Oliver Glasner
Der Cheftrainer über
Gegenpressing
Leidenschaft
Antrieb
Siege
Nordwestkurve
Erkenntnisse
Roger
Federer
Oliver Glasner ist seit diesem Sommer Cheftrainer bei Eintracht Frankfurt. Der 47-jährige gebürtige Salzburger verbrachte seine komplette Spielerkarriere in Österreich und wechselte vor rund zehn Jahren direkt in die Funktionärsebene. 2014 trat er seine erste Station als Cheftrainer an, bei seinem Heimatverein SV Ried. Fünf Jahre später kam er in die deutsche Bundesliga zum VfL Wolfsburg, den er in die Champions League führte. Im Interview spricht er über die sieben in der Überschrift erwähnten Themen – und noch viel mehr.
Interview: Lars
Weingärtner
Bilder: Bianca
Jockel, Max Galys
Oliver, wir führen das Interview im Deutsche
Bank Park. Erstmal allgemein gefragt: Was reizt dich an der Aufgabe Eintracht
Frankfurt?
Der Deutsche
Bank Park als Stadion an und für sich ist natürlich schön, vor allem wenn er
mit so vielen Fans wie möglich gefüllt ist. Ich konnte die Stimmung mit den
Fans bereits als Trainer des VfL Wolfsburg live erleben. Ein großer Anreiz war
für mich die Tradition von Eintracht Frankfurt. Das ist ein Klub, der einen
sehr gut klingenden Namen im deutschen Fußball hat. In den Gesprächen darüber,
wie wir die Zukunft der Eintracht gestalten wollen, sind wir schnell auf einen
Nenner gekommen. Das Gesamtpaket hat einfach super gepasst.
Was muss passieren, dass der Trainer im
Mai 2022 sagt, dass es eine gute Saison war?
Wir sollten relativ
viele Spiele gewonnen haben und das nicht nur in der Bundesliga, sondern im
besten Fall auch in der Europa League. Im DFB-Pokal sind wir leider schon ausgeschieden.
Auf der einen Seite geht es natürlich um die Tabellenplatzierung. Aber für mich
ist immer ganz wichtig, wie wir auftreten, welchen Fußball wir spielen und ob
man sieht, dass sich einzelne Spieler und wir als Mannschaft in eine positive
Richtung entwickeln. Wenn wir das sehen, gepaart mit möglichst vielen Punkten,
sitze ich sehr entspannt hier und blicke auf eine sehr gute Saison zurück.
Hast du schon einen Lieblingsplatz im
Stadion?
Der
Lieblingsplatz wird bestimmt der vor der Fankurve nach einem Sieg sein. Wenn
das passiert, haben wir relativ viel gewonnen.
Welcher Verein wäre dein Lieblingsgegner
im Deutsche Bank Park?
Liverpool.
„Ich erzähle den Spielern oft, dass es wichtig ist, seinen Beruf mit grosser Leidenschaft, Begeisterung und Freude anzugehen“
Was ist das Geheimnis hinter deiner
Arbeit?
Ich erzähle den
Spielern oft, dass es wichtig ist, seinen Beruf mit großer Leidenschaft, Begeisterung
und Freude anzugehen. Fußball ist für mich mein Beruf, mit dem ich mein Geld
verdiene. Aber eigentlich ist es meine große Leidenschaft. Ich denke, das spürt
man und merkt man mir an. Das ist die Grundvoraussetzung. Das Zweite ist meine
feste Überzeugung, dass du viel zurückbekommst, wenn du für eine Sache viel
investierst. Das ist nicht nur im Beruf so, sondern auch in der Familie und im
Freundeskreis. Wenn du deine Freundschaften pflegst, bekommst du etwas zurück.
Lässt du sie liegen, dann löst sich das über die Jahre auf. Ähnlich ist es im
Beruf. Wenn du bereit bist, viel an Leidenschaft, Zeit und Demut zu investieren,
dann bekommst du viel zurück. Ich denke, diese Einstellung zieht sich bei mir
als roter Faden durch.
Bisher haben wir oft den ruhigen Oliver
Glasner erlebt. Gibt es auch einen emotionalen und lautstarken?
