„Wir haben viel durchgemacht“
Ajdin Hrustic ist in Australien aufgewachsen, die Mutter stammt aus Rumänien, der Vater aus Bosnien und Herzegowina, gelebt hat er auch in Nottingham und Wien. Sein fußballerischer Werdegang führte ihn nach Deutschland und in die Niederlande – und im vergangenen Sommer wieder zurück nach Deutschland, zur Eintracht. Internationaler geht es kaum. Für die „Eintracht vom Main“ erzählt Hrustic beim Blick auf 20 Bilder und das Video seines ersten Bundesligators von seinen Stationen, seinen Vorbildern, die Bedeutung von Landsleuten in der Mannschaft und davon, was für ihn Heimat bedeutet.
Interview:
Bartosz Niedzwiedzki
Fotos:
Max Galys, imago images, picture alliance, Schalke 04
Land
meiner Kindheit
Das Foto
zeigt mich während meiner ersten-Einberufung in die U21 Australiens. Josep
[Anm. d. Red. Gombau] war der Trainer, er hatte spanische Wurzeln und ist in
Spanien aufgewachsen. Er hat ein paar Jahre in Australien gearbeitet und mich
ein paar Wochen oder Monate vor dem Camp kontaktiert. Der damalige Cheftrainer
der ersten Mannschaft der Socceroos war Ange Postecoglou, den ich kannte, seit
ich elf Jahre alt war. So kam die Verbindung zustande. Er fragte mich, ob ich
interessiert wäre, und ich sagte: „Ja, natürlich!“ Und so fing es an. Für
mich war es etwas Besonderes, denn meine Familie verließ Bosnien in Richtung
Australien, als meine Mutter mit mir schwanger war. Dort wurde ich geboren,
meine Kindheit war dort. Der erste Ball, den ich je getreten habe, war in
Australien, in Melbourne. Hier habe ich im Grunde alles gelernt. Wir haben viel
durchgemacht, meine Familie und ich. Jedes Mal, wenn ich das sogenannte goldene
Trikot anziehe, ist es etwas Außergewöhnliches für mich.
Zwei
Herzen in mir
Ich bin
in Melbourne aufgewachsen, Australien ist meine erste Heimat. Aber meine
Familie kommt von hier, aus Europa. Für mich ist Australien mein Geburtsland.
So schlagen zwei Herzen in mir. Was für mich zählt, ist, dass Australien mir
die Möglichkeit gegeben hat, ein professioneller Fußballer zu werden. Es gab
mir Gras, ein Spielfeld und einen Fußball. Ich habe sogar 2017 in dem Stadion
auf dem Bild trainiert. Ich hatte mit meinem australischen Team ein Turnier in
England, so ging dann meine Reise in Europa los. Danach haben sie meine Familie
gefragt, ob ich dort bleiben und einen Vertrag unterschreiben möchte. Das hat
leider nicht wie geplant funktioniert, aufgrund der Regeln für minderjährige
Spieler. Aber auch das ist eine Erfahrung, die ich in meiner Karriere und
meinem Leben als positiv verbuche. Ich habe mich bisher überall wohlgefühlt,
auch in Groningen oder Stoke. Natürlich auch In Frankfurt, wir haben hier ein
großartiges Team. Wir halten in guten wie ich schlechten Zeiten zusammen, auch
außerhalb des Platzes. Das bedeutet mir so viel.
Sehr
schade
Ich bin
als 16-Jähriger zum FC Schalke 04 gekommen. In dem Alter ist es natürlich
nicht immer einfach. Wir hatten ein super Team mit tollen Trainern. Es gab
sowohl gute als auch enttäuschende Momente damals, leider bin ich auch auf
enttäuschende Weise gegangen. Trotzdem habe ich noch Verbindung zu meinem
ehemaligen Trainer Norbert Elgert. Er hat mich damals ein Jahr trainiert, vor
dem Heimspiel gegen Schalke haben wir miteinander gesprochen. Er wünschte mir
nur das Beste, aber natürlich auch Schalke die drei Punkte. Mich persönlich
hat Schalke erwachsener gemacht und half mir dabei, ein Mann zu werden. Deshalb
betrachte ich es wie alle meine Karriereschritte in einem positiven Licht. Es
ist schade, dass Schalke absteigt. Es ist ein großer Klub.
Zocken
gerne Fußballtennis
Ich
schaue gerne Tennis an. Aber das Bild erinnert mich mehr an Fußballtennis. Wir
spielen es zum Spaß und als gemeinsamen Zeitvertreib. Für uns bedeutet es
viel, dass wir während dieser Coronapandemie wieder aktiv unsere Arbeit
ausüben können. In dem Rahmen ist Fußballtennis eines der Hobbys, denen wir im
Team gerne nachgehen [Anm. d. Red.: Vor dem Interview zockt Ajdin mit Filip
Kostic, Materialwart Igor Simonov fungiert als Schiedsrichter].
