„Der Kopf darf keine Pause machen“

Kevin Trapp steht vor seinem 200. Spiel als Adlerträger (bei Redaktionsschluss 198), außerdem hat er beim 2:0 gegen Köln zum 50. Mal im Eintracht-Trikot kein Gegentor kassiert. Eine gute Gelegenheit, mit dem Torhüter ein paar Zahlenspiele zu betreiben und ihm gemäß der Rubrik Eagles25 exakt 20 plus fünf Fragen zu stellen – 20 über das Torwartspiel und fünf darüber hinaus. Seine Antworten und noch viel mehr von und mit Kevin gibt’s auch im Podcast „Eintracht vom Main“, der unter sge.de/podcast abrufbar ist.

Interview: Marc Hindelang
Fotos: Jan Hübner, Franziska Rappl

Früher sahen die Hände der Torhüter oftmals sehr schlimm aus, bei dir ist das überhaupt nicht der Fall. Liegt das an der Entwicklung der Ausrüstung?
Auch bei mir sind ein oder zwei Finger dabei, die nicht mehr ganz gerade sind. Ich glaube, das ist normal. Kapselverletzungen kommen bei Torhütern häufiger vor. Die sind nicht nur schmerzhaft, der Finger wächst meistens auch nicht mehr so wie vorher (lacht). Trotzdem kann die Ausrüstung dabei eine Rolle spielen.

Kennst du Handschuhe von früher?
Nur wenige. Ich weiß aber, dass sie sich heutzutage jedes Jahr weiterentwickeln. Das merke ich auch bei meinem Ausrüster. Es wird immer wieder versucht, die Qualität noch besser zu machen. Früher waren es vermutlich eher Gartenhandschuhe, mit denen die Keeper spielen mussten. Ich bin mir sicher, dass wir es heute in dieser Hinsicht deutlich besser haben.

Wir haben hier Handschuhe von Andreas Köpke aus den 1990er Jahren. Ist das für dich Steinzeit?
Wenn ich diesen Handschuh sehe, ist das für mich ein Viereck ohne echte Form (lacht). Früher war das aber bestimmt ein super Handschuh und Andy Köpke war ein großartiger Torwart, der die Bälle damit sicherlich gut halten konnte. Ich könnte mit denen vermutlich gar nicht spielen.

Du gibst deine Handschuhe nicht ab, sondern nimmst sie persönlich mit zu den Spielen. Warum?
Es kam schon vor, dass ich meine Handschuhe vor einem Spiel an den Materialwart abgegeben habe. Auch wenn es nicht sein Fehler war, waren die Handschuhe beim Spiel aber auf einmal nicht da. Seitdem nehme ich mein Material in der Regel lieber selbst mit, damit nichts schiefgehen kann.

Wie viel Paar Handschuhe verbrauchst du pro Saison?
Das kommt ganz darauf an, wie viele Spiele anstehen und wie es leistungstechnisch läuft. Im Fußball spielt der Aberglaube manchmal eine große Rolle. Dementsprechend ziehe ich einen Handschuh länger an, wenn es richtig gut läuft.

Du beschäftigst dich sehr intensiv mit deinem Handwerkszeug. War das schon immer so?
Ja, definitiv. Ich muss mich immer wohlfühlen und das kann ich am besten, wenn die Umgebung und die Qualität der Materialien stimmen. Wenn ich Hand- oder Fußballschuhe trage, die nicht perfekt sitzen, ist es für mich vom Kopf her nicht leicht. Deswegen gibt es verschiedene Modelle, die man testen und auf sich abstimmen kann. Das hilft extrem und dafür bin ich sehr dankbar.

Nimmst du Einfluss auf die Entwicklung der Handschuhe?
Es ist schon vorgekommen, dass Ausstatter mir ein Testprodukt haben zukommen lassen, bevor sie ein neues Modell auf den Markt gebracht haben. Ich konnte meinen Input liefern und sagen, was mir gefällt oder was noch verbessert werden kann.

Wie groß ist deine Freude über neue Modelle?
Für mich ist es immer wie Weihnachten, wenn ein Paket mit neuen Handschuhen kommt. Ich gehe auch dem einen oder anderen auf die Nerven, wenn ich weiß, dass sie eigentlich schon angekommen sind, aber noch nicht bei mir auf dem Platz liegen. Dann frage ich auch mehrmals nach, wo die Pakete bleiben (lacht). In der Hinsicht bin ich sehr eigen.

