Niko Arnautis – Ein echter Frankfurter Bub

Okay, sein ehemaliger Wohnort Hattersheim (Frankfurter Straße!) liegt geografisch gesehen nicht auf Frankfurter Gemarkung. Doch Niko Arnautis als waschechten Frankfurter zu bezeichnen, ist keineswegs verkehrt. Der 41-Jährige ist in der Mainmetropole geboren, lebt heute im Stadtteil Bockenheim, hat für mehrere Traditionsvereine der Stadt Fußball gespielt, hat an der Goethe-Universität studiert, arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt an der Carl-von-Weinberg-Schule in Goldstein – und ist fast genauso lange als Fußballtrainer tätig. Mittlerweile leitet der Deutsch-Grieche im fünften Jahr das Bundesligateam der Frauen an, das sich seit der Fusion mit dem 1. FFC Frankfurt 2020 unter dem Dach von Eintracht Frankfurt befindet. Doch wie sieht ein Tag für Arnautis in Frankfurt aus? EintrachtTV und die „Eintracht vom Main“ haben während der Wintervorbereitung vor wenigen Wochen den Cheftrainer der Eintracht Frauen begleitet.

Interview: Lars Weingärtner
Reportage: Michael Wiener
Fotos: Lucas Körner 

9.59 Uhr. Fridas Café auf der Leipziger Straße in Bockenheim. Niko Arnautis winkt aus dem Fenster, als unser Team heranläuft. Der Fußballtrainer hat es sich in einer Ecke gemütlich gemacht, nippt an seinem Kaffee und tippt auf seinem Handy. Bereits im Vorgespräch hat Arnautis verraten, dass er sich gerne in Cafés aufhält. „In Bockenheim, fußläufig von meiner Wohnung, habe ich drei, vier Cafés, in die ich gehe, wenn ich keine Lust oder Zeit habe, in die Stadt zu fahren“, erzählt er. Das Fridas ist morgens dann oft die erste Anlaufstation, „hier frühstücke ich auch mal gerne“. Der Betreiber spricht von einem „alternativen Café“, der Slogan ist „Eat, drink and socialize“. Passt genau zu Arnautis, der gerne mit Freunden zusammensitzt, einen Kaffee trinkt und auf gut Frankfurterisch ein Schwätzchen hält. So auch mit dem ETV-Team. Der Tag wird durchgesprochen, der Zeitplan steht. Arnautis bezahlt, verabschiedet sich freundlich und gibt die Richtung vor. „Lasst uns nach Hattersheim fahren, an den Sportplatz.“ Gesagt, getan.

„Was ich tue, ist mein Hobby und meine Leidenschaft. Dass ich dafür noch bezahlt werde, macht es umso mehr zu einem Traumjob“

10.36 Uhr. Sportpark Hattersheim. Nur zwei Autominuten entfernt von der A66 biegen wir auf den Parkplatz ein. Die Sporthalle, der Hauptplatz mit Aschenbahn und der Hartplatz daneben sind stark in die Jahre gekommen. Einzig der Kunstrasenplatz macht einen frischen Eindruck. „Den gab es damals noch nicht, da war hier auch noch ein Ascheplatz. Das ist die DJK-Seite“, blickt Arnautis auf den Bereich der SG DJK Hattersheim. Er spielte früher beim wesentlich älteren Lokalrivalen SV Hattersheim, der auf dem Rasen- und dem noch bestehenden Ascheplatz zu Hause ist. „Dort gab es einen direkten Durchgang zum Freibad. Das war im Sommer ganz praktisch“, zeigt er ans andere Ende des Platzes, wo sich bis zur A66 das Areal des Freibads erstreckt. 1984 ist er mit seiner Familie von Frankfurt nach Hattersheim gezogen, 1985 fing er im Alter von fünf Jahren beim Sportverein mit dem Fußballspielen an. „Am 23. September 1985 hatte ich mein erstes Pflichtspiel, das weiß ich noch genau“, erzählt er. „Ich verbinde unheimlich schöne Erinnerungen mit dem Platz“, gerät Arnautis vor dem abgeschlossenen Tor ins Schwärmen.

