„ANDRÉ SILVA KNACKT HOLZ NOCH“
Jan, letztes Mal
sprachen wir über Eintracht-Rekordtorschütze Bernd Hölzenbein, der 1976/77 den
Vereinsrekord von 26 Toren in einer Bundesligasaison aufgestellt hat. Bei
Redaktionsschluss steht André Silva bei 23 Treffern. Knackt er die historische
Marke?
Mit
der Art und Weise, wie die SGE gerade spielt, ist es absolut möglich. Es ist
das perfekte System für die offensiven Spieler, zudem hat Silva mit Kostic auf
der linken Seite einen kongenialen Partner. Die Qualität von Silva kann man in
meinen Augen gar nicht genug loben, allein sein Timing beim Siegestor in
Dortmund war überragend. Dazu seine Bewegungen und wie er sich in Position bringt
– das beeindruckt mich sehr. Also ja, die Bestmarke kann noch fallen.
Die Eintracht steht
nach dem Sieg gegen Wolfsburg auf Rang vier und hat sieben Punkte Vorsprung auf
den BVB, der gerade Fünfter ist. Was macht das mit dir?
Wenn
ich hier in Norwegen sitze, bin ich natürlich in der gleichen komfortablen Position
wie die Fans und kann von der Königsklasse träumen. Die Entscheidungsträger
sollten hingegen natürlich immer realistisch bleiben. Jetzt haben wir Ostern
und sieben Zähler Vorsprung, da denke ich ist es erlaubt, zumindest ein
bisschen zu träumen. Gleichzeitig weiß man natürlich auch, dass der April
richtig anspruchsvoll ist.
Eine schöne
Momentaufnahme also, aber nicht mehr.
Ich
habe schon vor dem Spiel beim BVB gesagt, dass Dortmund viel zu verlieren hat
und eigentlich in die Champions League kommen muss. Unsere Eintracht hingegen
kann eigentlich nur noch gewinnen und diese Meinung vertrete ich weiterhin.
Bisher ist nichts entschieden und es kann noch fast alles passieren. Eine
kleine Serie der Konkurrenz und du hast wieder richtig Druck. Wir kommen jetzt
in die entscheidende Phase
der Saison. Nicht nur zu meiner Zeit in der Bundesliga war der Endspurt unberechenbar.
Die Mannschaft macht aber einen sehr guten Eindruck und steckt auch Rückschläge
gut weg. Den Sieg in Dortmund hat man sich verdient, das heißt aber noch lange
nicht, dass man nicht auch mal eins der vermeintlich einfachen Spiele
überraschend verlieren kann. Dennoch beeindruckt mich die aktuelle
Zielstrebigkeit und dass man sich auch von Gerüchten um Spieler und Funktionäre
nicht aus der Ruhe bringen lässt.
„PROFIS MÜSSEN MEHR MITSPRACHERECHT BEKOMMEN“
Von Dortmund und Erling
Haaland ist der Weg kurz zur Nationalmannschaft deiner Heimat. Auch Norwegen
ist kürzlich in die WM-Qualifikation gestartet. Was ist drin für euer vor allem
offensiv stark besetztes Team?
Wir
haben eine junge Mannschaft, die sich noch entwickeln muss. Offensiv sind wir
tatsächlich gut aufgestellt mit Spielern wie Haaland und Ödegaard. Aber
Norwegen ist auch ein kleines Land und wie viele andere abhängig davon, wie gut
die jeweilige Generation gerade ist. Defensiv gibt es leider nicht so viele
Spieler von internationalem Format, wie wir gerne hätten. Darum habe ich auch
den ganz großen Optimismus nicht verstanden, den manche Norweger zuletzt hatten
und die uns auf Augenhöhe mit der Türkei und sogar den Niederlanden gesehen
haben. Gegen die Türkei haben wir schwach gespielt und 0:3 verloren, die
Niederlande empfangen wir im September – hoffentlich wieder in der Heimat [Anm.
d. Red.: das letzte Heimspiel wurde in Malaga ausgetragen].
Erste Schlagzeilen
machte Norwegen schon vor einigen Wochen. Denn Vereine wie Tromsø IL und
Rosenborg forderten unter anderem aufgrund der Menschenrechtslage im Golfstaat
einen Boykott der WM 2022 in Katar. Wie stehst du zu dem Thema?
Die
Sache wird in Norwegen heiß diskutiert und ich finde es gut, dass es diese
Debatten jetzt gibt und man damit eine Öffentlichkeit schafft. Persönlich bin
ich aber gegen einen Boykott, weil man dadurch nichts bewegen kann. Ich finde
es besser, vor Ort zu sein und Themen anzusprechen. Die Frage ist auch: Wo
zieht man die Grenze? Soll man Katar boykottieren und Russland nicht? Was ist
mit den Olympischen Winterspielen in China? Das ist ein komplexes Thema und
nicht so schwarz und weiß, wie es auf den ersten Blick scheint. Zumal man sich
auch der Konsequenzen bewusst sein muss, etwa eines möglichen Ausschlusses von
der WM 2026. Es gibt noch viel zu berücksichtigen und wird noch eine spannende
Diskussion, bevor im Sommer über den Antrag der norwegischen Vereine entschieden
wird. Es ist aber möglich, dass eine Mehrheit für den Boykott stimmt. Dem
müsste der Verband dann folgen. Das wird ein wichtiger Tag für die Zukunft des
norwegischen Fußballs.
Wie viel Einfluss haben
die Spieler auf diese Entscheidung?
Ich
finde Profis müssen generell mehr Mitspracherecht bekommen. Es kann nicht sein,
dass die Leute in Krawatten und Anzügen alles über die Köpfe der aktiven
Spieler hinweg entscheiden. Das fängt bei der Spielplangestaltung an. Es ist
auch nicht die Schuld der Spieler, dass die FIFA diese WM im Jahr 2010 nach
Katar vergeben hat. Der Fehler wurde damals gemacht und die Mannschaften von
heute müssen nun damit leben. Die Entscheidungsträger von damals sind fast alle
wegen Korruption entweder im Gefängnis, vor Gericht oder wurden suspendiert.
Ich fände es unfair, einem Fußballer deshalb die Möglichkeit zu nehmen, ein
großes Turnier zu spielen. Aber selbstverständlich können sie jetzt ihre Stimme
erheben und zum Beispiel die Nichteinhaltung der Menschenrechte in Katar anprangern.
So wie es die Norweger und einige andere vor den jüngsten Länderspielen getan
haben. Es ist wichtig, dass sie diese Möglichkeiten haben und auch wahrnehmen.
Dazu darf es keine Verbote von den Verbänden geben.
Interview: Markus Rutten
JAN AAGE FJÖRTOFT, 54, hat die Eintracht
1999 zum Klassenerhalt geschossen und genießt bei den Fans nicht nur daher
Kultstatus. Er ist ein fußballerischer Weltenbummler, meinungsstark, immer auf
dem Laufenden, ein gefragter Experte und nicht zuletzt unserer Eintracht nach
wie vor tief verbunden. Das sind Gründe genug für eine regelmäßige
Interview-Kolumne mit dem Norweger.