„WIR HABEN VERANTWORTUNG FÜR EINE GANZE REGION“

Bodenständig, heimatverbunden, im Herzen Adlerträger. Das ist Sebastian Rode, der Dauerrenner im Mittelfeld der Eintracht. In unserem Podcast „Eintracht vom Main“ spricht er über seine Kindheit an der Bergstraße, die Bedeutung von Freundschaften, Highlights auf den heimischen Bolzplätzen und Trainer.

Interview: Marc Hindelang
Fotos: Max Galys, Franziska Rappl, Jan Hübner, Eintracht Frankfurt

Seppl, wir sprechen dich während der Länderspielpause. In dieser hattest du ein paar freie Tage. Bist du jemand, der komplett relaxen und runterfahren kann? Du machst den Eindruck, als seist du gerade als Spieler immer unterwegs.
Das kann ich. Ich kann auch in meinem Urlaub mal eine Woche lang nur Bücher lesen oder mich an den Strand legen. Nach einer Woche wird es dann aber irgendwann wieder langweilig und ich möchte mich bewegen und Dinge unternehmen. Aber gerade wenn man den Rest des Jahres so viel macht, kann ich mich auch sehr gut ein paar Tage mit Nichtstun beschäftigen.

Welche Bücher liest du denn?
Viele Krimis, Romane und Biografien, da bin ich nicht festgelegt.

Auf deiner Homepage ist nachzulesen, dass du bereits früh wohl sehr bewegungsfreudig gewesen bist, wenn deine Mutter zu dir schon mit vier Jahren gesagt hat, dass du in einen Fußballverein musst.
Das stimmt. Ich habe schon sehr früh Fußball geschaut. Mit eineinhalb Jahren habe ich schon auf der Couch gesessen und das intensiv verfolgt. Wenn irgendwo ein Ball lag, habe ich dagegengetreten und damit gespielt. Die Anmeldung im Verein war der nächste logische Schritt.

Das war dann beim SKV Hähnlein, wobei der Verein keine Mannschaft in deiner Altersgruppe hatte. Deine Mutter hat sich dafür eingesetzt, eine neue Mannschaft zu gründen. Wie lief das?
Es gab tatsächlich noch keine Bambini. Aber der 90er Jahrgang war sehr geburtenstark. Von daher haben sich dann schnell genügend Kinder gefunden, die zu einer Mannschaft zusammenkommen konnten.

Warst du damals schon der Seppl – oder der der Sebastian?
Das hat sich erst bei meiner nächsten Station in Alsbach entwickelt. Wir hatten drei Sebastians in der Mannschaft, der Trainer hat mich dann einfach Seppl genannt.

Du warst in der Jugend bei unterschiedlichen Vereinen. War das immer der nächste logische Entwicklungsschritt?
Ja. Immer von einem kleineren Verein zu einem etwas größeren. Von der Kreisauswahl mit neuen Spielern und neuen Verbindungen ging es später zu Viktoria Griesheim. Danach bin ich über Darmstadt und Offenbach zur Eintracht gekommen.

So entstehen sicherlich viele Freundschaften, die sich über die Jahre entwickeln, oder?
Ja, man lernt viele Leute kennen. Auf die Dauer gesehen ist es leider schwierig, alle Freundschaften aufrechtzuerhalten. Aber ich habe noch zu vielen Kontakt, auch aus der Jugend. Wir schreiben uns über WhatsApp oder treffen uns und tauschen uns aus. Von daher bin ich immer mit vielen gut befreundet gewesen.

Um das Thema Freundschaften nochmal zu vertiefen: Ist es überhaupt möglich, im Profifußball ernsthafte, langfristige Freundschaften zu erhalten?
Ich denke, das funktioniert schon. Es ist natürlich nicht so einfach, wenn sich die Wege trennen. Aber gerade wenn man in einem Team spielt und sich im gleichen Lebensabschnitt befindet, sodass man vieles zusammen machen kann, können sehr große und intensive Freundschaften entstehen.

Wie definierst du denn den Begriff Freundschaft?
Das ist nicht ganz so einfach. Für mich zählt natürlich Vertrauen dazu, dass man sich aufeinander verlassen kann und nicht nur in guten Zeiten zueinanderhält, sondern auch in schwierigen. Und man sollte natürlich viel Spaß zusammen haben.

