„Wenn´s raus muss, muss es raus“
Impulsiv an der Seitenlinie, aber immer ruhig und sachlich in der Analyse. Oliver Glasner ist seit fast zehn Jahren als Trainer im Profibereich tätig und wagte im Sommer 2019 den Wechsel nach Deutschland. Nach zwei Jahren beim VfL Wolfsburg steht der gebürtige Salzburger seit dem vergangenen Sommer bei Eintracht Frankfurt an der Seitenlinie. Im Podcast „Eintracht vom Main“ spricht Glasner über seine Zeit und das Leben in Frankfurt, seine Trainerphilosophie, das für ihn prägende Champions-League-Finale 2009, seine schwere Kopfverletzung als Spieler, Makoto Hasebe und Lothar Matthäus.
Interview: Jan Martin Strasheim Bilder:
Max Galys, Jan Hübner, DFL
Oliver, überall, wo du warst, ging es bergauf. Bevor du
nach Frankfurt gekommen bist, hast du den VfL Wolfsburg in die Champions League
geführt. Jetzt kommst du nach Frankfurt in dieses emotionale Umfeld. Ich würde
ganz frech behaupten: Hier ist deine emotionalste Station.
Ja, das ist so. Österreich wird nicht umsonst als Skifahrernation bezeichnet,
Fußball spielt dort eine etwas untergeordnete Rolle. Klar, Fußball ist populär.
Dennoch hat er nicht diesen Stellenwert wie in Deutschland. Als ich vor knapp
drei Jahren nach Deutschland gekommen bin, war der VfL Wolfsburg ein spannender
Klub mit vielen Möglichkeiten, aber in der Wahrnehmung in Deutschland nicht
vergleichbar mit den größten Klubs. In Frankfurt habe ich sehr schnell gemerkt,
welchen riesigen Stellenwert der Fußball hat. Nicht nur im ProfiCamp oder im
Stadion, sondern in der ganzen Stadt und darüber hinaus in der ganzen Region.
Ich wurde und werde sehr oft angesprochen, auch als es nicht lief. Auf mich
kamen immer wieder Leute zu und haben gesagt: Ihr bekommt das schon wieder hin.
Auch viele ältere Fans haben uns Mut zugesprochen. Das ist schön, ich verspüre
aber auch eine gewisse Verantwortung. Wir möchten diese Erwartungshaltung und
Liebe zum Klub bedienen und ihr gerecht werden. Die Aufgabe in Frankfurt ist
sehr spannend und aufregend.
Du bist seit einem Dreivierteljahr bei uns. Auf einer
Skala von eins bis zehn: Wie wohl fühlst du dich in Frankfurt?
Eine klare zehn, aus voller Überzeugung. Ich kannte Frankfurt vorher nur als
Zwischenstation am Flughafen, ich war noch nie hier. Als ich mir Wohnungen
angesehen habe, ist mir schnell bewusst geworden, dass Frankfurt einen sehr
starken Kontrast hat: die Skyline mit den Wolkenkratzern, aber auch viele urige
Plätzchen. Die Offenheit der Leute gefällt mir, dadurch habe ich mich sehr
schnell wohlgefühlt – in der Stadt, aber auch im Klub. Wir haben ein super Arbeitsklima,
verlangen zwar viel voneinander, aber der Spaß kommt nie zu kurz. Das finde ich
das Schönste, mit Freude zur Arbeit zu gehen und die Vorfreude auf den nächsten
Tag zu haben, wenn ich die Kumpels und Arbeitskollegen wiedersehe. Auch zu
Hause fühle ich mich wohl. Natürlich ist es ein kleiner Wermutstropfen, dass
meine Familie nicht hier ist. Aber dafür haben wir uns entschieden. Die
Verkehrsanbindung von Frankfurt ist ein sehr großes Plus, man ist mit dem
Flugzeug sehr schnell überall.