Bei dem einen
oder anderen Training merkt man, wenn ich unzufrieden bin. Die Einstellung ist
mir immer sehr wichtig. Es muss nicht jeder Tag perfekt sein und alles
gelingen. Ich möchte dennoch das Gefühl von jedem Spieler haben, dass er an dem
Tag alles gibt. Ist das nicht der Fall, kann ich auch mal laut und ungemütlich
werden. Im Fußball ist es etwas schwer, da wir alle drei Tage spielen und zwischen
Siegen und Niederlagen leben. Für mein eigenes Leben versuche ich, ein gutes
Mittelmaß meiner Emotionen zu finden.
„Meine Frau hat mir zum Trainerkurs geraten. Sie sagt bis heute, dass dies der größte Fehler war, den sie je begangen hat“
Kommen wir zu deinen Anfängen als
Cheftrainer. Hattest du ein Ereignis, an welchem du festmachst, dass du Trainer
werden wolltest? Oder war das ein Prozess?
Ich habe als
Spieler schon häufig wie ein Trainer gedacht. Allerdings gehörte der Trainerjob
nicht zu meiner Zukunftsplanung. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert,
während ich gespielt habe. Ich wollte nicht sieben Jahre studiert haben, um
dann Trainer zu werden. Ich bin eher zufällig in den Trainerkurs gerutscht.
Meine Frau hat damals gesagt, dass ich den Kurs machen soll, weil ich in der
langen Winterpause in Österreich nichts zu tun hatte. Sie sagt bis heute, dass
es der größte Fehler war, den sie je begangen hat. Seitdem bin ich an den
Wochenenden nämlich nicht mehr zu Hause. Ich habe danach nebenbei begonnen, die
U10 bei uns im Dorf zu trainieren, weil mein ältester Sohn dort gespielt hat.
Dort habe ich dann gemerkt, dass das, was ich den Spielern sage, ankommt. Das
war zwar kein Leistungsfußball, aber aus zehn bis zwölf Kindern sind dann
irgendwann 25 geworden. Da habe ich gemerkt, dass die Kinder gerne kommen. Der
Rest war ein schleichender Prozess und ich bin froh, dass ich diesen Weg eingeschlagen
habe.
Vor zehn Jahren hattest du einen
schweren Unfall beim Fußball. Du bist mit einem Gegenspieler zusammengeprallt,
zunächst sah es „nur“ nach einer leichten Gehirnerschütterung aus. Nach der
nächsten Trainingseinheit stellte sich heraus, dass sich im Gehirn ein
Blutgerinnsel gebildet hatte. Du musstest notoperiert werden. Wie hat diese
Erfahrung deine Haltung zum Fußball verändert?
Die tägliche
Arbeit tatsächlich nicht, da war ich schnell wieder im Hamsterrad drin. Ich
habe viele Aufgaben täglich zu bewältigen und meinen Fokus auf dem Hier und
Jetzt. In seltenen Momenten, in denen ich mit mir selbst nicht zufrieden bin,
rufe ich mir dieses Erlebnis wieder ins Gedächtnis und denke daran, dass es
auch schon schlimmere Phasen gab als eine Niederlage oder Ähnliches. Die
Erfahrung hat mich vor allem darin bestätigt, Bescheidenheit und Demut
vorzuleben – und meine Lebenseinstellung bestärkt.
Als Cheftrainer hat man nicht viel
davon, aber was machst du in deiner Freizeit?
Ich versuche,
die Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich war in Frankfurt auch schon auf
dem Golfplatz, da ist das Handy für die Dauer von neun Loch, also zwei Stunden,
auch mal aus. Ich bin dann mit meinem Spiel beschäftigt, da bleibt wenig Platz
für andere Gedanken. Bevor ich einschlafe, lese ich abends gerne, um ein wenig
herunterzukommen. Für andere Dinge bleibt sonst wenig Zeit übrig.
Welche Mannschaft oder welcher Spieler
hat dich mit seinem Spielstil geprägt?
Wie es bei
vielen der Fall ist, prägen dich in deinem ganzen Leben Menschen, die du
kennenlernst. Auch ich habe viele Trainer und Mitspieler, die mich geprägt
haben. Am Ende meiner aktiven Spielerkarriere, als ich auch schon 37 Jahre alt
war, war Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund sehr erfolgreich. Das waren die
Jahre 2010 bis 2012. In diesem Zeitraum habe ich auch meinen Trainerkurs
absolviert. Damals habe ich mich immer mehr mit dem Thema beschäftigt und es
gab den neuen Ansatz mit dem Spruch „Gegenpressing ist der beste Zehner“, den
Jürgen Klopp bis heute predigt. Meine Zeit bei Salzburg mit Ralf Rangnick und
Roger Schmidt, in der ich Assistenztrainer war, hatte mich natürlich auch einen
wesentlichen Einfluss. Ich habe gesehen, dass man mit einem aggressiven und
aktiven Spielstil sehr erfolgreich sein kann und auch die Spieler verbessern
kann. Das war sicherlich die prägendste Zeit in meiner Karriere.
