriere hier in
Frankfurt zu beenden. Ich denke, das ist die Station gewesen, wo es mir am
besten ergangen ist, wo ich den Fußball am meisten genossen habe, aber auch das
Leben in der Stadt und den Kontakt zu den Menschen hier. Trotzdem möchte ich
zurück in die Heimat und dort in einer Amateurliga bei dem Verein spielen, wo
alles begann und ich meine Liebe zum Fußball entdeckt habe. Nämlich bei Huracán
de Chabás. In Deutschland entspräche dies der neunten oder zehnten Spielklasse.
Mit 35 Jahren möchte ich mir den kleinen Wunsch erfüllen, nochmal für meinen
Heimatverein die Schuhe zu schnüren.
Wie traurig
bist du darüber, dass deine letzten Spiele, insbesondere die Heimpartien,
aufgrund der Corona-Pandemie ohne Fans stattfinden?
Als die Pandemie in
Fahrt kam, habe ich es mir fast schon gedacht. Ursprünglich sollte die Partie
gegen Paderborn am 34. Spieltag der vergangenen Saison mein letztes Spiel sein.
Ich hatte schon Tickets bestellt für Freunde und Familie. Wie gesagt, es sollte
mein allerletzter Auftritt für die Eintracht sein, vor der gewohnten Kulisse,
die wir alle so schätzen. Tja, da musste ich dann wegen Corona umdisponieren.
Das hat mich vielleicht nicht traurig gestimmt, aber es war zumindest ein ganz
merkwürdiges Gefühl. Zwischendurch habe ich natürlich gehofft, dass das Spiel
gegen Schalke vor Zuschauern stattfinden könnte. Aber so, wie sich aktuell die
Situation praktisch überall auf der Welt darstellt, habe ich vollstes Verständnis
dafür, dass dies nicht der Fall sein konnte.
Auf was
warst du während deiner Zeit als Adlerträger und speziell als Kapitän der
Eintracht besonders stolz?
Den größten Stolz habe
ich empfunden, als ich den Pokal hochstemmen durfte. Der Pokal in Berlin,
dieser Moment wird mir nie aus dem Kopf gehen. Gemeinsam mit Alex Meier diese
Trophäe in den Händen zu halten und die gesamte Eintracht-Familie in Berlin
vertreten zu können, war ein einzigartiger Moment. Außerdem haben mich in der
Folgesaison die Choreos unserer Fans bei unseren Europa- League-Heimspielen mit
großem Stolz erfüllt. Einfach Wahnsinn, was sie für einen Aufwand betrieben
haben – auch auswärts! Ich habe all meinen Freunden reihenweise Videos davon gezeigt.
Diejenigen, die live im Stadion dabei waren, fanden es auch unfassbar geil. So
etwas kann einen nur stolz machen. Teil einer Mannschaft zu sein, die solche
Fans hat. Fans, mit denen wir die guten Momente der jüngeren Vergangenheit auf
diese Art und Weise zelebrieren konnten. Darauf bin ich stolz.
Wie behältst
du die Eintracht in Erinnerung?
Ich habe für Eintracht Frankfurt nur die besten Gefühle in meinem Körper. Wenn
ich auf dem Platz gestanden und die Fans gesehen und gehört habe, war das
einfach überragend. In der Innenstadt hatten die Fans immer schöne Worte für
mich. In meiner Zeit in Frankfurt war es immer wie bei einer Familie. Das ist
es, was ich mitnehme nach Argentinien. Eintracht Frankfurt ist ein ganz
besonderer Verein, vor allem wegen seiner Fans und der Atmosphäre im Stadion.
Mein erstes Spiel, damals noch mit Hoffenheim 2013 vor der vollbesetzten Kurve,
die über 90 Minuten immer lauter wurde, das werde ich nie vergessen. Da habe
ich zu meiner Familie gesagt: „Das ist wie zu Hause in Argentinien! Wenn ich die Chance kriege, möchte ich für
diesen Verein spielen!“ Zwei Jahre später habe ich für Frankfurt gespielt.
Wie blickst
du in sportlicher Hinsicht zurück?
Mein erstes Jahr war
noch ziemlich holprig. Wir haben nicht gut gespielt, weshalb wir am Ende der
Saison in die Relegation mussten. Aber im Jahr danach lief es wesentlich besser
und es ging fast nur noch bergauf. Ich habe dann hier ziemlich alles erlebt:
nach der Relegation das verlorene Pokalfinale, dann den Pokalsieg 2018, dann
die vielen Spiele in der Europa League auf sehr hohem Niveau. Ich habe mich
sicherlich auch in dieser Zeit weiterentwickelt. In über 120 Spielen war ich
zudem Kapitän. Meine Zeit in Frankfurt war sportlich und menschlich
wunderschön!
Gibt es ein
Spiel, das du gerne nochmal spielen würdest?
Chelsea. Chelsea,
Chelsea. Wir dachten, wir schaffen das und hatten, gefühlt, den Schlüssel
gefunden, um das Tor zum Finale aufzusperren. Aber leider fiel er uns noch aus
der Hand. Es war so bitter, dieses Halbfinale im Elfmeterschießen zu verlieren.
