Spuren gesucht – und gefunden

Zum zweiten Mal hat sich eine Gruppe Eintracht-Mitglieder auf Spurensuche zu den Opfern des Holocaust begeben. Dieses Mal führte die Abschlussfahrt nach Buchenwald. Die „Eintracht vom Main“ war dabei – und sammelte Eindrücke, die kaum in Worte zu fassen sind. Ein Versuch.

227.800 Menschen durchlitten Buchenwald und seine 139 Außenlager, 56.000 Menschen kamen hier zu Tode, wurden ermordet. Darunter auch Emil Stelzer, Eintrachtler und hoch engagiert in der Frankfurter Turngemeinde. In der Frankfurter Finkenhofstraße liegt ein Stolperstein für ihn und seine Frau Else, die in Auschwitz ermordet wurde. Emil Stelzer wurde gleich zwei Mal nach Buchenwald deportiert, zunächst nach den Novemberpogromen 1938, als 10.000 sogenannte Aktionsjuden in Buchenwald inhaftiert wurden. Unter ihnen mit Paul Blüthenthal, Otto Fuld, Ludwig Isenburger, Max und Julius Lehmann, Hans Rosenbaum und Abraham Rozenberg noch weitere Eintrachtler. Diese Inhaftierungen sollten den Druck zur Ausreise erhöhen. Die NS-Herrschaft überlebten Paul Blüthenthal, Ludwig Isenburger, Max Lehmann und Abraham Rozenberg. Hans Rosenbaum wurde 1942 in Lodz ermordet, auch die Spur von Otto Fuld verliert sich dort. Julius Lehmann kam vermutlich in Majdanek ums Leben. Emil Stelzer wurde nach seiner Freilassung im Dezember 1938 im Juni 1943 erneut nach Buchenwald deportiert. Im März 1944 stirbt er. Auch wenn er vermutlich nicht hingerichtet wurde, so haben ihn die furchtbaren Lebensumstände im Lager ermordet. Lebensumstände, die die Nationalsozialisten genau zu diesem Zweck inszenierten.

Schwerer Nebel lastet auf den Wegen hoch auf den Ettersberg, der höchste Punkt der Stadt Weimar in Thüringen. Die Blutstraße führt die letzten Kilometer durch Herbstwälder hinauf in das ehemalige Konzentrationslager, die heutige Gedenkstätte Buchenwald. Die Reisegruppe, die sich tags zuvor das nur wenige Kilometer entfernte Weimar angeschaut hatte, hält vor der Information. Schneidige junge Burschen hofften hier seinerzeit auf eine ordentliche Karriere – und entwickelten sich zu grausamen Sadisten oder aber, was weit häufiger der Fall war, zu bürokratischen Verwaltern des Holocaust mit regelmäßiger und penibel eingehaltener Mittagspause. Kaum vor Ort angekommen, stoßen die zwei Historiker der Stiftung Buchenwald dazu, die die Führung inhaltlich begleiten und leiten werden. Eines wird beim Rundgang schnell klar: Die Zeit reicht nicht, um alles zu erfassen. Nicht heute. Nicht in alle Ewigkeit.

Es waren die erwähnten Geschichten der nach Buchenwald deportierten Eintrachtler, die den Ausschlag für die vom Eintracht Frankfurt Museum und der Fanbetreuung initiierten Reise gegeben hatten. Spurensuche vor Ort. Und tatsächlich konnten die beiden Historiker weitere, den Anwesenden zunächst nicht bekannte, Dokumente auftreiben, die den Aufenthalt der Frankfurter in Buchenwald belegen.