Du probierst auch Handschuhe schon mal zu Hause an?
Ja. Dann nehme ich einen Ball in die Hand, der bei mir rumliegt. So entwickle ich schon mal ein Gefühl für den Handschuh.

Deine Handschuhe waren auch schon mal rosa. Wie kam das an?
Ich musste mir ein paar Sprüche anhören. Zum Glück waren auch die Schuhe rosa und ich war nicht der Einzige, der mit den Schuhen gespielt hat. Ich muss aber trotzdem sagen, dass es damit sehr gut gelaufen ist. Ich hatte die Handschuhe zum ersten Mal in Marseille an, das Spiel haben wir 2:1 gewonnen. Anschließend haben wir bei der TSG Hoffenheim gewonnen und waren danach zehn Partien ungeschlagen.

Wie bist du zu deiner Position als Torwart gekommen?
Ich habe in meinem ersten Training gemerkt, dass ich keine Lust darauf habe, zu laufen. Unser etatmäßiger Keeper war verletzt. Deshalb habe ich den Trainer gefragt, ob ich ins Tor gehen könne. Ich habe die Chance bekommen und hatte sofort Spaß. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mir gesagt wurde, dass ich auch meine Hände benutzen kann, weil ich alle Bälle immer mit dem Fuß abwehren wollte. Bei den Regionalauswahlen war ich zwischendurch als Stürmer unterwegs, was auch gar nicht schlecht lief. Dann wurde ich als Torwart gesichtet und habe mich für diesen Weg entschieden.

Welche Rolle spielt der Konkurrenzkampf auf der Torhüterposition?
Man kann sich unter der Woche im Training reinhauen und beweisen. Am Spieltag geht es aber nicht um Einzelschicksale, sondern um die gesamte Mannschaft. Natürlich ist man unzufrieden, wenn man auf der Bank sitzt. Aber das geht allen Ersatzspielern so. Ich habe den Anspruch an mich selbst, in jedem Training 100 Prozent zu geben und mich nicht hängen zu lassen.

Wie war das Verhältnis zwischen dir und Oka Nikolov, den du bei der Eintracht abgelöst hast?
Ich weiß nicht, wie viele Torhüter hier waren, die nicht an Oka vorbeikamen. Als ich nach Frankfurt kam, lief die Vorbereitung ziemlich gut. Oka war mir gegenüber von Anfang an super offen und hat mir sehr geholfen. Ich habe mir von ihm viel abgeschaut, seine Ruhe und seine Ausstrahlung haben mir imponiert. Dann kam das Pokalspiel in Aue, in dem ich nach 19 Minuten mit Rot vom Platz geflogen bin, und schon stand Oka wieder im Tor. Für mich war das ein schwieriger Start bei meinem neuen Verein, aber jeder weiß, wie es danach gelaufen ist. Oka war eine ganz wichtige Person für mich hier bei der Eintracht.

Was zeichnet einen guten Keeper für dich aus?
Ein Torwart muss komplett sein. Ein guter Keeper muss Situationen antizipieren können und mit der Mannschaft kommunizieren. Neben seinem Torwartspiel muss er ausstrahlen, dass er von sich und seiner Leistung überzeugt ist, damit sich das auf seine Mitspieler übertragen kann.

Ein sehr guter Keeper ist auch ein Führungsspieler. Das bist du, auch weil du mehrere Sprachen sprichst. Kannst du deinen Mitspielern dadurch noch mehr helfen?
Während meiner ersten Zeit in Frankfurt fiel es mir schwer, mich in Spieler hineinzuversetzen, die aus dem Ausland kamen. Ich konnte nicht verstehen, warum sie sich nicht wohlgefühlt haben, obwohl wir sie unterstützt haben. Dann kam ich zu PSG und habe gemerkt, wie es ist, wenn man ins Ausland wechselt und aus seiner Komfortzone rausmuss. Mich hat das sehr geprägt, weshalb ich mittlerweile ein ganz anderes Verständnis dafür habe. Wenn neue Spieler zu uns kommen, weiß ich, wie sie sich fühlen. Es ist meine Aufgabe, diese Spieler zu unterstützen. Ich mache es unheimlich gerne.

Für einen Torhüter bedeutet ein Fehler meistens ein Gegentor. Wie groß ist der mentale Druck?
Der Druck unterscheidet sich von dem auf einer anderen Position, das hat mir Gerry Ehrmann auch frühzeitig erklärt. Wenn du mit dem Gedanken an mögliche Fehler in ein Spiel gehst, hast du schon den ersten Fehler gemacht. Du musst auf deine Stärken vertrauen. Fehler können passieren, egal wie unglücklich sie auch sein mögen.

