Fanabteilung trifft … Jürgen Kayser

Bunt ist sie, die Eintracht-Welt, voller Geschichten und Erlebnisse – nicht nur auf dem Platz, sondern vor allem auch abseits des Spielfelds. Getragen werden diese Geschichten durch die Fans und Mitglieder der Eintracht. Eines davon ist Jürgen Kayser.

Es ist der Tag nach dem großen Sieg gegen die Bayern, der Frühling schickt die ersten Strahlen der Sonne durchs Fenster – doch noch immer finden die Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Das Coronavirus hat die Republik, ja die ganze Welt noch immer im Griff. Jürgen hat das Spiel nicht gesehen: „Ich habe seit anderthalb Jahren kein Sky mehr, ich höre mir die Übertragung dafür im Radio an und schaue abends die Sportschau. Oldschool, so wie früher“, erzählt er und erinnert sich an den Beginn seiner Eintracht-Sozialisation.

Die Eintracht trat für den gebürtigen Frankfurter, der seine ganze Zeit in der Region verbracht hat, Mitte, Ende der 80er Jahre schleichend in sein Leben. Vage Erinnerungen an den Pokalsieg 1988 sind bis heute lebendig geblieben. „Bei mir waren weder die Eltern noch die Großeltern sonderlich fußballaffin, ich habe mich fußballerisch quasi selbst sozialisiert. Klar hat man als Knirps auch die Sportschau geguckt und so manches Mal sich vom Erfolg anderer Vereine blenden lassen – aber der Weg bahnte sich aus lokaler Verbundenheit wie selbstverständlich zur Eintracht hin. Da gab es keinen OFC, keinen FSV. Nur die Eintracht“, reflektiert Jürgen seinen Werdegang zur SGE. Rudimentäre Stadionbesuche kamen in den 90er Jahren dazu. Intensiviert hat sich das Geschehen für ihn mit Beginn des neuen Jahrtausends, Jürgen ging nun regelmäßig ins Waldstadion und fuhr zuweilen mit Kumpels auch auf die Auswärtsspiele. Seit 2009 ist er Mitglied in der Fanabteilung – und nutzte fortan auch die Busse, die ihn mit der Abteilung in die Republik brachten. Später waren es die Fahrten mit den Geiselgangstern, die sein Auswärtsleben bestimmten. „Eine Dauerkarte besitze ich erst seit der Saison 2011/12 – es war eine ganz bewusste Entscheidung, quasi aktiv mit in die zweite Liga zu gehen“, erklärt er. Und man mag es kaum glauben, dass die Fahrten in den Osten Deutschlands, nach Cottbus oder Aue keine 10 Jahre her sind, während die Eintracht heute wieder einmal auf Europa zusteuert. Nach einem Jahr der Zweitklassigkeit stieg die Eintracht direkt wieder in die erste Liga auf und qualifizierte sich als Aufsteiger unmittelbar darauf fürs internationale Geschäft. „Ich hatte den Flug für das Spiel auf Zypern schon fast gebucht. Es sollte am 3. Oktober 2013 stattfinden. Doch durch die nahende Geburt meines Sohnes verzichtete ich auf die Reise.“ Eine richtige Entscheidung, denn einige Tage später erblickte der Nachwuchs das Licht der Welt. So folgte das erste europäische Highlight ein paar Wochen später in Bordeaux, wo Jürgen den eigenen Geburtstag am Flughafen feierte. Ein paar Jahre später schlenderte Jürgen dann durch London, mit dabei seine Familie. Auch wenn es keine Tickets für das Spiel gegen Arsenal gab, Familienkurztrip hieß die Alternative.

Erinnerungsfetzen wehen durchs Telefon: Ein Spiel in Duisburg, Jürgen trug den Freundschaftsschal Eintracht und der MSV und wurde Jahre nach der aktiven Fanfreundschaft von Duisburgern noch darauf angesprochen. Die Fahrt nach Aue, brütende Hitze, 15 Stunden im Bus, Kevin Trapps erstes Spiel, die Rote Karte für den Keeper, die Feuerwehr spritzte zur Abkühlung Bachwasser in die Gästekurve, das Pokalaus in der ersten Runde. Jahre zuvor Fjörtofts Treffer zum 5:1 am Radio beim Grillen mit anschließendem Autokorso. Bitter dann das Pokalfinale 2017. „Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass die Eintracht ins Finale kommt – und für jenes Wochenende einen Familienausflug nach Wien gebucht. So saß ich dann in einem Pub in Wien mit je einem Schalker und HSVler sowie zwei Rapid-BVB-Fans und sah zu, wie die Eintracht verlor. Das sollte mir nicht mehr passieren und so wurde Berlin 2018 auf jeden Fall freigehalten und gebucht. Es hat sich dann gelohnt“, lacht Jürgen, der eine kleine Devotionaliensammlung sein eigen nennt. „Ich dürfte so um die 60 Schals besitzen, dazu jede Menge Trikots – darunter auch von Atalanta Bergamo oder Chemie Leipzig –, Wimpel und eine Festplatte voller Fotos. Klar stehe ich der aktiven Fanszene nahe, auch wenn ich kein Ultra bin. Zum Spieltagsritual gehören neben den Besuchen des Museums und der Waldtribüne auch der Gang zum Container der Ultras, um mir die neueste Ausgabe des „SaW“ zu besorgen. Aber ich habe überhaupt kein Problem damit, auch mit Fans der gegnerischen Mannschaft ein Bier zu trinken, auch wenn wir uns während des Spiels ordentlich beschimpft haben“, erläutert Jürgen seine Haltung und lacht: „Mittlerweile kenne ich so viele Leute, da sind die vielen Begegnungen vor Anpfiff ganz schön zeitaufreibend.“

In den heutigen Tagen fremdelt er Corona-bedingt allerdings ein wenig mit dem Fußball. „Ich wollte bei einem Spiel unter den Hygienebedingungen testweise dabei sein und besorgte mir im Herbst eine Karte gegen Hoffenheim, allein um die Erfahrung zu machen, wie es ist. Das hat auch alles super geklappt – aber es war nicht meine Fußballwelt, wie ich sie mir vorstelle, weshalb ich ins Stadion gehe. Vielleicht ist ein „Vorteil“ von Corona, dass man den Fokus an Spieltagen nun bedenkenlos auf andere Dinge richten kann, die auch wichtig sind. Meine Familie zum Beispiel.“ Wer will es ihm verdenken, die Zeit rast dahin und sie kommt nicht wieder. Zum Abschluss sagt Jürgen noch: „Ins Stadion gehe ich erst wieder, wenn es annähernd das Erlebnis verspricht, so wie ich es kenne, auch wenn ich natürlich die Nöte der Klubs sehe. Doch für mich gilt: Lieber ganz als nur halb“. Nicht zuletzt deshalb hoffen wir schwer, dass die Tage der Notlösungen besser heute als morgen endgültig der Geschichte angehören. Es wird Zeit …

Text: Axel Hoffmann