Einen solchen Freundeskreis außerhalb der Blase des Profifußballs haben wahrscheinlich nicht alle. Bei dir scheint es aber so zu sein?
Ich habe das Glück, noch sehr viele gute Freunde aus der Schulzeit zu kennen. Ich habe den Kontakt nach Hause nie abgebrochen und bin immer wieder zurück an die Bergstraße gekommen. Das gilt auch für meine Stationen in München und Dortmund. Ich finde es wirklich wichtig, neben dem Sport mal abschalten und über andere Dinge reden zu können. Klar geht es auch da viel um Fußball, aber dann eher um die Geschichten auf dem Bolzplatz und in der Kreisliga. Das macht mir ungemein viel Spaß. Deshalb bin ich sehr froh, diese Kontakte zu haben.

„GERADE WENN MAN IN EINEM TEAM SPIELT UND SICH IM GLEICHEN LEBENSABSCHNITT BEFINDET, SODASS MAN VIELES ZUSAMMEN MACHEN KANN, KÖNNEN SEHR GROSSE UND INTENSIVE FREUNDSCHAFTEN ENTSTEHEN“

 

Also hast du auch viele Freunde, die ebenfalls aktiv Fußball spielen?
Ja, sie spielen noch Fußball, zumindest wenn es die Situation um die Pandemie bald wieder zulassen sollte. Sie sind auch im ungefähr gleichen Alter wie ich und haben die gleichen Wehwehchen (lacht). Ich habe ihnen vor der Pandemie oft zugesehen und hoffe, dass sich das bald wieder ergibt.

In welchen Ligen sind sie so unterwegs?
Sie decken fast alles ab, angefangen von der C-Klasse bis hin zur Kreisoberliga und Verbandsliga. Je nachdem, ob sie mal auf- oder absteigen.

Handelt es sich bei euren Gesprächen dann um richtigen Kabinentalk?
Es wird auch mal gefrotzelt, wenn man lustige Szenen und richtige Bolzplatzhighlights sieht. Dann kann man zusammen lachen und Spaß haben.

Gibt es jemanden, bei dem du sagst: Wenn er es geschafft hätte, wäre er wahrscheinlich sogar besser als ich oder genauso gut?
In meinem engen Freundeskreis war das nicht der Fall. Ich glaube, es fühlt sich keiner auf den Schlips getreten, wenn ich das so sage. Alle freuen sich super mit mir, dass ich es geschafft habe. Daran sehen meine Freunde auch, dass es noch einen Unterschied gab.

Was sind denn deine Bolzplatzhighlights?
Das war sogar während der Pandemie, im vergangenen Herbst. Was man da für
Fouls sieht, wenn der eine oder andere auch ein paar Kilos zu viel hat, mit der Masse in Bewegung kommt und voll umgeholzt wird … Da entstehen dann Kräfte, die man so in der Bundesliga nicht sieht (lacht).

„WAS MAN DA FÜR FOULS SIEHT, WENN DER EINE ODER ANDERE AUCH EIN PAAR KILOS ZU VIEL HAT, MIT DER MASSE IN BEWEGUNG KOMMT UND VOLL UMGEHOLZT WIRD …“

Wenn wir nochmal auf den Heimatgedanken zurückkommen: Was bedeutet es dir, als gebürtiger Hesse eine wichtige Figur bei Eintracht Frankfurt zu sein?
Für mich könnte es eigentlich nicht besser sein. Ich bin ein waschechter Hesse und fühle mich der Heimat ungemein verbunden. Beim größten Verein in Hessen über einen so langen Zeitraum spielen zu können, ist einfach phänomenal. Gerade auch wenn man die Unterstützung sieht, die Eintracht Frankfurt in der Umgebung erfährt. Wo man hinkommt, wird man auf die Eintracht angesprochen. Das war mir in der Jugend und gerade in den 90ern nicht so bewusst, hat sich aber in den 2000ern und 2010ern geändert.

Fühlst du durch die Bedeutung des Vereins für die Stadt eine gewisse Verantwortung?
Es ist die Verantwortung für eine gesamte Region, wenn man weiß, wie viele Menschen hinter einem stehen. Sie verlangen natürlich auch, dass man Leistung bringt. Gleichzeitig pusht es einen. Man spielt für sich selbst, aber vor vollem Haus spielen zu können – was einem momentan abgeht – elektrisiert einen. Insbesondere diese Stimmung, wenn man auf dem Platz steht und den direkten Kontakt mit den Fans hat.