Niko, woran erinnerst du dich aus dieser Zeit besonders gerne zurück?
1989 hat hier ein U10-Turnier mit 78 Teams stattgefunden, bei dem wir Dritter wurden. Gewonnen hat übrigens die Eintracht! Da wurde hier auf allen drei Plätzen und sogar auf der Wiese neben dem Gelände gespielt. Anscheinend habe ich es ganz gut gemacht, denn die Eintracht kam danach auf meinen Vater zu und hat gefragt, ob ich nicht zu ihnen wechseln wolle. Aber ich mochte lieber bei meinen Freunden bleiben, weshalb nichts daraus geworden ist. Bei dem Turnier konnte man für 50 Pfennig auf eine Torwand schießen. Im Stechen habe ich mit fünf Treffern gewonnen und ganz stolz vom Vereinsheim aus meine Mutter angerufen. Der Pokal war gefühlt größer als ich. Ich war nur mit dem Fahrrad da, deshalb konnte ich ihn nicht transportieren. Als ich den Pokal später ganz stolz in unserer Kneipe präsentiert habe, haben alle applaudiert. Das war ein ganz besonderer Tag. Der Pokal steht bis heute bei meiner Mutter. 

„Als kleiner Junge (…) bin ich mit meinem Vater immer ins Stadion gefahren. Einmal habe ich es nicht geschafft und daraufhin den ganzen Tag nur noch geheult“

Wir nehmen an, dass du auch damals schon die Eintracht verfolgt hast. Welche Kindheitserinnerungen hast du daran?
Als kleiner Junge in der D- und E-Jugend bin ich nach meinen Spielen am Wochenende immer nach Hause gerannt, um pünktlich mit meinem Vater ins Stadion zu fahren. Einmal habe ich es nicht geschafft und daraufhin den ganzen Tag nur noch geheult. Das war ganz schlimm für mich. Ich erinnere mich auch noch daran, als ich meinen ersten Eintracht-Ball bekommen habe, auf dem alle Spieler unterschrieben hatten. Mit dem wollte ich überhaupt nicht spielen, damit die Unterschriften nicht weggehen. 

Zurück zu dir als junger Kicker. Was für ein Spielertyp warst du?
Es ist immer schwierig, sich selbst zu beschreiben. Die Trainer haben oft zu mir gesagt, dass ich technisch und strategisch sehr stark sei. Ich habe überwiegend im zentralen Mittelfeld gespielt und konnte so dem Spiel meinen Stempel ganz gut aufdrücken. Allerdings wurde mir auch oft gesagt, ich solle mal ein bisschen mehr Krafttraining machen (lacht). Das hätte mir vermutlich wirklich gutgetan, aber zu jenem Zeitpunkt wollte ich einfach nur kicken. 

Wie war damals das Verhältnis zu deinem jüngeren Bruder Christos?
Tatsächlich wollte sich mein Bruder damals gar nicht im Verein anmelden. Deshalb habe ich ihn hierher gezerrt und gesagt: Du meldest dich jetzt an. So hat auch er, relativ spät mit sieben, acht Jahren, angefangen, Fußball zu spielen. Mittlerweile ist er aber froh, dass er es gemacht hat. 

Wer war dein fußballerisches Idol?
Dimitrios Saravakos war in den 1980ern ein griechischer Nationalspieler, der für Panathinaikos Athen gespielt und mich als kleiner Junge sehr inspiriert hat. Seinetwegen habe ich auch lange Zeit die Nummer sieben getragen. Er kam sogar mal mit Panathinaikos zu einem Testspiel in den Nachbarort gegen Viktoria Sindlingen. Ich wollte unbedingt ein Foto mit meinem Idol machen, habe dann aber erst mal geweint und mich nicht getraut. Deshalb habe ich bis heute leider kein Foto mit ihm. 

Du hast später als Aktiver bei Rot-Weiss Frankfurt in der Landesliga gespielt und hattest sogar ein Angebot aus der Zweiten griechischen Liga. Wie konntest du das ausschlagen?
Ich war damals als 18-Jähriger mitten im Abitur und habe mit Rot-Weiss in der A-Jugend Hessenliga gespielt. Gleichzeitig habe ich in Griechenland in der Heimatstadt meiner Eltern trainiert und habe ein Angebot von dem dortigen Verein erhalten. Aber ich wollte in Deutschland mein Abi bauen und habe mir als typisch griechischer Junge gedacht: Das andere kannst du auch in einem Jahr noch machen. Dazu kam es letztlich nicht. Trotzdem glaube ich auch heute noch, dass ich mich richtig entschieden habe, und bereue nichts. 

