Strassenkickerin, Aktivistin, Familienmensch

SGE-Zugang Nicole Anyomi ist erst 21 Jahre alt, spielt aber schon seit fünf Jahren in der Bundesliga. Die technisch versierte Stürmerin spricht in der „Eintracht vom Main“ über die Black-Lives-Matter-Bewegung, ihre Freundschaft zu Shekiera Martinez und ihre erste Nationalmannschaftsnominierung. 

Es läuft bereits die 45. Minute im DFB-Pokalviertelfinale gegen Turbine Potsdam am 3. Juni 2020, als Nicole Anyomi zum Schlenzer ansetzt und zum 1:1-Ausgleich trifft. Eigentlich nicht mehr als eine Randnotiz, weil für die Stürmerin und die SGS Essen die Partie gegen Potsdam nur eine Etappe bis ins Finale ist. Doch ihre Reaktion sorgt deutschlandweit für Schlagzeilen. Anyomi kniete nieder, Kopf nach unten, Hand auf dem Rasen. Als Zeichen gegen Rassismus, als Zeichen gegen die Tötung des US-Amerikaners George Floyd in den USA einige Tage zuvor. Im deutschen Frauenfußball war es der erste Protest nach Floyds Tod, bemerkenswert für eine damals 20-Jährige. Doch der gebürtigen Krefelderin, deren Eltern aus Ghana und Togo stammen, ist der Kampf gegen Rassismus eine Herzensangelegenheit. „Ich wollte ein Zeichen setzen. Mir war es wichtig, dass alle mitbekommen, was passiert ist. Auch wenn das Geschehene weit weg war, habe ich mich nah gefühlt.“ Alltagsrassismus ist ihr selbst nicht fremd. Im Halbfinale und Endspiel setzten alle Essenerinnen mit den Gegnerinnen aus Leverkusen beziehungsweise Wolfsburg ein Zeichen und knieten sich hin. Alltagsrassismus ist ihr selbst nicht fremd. Die Stürmerin kennt es zum Beispiel, wenn sich Leute neben ihr in der Bahn umsetzen.

Anyomis sportlicher Alltag liegt seit Juli in Frankfurt, die 21-jährige Offensivspielerin hat bei der Eintracht nach sieben Spielzeiten in Essen einen Dreijahresvertrag bis zum 30. Juni 2024 unterschrieben. „Es gibt einige Gründe, die für den Wechsel sprachen. Ich möchte die nächsten Schritte gehen und mich weiterentwickeln. Die Eintracht ist ein Verein mit tollen Möglichkeiten und höheren Zielen. Mir gefällt der offensive Spielstil. Ich habe den FFC und die Eintracht schon länger verfolgt. Ich bin mir sicher, dass ich gut in die Mannschaft passe.“

„Kuriose Nationalmannschaftsnominierung“

Dazu kommt: Aus den U-Nationalmannschaften kannte sie bereits viele Mitspielerinnen, bestritt seit 2014 in der U15 bis zur U19 insgesamt 55 Spiele, teilweise mit Sophia Kleinherne, Leonie Köster, Sjoeke Nüsken, Lea Schneider oder Shekiera Martinez. Mit Letzterer verbindet sie eine besondere Freundschaft, „auch wenn die meisten glauben, wir kennen uns schon ewig. Dabei haben wir uns erst während eines U19-Lehrgangs vor zwei Jahren so richtig angefreundet. Shekiera ist ein offener, lustiger und fröhlicher Mensch. Wir verstehen uns perfekt und haben viel Spaß miteinander.“ Diverse Tanzvideos auf Instagram oder TikTok zeugen davon. Für Deutschland gewann Anyomi übrigens an der Seite von Nüsken und Schneider die U17-Europameisterschaft 2017. Mittlerweile stehen auch zwei A-Länderspiele in ihrer Vita. Ihre erste Nominierung für die später Corona-bedingt abgesagte Partie gegen England im Herbst 2020 war etwas kurios. „Ich habe mit meiner Teamkollegin Marina Hegering telefoniert. Sie hat schon gelacht und gefragt, ob ich mich freue. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Nominierung und dachte, sie meinte den U19-Lehrgang, der anstand. Ich musste mit dem Auto anhalten, war total nervös und aufgeregt. Ich habe mich aber natürlich riesig gefreut, weil ein Traum in Erfüllung ging.“