Buchenwald. Schreckensort. Erbaut wurde das Konzentrationslager 1937 nahe der Stadt Weimar, der Stadt Goethes, Schillers, der Weimarer Klassik. Die Stadt des Bauhaus, einer 1919 gegründeten Kunstschule, die so viel auf ihre Kulturbeflissenheit hält und dennoch 1926 den zweiten Parteitag der NSDAP begrüßte. Schon 1930 erhielt hier die NSDAP 28,2 Prozent der Stimmen. Doch wurde der Begriff KL (Konzentrationslager) Ettersberg nicht gerne gehört, da der im 18. Jahrhundert einige Jahre in Weimar lebende Johann Wolfgang von Goethe in lieblicher Verbindung zum Ettersberg stand. Auch der Name Weimars sollte nicht im Vordergrund stehen. Von daher wählten die Nazis den euphemistischen Namen Buchenwald für das Lager. Sie wussten also genau, was sie taten.

Mit dieser Reise endete die zweite Veranstaltungsreihe der Eintracht zum Thema „Spurensuche“. Später fahren die Gäste über die Landstraße zurück Richtung Autobahn. Der Blick fällt auf den 50 Meter hohen Glockenturm, ein Mahnmal auf dem Ettersberg. Er thront nun winzig klein in lichter Höhe. Blau der Himmel, ein schöner Herbsttag. Gedankenverloren sitzen alle auf ihren Plätzen, lassen die vergangenen Tage Revue passieren. Voller Eindrücke, Bilder und Erlebnisse purzeln die Gedanken umeinander – und doch werden einige Fragen nie final geklärt werden können. Wie konnte eine vermeintlich zivilisierte Gesellschaft binnen kurzer Zeit in die Barbarei verfallen? Wie konnten aufgeklärte Menschen die Barbarei zulassen? Wie konnten Menschen anderen Menschen das unvorstellbare Grauen zufügen und gelassen dabei bei romantischem Kerzenlicht Goethe oder Schiller lesen? Und wie können wir verhindern, dass so etwas wieder geschieht?

Sonny ist in Gedanken dabei

Seit 2004 erinnert der deutsche Profifußball rund um den 27. Januar, den Gedenktag der Befreiung der Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren, an die Opfer des Holocaust. Die Fanbetreuung und das Museum von Eintracht Frankfurt haben den Tag dieses Jahr zum Anlass genommen und im Januar die zweite Auflage der Programmreihe „Spurensuche“ zum Thema „Die Vereinsführer der Eintracht im Nationalsozialismus“ gestartet. Nachdem 2019 die erste Spurensuche, initiiert vom Eintracht Frankfurt Museum und der Fanbetreuung unter tätiger Mithilfe des Fritz Bauer Instituts, Fans der Eintracht ins einstige Ghetto Theresienstadt führte, bildete den Abschluss des zweiten Teils eine Fahrt nach Weimar beziehungsweise ins nahe gelegene ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Noch vor Abfahrt des Busses ließ es sich Helmut „Sonny“ Sonneberg nicht nehmen, die Reisegruppe höchstpersönlich zu verabschieden. Sonny, der als Kind selbst nach Theresienstadt verschleppt wurde, das Ghetto überlebte und seit frühester Kindheit glühender Eintracht-Fan ist, hatte die Teilnehmer der ersten Spurensuche damals als Zeitzeuge begleitet. Diesmal blieb er aus privaten Gründen in Frankfurt, in Gedanken aber reist er mit.

Der Text ist ein Auszug aus der Reportage von Axel Hoffmann zur dreitätigen Reise nach Weimar und Buchenwald. Der komplette Text findet sich in drei Teilen unter www.museum.eintracht.de. Die Reise fand Anfang Oktober statt.

Wie im November-Magazin berichtet, hat der Deutsche Fußball-Bund die Arbeit des Eintracht-Museums für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gewürdigt und ihm den Julius-Hirsch-Preis verliehen. Dies geschah kürzlich im Rahmen einer Feierstunde im Palmengarten, bei der das Bild oben entstanden ist. Es zeigt Vorstandssprecher Axel Hellmann (4.v.l.) mit Museums-Geschäftsführer Matthias Thoma (3.v.l.) und dessen Team. Links Helmut „Sonny“ Sonneberg (siehe Artikel oben).

Texte: Axel Hoffmann
Fotos: privat