Warst du auch als Spieler schon jemand, der wie ein Trainer gedacht hat?
Mit 28 Jahren hat mein damaliger Trainer Jürgen Menger, der selbst Profi in Freiburg war, zu mir gesagt, ich würde später mal Trainer werden, weil ich schon jetzt wie ein Trainer spiele und denke. Zu dem Zeitpunkt habe ich ihn nur angeschaut und gesagt: Das habe ich aber gar nicht vor. Ich habe einfach nur gespielt und mir gar keine Gedanken darüber gemacht, was mal kommt. Aber am Ende hatte er offensichtlich recht. 

11.03 Uhr. Grundschule Hattersheim. Zu Zeiten von Niko Arnautis war dies die einzige Grundschule der Stadt, sie ist zentral gelegen. Auf dem Schulhof sind Fahrradstraßen markiert. „Hier habe ich meinen Fahrradführerschein gemacht“, berichtet Arnautis. An zwei Seiten erstrecken sich grüne Stabszäune in die Höhe, mittendrin sind mit drei Alustangen Kleinfeldtore eingelassen. „Früher waren es kleine Holztore ohne Netz. Klar, dass wir hier jeden Tag gekickt haben.“ Das ehemalige Einwohnermeldeamt ist mittlerweile auch Teil des Schulgebäudes. Dort, wo Arnautis später ein Praktikum absolviert hat. Fast 20 Jahre lang war Hattersheim der Lebensmittelpunkt für Arnautis.

Bist du nach der Schule überhaupt nach Hause gegangen oder sofort auf den Platz?
Ich bin nach Hause, habe meinen Ranzen abgestellt, kurz etwas gegessen und bin dann direkt auf den Platz. Wenn ich alleine war, habe ich gegen die Wand geschossen, waren wir zu zweit, haben wir von Tor zu Tor gespielt. Im Grunde war es das beste Torschusstraining, eine halbe Stunde eins gegen eins zu spielen. War der Ball auf deiner Seite, durftest du schießen, war der Ball auf der anderen Seite, durfte der andere schießen. All meinen Freunden war klar, dass wir uns hier treffen. Manchmal waren wir 30 Jungs auf dem Platz. 

Wie warst du in der Schule?
In der Grundschule und Mittelstufe war ich noch ganz ordentlich dabei. Ich habe erst die Realschule abgeschlossen, wollte aber unbedingt noch mein Abitur machen. Ab der Oberstufe habe ich dann nur so viel gemacht, damit es gereicht hat. 

Welches war dein bestes Fach?
Natürlich Sport, aber auch in Mathe und Geschichte war ich ganz gut. Das waren später meine beiden Leistungskurse. Trotzdem hatte ich durch den Fußball nicht so viel Zeit beziehungsweise habe mir nicht so viel Zeit für die Schule genommen. Damals hat man allerdings auch keinen bestimmten Schnitt gebraucht, um Sport studieren zu können. Zudem war mir klar, dass ich das machen möchte. Ich spreche deshalb auch lieber über meine Endnote im Studium. 

Welches Fach mochtest du gar nicht?
Mit Physik habe ich mich sehr schwergetan, da hatte ich im ersten Halbjahr in der elften Klasse nur einen Punkt. Auf einem Ausflug hat mich dann aber mein Physiklehrer zur Seite genommen und gesagt: Junge, streng dich mal an. Daraufhin habe ich mich wirklich mal hingesetzt und tatsächlich im zweiten Halbjahr mit neun Punkten die beste Klausur geschrieben. Auch die französische Grammatik fand ich ziemlich schwierig. Da habe ich vier Mal fünf Punkte geschrieben, wenn ich mich richtig erinnere. 

„Wenn meine Eltern untern in der Kneipe waren, haben mein Bruder und ich uns meistens draußen aufgehalten. Da hieß es nur: Ich bin dann mal weg und komme wieder, wenn es dunkel wird“