Fans
helfen uns in guten und in schlechten Zeiten
Das war
mit Groningen nach einem Spiel in Sittard. Ja, die Fans sind verrückt nach dem
Verein und sie reisen viel mit uns zu allen Spielen. Es ist natürlich nicht
einfach, wenn man Spiele verliert. Es war an diesem Tag nicht die einfachste
Situation und es gab ein paar Jungs, die rüberkamen und mit den Fans sprachen.
Wenn die Fans hinter dir stehen, hat dich das immer gepusht und dir die
zusätzlichen zehn Prozent gegeben, so wie es ein Trainer tun kann. Die Fans
können den gleichen Einfluss haben. Sie sind der zwölfte Mann im Stadion und
dort gibt es natürlich schwierige Zeiten. Das passiert nun mal im Fußball. Was
zählt, ist, dass man als Einheit zusammenhält. Wir haben uns zum Schluss ganz gut
geschlagen, auch wenn Corona die Saison zum Stoppen gebracht hat. Ich denke
trotzdem, dass es eine positive Saison war.
Luka ist
einer der ganz Großen
Luka
Modric ist ein großartiger Spieler. Ich habe ihn schon zu seiner Zeit in
Tottenham beobachtet. Er ist ein fabelhafter Fußballer. Natürlich kommt er
nicht über die Power oder Physis, aber er besitzt viel Verstand und geschickte
Füße. Er ist einer der Spieler, die ich bewundere. Ronaldo arbeitet sehr hart,
Messi hat zu 100 Prozent Talent – und Modric ist einfach ein Mastermind.
Eine
besondere Beziehung
Das ist
mein Trainer aus Groningen, Danny Buijs. Er hat mich ein paar Monate
beobachtet, bevor er nach Groningen kam, und bat mich, meinen Vertrag zu
verlängern. Da gab es von Anfang an eine besondere Art der Verbindung. Ich
verlängerte natürlich. Er hat an mich geglaubt. Das ist für mich das
Wichtigste, dass Menschen an mich glauben. Das sind sozusagen immer zehn
Prozent mehr. Wir haben einiges zusammen durchgemacht, er ist ein besonderer
Trainer für mich. Was Charakter und Persönlichkeit angeht, haben wir viele
Gemeinsamkeiten. Und wir hatten engen Kontakt, auch wenn es nicht gut lief und
ich schwierige Zeiten erlebt habe. Dadurch haben wir eine intensive Beziehung
aufgebaut und es war nicht leicht für mich, als ich ging, um ehrlich zu sein.
Ich fühlte mich bei ihm zu Hause. Ich wünsche ihm wirklich alles Gute für
seine weitere Karriere.
Mein
Leibgericht
Burek
darf ich nicht zu viel essen, das ist nicht gut für mich (lacht). Aber wenn
meine Mutter das nach einer harten Woche oder einem harten Spiel für mich
zubereitet, dann liebe ich es natürlich. Cevapi und Burek gehören zu meinen
Lieblingsessen, Burek mit Fleisch ist vermutlich mein absoluter Favorit.
Gute
Beziehung mit den Jungs bedeutet mir viel
Wir haben
auf und neben dem Platz ein sehr gutes Verhältnis. Wir streiten, wir lachen,
wir machen Späße. Diese gute Beziehung ist super wichtig, auf dem Platz sorgt
sie für eine positive Stimmung. Wir verbringen einen Teil unserer Freizeit
miteinander, nehmen Frühstück und Mittagessen zusammen ein. Das bedeutet mir
viel.
Landsleute
sind wichtiger Rückhalt
Das Bild
zeigt Samir Memisevic und mich. Er kam ein paar Monate nach mir nach Groningen.
Wir haben uns gegenseitig geholfen bei der Eingewöhnung. Es war wunderbar,
jemanden zu haben, der deine Sprache spricht, der dich versteht und dir das
Gefühl gibt, so fernab von zu Hause willkommen zu sein. Wir haben viel Zeit
miteinander verbracht, auf und neben dem Spielfeld. Wir sind zusammen essen gegangen,
haben zusammen Spiele angeschaut. In jedem Hotel waren wir immer zusammen in
einem Zimmer. Es war eine spezielle Verbindung, so wie ich sie hier mit Filip
[Anm. d. Red.: Kostic] und Luka [Anm. d. Red.: Jovic] habe. Das gibt mir
einfach ein gutes Gefühl. Offensichtlich komme ich mit jedem einzelnen Spieler
im Team gut klar. Aber es ist immer etwas enger mit diesen Jungs, aufgrund der
Sprache und der Kultur. Das sehe ich positiv. Samir ist dann nach China
gegangen und hat mich eine Saison allein gelassen (lacht).
Haben
immer ihre Unterstützung gespürt
Ich habe
damals einige der Europa-League-Spiele geschaut und die Choreographien gesehen.
Das war fantastisch! Ich kriege Gänsehaut bei der Vorstellung, vor so einer
Kulisse mein erstes Tor zu erzielen. Hoffentlich sind die Fans bald wieder
zurück! Auch wenn das nicht immer leicht ist, versuchen wir, nach wie vor eine
Verbindung zu den Fans aufrechtzuerhalten. Die Postkarten-Aktion [Anm. d. Red.:
über 10.000 Fans hatten vor den letzten drei Spielen Postkarten als
Motivationshilfe in die Geschäftsstelle der Eintracht geschickt] war eine coole
Sache. Auch in den sozialen Medien erhalten wir viel Unterstützung. Das kommt
immer bei uns an, definitiv.