Das Debüt gab es ein halbes Jahr später im Februar. Gemeinsam mit Nüsken wurde Anyomi gegen Belgien eingewechselt. „Gegen England zu spielen, wäre cool gewesen. So aber hat das Training geholfen, um mir die Nervosität zu nehmen, und ich wusste, woran ich vor der nächsten Nominierung arbeiten kann. Aber klar: Die Gänsehaut bei meiner Einwechslung war da, ich muss heute noch durchatmen bei dem Gedanken daran. Ein sehr besonderer und unvergesslicher Moment. Mein Trikot würde ich niemals hergeben!“ Eines fällt beim Blick auf ihre Statistik aber auf: Ihre Torquote in Spielen für die DFB Auswahlen beträgt starke 0,58 Prozent, in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga vergleichsweise geringe 0,19 Prozent. Darauf angesprochen, überlegt Anyomi, die mit 16 in der Bundesliga für Essendebütierte, kurz und sagt dann: „Ich habe beim DFB oft zentraler gespielt, im Verein auf unterschiedlichen Positionen und durch Verletzungen nicht immer so regelmäßig.“ Dass sich an der Quote in dieser Saison etwas ändern wird, davon ist die 21-Jährige überzeugt: „Ich habe es im Gefühl, diese Saison mehr Tore im Verein erzielen zu können!“

Die Angreiferin, die Schnelligkeit, Robustheit in Zweikämpfen und Torgefahr als ihre Stärken nennt, weiß, was sie noch in ihrem Spiel verbessern muss: „An meinem Kopfballspiel muss ich noch arbeiten. Und ich möchte mental stärker werden.“ Passend dazu nennt sie Cristiano Ronaldo und Marina Hegering als fußballerische Vorbilder, „weil Ronaldo anders als Messi aus weniger Talent mehr gemacht hat und immer auf dem Punkt da ist. Marina hat mich in Essen sehr unterstützt und ist eine der besten Verteidigerinnen in Deutschland. Nach so vielen Verletzungspausen noch Nationalspielerin zu werden, ist bewundernswert.“

Mentale Stärke war auch im DFB-Pokalendspiel 2020 vonnöten. Die Stürmerin stand gegen Seriensieger VfL Wolfsburg in der Startelf, musste aber nach einem Zweikampf ausgewechselt werden. Eine schmerzhafte Steißbeinverletzung ließ sie von außen mit ansehen, wie ihre SGS-Kolleginnen einen großartigen Fight lieferten und erst im Elfmeterschießen verloren. „Das Pokalfinale war etwas ganz, ganz Besonderes. Ich habe mich richtig gefreut, von Anfang an spielen zu dürfen. Und dann diese unglückliche Aktion beim Kopfballduell. Ich weine eigentlich nur selten, aber in dem Moment habe ich wohl so laut geschrien wie noch nie. Als ich an der Bande saß und nach oben schaute, habe ich mich gefragt: Warum ausgerechnet jetzt? Zum Glück war die Ausfallzeit nicht lange.“ Die Offensivkraft konnte anderthalb Wochen später wieder trainieren.

„Anfänge als Strassenkickerin in Krefeld“

Geboren ist Anyomi in Krefeld als Schwester zweier heute 19- und 23-jähriger Brüder. So lag es auf der Hand, mit beiden zu kicken. Zuerst im elterlichen Garten, dann auf Krefelds Straßen verbesserte sie früh ihre Technik. „Beim Kicken auf der Straße kann man sich frei fühlen und den älteren Jungs schnell zeigen, was man draufhat. Das hat immer viel Spaß gemacht“, erzählt sie lachend. Bis zur D-Jugend spielte Anyomi parallel bei der SuS Krefeld mit Jungs, ehe es 2014 über die Jugend bei Borussia Mönchengladbach zur SGS Essen ging. „Mein Vater erzählt immer, dass ich das Talent von ihm hätte. Auch wenn er sich sehr gut auskennt und wir die Spiele gemeinsam analysieren, weiß ich nicht, ob das so stimmt“, verrät sie mit einem Augenzwinkern. Überhaupt spielt die Familie eine große Rolle für die Stürmerin: „Familie ist das Wichtigste im Leben. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Wir reden sehr viel miteinander, wenn eine sportliche Entscheidung ansteht. Dafür bin ich sehr dankbar!“ Übrigens: Dass die Entscheidung, zur Eintracht zu gehen, die Richtige war, davon waren sowohl Anyomi als auch ihre Familie sehr schnell überzeugt.

Text: Paul Schönwetter
Fotos: imago images, Carlotta Erler