Du hast Sportwissenschaften an der Goethe-Uni studiert und wolltest eigentlich promovieren. Wie kam es, dass du doch einen anderen Weg eingeschlagen hast?
Ich saß bei meinem ehemaligen Dozenten und es war bereits abgeklärt, dass ich promoviere. Da hat sein Bürotelefon geklingelt, er ist drangegangen und hat mir den Hörer überreicht. Ich war ganz überrascht, weil ich mich gefragt habe, wer mich in seinem Büro anruft. Es war der Hessische Fußballverband, der jemanden gesucht hat, der das Mädchenprojekt an der Carl-von-Weinberg-Schule für ein Jahr übernimmt. Ich habe mich kurz mit meinem Dozenten besprochen, er meinte nur: „Junge, mach‘ das, schaue es dir an und dann sehen wir weiter.“ Das habe ich getan und es hat mir so gut gefallen, dass ich an der Schule geblieben bin. Es ist uns gelungen, das Projekt nach vorne zu bringen, wir sind mehrfach Deutscher Meister und 2019 sogar Schulweltmeister geworden. Viele Sporteinrichtungen wie zum Beispiel die Eintracht, das Sportinternat Frankfurt, der Olympiastützpunkt in Frankfurt, der Landessportbund Hessen sowie die Fußballverbände HFV und DFB beteiligen sich mit Kooperationen. Bis heute leite ich das Schulprojekt neben meiner Trainertätigkeit. Und promovieren kann ich ja immer noch (lacht). 

11.17 Uhr. Hattersheim, Frankfurter Straße. In der kleinen Einkaufsstraße befinden sich heute unter anderem ein Friseur, ein Eiscafé, eine Metzgerei und eine Pizzeria. Niko zeigt in eine Hofeinfahrt auf ein zurückgesetztes Haus. „Hier war unsere Kneipe, die uns über zwölf Jahre lang gehört hat.“ Noch heute ist dies eine Gaststätte, die Hattersheimer Pilsstubb. Ein Auto fährt vor, ein Mann steigt aus und öffnet die Tür zur Pilsstubb. Arnautis spricht ihn an. „Ich habe hier früher gewohnt.“ Der Mann entgegnet: „Bist du Petros Sohn?“ Arnautis: „Ja.“ „Wollt ihr mal reinschauen?“ Wir gehen in einen kleinen, dunklen Raum und Niko erzählt, wie damals Tische, Theke, Spielautomat und der Weg zum stillen Örtchen angeordnet waren. „Alles etwas anders als früher.“ Arnautis erinnert sich gerne an die Zeit zurück, viele Jahre war er nicht mehr in Hattersheim. Vor der Kneipe erklärt er weiter. „Hier im Hof und auf der Wiese dahinter habe ich immer gekickt und mir vorgestellt, ich spiele bei einem großen Verein bei einem Turnier und würde nach dem Turniersieg natürlich zahlreiche Angebote erhalten.“

Wie war die Kindheit im Hause Arnautis? Waren deine Eltern streng?
Nein, überhaupt nicht. Wenn meine Eltern unten in der Kneipe waren, haben mein Bruder und ich uns meistens draußen aufgehalten. Da hieß es nur: Ich bin dann mal weg und komme wieder, wenn es dunkel wird. In dieser Hinsicht hatten wir wirklich viele Freiheiten, solange unsere Eltern wussten, wo wir hingehen. Sie haben viel gearbeitet, um uns Kindern alles zu ermöglichen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar, denn das ist nicht selbstverständlich. Meine Mutter arbeitet auch heute noch, obwohl ich das eigentlich nicht mehr möchte. Mein Vater ist leider schon vor 13 Jahren verstorben. 

Was machst du, wenn du nicht auf dem Fußballplatz stehst?
Wenn ich Zeit habe, gehe ich gerne in ein Café, trinke einen Kaffee oder gehe essen. Samstags findet man mich auch mal zum Einkaufen in der Kleinmarkthalle. Oder ich treffe mich mit Freunden, die ich schon länger nicht gesehen habe. Allerdings findet der Trainerjob nicht nur auf dem Trainingsplatz statt, sondern man hat eigentlich von morgens bis abends Programm. 

Dein Job ist vom Umfang her also durchaus vergleichbar mit der Arbeit von Cheftrainer Oliver Glasner?
Er wird sicher den einen oder anderen Pressetermin mehr haben, aber ansonsten ist der Aufwand identisch. Trainer ist ein Fulltime-Job, der sehr nervenaufreibend ist und dich fordert. Dafür macht er aber auch unheimlich Spaß. Und wenn du Spaß an deinem Job hast, fühlt es sich nicht wie Arbeit an. Ich habe im Sommer zu meiner Mannschaft gesagt: Ich habe in meinem Leben noch nie gearbeitet. Was ich tue, ist mein Hobby und meine Leidenschaft. Dass ich dafür noch bezahlt werde, macht es umso mehr zu einem Traumjob. 

