Cezary Tobollik – „Willst du das wirklich machen?“

Am 22. Oktober feierte Cezary Tobollik seinen 60. Geburtstag. Der Pole hat viel zu erzählen – aus seiner Zeit in der Heimat, über seine Flucht in den Westen, Laissez-faire in Frankreich, 20 Jahre Fußballschule, Trainerdasein beim Walking Football und vieles mehr. Die „Eintracht vom Main“ hat ihm zu jedem Buchstaben des Alphabets ein Stichwort gegeben.

Aschaffenburg: 
Meine zweite Heimat. Meine Tante hat seit der Kriegszeit dort gewohnt und uns immer eingeladen, aber wir hatten keine Chance aus Polen. Als meine Eltern die Ausreise beantragen wollten, habe ich gesagt: „Macht das, genießt euer Leben, ich komme später nach und unterstütze euch.“ So ist es 1983 gekommen. Vor zehn Jahren habe ich in Aschaffenburg das Schafkopfspiel gelernt. Das macht mir sehr viel Spaß. Ganz nach dem Motto: Am Tisch wird bezahlt, auf der Toilette wird geweint.

Bundesliga:
Eine einmalige Adresse. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. 1983 habe ich im Fernsehen das Finale im Pokal der Landesmeister gesehen. HSV gegen Juve, Tor durch Magath und damit Sieg für den HSV. Da dachte ich: So eine Atmosphäre mal zu erleben, wäre der Wahnsinn. Ich hatte dann das Glück, zur Eintracht zu kommen und nach der Flucht nur drei Monate gesperrt gewesen zu sein. Danke an Wolfgang Mischnick! Seitdem wähle ich FDP (lacht laut).

Cracovia:
Meine allerschönste Zeit. Ich habe als junger Kerl so viel erlebt dort. Krakau ist eine wunderschöne Stadt. Und dann mein Tor im Derby, im sogenannten Heiligen Krieg mit KS Cracovia gegen Wisla. Ich habe den Siegtreffer mit einem direkt verwandelten Eckball erzielt. Es gab einen fußballverrückten Schriftsteller dort, der immer ein Gedicht für den Siegtorschützen schrieb. Also sind mir danach ein paar schöne Zeilen gewidmet worden, darauf bin ich stolz.

Dietrich Weise: 
Mein zweiter Trainer bei der Eintracht und eine zweite Vaterfigur für mich. Er konnte wunderbar mit jungen Spielern umgehen, hat sie immer mitgenommen und ihnen Verantwortung übertragen. Wir haben unter ihm erfrischenden, offensiven Fußball gespielt, aber manchmal waren wir zu naiv und sind daher in Abstiegsgefahr geraten.

Eintracht Frankfurt: 
Hier habe ich mir ein Traum verwirklicht und darf diesen heute noch leben. Ich habe alles Eintracht Frankfurt zu verdanken. Ich konnte mich hier entwickeln, wurde angenommen und akzeptiert. Ich habe vom ersten Tag Eintracht geliebt und Eintracht liebt mich.

Fußballschule: 
Ein Glücksgriff. 2002 bin ich bei einem All-Star-Spiel dabei, das vor dem letzten Spiel im alten Waldstadion ausgetragen wird. Nach vielen Jahren treffe ich Karl-Heinz Körbel wieder, der mich fragt, ob ich als Trainer in der Fußballschule arbeiten möchte. Die Entwicklung der Fußballschule seither ist unglaublich. Karl-Heinz ist ein sprudelnder Vulkan, er hat die Fußballschule geprägt – und ich bin ein Teil davon seit fast 20 Jahren. Auch das macht mich stolz.

Graz: 
Die Geschichte darf natürlich nicht fehlen in meinem Lebenslauf. Als wir mit Cracovia im UI-Cup 1983 gegen Graz gelost wurden, sind meine Fluchtplanungen konkret geworden. Meine Eltern waren ein paar Wochen vorher ausgereist, mein Ziel war wie erwähnt Aschaffenburg. Als wir in Graz ankamen, hat mein Vater schon im Hotel gewartet. Leider hat er meinen Pass abgegeben, als er vom Hoteldirektor eingesammelt wurde. Papa meinte: „Willst du das wirklich machen?“ Ja, ich wollte. Am Abend spielten wir 1:1, ich machte mein Tor. Am nächsten Morgen sagte ich zur Mannschaft, dass ich nach Aschaffenburg muss, weil meine Mutter krank ist. Das war natürlich nicht die Wahrheit (schmunzelt). Zunächst bot man uns an, mit dem Mannschaftsbus eines Eishockeyteams zu fliehen, das zu einem Freundschaftsspiel nach Deutschland reiste. Sie verlangten 2000 Mark, wir hatten nicht mal 200. Einen Tag später sind wir mit dem Zug rüber, haben uns dort versteckt und sind kurz hinter der Grenze ausgestiegen. Wenig später war meine Mutter wirklich krank, der Gallenstein musste raus. Zu viel Aufregung (lacht).

Handy: 
Gott sei Dank besitze ich keins. Das ist mir zu stressig. An unserer Silbernen Hochzeit habe ich meiner Frau ein iPad geschenkt und gesagt: „Einer von uns muss modern bleiben, das bist du!“ (lacht) 

Insel: 
Auf eine einsame Insel würde ich natürlich meine Familie mitnehmen. Meine Frau habe ich in Aschaffenburg kennengelernt. Sie ist in Polen geboren, aber schon mit einem Jahr nach Deutschland gekommen. Meine Söhne sind 34 und 33 Jahre alt, meine Tochter ist 28. Ich habe zu ihnen immer gesagt: Im Fußball müsst ihr nichts erreichen. Wichtig ist, dass ihr Gemeinschaftssport macht, Spaß habt und vernünftige Menschen seid. Vivian hat mal Zweite Liga gespielt beim 1. FFC Frankfurt seinerzeit. Die Jungs kicken unterklassig, da kannst du manchmal nicht hinschauen (lacht). 

Juli 1983:
Der Monat und das Jahr, in dem ich in den Westen geflohen bin. Siehe G wie Graz.

Karl-Heinz Körbel:
Der Motor der Fußballschule. „Cezary ist einer der wichtigsten Bestandteile der Fußballschule. Er ist immer gut gelaunt und versprüht die Freude und Leidenschaft, die wir bei uns brauchen. Er hat die Fußballschule mit geprägt. Mir imponiert insbesondere, wie er die Jungs und Mädels begeistert und wie begeistert diese auch von ihm sind.“

Lens: 
Dort hatte ich auch eine tolle Zeit, als ich von 1986 bis 1989 dort gespielt habe. Die Franzosen haben eine ganz andere Einstellung. „C’est la vie. Monsieur Tobollik, das bisschen Arbeit machen wir nebenbei.“ Fußball war dort fast wie ein Hobby, neben gutem Essen und Trinken. Aber auch diese Zeit war lehrreich und möchte ich nicht missen.