Einer von uns
Rainer Jost

Rainer Jost liebt die sportliche Betätigung. Daran konnte auch die Tatsache, dass der Adlerträger von Geburt an blind ist, nie etwas ändern, im Gegenteil: Vor mehr als vier Jahren brachte Rainer das Blindentennis zur Eintracht. Und er hat in diesem Sport noch viel vor.

Wenn Rainer den Tennisplatz betritt, ertastet er vorsichtig die haptischen Linien des Feldes, um sich zu orientieren und in die Ausgangsposition zu bringen. In gebückter Haltung und hochkonzentriert lauscht er dem Ball, der bei jeder Bodenberührung das Geräusch einer Babyrassel macht. Bis zu dreimal lässt Rainer ihn aufspringen, ehe er mit seinem Schläger Schwung holt und das Spielgerät gekonnt auf die gegnerische Seite befördert. Blindentennis ist seit mittlerweile über vier Jahren fester Bestandteil im Sportarten-Repertoire der Eintracht. Zu verdanken ist das insbesondere Rainer Jost. Der gebürtige Darmstädter nahm im April 2016 am ersten Blindentennis-Workshop in Deutschland teil. „Ich habe einen Alternativsport gesucht, nachdem ich aus gesundheitlichen Gründen mit der Blindensportart Torball aufhören musste. Der Workshop in Köln hat mich dann so begeistert, dass ich unbedingt Tennis spielen wollte“, erzählt er.

Der Weg zum regelmäßigen Training gestaltete sich dann jedoch erst einmal schwierig. „Ich habe zig Vereine und Schulen angeschrieben, zurück kam zunächst nichts“, so Rainer. Erst bei der Eintracht stieß er schließlich auf offene Ohren. „Im September 2016 haben wir das erste Schnuppertraining absolviert, sodass Spieler und Trainer einander kennenlernen konnten“, erinnert sich der Initiator und ergänzt: „Bei diesem Training haben wir festgestellt, dass alles wunderbar passt, und am ersten Oktoberwochenende ging es dann richtig los.“ Seither jagen insgesamt sieben Eintrachtler/- innen mit geringer bzw. gänzlich ohne Sehfähigkeit das Spielgerät übers Netz – hierbei handelt es sich übrigens nicht um die bekannte Filzkugel. Blindentennis wird mit einem Schaumstoffball gespielt, der mit Metallstiften gefüllt und zudem etwas größer ist. Außerdem gibt es, je nach Grad der Sehbeeinträchtigung, Unterschiede in der Größe des Feldes sowie in der Anzahl, in welcher der Ball im eigenen Feld aufspringen darf. Die Begrenzungslinien werden mit Kreppband beklebt, sodass die genaue Position mit den Füßen ertastet werden kann.

Zwar stagniere die Zahl der Spielerinnen und Spieler seit der Gründung, das spielerische Niveau sei demgegenüber aber deutlich gestiegen, verrät der 49-Jährige: „Am Anfang war es schwierig genug, den Ball überhaupt zu treffen. Jetzt sieht das schon ganz anders aus. Einmal hatte ich einen Ballwechsel mit meiner Trainerin, da haben wir den Ball satte 30-mal übers Netz gehauen. Ich habe sogar den Punkt gemacht, im Anschluss war ich aber fertig“, lacht Rainer. Mit diesem Talent hat der Adlerträger, der im Zuge der Etablierung der Sportart auch direkt Vereinsmitglied wurde, noch viel vor. Dreimal nahm er bereits an den nationalen Blindentennis-Meisterschaften in Löhne in Nordrhein-Westfalen teil. Zweimal drang er bis ins Halbfinale vor, wo er sich dann jeweils geschlagen geben musste. „Das Wichtigste ist, dass wir uns bewegen und Spaß haben. Natürlich will ich auch gewinnen, aber das steht bei uns nicht an erster Stelle.“ Während die nationale Meisterschaft im vergangenen Jahr stattfinden konnte, musste er auf das andere, noch bedeutendere Turnier leider verzichten: „Eigentlich wäre ich auch bei der Weltmeisterschaft in Italien dabei gewesen. Das wäre schon allein deshalb ein Highlight gewesen, weil meine Frau Italienerin ist und ich deshalb einen großen Fanblock bestehend aus der Verwandtschaft sicher gehabt hätte“, witzelt er und ergänzt zuversichtlich: „Die Teilnahme an einer WM bleibt dennoch ein Ziel, das ich bestimmt irgendwann noch einmal angehen werde.“