Apropos Hobbys: Du spielst auch ab und zu Tennis?
Meine Freundin Nina hat früher im Verein gespielt. Ich bin als Fußballer natürlich sehr großmäulig und habe das ein oder andere Mal gegen sie spielen dürfen, allerdings leider jedes Mal verloren. Ich habe, glaube ich, mal einen Punkt gegen sie gemacht – das war dann schon etwas Besonderes (lacht). Beim Squashspielen habe ich mich zuletzt aber sehr geärgert, weil ich nach Sätzen 2:3 gegen sie verloren habe. Damit zieht sie mich bis heute auf. Es steht auf jeden Fall noch eine Revanche an. Im Tischtennis habe ich aber gewonnen. 

12.12 Uhr. Café KukuVaia im Frankfurter Nordend. Hier ist Arnautis Stammgast und genießt ein bisschen griechische Heimat. Der Betreiber nennt sich selbst „Bean Inspector“, bringt griechischen Kaffee in den Frankfurter Norden und möchte in seinen vier Wänden für südeuropäisches Flair sorgen. Zudem spielt auch die Eintracht eine große Rolle. Mittlerweile ist Nikos Bruder Christos (38) dazugestoßen. Seit Sommer 2020 ist er Co-Trainer und im Trainerteam für die Videoanalyse zuständig, zuvor assistierte der A-LizenzInhaber unter anderem bei drei Stationen (Eintracht U19, Rot-Weiß Frankfurt, FC Gießen) dem ehemaligen Adlerträger Daniyel Cimen. Niko und Taki haben in einer kleinen Sitzecke Platz genommen. Über ihnen hängen Eintracht-Trikots von Kevin Trapp, Steven Zuber, Ioannis Amanatidis, aber auch ältere Trikots mit TetraPak und der Hoechst AG auf der Brust. Mittendrin grüßt die Meistermannschaft von 1959, der Bogen spannt sich bis zum bislang letzten Titel – eröffnet hat das KukuVaia kurz vor dem DFB-Pokalsieg 2018. Die Arnautis-Brüder bestellen einen Flat White, den sie gerne als „Männer-Cappuccino“ bezeichnen. „Doppelter Espresso mit ein bisschen Milch, sehr lecker“, beschreibt Niko. Auch wenn man für kleine Jungs muss, ist die Eintracht nicht weit: Auf der Toilette hängt an der Wand ein Ausschnitt aus der BILD-Zeitung vom Sieg der Adlerträger in München im vergangenen Jahr. Es ist Zeit für ein kleines Brüderduell. Wie gut kennen sich die beiden? Wir haben ihnen zehn Fragen gestellt, beide haben unabhängig voneinander geantwortet. Obwohl sie sich sehr gut kennen, jeden Tag Kontakt haben, übereinander in einem Mehrfamilienhaus wohnen, endet die Fragerunde 5:5-unentschieden. Aber es wurde viel gelacht …

13.15 Uhr. Sportanlage Rebstock. Seit vielen Jahren sind hier die Frankfurter Profifußballerinnen zu Hause, trainieren auf einem Rasen- und Kunstrasenplatz. Im Funktionsgebäude stehen Kabinen, Lager- und Besprechungsräume zur Verfügung. Niko Arnautis wird dort mit seinem Trainerteam einen Tag nach dem Test gegen die U16-Jungs aus Königstein die aktuelle personelle Situation besprechen. Danach geht es auf den Platz. Zwischen Besprechung und Übungseinheit ist Gelegenheit, Niko Arnautis über seine Trainertätigkeit zu befragen und auch einen alten Weggefährten aus seiner Zeit am Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht zu Wort kommen zu lassen. Rund um das Interview trudeln die ersten Spielerinnen bereits ein, die Begrüßung läuft mit der Corona-konformen Faust. Im Hintergrund befüllt Torwarttrainer Marcel Schulz die Plastik-Dummys mit Wasser, an der Rollschuhbahn wird gewerkelt und Sjoeke Nüsken fährt trotz eisiger Temperaturen mit dem Fahrrad vor.

Bevor du Trainer beim FFC wurdest, warst du auch am Riederwald tätig. Wie war die Zeit damals für dich?
Es war eine unglaublich interessante und spannende Zeit, in der ich viel gelernt und mit tollen Leuten zusammengearbeitet habe. Zu den Highlights zählt sicher die Zeit in Dallas, als wir im Finale des großen U17-Turniers standen. Es waren zehn sehr schöne und sportlich erfolgreiche Tage, an die ich sehr gerne zurückdenke. 

