13.15 Uhr. Sportanlage Rebstock. Seit vielen Jahren sind hier die Frankfurter Profifußballerinnen zu Hause, trainieren auf einem Rasen- und Kunstrasenplatz. Im Funktionsgebäude stehen Kabinen, Lager- und Besprechungsräume zur Verfügung. Niko Arnautis wird dort mit seinem Trainerteam einen Tag nach dem Test gegen die U16-Jungs aus Königstein die aktuelle personelle Situation besprechen. Danach geht es auf den Platz. Zwischen Besprechung und Übungseinheit ist Gelegenheit, Niko Arnautis über seine Trainertätigkeit zu befragen und auch einen alten Weggefährten aus seiner Zeit am Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht zu Wort kommen zu lassen. Rund um das Interview trudeln die ersten Spielerinnen bereits ein, die Begrüßung läuft mit der Corona-konformen Faust. Im Hintergrund befüllt Torwarttrainer Marcel Schulz die Plastik-Dummys mit Wasser, an der Rollschuhbahn wird gewerkelt und Sjoeke Nüsken fährt trotz eisiger Temperaturen mit dem Fahrrad vor.

Bevor du Trainer beim FFC wurdest, warst du auch am Riederwald tätig. Wie war die Zeit damals für dich?
Es war eine unglaublich interessante und spannende Zeit, in der ich viel gelernt und mit tollen Leuten zusammengearbeitet habe. Zu den Highlights zählt sicher die Zeit in Dallas, als wir im Finale des großen U17-Turniers standen. Es waren zehn sehr schöne und sportlich erfolgreiche Tage, an die ich sehr gerne zurückdenke. 

Wir haben eine kurze Videobotschaft für dich von Uwe Bindewald:
„Hi Niko, hier ist Binde. Mach einfach weiter so und bleib‘ so, wie du bist. Man sieht deine Handschrift bei den Mädels und den Erfolg, den du hast. Ich drücke dir weiterhin ganz fest die Daumen. Und das Allerwichtigste ist: Bleib‘ so, wie ich bin.“ 

Binde ist ein unglaublich sympathischer Typ. Wir haben ein Jahr zusammen die U17 trainiert und es hat wirklich gut zwischen uns gepasst. Ich habe sehr viel von ihm mitnehmen können. Den Spruch „Bleib‘ so, wie ich bin“ kenne ich auch aus dieser Zeit schon sehr gut. In Dallas haben wir uns zehn Tage lang ein Zimmer geteilt. Ich habe noch nie einen ordentlicheren Menschen als ihn gesehen. Wenn ihr sehen würdet, wie er seinen Koffer packt – so was habt ihr noch nie erlebt. Ich bin froh, dass wir immer noch so einen guten Kontakt haben. Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Er ist ein unfassbar guter Mensch, von dem ich sehr viel lernen konnte.

Nach der Saison 2015/16 bist du zum 1. FFC Frankfurt, bei dem du früher in der Jugend gearbeitet hast, zurückgekehrt und hast die zweite Frauenmannschaft übernommen. Im September 2017 war es so weit: Siggi Dietrich hat dich angerufen, nachdem Trainer Matt Ross bei der Bundesligamannschaft entlassen worden war. Kannst du dich noch an das Gespräch erinnern?
Ich erinnere mich sehr gut daran. Es war der Abend, an dem Carlo Ancelotti sein letztes Spiel mit dem FC Bayern München in Paris hatte. Ich habe mich gefragt, was er um diese Uhrzeit noch von mir will. Als er mir erzählt hat, dass er mich als Trainer für die erste Mannschaft möchte, brauchte ich überhaupt nicht zu überlegen. Das war das Ziel, auf das ich in den Jahren zuvor hingearbeitet hatte. Es war eine riesige Herausforderung, die Mannschaft zu übernehmen, die damals noch ganz anders strukturiert war. Aber ich habe mich bereit gefühlt und bin sehr froh, wie es seitdem gelaufen ist. 

„Wenn ein Junge gelungene Aktion im Spiel hatte und fünf Schlechte, wird er danach sagen: Hast du die gute Aktion gesehen? Bei Mädels ist das genau umgekehrt: Sie haben fünf gute Aktionen und eine Schlechte und ärgern sich trotzdem über die schlechte Aktion“

Du hast sowohl Männer- als auch Jugend und Frauenteams trainiert. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?
Inhaltlich gibt es tatsächlich überhaupt keine Unterschiede. Die Trainingsgestaltung ist vom Taktischen, Technischen und von den Analysen her bei allen Profiteams identisch. Allerdings zeigt sich, dass die Mädels noch etwas interessierter und dadurch auch anspruchsvoller sind. Sie setzen die Anforderungen nicht nur schnell um, sondern wollen auch wissen, warum man etwas auf eine bestimmte Art und Weise machen soll. Das passt sehr gut zu meiner Philosophie. Ich finde es wichtig, nachzufragen und zu verstehen, was man tut. Mit Blick auf die Mannschaftsführung gibt es auch kleine Unterschiede. Wenn ein Junge zum Beispiel eine gelungene Aktion im Spiel hatte und fünf schlechte, wird er danach sagen: Hast du die gute Aktion gesehen? Bei Mädels ist das genau umgekehrt: Sie haben fünf gute Aktionen und eine schlechte und ärgern sich trotzdem über die schlechte Aktion. Das sind aber wirklich nur kleine Unterschiede und es macht großen Spaß, egal ob man Jungs oder Mädels trainiert. 