Nicht nur
die Frisur abgeschaut
Beckham
war mein Vorbild, ich habe früher immer die Nummer sieben getragen. Als er
lange Haare hatte, habe ich sie auch wachsen lassen. Er hatte ein Haarband, da
habe ich mir auch eines zugelegt. Und dann hat er sich eines Tages eine Glatze
rasiert, da war klar: „Nein, jetzt sollte ich lieber aufhören!“ David Silva hat
mir als Spieler sehr gut gefallen, aber Beckham war bekannt für seine Ecken
und seine Freistöße. Diese Qualitäten habe ich mir angeeignet, indem ich David
Beckham nachgeeifert habe. Er hat hervorragende Eigenschaften, ich habe auch
seinetwegen damals so viel trainiert.
Ich war
so motiviert
Mein
erster Einsatz [in Augsburg kurz vor Weihnachten; Anm. d. Red.] war nicht
leicht. Wir hatten zu dem Zeitpunkt einige Spiele in Serie nicht gewonnen. Wir
haben 1:0 geführt, als mir gesagt wurde, dass ich gleich eingewechselt werde.
Ich hatte wahnsinnig viel Energie, bin das Feld hoch und runter und von rechts
nach links gerannt. Ich habe alles gegeben. Dann hatte Steven [Zuber; Anm. d.
Red.] auf der linken Seite den Ball und ich wollte gerade schießen, als ich
hinter mir einen Schrei gehört habe, dass ich den Ball durchlassen soll. Das
hat gut geklappt, Stefan Ilsanker hat den Ball reingemacht und so stand es 2:0.
Es war der Startschuss für diese großartige Saison.
Uff, die
deutschen Medien
Meine
erste Pressekonferenz. Ich weiß noch, als die erste Frage kam und ich dachte:
„Uff, jetzt geht‘s los, die deutschen Medien.“ Aber es war natürlich ein
großartiges Gefühl, zum ersten Mal die Eintracht-Klamotten zu tragen. Es
wurden einige gute Fragen gestellt, die ich nett und ehrlich beantwortet habe.
Das war mir wichtig, damit die Leute mich kennenlernen und verstehen, was für
eine Person ich bin.
Purer
Wille und ein bisschen Glück
Mein
erstes Bundesligator gegen Mainz. Wir lagen 0:1 zurück und jeder möchte
Champions League spielen. Da denkst du nur: Wir müssen gewinnen! Amin [Younes;
Anm. d. Red.] hatte auf der linken Seite eine großartige Aktion und ich habe
ein-, zweimal gerufen. Aber ich wollte nicht zu viel schreien, weil am Ende er
die Entscheidung treffen muss. Ich bin dann reingelaufen und er hat mir einen
super Pass gespielt. Mein erster Schuss wurde leider geblockt. Dann sah ich den
Ball auf einmal vor mir und dachte: „Versuch einfach mal dein Glück!“ Und das
hatte ich dann auch. Es war eigentlich mehr ein Reflex. Als Linksfüßer habe
ich versucht, mit links zu schießen. Hat perfekt geklappt! Vielleicht hat mir
das Fußballtennis geholfen, so schnell zu reagieren (lacht).
Die
Bundesliga ist herausragend
Die
Bundesliga ist eine der besten Ligen der Welt, in der ich schon immer spielen
wollte. Ich bin froh, dass ich vergangenen Sommer die Chance hatte, in diese
Liga zu wechseln. Das war natürlich schwer am Anfang, man muss sich erst an
das neue Land und das neue Team gewöhnen. Das ist mir recht schnell gelungen.
Aber ich bin auch dankbar, dass mir die Zeit dazu gegeben wurde. Die Spieler
haben mich verstanden, die Betreuer und der Verein auch. So hatte ich von Tag
eins an viel Unterstützung.
Glaube an
mich ist Ansporn
Mein Tor
des Monats für den FC Groningen vor zwei Jahren. Genau wie gegen Mainz war es
die 86. Minute, als ich ein gutes Zuspiel bekommen habe. Das war ein Chipball
in den Sechzehner, zum Glück spielten wir auf Kunstrasen. Dadurch stoppte der
Ball, als er aufkam, und sprang vor mir hoch. Ich habe den Torhüter rauslaufen
sehen und so hatte ich keine andere Wahl, als einen Lupfer zu versuchen. Der
Ball flog über ihn, ich lief an ihm vorbei und konnte ins leere Tor
einschieben. Das war das 1:0 für den FC Emmen und ein besonderes Spiel für
mich. Ich hatte davor mit dem Sportdirektor gesprochen. Er sagte mir, dass ich
in diesem Spiel sehr wichtig für das Team sein würde. Er hat an mich
geglaubt. Wenn Leute an mich glauben, sind es wieder diese extra zehn Prozent.