„Sie haben Krebs“

 

In der vergangenen Ausgabe der „Eintracht vom Main“ haben wir darüber berichtet, dass Ex-Spieler Marco Russ gemeinsam mit Bestseller-Autor Alex Raack sein Buch „Kämpfen. Siegen. Leben.“ geschrieben hat. Hier drucken wir einen Auszug ab, aus dem Kapitel „Sie haben Krebs“.

 

Der 18. Mai 2016. Noch einen Tag bis zum ersten Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg. Nach der letzten Trainingseinheit rief mich Niko Kovac zu sich. „Alles klar“, dachte ich, „der will jetzt noch mit dir über das Spiel sprechen, wie er über die Taktik der Nürnberger denkt, welchen Schlachtplan er sich überlegt hat …“ Niko unterbrach mit ernstem Blick meine Gedanken: „Marco, wir müssen mal schauen wegen morgen. Die NADA hat uns gerade darüber informiert, dass bei dir ein positiver Dopingbefund vorliegt.“ 

 

What the fuck?! Hektisch versuchte ich dafür irgendeine Erklärung zu finden. Hatte ich den Kids zu Hause Hustensaft verabreicht und anschließend den Löffel abgeleckt, ohne zu beachten, dass im Saft ein Wirkstoff enthalten war, den ich nicht in meinem Körper haben durfte? War irgendwo irgendwas im Essen gewesen? Konnte ich mir sonst wo etwas eingefangen haben, was zu diesem Befund geführt haben mochte? Eine andere Erklärung gab es für mich nicht. Selbst wenn ich hätte dopen wollen – ich hätte gar nicht gewusst, wo ich das Zeug herbekommen sollte! Und warum sollte ich so blöd sein, mir irgendwas reinzupfeifen, wenn man doch damit rechnen musste, kontrolliert zu werden? 

 

Mit diesem Gedankenchaos marschierte ich Niko hinterher, der mich direkt ins Büro von Heribert Bruchhagen führte. Neben Herri warteten schon unsere Mannschaftsärzte Dr. Seeger und Dr. Schwietzer auf mich, ebenfalls anwesend war unser Anwalt Christoph Schickhardt. Völlig verdattert nahm ich Platz. Bruchhagen ergriff das Wort: „Marco, ich muss dich das fragen: Hast du irgendein Zeug zu dir genommen?“ „Natürlich nicht!“, gab ich zur Antwort. „Wir glauben dir“, sagte Herri, „aber wir müssen herausfinden, was es mit dem Befund auf sich hat.“ Ratlos hockten wir da und suchten nach einer Antwort. Einer der Ärzte sagte schließlich: „Ich werde jetzt erst mal bei der NADA nachfragen, um welche Substanz genau es überhaupt geht und ob es eventuell möglich ist, dass dein Körper diese Substanz selbst produziert.“ Kurz darauf waren wir alle ein Stück weit schlauer. Bei meinen Kontrollen war ein deutlich erhöhter Beta-HCG-Wert festgestellt worden. Von diesem Wert hatte ich schon einmal gehört. Bei Frauen kann er auf eine Schwangerschaft hindeuten. Zweimal schon hatte mich diese Nachricht sehr glücklich gemacht, denn jeweils ein paar Monate später hatte meine damalige Frau Janina ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Doch nicht bei Janina, sondern bei mir war dieser erhöhte Wert nun gemessen worden. Und das war nun wahrlich kein Grund zur Vorfreude. Ganz im Gegenteil: Bei Männern kann er ein Hinweis auf Hodenkrebs sein. 

 

Hodenkrebs? Mein Gott, was passierte denn hier? Noch vor einer halben Stunde hatte ich auf dem Trainingsplatz gestanden und war mit meinen Gedanken voll und ganz bei der Relegation gewesen. Jetzt war plötzlich möglich, dass ich Krebs hatte. „Was machen wir denn nun?“, fragte ich hilflos in die Runde. Unsere Ärzte klärten mich auf: „Wir besorgen dir jetzt einen Termin beim Urologen und dann wirst du durch gecheckt.“ Das Problem war nur, dass um diese Uhrzeit die Praxen bereits geschlossen waren. Doch die Docs setzten alle Hebel in Bewegung und wenig später saß ich bereits im Auto Richtung Ärztehaus, wo wir Eintracht-Spieler unsere jährlichen Check-ups durchführen lassen. Es gab dort einen Urologen, der sich bereiterklärte, extra für mich noch einmal seine Praxis aufzuschließen. Ich weiß nicht mehr, woran ich dachte, als ich auf dem Weg zu diesem Arzt war. Die ganze Situation war so surreal, wie sollte ein normaler Mensch das begreifen? 

 

Viel Zeit blieb zum Nachdenken blieb mir aber nicht, denn kurz darauf stand ich schon vor dem Urologen, der eine Ultraschalluntersuchung durchführte und meine Hoden abtastete. Kaum hatte er seine Hand aus meinem Schritt genommen, schaute er mich an und sagte die Worte, auf die mich keine Trainingseinheit der Welt hätte vorbereiten können: „Es tut mir leid, das zu sagen, aber: Sie haben Hodenkrebs.“

 

Titel: Kämpfen. Siegen. Leben. Ein Leben für den Fußball und gegen den Krebs 

Autor: Marco Russ mit Alex Raack 

Verlag: Edel Books 

Umfang: 240 Seiten 

Preis: 19,95 € 

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