15.17 Uhr. Die Arbeit auf dem Platz hat begonnen. Trainiert wird heute auf dem Kunstrasen, auf solchem findet auch das nächste Testspiel statt. Plötzlich ein lauter Pfiff. Arnautis unterbricht die Taktikübung kurz, geht zu zwei Spielerinnen und erklärt ihnen, wie sie die Pressingsituation noch besser hätten lösen können. Danach geht es weiter, er beobachtet das Geschehen und ruft kurze Zeit später, als Verena Hanshaw den Laufweg von Laura Feiersinger frühzeitig erkennt und den Ball routiniert klären kann: „Gut, Mädels, genau so!“

Als welchen Trainertyp würdest du dich beschreiben?
Ich fordere mutigen und aktiven Fußball, möchte mit dem Ball einen sehr zielstrebigen und gegen den Ball einen aggressiven Spielstil sehen. Wir wollen unsere Gegner so hoch wie möglich anlaufen und ein gutes Pressing zeigen. Außerdem lege ich viel Wert auf Technik und Taktik, aber auch eine gewisse Fitness, die man im Spiel benötigt. 

Von welchem Trainer hast du in deiner Karriere am meisten mitgenommen?
Ich hatte sowohl in der Jugend als auch im Seniorenbereich hervorragende Trainer, sodass ich nicht eine Person herauspicken kann. Ich habe von jedem Trainer etwas mitgenommen und daraus meinen eigenen Stil entwickelt. Von dem einen hat man sich mehr von der Einstellung abgeschaut, bei dem anderen war es mehr das Taktische oder die Mannschaftsführung. Ich bin über jeden Trainer froh, den ich kennenlernen durfte. 

Beeinflusst das Training, mit welchem Gefühl du nach Hause fährst?
Natürlich fährt man auch als Trainer mit einem guten Gefühl nach Hause, wenn das Training gut lief, und denkt noch länger darüber nach, wenn es schlecht lief. Aber das hat sich bei mir in den vergangenen Jahren etwas verändert. Wenn ein Training mal nicht so gut läuft, mache ich mir zwar schon Gedanken über die Gründe, aber ich kann auch solche Einheiten mittlerweile durch meine Erfahrung ganz gut einordnen. Manchmal ist es gar nicht verkehrt, wenn das Training mal nicht so gut läuft, weil man dann konkrete Situationen intensiver mit dem Team besprechen kann. Auch daraus kann man einiges mitnehmen. 

Wie bereitest du die Trainingseinheiten vor?
Die Schwerpunkte für eine Woche sind grundsätzlich vorgeplant. Tatsächlich mache ich mir aber immer direkt nach einer Einheit schon die ersten Gedanken, wie es am nächsten Tag weitergeht und ob wir alles wie geplant durchführen. Morgens setze ich mich dann nach dem Aufstehen daran, das Training final vorzubereiten. Nach einem Tee oder Kaffee bin ich am kreativsten. Direkt vor dem Training bespreche ich die konkreten Inhalte dann mit meinem Trainerteam und Staff. 

16.26 Uhr. Niko beendet das Training: „Das war eine gute Einheit heute! Lauft noch aus und dehnt euch danach, morgen arbeiten wir weiter.“

18.19 Uhr. Restaurant Omonia auf der Eckenheimer Landstraße in Frankfurt. Hier möchte Arnautis den Tag mit EintrachtTV und der „Eintracht vom Main“ ausklingen lassen. „Ich mag gutes Essen, am liebsten in Griechenland direkt am Meer sitzend“, sagt er. Gerne isst er aber auch ein Wiener Schnitzel, Spaghetti Bolognese oder an Weihnachten Gans mit Klößen. Ein Beispiel dafür, wie er eine passende Mischung findet zwischen der deutschen und der griechischen Lebensweise und Mentalität. „Das Beste von beidem führt zum Erfolg, wie Otto Rehhagel mit Griechenland bei der Europameisterschaft 2004.“ Ins Omonia kommt Arnautis gerne. „Hier passt alles: Das Ambiente stimmt, der Service ist sehr angenehm und das Essen schmeckt.“ Arnautis hat einen Vorspeisenteller bestellt mit Tsatsiki, einer pikanten Fetacreme, Hackfleischbällchen, eingelegten Peperoni, Linsenmus und Auberginenpüree, dazu Salat. Als Hauptspeise wählt er seinen Favoriten, Lammkoteletts vom Grill mit frischen Marktgemüse und kleine Nudeln namens Kritharaki. Dazu ein Glas Wein. Ehe die Vorspeise serviert wird, nimmt sich Arnautis Zeit für die letzte Fragerunde.