Wir haben eine kurze Videobotschaft für dich von Uwe Bindewald:
„Hi Niko, hier ist Binde. Mach einfach weiter so und bleib‘ so, wie du bist. Man sieht deine Handschrift bei den Mädels und den Erfolg, den du hast. Ich drücke dir weiterhin ganz fest die Daumen. Und das Allerwichtigste ist: Bleib‘ so, wie ich bin.“ 

Binde ist ein unglaublich sympathischer Typ. Wir haben ein Jahr zusammen die U17 trainiert und es hat wirklich gut zwischen uns gepasst. Ich habe sehr viel von ihm mitnehmen können. Den Spruch „Bleib‘ so, wie ich bin“ kenne ich auch aus dieser Zeit schon sehr gut. In Dallas haben wir uns zehn Tage lang ein Zimmer geteilt. Ich habe noch nie einen ordentlicheren Menschen als ihn gesehen. Wenn ihr sehen würdet, wie er seinen Koffer packt – so was habt ihr noch nie erlebt. Ich bin froh, dass wir immer noch so einen guten Kontakt haben. Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Er ist ein unfassbar guter Mensch, von dem ich sehr viel lernen konnte.

Nach der Saison 2015/16 bist du zum 1. FFC Frankfurt, bei dem du früher in der Jugend gearbeitet hast, zurückgekehrt und hast die zweite Frauenmannschaft übernommen. Im September 2017 war es so weit: Siggi Dietrich hat dich angerufen, nachdem Trainer Matt Ross bei der Bundesligamannschaft entlassen worden war. Kannst du dich noch an das Gespräch erinnern?
Ich erinnere mich sehr gut daran. Es war der Abend, an dem Carlo Ancelotti sein letztes Spiel mit dem FC Bayern München in Paris hatte. Ich habe mich gefragt, was er um diese Uhrzeit noch von mir will. Als er mir erzählt hat, dass er mich als Trainer für die erste Mannschaft möchte, brauchte ich überhaupt nicht zu überlegen. Das war das Ziel, auf das ich in den Jahren zuvor hingearbeitet hatte. Es war eine riesige Herausforderung, die Mannschaft zu übernehmen, die damals noch ganz anders strukturiert war. Aber ich habe mich bereit gefühlt und bin sehr froh, wie es seitdem gelaufen ist. 

„Wenn ein Junge gelungene Aktion im Spiel hatte und fünf Schlechte, wird er danach sagen: Hast du die gute Aktion gesehen? Bei Mädels ist das genau umgekehrt: Sie haben fünf gute Aktionen und eine Schlechte und ärgern sich trotzdem über die schlechte Aktion“

Du hast sowohl Männer- als auch Jugend und Frauenteams trainiert. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?
Inhaltlich gibt es tatsächlich überhaupt keine Unterschiede. Die Trainingsgestaltung ist vom Taktischen, Technischen und von den Analysen her bei allen Profiteams identisch. Allerdings zeigt sich, dass die Mädels noch etwas interessierter und dadurch auch anspruchsvoller sind. Sie setzen die Anforderungen nicht nur schnell um, sondern wollen auch wissen, warum man etwas auf eine bestimmte Art und Weise machen soll. Das passt sehr gut zu meiner Philosophie. Ich finde es wichtig, nachzufragen und zu verstehen, was man tut. Mit Blick auf die Mannschaftsführung gibt es auch kleine Unterschiede. Wenn ein Junge zum Beispiel eine gelungene Aktion im Spiel hatte und fünf schlechte, wird er danach sagen: Hast du die gute Aktion gesehen? Bei Mädels ist das genau umgekehrt: Sie haben fünf gute Aktionen und eine schlechte und ärgern sich trotzdem über die schlechte Aktion. Das sind aber wirklich nur kleine Unterschiede und es macht großen Spaß, egal ob man Jungs oder Mädels trainiert. 