Du bist Botschafter des Hessischen Landespräventionsrats gegen Gewalt. Warum ist dir das wichtig und was ist der Inhalt deiner Tätigkeit?
Die Inhalte sind sehr vielfältig. Der Hauptaspekt ist, gegen Gewalt und Diskriminierung in jeglicher Form vorzugehen. Ich mache das seit 2012, als Dr. Helmut Fünfsinn auf mich zugekommen ist. Ioannis Amanatidis hat vorher das Amt bekleidet. Mittlerweile bin ich seit acht, neun Jahren dabei und es macht mir ungemein Spaß. Der Austausch mit den Jugendlichen, der während der Pandemie zu kurz kommt, ist sehr vielfältig: von Trainingseinheiten mit den Jugendlichen bis hin zu Straßengangs, die man teilweise mitbekommt. Das ist eine super Sache außerhalb des Fußballs.

Wie läuft der Umgang der Kinder und Jugendlichen mit dir? Schauen sie zu dir auf oder findet der Kontakt auf Augenhöhe statt?
Natürlich ist es für die Jugendlichen ein absolutes Highlight, wenn sie ein Fußballprofi besucht. Dadurch erzielt man natürlich auch eine große Reichweite. Aber es entwickeln sich super Gespräche – was teilweise für Lebensgeschichten dabei hervorkommen, wie manche dann auf die schiefe Bahn geraten sind. Dadurch merkt man selbst erstmal, wie viel Glück man im Leben hatte.

Was gibst du den Kindern hauptsächlich mit?
Der Hauptansatz ist der, dass ich durch meine Verletzungen auch schon einige Rückschläge in meiner Karriere hatte. Es ist sehr wichtig, Respekt vor anderen Menschen zu haben. Fußballprofi wird man nicht nur, weil man Talent hat. Man braucht Disziplin, das ist für alle Lebensbereiche sehr wichtig. Das versuche ich zu vermitteln. Dahingehend hat sich auch die Eintracht in den vergangenen Jahren sehr weiterentwickelt. Werte, Diversität, Respekt und Homophobie – alles wird einbezogen. Das ist wirklich schön.

Du hast selbst einige Verletzungen hinter dir, unter anderem in sehr jungem Alter einen Knorpelschaden. Was treibt dich an, trotzdem weiterzumachen?
Zum einen natürlich der innere Wille, wieder so schnell wie möglich zurückzukehren, weil man schon immer auf dem Fußballplatz gestanden hat. Die Zeit in der Reha, die nicht einfach ist, verbringt man mit Familie und Freunden. Sie bauen einen auf und geben Unterstützung, um die Situation bestmöglich zu bewältigen. Das war in meinem Umfeld unbedingt gegeben, sodass ich eigentlich aus jeder Verletzung noch stärker herausgekommen bin. Irgendwann stellt man sich natürlich schon die Frage: Warum trifft es immer mich? Über diesen Punkt muss man schnellstmöglich wieder hinwegkommen und sich straffen. Es gibt deutlich schlimmere Schicksale, die man erleiden kann. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Von daher gab es kein großes Zweifeln, sodass ich immer wieder wusste, dass es weitergeht.

Bist du deswegen auch manchmal sauer auf deinen Körper oder feuert dich das eher an?
Alle Formen! Mal hat man eine Wut auf seinen Körper, aber dann kommt auch wieder der Gedanke, dass der eigene Körper einen auf dieses Level geführt hat, was auch nicht selbstverständlich ist. Von daher durchlebt man während einer Reha alle Facetten, die fast jeder Profisportler schon kannte.

Hängt es bei dir teilweise mit der Spielweise zusammen?
Absolut richtig! Die eine oder andere Verletzung resultierte einfach aus einem Zweikampf, weshalb ich in solchen Fällen nicht zu sehr an meinem Körper zweifeln muss. Kreuzbandriss und Knorpelschaden sind beispielsweise aus einem Zweikampf entstanden, also aus einer Fremdeinwirkung.

Gegen SL Benfica bist du 2019 mit dem Kopf voraus in einen Pressschlag gegangen, als jeder dachte: Hoffentlich kommt der da heil runter ...
Das sind Momente auf dem Platz, die man nicht rational erklären kann. Man möchte einfach alles für die Mannschaft geben und unbedingt den Ball erobern. Das ist dann keine rationale Entscheidung mehr.

