„Jens Petter macht hier den nächsten Schritt“

Jan Aage Fjörtoft über seine skandinavischen Landsmänner bei der Eintracht und die klare Positionierung des Sports im Ukraine-Krieg.

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs bestimmt der russische Angriff auf die Ukraine europaweit die Schlagzeilen, so auch im Fußball. Zu deiner aktiven Zeit tobte ebenfalls ein militärischer Konflikt, nämlich der Krieg auf dem Balkan. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Als ich zu Rapid Wien kam, ist die Situation auf dem Balkan gerade eskaliert. Ich habe über die Jahre mit vielen Spielern aus dem dann ehemaligen Jugoslawien zusammengespielt, deren Familien vom Krieg betroffen waren. Für uns junge Spieler war das nur schwer zu begreifen. 1989 habe ich in Sarajevo gegen Jugoslawien gespielt, im heutigen Bosnien und Herzegowina. Da war direkt neben dem Stadion, in dem 1984 auch die Olympischen Spiele stattfanden, ein großer Friedhof. Viele Jahre später kehrte ich dorthin zurück, da war ich schon Journalist. Um das Stadion war die Zahl der aufgestellten Kreuze regelrecht explodiert, darunter viele junge Menschen, die im Bosnienkrieg getötet wurden. Das zu sehen, hat einen unglaublichen Eindruck bei mir hinterlassen. Fußball soll für Freude und Leidenschaft stehen. Aber wenn der Krieg dem wortwörtlich so nahe kommt, ist das sehr aufwühlend und bedrückend. Solches Leid ist schwer zu begreifen.

Zur damaligen Zeit hatte der Fußball weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit, außerdem hatten die Spieler noch keinen Social Media-Auftritt. Habt ihr euch trotzdem irgendwie zu solchen Themen geäußert?
Damals gab es noch kein Internet. Um ehrlich zu sein, wussten wir auch relativ wenig über diesen Krieg und haben immer nur hier und da kurze Berichte in den Fernsehnachrichten gesehen. Heutzutage können sich die Spieler etwa aktuell zum Krieg in der Ukraine unmittelbar äußern, beispielsweise über Twitter und Instagram, und so mit ihrer Reichweite auch Einfluss nehmen und viele Menschen erreichen. Damals gehörte es nicht zur Kultur dieser Zeit und zum Selbstverständnis der Profis, sich so zu engagieren, wie sie es heute in vielen Bereichen tun. Auch für Vereine war das nicht üblich, eine Aktion wie die der Eintracht rund um das Heimspiel gegen Bayern hätte damals niemand in Betracht gezogen. Im Gegensatz dazu hat der Sport heute sehr klar Stellung bezogen, was ich absolut richtig finde.

Kommen wir zur sportlichen Gegenwart. Nach einem holprigen Start ins Jahr 2022 hat man mit Siegen bei Hertha BSC und Real Betis wieder in die Spur gefunden. Warum hat unsere Mannschaft sich in den ersten Wochen der Rückrunde so schwergetan?
Man darf bei aller Erwartung nicht vergessen, dass sich die sportliche Führung in vielen Bereichen im Sommer neu aufgestellt hat. Auch in der Mannschaft hat sich wieder einiges getan und der Umbau ist immer noch im Gange. Dass das Zeit brauchen wird, haben wir auch hier im „Übersteiger“ immer wieder gesagt. Somit war auch klar, dass es mal Durststrecken oder Rückschläge geben wird. Manche Spieler brauchen auch einfach etwas länger als andere. Ein gutes Beispiel ist mein Landsmann Jens Petter Hauge. Er benötigt etwas länger, was bei einem jungen Spieler keine Seltenheit ist. Zudem hatte er Pech mit Verletzungen und kämpft sich nun wieder heran. Auch ein Filip Kostic brauchte nach seiner Coronaerkrankung Zeit, um wieder richtig in Fahrt zu kommen. Ebenso wie Martin Hinteregger, der lange nicht bei 100 Prozent war.

Bei Jesper Lindström kann man in jedem Fall sagen, dass er in Frankfurt seinen Durchbruch bereits geschafft hat. Im Dezember wurde er in der Bundesliga zum „Rookie of the Month“ gewählt.
Und das, obwohl es auch bei ihm zu Beginn der Saison ein paar Leute gab, die schon nach wenigen Spielen direkt in Frage stellten, ob er überhaupt das Zeug für die Bundesliga hat. Oft ist die Öffentlichkeit zu ungeduldig, da sind wir wieder beim Thema „den Neuen die nötige Zeit geben“. Ich habe immer gesagt, dass ein junger Spieler, der schon so wichtig für Bröndby und deren Meisterschaft war, auch der Eintracht helfen kann. Er hat sich durchgesetzt und genießt zu Recht das Vertrauen von Oliver Glasner. Jesper hat mir selbst bei Niederlagen oft gut gefallen und war fast immer einer der Lichtblicke. Mit seinem Tor in Berlin und der Vorlage zum Siegtor in Sevilla hat er sich dann auch wieder für seinen Fleiß belohnt, was ihm in den Wochen davor nicht vergönnt war

Wie steht es denn in eurer gemeinsamen Heimat um die Aufmerksamkeit für Hauge? Haben die norwegischen Fans ihn auf dem Schirm?
In Norwegen macht aktuell natürlich Erling Haaland die meisten Schlagzeilen, dann kommt Martin Ödegaard von Arsenal. Aber immer wenn es in Richtung der Länderspiele geht, steigt auch die Aufmerksamkeit für die anderen Spieler. Ich hoffe, dass Jens Petter regelmäßig nominiert wird. Er hat eine super Arbeitseinstellung und ich bin mir sicher, dass er früher oder später den nächsten Schritt bei der SGE macht. Er hatte schon seine starken Phasen, jetzt muss er nur noch konstanter werden und möglichst verletzungsfrei bleiben. Wenn das gelingt, kommt der Rest von selbst.

Interview: Markus Rutte

Jan Aage Fjörtoft, 55, hat die Eintracht 1999 zum Klassenerhalt geschossen und genießt bei den Fans nicht nur daher Kultstatus. Er ist ein fußballerischer Weltenbummler, meinungsstark, immer auf dem Laufenden, ein gefragter Experte und nicht zuletzt unserer Eintracht nach wie vor tief verbunden. Das sind Gründe genug für eine regelmäßige Interview-Kolumne mit dem Norweger.