15.17 Uhr. Die Arbeit auf dem Platz hat begonnen. Trainiert wird heute auf dem Kunstrasen, auf solchem findet auch das nächste Testspiel statt. Plötzlich ein lauter Pfiff. Arnautis unterbricht die Taktikübung kurz, geht zu zwei Spielerinnen und erklärt ihnen, wie sie die Pressingsituation noch besser hätten lösen können. Danach geht es weiter, er beobachtet das Geschehen und ruft kurze Zeit später, als Verena Hanshaw den Laufweg von Laura Feiersinger frühzeitig erkennt und den Ball routiniert klären kann: „Gut, Mädels, genau so!“

Als welchen Trainertyp würdest du dich beschreiben?
Ich fordere mutigen und aktiven Fußball, möchte mit dem Ball einen sehr zielstrebigen und gegen den Ball einen aggressiven Spielstil sehen. Wir wollen unsere Gegner so hoch wie möglich anlaufen und ein gutes Pressing zeigen. Außerdem lege ich viel Wert auf Technik und Taktik, aber auch eine gewisse Fitness, die man im Spiel benötigt. 

Von welchem Trainer hast du in deiner Karriere am meisten mitgenommen?
Ich hatte sowohl in der Jugend als auch im Seniorenbereich hervorragende Trainer, sodass ich nicht eine Person herauspicken kann. Ich habe von jedem Trainer etwas mitgenommen und daraus meinen eigenen Stil entwickelt. Von dem einen hat man sich mehr von der Einstellung abgeschaut, bei dem anderen war es mehr das Taktische oder die Mannschaftsführung. Ich bin über jeden Trainer froh, den ich kennenlernen durfte. 

Beeinflusst das Training, mit welchem Gefühl du nach Hause fährst?
Natürlich fährt man auch als Trainer mit einem guten Gefühl nach Hause, wenn das Training gut lief, und denkt noch länger darüber nach, wenn es schlecht lief. Aber das hat sich bei mir in den vergangenen Jahren etwas verändert. Wenn ein Training mal nicht so gut läuft, mache ich mir zwar schon Gedanken über die Gründe, aber ich kann auch solche Einheiten mittlerweile durch meine Erfahrung ganz gut einordnen. Manchmal ist es gar nicht verkehrt, wenn das Training mal nicht so gut läuft, weil man dann konkrete Situationen intensiver mit dem Team besprechen kann. Auch daraus kann man einiges mitnehmen. 

Wie bereitest du die Trainingseinheiten vor?
Die Schwerpunkte für eine Woche sind grundsätzlich vorgeplant. Tatsächlich mache ich mir aber immer direkt nach einer Einheit schon die ersten Gedanken, wie es am nächsten Tag weitergeht und ob wir alles wie geplant durchführen. Morgens setze ich mich dann nach dem Aufstehen daran, das Training final vorzubereiten. Nach einem Tee oder Kaffee bin ich am kreativsten. Direkt vor dem Training bespreche ich die konkreten Inhalte dann mit meinem Trainerteam und Staff. 

16.26 Uhr. Niko beendet das Training: „Das war eine gute Einheit heute! Lauft noch aus und dehnt euch danach, morgen arbeiten wir weiter.“

18.19 Uhr. Restaurant Omonia auf der Eckenheimer Landstraße in Frankfurt. Hier möchte Arnautis den Tag mit EintrachtTV und der „Eintracht vom Main“ ausklingen lassen. „Ich mag gutes Essen, am liebsten in Griechenland direkt am Meer sitzend“, sagt er. Gerne isst er aber auch ein Wiener Schnitzel, Spaghetti Bolognese oder an Weihnachten Gans mit Klößen. Ein Beispiel dafür, wie er eine passende Mischung findet zwischen der deutschen und der griechischen Lebensweise und Mentalität. „Das Beste von beidem führt zum Erfolg, wie Otto Rehhagel mit Griechenland bei der Europameisterschaft 2004.“ Ins Omonia kommt Arnautis gerne. „Hier passt alles: Das Ambiente stimmt, der Service ist sehr angenehm und das Essen schmeckt.“ Arnautis hat einen Vorspeisenteller bestellt mit Tsatsiki, einer pikanten Fetacreme, Hackfleischbällchen, eingelegten Peperoni, Linsenmus und Auberginenpüree, dazu Salat. Als Hauptspeise wählt er seinen Favoriten, Lammkoteletts vom Grill mit frischen Marktgemüse und kleine Nudeln namens Kritharaki. Dazu ein Glas Wein. Ehe die Vorspeise serviert wird, nimmt sich Arnautis Zeit für die letzte Fragerunde.