Wir hatten eine gute Truppe mit einer guten Mentalität beisammen. Dennoch
können wir sehr stolz sein, mit Eintracht Frankfurt dieses Halbfinale überhaupt
erreicht und einem Weltklub wie Chelsea über zwei Spiele auf diese Weise Paroli
geboten zu haben. Wir hätten es verdient gehabt, ins Finale einzuziehen. Am
Ende so zu verlieren, im Elfmeterschießen, das war wohl der bitterste Moment
meiner Karriere.
Und
gleichzeitig sicher ein sehr emotionaler, weil die Fans euch danach gefeiert haben.
Das hat mich unheimlich
beeindruckt. Denn trotz der Niederlage sind die Fans noch über eine halbe
Stunde nach Spielende im Stadion geblieben, haben uns aufgebaut und uns Kraft
gegeben. Das war richtig emotional. Ich weiß nicht, wie viele Fans damals in
London mit da-bei waren, aber gefühlt war das halbe Stadion auf unserer Seite
und hat uns nach vorne gepeitscht.
Eine Partie,
von der die Eintracht-Fans auch noch lange sprechen werden, ist das berühmte
5:1 im November 2019 gegen die Bayern. Du hast nicht viele Tore für die
Eintracht gemacht, aber hier hast du auch getroffen. Ein besonderer Treffer für
dich?
Auf jeden Fall,
definitiv mein emotionalstes Tor für die Eintracht. Sicherlich kein besonders
schönes, aber das ist auch nicht entscheidend bei dieser Geschichte. Wir haben
die Bayern geschlagen, die wahnsinnig viel Druck gemacht haben, weil sie nach
dem Platzverweis einen Mann weniger auf dem Platz hatten. Zum Glück habe ich
dann das 3:1 geschossen, das hat das Spiel für uns wieder etwas beruhigt.
Beschreibe
uns bitte nochmal diesen Treffer.
Wir waren in der
Offensive und haben den Ball verloren. Ich war noch unterwegs nach vorne und
mit dem Rücken zu Serge Gnabry. Ich habe mir dann den Ball geschnappt und ihn
in die Mitte gespielt, wo Bas Dost stand und ihn sofort nach außen zum Flanken
weitergeleitet hat. Dann habe ich fast wie ein echter Stürmer den Laufweg in
Richtung erster Pfosten gesucht. Danny [Anm. d. Red.: da Costa] hat eine super
Flanke in den Strafraum geschlagen, wo ich alleine stand und ihn nur noch
einschieben musste. Entsprechend emotional war auch mein Jubel. Deswegen ist
das mein Lieblingstor für die Eintracht und dann auch noch im vollen Stadion.
Was wirst du
an Frankfurt vermissen?
Die Stadt an sich. In
Frankfurt habe ich alles, was ich brauche, egal ob Einkaufsmöglichkeiten oder
auch gute Restaurants. Frankfurt ist eine richtig schöne Stadt und ich werde
sie und die Eintracht generell nie vergessen.
Wie wirst du
zukünftig in Argentinien die Eintracht verfolgen?
Durch die Zeitverschiebung
werden die Spiele der Eintracht dort sehr früh sein, im Sommer etwa um 11.30
Uhr. Deshalb werde ich wahrscheinlich bei einem guten Frühstück meinen Freunden
und ehemaligen Mitspielern von der Eintracht zusehen und hoffen, dass sie auch
weiterhin genauso viel Erfolg wie aktuell haben. Ich wünsche der Mannschaft und
dem Verein natürlich auch in Zukunft weiterhin ganz viel Erfolg.
Aber
mindestens ein Mal wirst du doch definitiv nochmal zurückkommen, oder?
Auf jeden Fall! Ich möchte, wenn es geht, etwa zwei- bis dreimal im Jahr wieder
zurück nach Europa und speziell nach Frankfurt kommen, um dort meine vielen
Freunde, die ich hier noch immer habe, zu besuchen. Ich habe fest vor, im Mai
zum Saisonende in Frankfurt zu sein. Wenn zu diesem Zeitpunkt wieder Zuschauer
zugelassen werden, werde ich mich entsprechend von ihnen verabschieden. Sollte
dies nicht der Fall sein, lasse ich nicht locker und probiere es so lange, bis
das Stadion wieder voll ist. Das gehört sich so, das bin ich den Fans, vor
denen ich größten Respekt habe, einfach schuldig.
Der Kontakt
wird ohnehin nie abreißen, oder?
Natürlich nicht. Es
wird sich erst einmal komisch anfühlen, wenn ich in Argentinien bin und damit
nicht mehr den gewohnten Kabinenalltag mit den Jungs habe. Aber der Kontakt
wird bestehen bleiben, über WhatsApp und FaceTime. Das Handy ist ja stets
griffbereit, sodass der Austausch jederzeit stattfinden kann. Ob mit Timmy oder
Goncalo, zu dem ich nach wie vor ein gutes Verhältnis habe, oder wem auch
immer.