„DAS SIND MOMENTE AUF DEM PLATZ, DIE MAN NICHT RATIONAL ERKLÄREN KANN“

Aufgrund deiner Spielweise hatte ja zum Beispiel auch ein Pep Guardiola eine sehr hohe Meinung von dir.
Ich denke, das ist ein großes Charaktermerkmal von mir. Gerade in München wusste der Trainer, aber auch das gesamte Umfeld, meine Leistung zu schätzen. Insbesondere wenn man nicht so oft von Anfang an spielt oder viel auf der Bank sitzt. Ich habe immer Vollgas gegeben. Wenn ich gebraucht wurde, war ich da. Das ist gerade in einer Fußballmannschaft enorm wichtig. Der Fokus liegt nicht nur auf den elf Stammspielern, sondern auf dem gesamten Team, das einen zum Erfolg bringt. Für mich war die Teamfähigkeit immer entscheidend, ich bin ein absoluter Teamplayer. Es gab für mich auch keinen Neid auf irgendwen anders.

Wie erklärst du es dir, unter so vielen unterschiedlichen Trainern immer deinen Platz gefunden zu haben?
Das spricht absolut für mich. Qualität setzt sich am Ende immer durch, die scheine ich so gesehen in gewisser Weise zu besitzen. Die unterschiedlichen Trainer waren für meine Karriere und meinen Lebensweg auch sehr wichtig. Ich konnte von vielen ungemein viel lernen. Nicht nur Positives, sondern auch Negatives, was man vielleicht nicht machen sollte. Vielleicht gibt es nach meiner Karriere auch noch das eine oder andere, das ich weitergeben kann.

Was haben dir die Trainer konkret gegeben?
Ganz unterschiedlich. Ich war noch sehr jung, als ich unter Michael Skibbe bei der Eintracht debütiert habe. Dann kam mit Christoph Daum ein alter Hase. Wir waren dann kurz vor dem Abstieg und sind leider auch abgestiegen. Aber auch unter ihm habe ich enorm viel mitgenommen, was die Motivation rund um ein Spiel angeht. Auch wenn ihn viele kritisch gesehen haben, hat er nochmal für ein bisschen Leben in der Mannschaft gesorgt. Unter Armin Veh habe ich sehr großes Vertrauen gespürt, sodass ich mich unter ihm sehr weiterentwickeln konnte. Ich hatte sehr viel Spielzeit, was in jungen Jahren enorm wichtig ist. In München hat Pep das ganze Fußballbewusstsein nochmal auf eine andere Ebene gehoben. Wenn ich vorher dachte, ich hätte Ahnung von dem Sport, hatte ich die erst nach meiner Begegnung mit Pep. In Dortmund auch, Thomas Tuchel ist nicht umsonst bei Paris und bei Chelsea gelandet, sondern weil er hervorragende Arbeit leistet. Jetzt sieht man hier, unter Adi Hütter, dass wir mit der Eintracht enormen Erfolg haben. Das zeichnet dann einfach auch den Trainer aus.

Gibt es auch Trainer, die einem zu sehr in den Kopf gehen? Gerade Guardiola oder Tuchel wirken sehr anspruchsvoll und herausfordernd.
Das sind sie auch, sie verlangen einem schon sehr viel ab. Aber ich denke, das kann man auch erwarten. Die Besessenheit, die die beiden in den Sport investieren, verlangen sie auch von den Spielern. Alles geht über den Erfolg bei den beiden. Als Spieler sollte man den Willen und Ehrgeiz haben, mitzuziehen und den absoluten Erfolg zu erzielen.

Welche Rolle spielt der Faktor Empathie?
Das ist ein sehr wichtiger Faktor. Trainer haben mal mehr und mal weniger davon. Gerade Adi Hütter hat ein sehr gutes Gespür für die Spieler. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie sich ein Spieler fühlt. Das ist eines der Merkmale, weshalb wir so erfolgreich sind. Weil er das Gespür dafür hat, wann er die Jungs härter anpacken muss und wann eine längere Leine gefordert ist.

Gibt es einen Trainer, der besonders wichtig für deine Entwicklung gewesen ist?
Der Hessenauswahltrainer Günter Wegmann, der dann auch zu Kickers Offenbach gewechselt ist und mich dorthin geholt hat. Zu ihm habe ich heute noch eine Verbindung, da er für meine sportliche Karriere sehr wichtig war. Als ich in der Jugend ein paar Verletzungen hatte, konnte ich immer auf ihn bauen. Er hat mich vor allem in der Hessenauswahl sehr gefördert und mit Sicherheit auch ein gutes Wort beim DFB-Trainer für mich eingelegt. Es gibt also schon den einen oder anderen Trainer, dem ich wirklich zu Dank verpflichtet bin.