Es gibt immer wieder Vorurteile, mit denen der Frauenfußball konfrontiert wird. Du hast jetzt die Möglichkeit, diese auszuräumen. Nummer eins: Frauenfußball ist langsam.
Das ist falsch. Ich kenne die Sprintwerte der Mädels, sie sind ganz schön schnell. Wir haben einige Spielerinnen, die 30 km/h packen. Im Vergleich zum Erstligafußball der Männer ist das zwar etwas langsamer, aber langsam geht es bei uns auf keinen Fall zu. 

Da geht es gar nicht richtig zur Sache.
Das ist auch nicht wahr. Gerade erst in unserem Testspiel gegen die Jungs des 1. FC-TSG Königstein hat man gesehen, dass die Mädels auch richtig austeilen können. Trotzdem kann man sagen, dass es im Frauenfußball fairer zugeht. 

Frauen haben keine Ahnung von Taktik.
Da kann ich auch nur lachen. Wenn man uns spielen sieht, merkt man uns definitiv taktisches Verständnis an. Der Frauenfußball ist in den vergangenen Jahren immer schneller und taktisch besser geworden. Also: Mädels haben sehr wohl jede Menge Ahnung von Taktik. 

Ist der Vergleich von Frauen- und Männerfußball grundsätzlich etwas unfair?
Man kann gerne Vergleiche ziehen. Es ist dieselbe Sportart, deshalb machen wir auch keine Unterschiede bei den Trainingsinhalten. Aber natürlich gibt es, wie in anderen Sportarten auch, Unterschiede – allein hinsichtlich der Physis. Umso mehr haben die Mädels Respekt dafür verdient, dass sie sich neben dem Fußball noch ein zweites Standbein aufbauen. Sie leisten also tatsächlich noch etwas mehr als viele Männer. Auch die Konfrontation mit Vorurteilen ist nicht zu unterschätzen. Gerade früher mussten viele Mädels dafür kämpfen, auf dem Platz stehen zu können. In der heutigen Zeit ist es dahingehend zum Glück entspannter. Man sieht auch bei der Eintracht, dass kein Unterschied zwischen Frauen und Männern gemacht wird. Umso glücklicher und stolzer sind wir, ein Teil von Eintracht Frankfurt zu sein. 

Du setzt dich immer wieder dafür ein, den Frauenfußball voranzubringen. Wie betrachtest aktuell du die mediale Präsenz?
Seit dieser Saison hat der DFB gemeinsam mit den Sendern die Strukturen dafür geschaffen, dass alle Spiele der FLYERALARM Frauen-Bundesliga live übertragen werden. Das war ein ganz wichtiger Schritt. Darüber hinaus gibt es die Champions League der Frauen sowohl über DAZN als auch über YouTube frei empfangbar live zu sehen. Es hat sich also bereits einiges getan und ich bin davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren noch besser wird.

„Die Mädels haben Respekt dafür verdient, dass sie sich neben dem Fußball noch ein zweites Standbein aufbauen. Sie leisten also tatsächlich noch etwas mehr als viele Männer“

Du bist nun schon seit anderthalb Jahren als Trainer bei Eintracht Frankfurt. Wohin geht der Weg und wie bewertest du die bisherige Entwicklung?
Wir haben uns in dieser Saison einiges vorgenommen. Die Mannschaft ist sehr motiviert und hat jede Menge Potenzial. Uns war bewusst, dass unsere junge Mannschaft etwas Zeit braucht. Aber wir haben immer das Vertrauen in unsere Mädels gehabt und ihnen die nötige Zeit eingeräumt. Unser Traum ist es, mit Eintracht Frankfurt international zu spielen. Wir wollten in dieser Saison näher rankommen als im vergangenen Jahr. Jetzt stecken wir tatsächlich mittendrin im Kampf um die Spitzenplätze und möchten diese attackieren. Je früher wir unser Ziel erreichen, umso schöner. Wir werden alles tun, damit wir unseren Traum nicht nur träumen, sondern auch leben können. 

Wer wird als nächstes Deutscher Meister: das Frauen- oder das Männerteam?
Ich hoffe natürlich, beide. Die Männer haben es sicherlich nochmal schwerer, weil die Bundesliga mit dem FC Bayern München auch europäisch gesehen eine absolute Macht ist. Die Frauen werden alles tun, um es irgendwann zu schaffen. Ich glaube aber, dass bis dahin noch ein paar Schritte zu gehen sind, auch wenn wir in den vergangenen Jahren immer näher an die Spitzenplätze herangerückt sind. Im Idealfall können wir irgendwann mal mit beiden Teams gemeinsam auf dem Römer feiern.