Was muss ein Trainer tun, um die
Mannschaft für sich zu gewinnen?
In Deutschland
gibt es nicht grundlos den Fußballlehrer. Das trifft es meiner Meinung nach
sehr gut. Die besten Lehrer sind nicht die, die am meisten wissen, sondern die,
die ihr Wissen den Schülern am besten vermitteln und für die Inhalte begeistern
können. So sehe ich es auch als Fußballlehrer, also nicht abhängig davon,
welche Ideen wir in unseren Köpfen haben, sondern welche wir den Spielern
weitergeben können. Es braucht aber auch eine gute Mischung zwischen Vertrauen
und Respekt. Dabei ist auch nicht jeder Tag gleich. Manchmal versuche ich,
mitten in der Gruppe zu agieren, manchmal aber auch von außen die Dinge mit
einer gewissen Distanz zu betrachten. Was die Spieler immer von mir bekommen
und worauf sie sich auch 100-prozentig verlassen können, ist Ehrlichkeit. Und
das in beide Richtungen. Ich gebe Rückmeldungen, sowohl wenn ich mit etwas
nicht zufrieden bin, und genauso, wenn ich mit etwas sehr zufrieden bin. Über
allem steht immer der mannschaftliche Erfolg. Es ist mir ganz wichtig, dass
jeder bei der Eintracht alles dem Erfolg der Mannschaft unterordnet.
Mit Jesse Marsch, Marco Rose, Adi
Hütter, Gerardo Seoane, Bo Svensson, Urs Fischer und dir gibt es gleich sieben
aktuelle Bundesligatrainer, die bereits in Österreich und/oder der Schweiz
gearbeitet haben. Wo siehst du die Gründe, dass hier viele den Sprung nach
Deutschland machen?
Vorteilhaft ist
natürlich die Sprache, auch wenn es eigentlich mehrere verschiedenen Sprachen
sind. Und natürlich ist es sportlich reizvoll, in der deutschen Bundesliga zu
arbeiten. Hier hat der Fußball nochmal einen wesentlich höheren Stellenwert als
in den beiden anderen Ländern.
Dein Hochdeutsch ist sehr gut. Siehst du
das genauso?
Wenn du zwei
Jahre in Norddeutschland lebst, musst du Hochdeutsch sprechen, sonst versteht
dich niemand. In Frankfurt ist das etwas einfacher, weil die Nähe zu Bayern
gegeben ist. Ich komme aus Oberösterreich und mein Dialekt ist dem bayerischen
relativ ähnlich. Deswegen versteht man mich hier auch mit meinen
österreichischen Wörtern.
Welcher Spieler oder Sportler
beeindruckt dich am meisten oder hat dies in der Vergangenheit getan?
Im Fußball gibt
es viele, aber ich schaue auch gerne über den Tellerrand hinaus. Für mich sind
prägende Persönlichkeiten in anderen Sportarten Michael Jordan, den ich
intensiv verfolgt habe, und auch die aktuell drei großen Namen im Tennis Novak
Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal. Die Frage, die ich mir häufig stelle,
ist, was diese Sportler antreibt. Sie spielen über zehn bis 15 Jahre auf
absolutem Topniveau. Da ist es nicht das Geld, das sie antreibt. Es ist die
Liebe zum Sport, das Comeback nach einem schweren Rückschlag, der Glaube an
sich selbst und die Bereitschaft, viel zu investieren, um wieder an die Spitze
zu kommen. Ich denke, dass man sich davon viel abschauen kann. Das sind für
mich prägende Persönlichkeiten im Sport, von denen man die Einstellungen und
die Liebe zum Sport mitnehmen kann.
Und im Fußball?
Lionel Messi
und Cristiano Ronaldo spielen bereits über zehn Jahre auf Topniveau und
absolvieren mit den zusätzlichen Nationalmannschaftsspielen über 60 Partien im
Jahr. Sie investieren ganz viel und sind immer bereit, weil sie den Fußball so
lieben.