Treu, nicht treudoof

Es war keine Liebe auf den ersten Blick, und zwischenzeitlich war Karl-Heinz Körbel auch mal gedanklich ganz weit weg von der Eintracht. Heute ist er 66 Jahre alt – und es dreht sich für ihn alles um seinen Herzensklub. Heute, morgen und noch in vielen Jahren. Die „Eintracht vom Main“ hat zehn besondere Momente von und mit Körbel zusammengetragen, die seine Verbindung zu Eintracht Frankfurt erklären.

1964
Frankfurt, Waldstadion
Eintracht 0:7 – „Hier spiele ich nie“

Karl-Heinz Körbels Vater ist Eintracht-Fan. Im Alter von neun Jahren nimmt er seinen Sohn mit ins Waldstadion. Zu sehen gibt’s ein 0:7 gegen den KSC. „Da spiele ich niemals Fußball“, sagt Karl-Heinz damals nach dem ernüchternden Resultat. Heute zehrt er von dieser Erfahrung. „Ich habe alle Generationen von Adlerträgern spielen gesehen, das ist ein riesiger Schatz“, erzählt er. Die 59er Meister Egon Loy und Dieter Lindner trugen damals das Frankfurter Trikot, dazu unter anderem Erwin Stein, Toptorjäger in der Jahrhundertspiel-Saison 1959/60.

1972
Dossenheim, ElternhausBlumenstrauß als Türöffner

In der Jugend ragt Karl-Heinz Körbel in seiner Heimat Dossenheim im Rhein-Neckar-Kreis heraus, wird Junioren Nationalspieler. Angebote aus Stuttgart und vom HSV lässt er letztlich verstreichen. Plötzlich steht Eintracht-Geschäftsführer Jürgen Gerhardt vor der Tür, hat für Körbels Mutter einen riesigen Blumenstrauß dabei. „Das war im wahrsten Wortsinn der Türöffner“, sagt Körbel. Als er zum Spiel eingeladen wird, imponiert ihm, dass Trainer Erich Ribbeck sich 30 Minuten vor Anpfiff Zeit für ihn nimmt. Wenig später unterschreibt Körbel.

1972
Frankfurt Riederwald und Waldstadion
Den Verein aufgesaugt

Für die U19 läuft Körbel trotz des erlaubten Alters nie auf. Er trainiert bei den Profis und spielt in der U23, die von den 59er-Meistern Hermann Höfer und Dieter Stinka trainiert wird. Am Riederwald hat er eine WG in der Stadiontribüne bezogen. Hier lernt Körbel das Vereinsleben kennen, schaut beim Tennis und Hockey vorbei, atmet jeden Tag Eintracht-Luft. „Hier habe ich erkannt, was dieser Verein bedeutet und welche Werte er vermittelt.“ Am 14. Oktober 1972, Körbel ist gerade mal 17 Jahre alt, darf er erstmals bei den Profis ran. Sein Gegenspieler ist Gerd Müller, zu dieser Zeit schon vier Mal Bundesligatorschützenkönig. Die Eintracht gewinnt 2:1, die Frankfurter Rundschau schreibt über Körbel: „Es war die Entdeckung eines Talents. Wenn der junge Mensch nicht überschnappt, wird man noch viel von ihm hören.“

1991
Hamburg, Millerntor
602

Welch unfassbare Zahlen. Über 700 Pflichtspiele, 18 Spielzeiten mit mindestens 29 Bundesligaeinsätzen (602 insgesamt). Wichtige Tore, wie das zum DFB-Pokalsieg 1975 gegen Duisburg oder das 1:1 in Hannover 1989 zur Rettung in die Relegation. Angebote von anderen Vereinen oder den Gedanken, die Eintracht mal zu verlassen? „Ja, zum Beispiel, als uns Pezzey und Cha 1983 verlassen haben“, erzählt Körbel. Mit der Aussicht, dass auch wieder Leistungsträger verpflichtet werden, kann Körbel gehalten werden. Zwei hohe Hürden gibt es allerdings zur damaligen Zeit: Nach Vertragsablauf dürfen Vereine noch Ablöse fordern, und zwei Spieler dürfen vom Verein in den Status „unverkäuflich“ gehoben werden. „Wenn all diese Hürden nicht gewesen wären, wäre ich vermutlich auch mal woanders hingegangen.“ Dennoch meint er: „Es lag an vielen Zufällen, dass ich nie gewechselt bin. Ich war nie der treudoofe Charly, der alles mit sich machen ließ.“ Als authentisch, aufrichtig und mit starkem Charakter ausgestattet wird er von Weggefährten beschrieben, zudem als Führungsfigur mit großem Durchblick. Körbel hat seinen Glauben und seine Werte, sagt immer seine Meinung – und wird Bundesligarekordspieler.