Dinge angehen, ohne groß zu zögern – diese Charaktereigenschaft besitzt der Hesse schon von klein auf. Denn trotz seiner Sehbehinderung hat Rainer bereits ein bemerkenswert breites Spektrum an Sportarten ausgeübt. Neben einigen Disziplinen der Leichtathletik wie Sprints, Weitsprung und Kugelstoßen probierte er sich unter anderem im Judo aus, betrieb Rhönradsport und fuhr sogar Fahrrad. „Mir konnte noch keiner ausreden, Sport zu treiben“, so Rainer, der passend dazu eine Anekdote parat hat: „Als Kind bin ich auch oft Schlittschuh gelaufen. Meine Mutter hatte immer Angst und konnte nicht hinsehen. Als mein Stiefvater mir einmal hinterherfahren wollte, war er zu langsam, fiel hin und zerriss sich mitten auf dem Eis die Hose – das gab anschließend natürlich einen großen Lacher.“

Es überrascht also nicht, dass Rainer einen Beruf erlernt hat, in dem Sport durchaus eine große Rolle spielt. Schon zu Schulzeiten träumte er davon, Krankengymnast zu werden: „Meine Lehrerin entgegnete mir damals, dass ich das aufgrund meiner Blindheit wohl nicht erreichen werde. Da antwortete ich nur: Mal sehen!“ Angespornt durch diese Aussage absolvierte der zielstrebige Bewegungsfanatiker zunächst seine Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister, ehe er von 1997 bis 1999 eine Nachqualifikation für blinde Masseure zum Physiotherapeuten abschloss und so seinen Traum verwirklichte. „Wenn ich mir etwas zum Ziel setze, dann lasse ich mich nicht davon abbringen, es zu erreichen“, sagt Rainer. An seinem Beruf schätzt er, dass er ihn in unmittelbaren Zusammenhang mit seinem liebsten Hobby bringen kann: „Blindentennis ist eine der wenigen dreidimensionalen Sportarten, die blinde oder seheingeschränkte Menschen ausüben können. Man benötigt viele Fähigkeiten, unter anderem eine ausgeprägte Raumwahrnehmung sowie eine gute Mobilität. Das macht den Reiz dieser Sportart aus und ist, aus meiner Sicht als Physiotherapeut, sehr gut zur Prävention.“

Zwar nehmen Beruf und Sport einen großen Teil in Rainers Leben ein, aber auch andere Hobbys sollen nicht zu kurz kommen: „Ich mache sehr gerne Musik, spiele Keyboard sowie Synthesizer und lese viel. Ich versuche einfach, so viel wie möglich zu unternehmen“, sagt Rainer. Aus sportlicher Sicht hofft der Frankfurter auf ein Jahr mit vielen Wettkämpfen und Veranstaltungen – und darauf, noch mehr Leute für die Sportart begeistern zu können: „Sobald wir wieder einen Tag der offenen Tür ausrichten können, kann ich nur jeden dazu ermutigen, vorbeizuschauen. In der Regel bieten wir dort nämlich eine Inklusionsstunde an.“ Interessierte haben dann die Möglichkeit, den anspruchsvollen Sport auszutesten. Vielleicht sogar im direkten Duell gegen den Initiator des Blindentennis bei Eintracht Frankfurt höchstpersönlich.

Text: Alessandro Crisafulli
Fotos: Eintracht Frankfurt