Wie wichtig ist es für einen Torwart, mental stark zu sein?
Viele denken immer, dass es nicht anstrengend ist, Torhüter zu sein. Der Kopf spielt aber eine ganz große Rolle, du musst 90 Minuten hochkonzentriert sein. Es gibt Spiele, in denen ich bis kurz vor Schluss keinen Ball auf das Tor bekomme. Dann muss ich in der 90. Minute immer noch hellwach sein, wenn der Gegner auf einmal seine erste Torchance bekommt. Körperlich bist du zwar nur ungefähr zehn Minuten pro Spiel gefordert, der Kopf darf aber keine Pause machen.

Die Psyche spielt auch bei einem Elfmeterschießen eine große Rolle. Kann ein Torwart dabei nur gewinnen?
So pauschal kann man das nicht sagen. Beim Elfmeterschießen gegen Chelsea im Halbfinale der Europa League habe ich einen Strafstoß gehalten und wir sind trotzdem ausgeschieden. Ich wollte der Mannschaft unbedingt helfen, ins Finale einzuziehen. Aber der eine gehaltene Elfmeter hat nicht gereicht. Da war meine Enttäuschung riesengroß. Auf der anderen Seite gibt es Partien wie die gegen Inter Mailand, in der ich einen Elfmeter halte und wir 0:0 spielen. Der Grat zwischen Enttäuschung und Freude ist sehr schmal.

Ein bisschen Psychologie war auch dabei, als du in Augsburg erstmals im grellorangenen Dress aufgelaufen bist. Es hat funktioniert, wir haben erstmals in dieser Saison kein Gegentor zugelassen. Wie kam es dazu?
Die Stürmer reagieren auf grelle Farben anders als auf neutrale. Es hat funktioniert, wir haben zu null gespielt. Wir Fußballer sind abergläubisch. Von daher kann ich mir vorstellen, dass man das Trikot noch öfter sehen wird.

Du spielst gelegentlich Klavier. Ist es für Torhüter leichter, das zu erlernen?
Nein, das glaube ich nicht (lacht). Mir fällt das Klavierspielen sehr schwer, weil die linke Hand ganz andere Sachen macht als die rechte. Mein musikalisches Talent ist sehr limitiert, was das angeht, aber ich bekomme es trotzdem hin. Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich das meistens durch. Auch die Dinge, die ich mir bisher am Klavier vorgenommen habe, haben ganz gut funktioniert, wenn auch nicht perfekt.

Auf Instagram zeigst du gerne private Einblicke in dein Leben. Warum ist es dir wichtig, auch solche Momente mit deinen Anhängern zu teilen?
Ich möchte nicht nur als Sportler wahrgenommen werden, sondern mehr von mir als Mensch zeigen, auch wenn ich bestimmte Dinge privat halten und meine Privatsphäre schützen möchte. Der Fußball hat bei mir aber immer oberste Priorität, das weiß jeder.

Welchen Berufswunsch hattest du als Kind?
Ich wollte immer Pilot werden, auch wenn ich nicht weiß, warum (lacht). Dann wurde es mit dem Fußball relativ früh ernst, mit 15 bin ich zum 1. FC Kaiserslautern gewechselt. Nachdem ich mein Fachabi gemacht habe, war ich nur mit den Profis unterwegs. Das Fliegen ist aber noch nicht abgehakt. Ich denke darüber nach, einen Pilotenschein zu machen.

Du sprichst es gerade an: Du bist früh von zu Hause weggezogen und hast für Kaiserslautern gespielt. Wie war das für dich?
Ich war schon in jungen Jahren auf mich allein gestellt. Ich habe zwar in einem Sportinternat gewohnt, in dem ich viel Unterstützung erfahren habe. Trotzdem habe ich frühzeitig gelernt, wie man Verantwortung für sich selbst übernimmt. Das hat mir in meiner persönlichen Entwicklung extrem geholfen.

Was war dein erstes Fußballtrikot?
Eines von meinem Kindheitsidol Oliver Kahn. Ich wollte immer so sein wie er, zumindest leistungstechnisch. Charakterlich war er sehr außergewöhnlich, aber auch erfolgreich. Das hat mir als Kind sehr imponiert.

Welche Ziele hast du mit der Eintracht?
Ich hoffe, dass in Zukunft noch viele schöne Momente dazukommen. Es wäre ein Traum, wenn wir uns irgendwann für die Champions League qualifizieren würden.