1996
Frankfurt, Waldstadion
Das Aus nach 24 Jahren

Körbel wird direkt nach seiner Spielerkarriere Co-Trainer, springt als Interimscoach ein, wird Fußballlehrer und startet als Cheftrainer in die Saison 1995/96. In dieser, genauer gesagt am 30. März 1996, geht eine Ära zu Ende, als er entlassen wird. Unter Tränen verlässt Körbel nach 24 Jahren Eintracht das Waldstadion. Geschieden von seiner Lebensliebe.

1999
Timmendorf
Magath vermittelt - erfolgreich

Trainerstationen in Lübeck und Zwickau waren nur von kurzer Dauer. Die 100-Jahr-Feier der Eintracht findet wegen Unstimmigkeiten ohne Karl-Heinz Körbel statt. Der Bundesligarekordspieler lebt mittlerweile mit seiner Familie in Timmendorf. „Mit diesem Umzug hatten wir Frankfurt endgültig hinter uns gelassen“, erzählt Körbel. Im Norden tauscht er sich regelmäßig mit Felix Magath aus. Als dieser in Frankfurt Ende Dezember 1999 Trainer wird, sagt er: „Einen Mann wie Karl-Heinz Körbel müssen wir an die Eintracht binden.“ Langsam, aber sicher nähern sich Körbel und die Eintracht wieder an. Nach der Scheidung 1996 beginnt eine neue Liaison. Zumal sie fast eine Kopie des Jubels von 1988 ist, als Kapitän Körbel den Pott entgegennahm.

2002
Frankfurt, Otto-Fleck-Schneise
Die Rückkehr

Körbels Frau Margaretha hatte es nicht für möglich gehalten, aber Körbel ist mittlerweile zurück bei der Eintracht. Erst als Spielbeobachter noch von Timmendorf aus, dann als Chefscout wieder mit festem Wohnsitz in Frankfurt. 2001 gründet er die Fußballschule, die im Kampf um die Lizenz ein Jahr später eine wichtige Rolle spielen wird. „Die DFL-Oberen und unsere Fußballschüler haben Tisch an Tisch in der Kantine des Landessportbunds zu Mittag gegessen. Ich habe immer rübergeschaut an den DFL-Tisch und gesagt: ‚Das hier könnt ihr nicht kaputtgehen lassen.‘ Eines Tages kamen sie nicht mehr“, schmunzelt Körbel heute, der auch den erfahrenen Rechtsanwalt Christoph Schickhardt nach Frankfurt holt. Der Rest ist Geschichte: Eintracht erhält die Lizenz und kommt – auch wenn es 2004 und 2011 nochmals in die Zweite Liga geht – in finanziell und sportlich ruhigere Fahrwasser. Ein Garant dafür ist Heribert Bruchhagen, der Körbel vom Scout zum Vorstandsberater macht.

2018
Berlin, Olympiastadion
Gegen jedes Protokoll

Das DFB-Protokoll sieht vor, dass Karl-Heinz Körbel vor der Siegerehrung den Pokal auf die Bühne bringt. Doch der mittlerweile auch als Markenbotschafter des Vereins tätige Körbel macht es nicht staatstragend, sondern reckt den Cup in die Höhe und jubelt wie ein kleines Kind. Diese Szene nach dem DFB-Pokalsieg 2018 hat fast den Kultstatus wie Gacinovics Lauf wenige Minuten vorher – und zeigt, wie groß Körbels Liebe zur Eintracht wieder ist. Zumal sie fast eine Kopie des Jubels von 1988 ist, als Kapitän Körbel den Pott entgegennahm.

2020
Frankfurt, Sportgelände Niederrad
50.000 Kids in der Fußballschule

Ein paar Dutzend Mädchen trainieren unter der Anleitung der Fußballschule. Das Team von Karl-Heinz Körbel hat Corona-bedingt ein strenges Hygienekonzept erarbeitet und bietet unter diesen besonderen Umständen das erste Camp nur für Mädchen an. 50.000 Fußballschüler hat Körbel seit dem Start begrüßen dürfen. „Das Besondere bei uns ist, dass zu unserem Trainerteam fast ausschließlich Ex-Profis gehören“, erklärt Körbel. Diese bilden auch die Stütze der Traditionsmannschaft, die Körbel ebenso aufgebaut und sukzessive weiterentwickelt hat. Unterdessen wird Körbel für sein Engagement mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.

2021
Frankfurt, Otto-Fleck-Schneise
Voller Tatendrang

In der Geschäftsstelle der Eintracht sinniert Körbel mit seinen Kollegen über die Zukunft, ein Fünf-Jahres-Plan wird erarbeitet. Der 66-Jährige strotzt vor Tatendrang, hat Ideen, kämpft für seine ambitionierten Ziele und die Wahrung der Tradition – nicht nur in der gleichnamigen Mannschaft. Er lässt sich dabei nicht verbiegen, reißt sein Team mit, setzt seine integrativen Kräfte ein, ist wie früher auf dem Platz Führungspersönlichkeit, möchte die nächste Epoche der Fußballschule und der Traditionsmannschaft einleiten. Eintracht Frankfurt ohne Karl-Heinz Körbel? (Noch lange) nicht vorstellbar.

Karl-Heinz' Treue-Triple