Es gibt immer wieder Vorurteile, mit denen der Frauenfußball konfrontiert wird. Du hast jetzt die Möglichkeit, diese auszuräumen. Nummer eins: Frauenfußball ist langsam.
Das ist falsch. Ich kenne die Sprintwerte der Mädels, sie sind ganz schön schnell. Wir haben einige Spielerinnen, die 30 km/h packen. Im Vergleich zum Erstligafußball der Männer ist das zwar etwas langsamer, aber langsam geht es bei uns auf keinen Fall zu. 

Da geht es gar nicht richtig zur Sache.
Das ist auch nicht wahr. Gerade erst in unserem Testspiel gegen die Jungs des 1. FC-TSG Königstein hat man gesehen, dass die Mädels auch richtig austeilen können. Trotzdem kann man sagen, dass es im Frauenfußball fairer zugeht. 

Frauen haben keine Ahnung von Taktik.
Da kann ich auch nur lachen. Wenn man uns spielen sieht, merkt man uns definitiv taktisches Verständnis an. Der Frauenfußball ist in den vergangenen Jahren immer schneller und taktisch besser geworden. Also: Mädels haben sehr wohl jede Menge Ahnung von Taktik. 

Ist der Vergleich von Frauen- und Männerfußball grundsätzlich etwas unfair?
Man kann gerne Vergleiche ziehen. Es ist dieselbe Sportart, deshalb machen wir auch keine Unterschiede bei den Trainingsinhalten. Aber natürlich gibt es, wie in anderen Sportarten auch, Unterschiede – allein hinsichtlich der Physis. Umso mehr haben die Mädels Respekt dafür verdient, dass sie sich neben dem Fußball noch ein zweites Standbein aufbauen. Sie leisten also tatsächlich noch etwas mehr als viele Männer. Auch die Konfrontation mit Vorurteilen ist nicht zu unterschätzen. Gerade früher mussten viele Mädels dafür kämpfen, auf dem Platz stehen zu können. In der heutigen Zeit ist es dahingehend zum Glück entspannter. Man sieht auch bei der Eintracht, dass kein Unterschied zwischen Frauen und Männern gemacht wird. Umso glücklicher und stolzer sind wir, ein Teil von Eintracht Frankfurt zu sein. 

Du setzt dich immer wieder dafür ein, den Frauenfußball voranzubringen. Wie betrachtest aktuell du die mediale Präsenz?
Seit dieser Saison hat der DFB gemeinsam mit den Sendern die Strukturen dafür geschaffen, dass alle Spiele der FLYERALARM Frauen-Bundesliga live übertragen werden. Das war ein ganz wichtiger Schritt. Darüber hinaus gibt es die Champions League der Frauen sowohl über DAZN als auch über YouTube frei empfangbar live zu sehen. Es hat sich also bereits einiges getan und ich bin davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren noch besser wird.

„Die Mädels haben Respekt dafür verdient, dass sie sich neben dem Fußball noch ein zweites Standbein aufbauen. Sie leisten also tatsächlich noch etwas mehr als viele Männer“

Du bist nun schon seit anderthalb Jahren als Trainer bei Eintracht Frankfurt. Wohin geht der Weg und wie bewertest du die bisherige Entwicklung?
Wir haben uns in dieser Saison einiges vorgenommen. Die Mannschaft ist sehr motiviert und hat jede Menge Potenzial. Uns war bewusst, dass unsere junge Mannschaft etwas Zeit braucht. Aber wir haben immer das Vertrauen in unsere Mädels gehabt und ihnen die nötige Zeit eingeräumt. Unser Traum ist es, mit Eintracht Frankfurt international zu spielen. Wir wollten in dieser Saison näher rankommen als im vergangenen Jahr. Jetzt stecken wir tatsächlich mittendrin im Kampf um die Spitzenplätze und möchten diese attackieren. Je früher wir unser Ziel erreichen, umso schöner. Wir werden alles tun, damit wir unseren Traum nicht nur träumen, sondern auch leben können. 

Wer wird als nächstes Deutscher Meister: das Frauen- oder das Männerteam?
Ich hoffe natürlich, beide. Die Männer haben es sicherlich nochmal schwerer, weil die Bundesliga mit dem FC Bayern München auch europäisch gesehen eine absolute Macht ist. Die Frauen werden alles tun, um es irgendwann zu schaffen. Ich glaube aber, dass bis dahin noch ein paar Schritte zu gehen sind, auch wenn wir in den vergangenen Jahren immer näher an die Spitzenplätze herangerückt sind. Im Idealfall können wir irgendwann mal mit beiden Teams gemeinsam auf dem Römer feiern.