„Ich werde sehr oft angesprochen, uns wird Mut zugesprochen. Wir möchten diese Erwartungshaltung und Liebe zum Klub bedienen und ihr gerecht werden“
Das hören wir sehr gerne, wenn es dir so gut gefällt.
Wenn du den Leuten einen Tipp in Frankfurt geben müsstest, was ist deine
Lieblingslocation? Ich als Österreicher soll den Frankfurtern einen Tipp geben?
Das ist, als würde einer von euch nach Österreich kommen und
mir einen Tipp geben. Da würde ich schmunzeln. Ich bin gar nicht so viel
unterwegs. Am Römer gefällt es mir sehr gut. Wenn die Sonne scheint, sitze ich
gerne dort und trinke einen Kaffee. Ich habe zwar kein spezielles
Lieblingsrestaurant, aber dort kommt bei mir schnell Urlaubsfeeling auf. Da
kann ich wirklich eine Stunde sitzen, das Ganze aufsaugen, genießen und
abschalten. Ansonsten ist der Deutsche Bank Park mein Lieblingsort in
Frankfurt.
Seit Anfang April kommst du endlich in den Genuss eines
vollen Deutsche Bank Parks. Können die Fans zum entscheidenden Impuls werden,
um die Ziele zu erreichen?
Natürlich, denn wir stehen am Ende der Saison. Wir haben
schon viele Spiele absolviert, die Nationalspieler nochmal mehr. Wenn man
sowieso schon am letzten Zacken läuft und dann pushen einen 50.000 Fans nach
vorne, hilft das enorm. Auf diese Weise entwickeln sich Kräfte, von denen
keiner weiß, wo genau sie herkommen.
„Ich kann nicht alle drei Minuten einen Ball auf die Tribüne schießen, dann bin ich in der sechsten Minute selber auf der Tribüne“
Wir haben dich in den vergangenen Monaten als sehr
impulsiven Typen kennengelernt. Ich würde sagen, mit dem Schuss in Piräus auf
die Tribüne ging es los. Das war ein bisschen wie ein Aufwacheffekt für die
ganze Mannschaft. Haben wir Oli Glasner dort so erlebt, wie er wirklich ist:
hochemotional?
Ihr erlebt Oli Glasner immer so, wie Oli Glasner ist. Ich
kann aber nicht alle drei Minuten einen Ball auf die Tribüne schießen, dann bin
ich in der sechsten Minute selber auf der Tribüne. Von daher muss ich mich
etwas zügeln. Aber wenn es mal raus muss, dann lasse ich es auch raus. Ich
versuche am Platz, die Emotionen in den Griff zu bekommen. Das gelingt mir
nicht immer, weil ich natürlich auch mitfiebere. Ganz schlimm für mich als
Trainer ist, dass ich immer Einfluss nehmen möchte. Aber während des Spiels
habe ich natürlich nicht allzu viele Möglichkeiten. Reinbrüllen ist eher etwas,
um mich selbst abzureagieren. Die Spieler bekommen das eher weniger mit, vor
allem wenn das Stadion voll ist. Aber wenn’s raus muss, muss es raus.
Wie ist dein Coaching? Als welchen Trainertypen würdest
du dich beschreiben?
Das ist situativ, ich reagiere nicht immer gleich. Es gibt
bei mir ein über - geordnetes Ziel: Ich bin erfolgsbesessen und will das Spiel
gewinnen. Wenn ich aber merke, die Sachen laufen nicht so, wie ich es mir
vorstelle, kann es schon sein, dass sich mein innerer Pegel von Minute zu
Minute steigert und irgendwann explodiert. Mir geht es darum, dass wir immer
alles versuchen, um das Spiel zu gewinnen. Alles. Natürlich haben wir eine Idee
vor dem Spiel, die wir den Jungs mitgeben. Wenn ich merke, etwas funktioniert
nicht ganz oder die Spieler können es nicht so umsetzen, möchte ich natürlich
viel eingreifen und koordinieren. Das kann zu viel werden, dessen bin ich mir
auch bewusst.
In jeder Mannschaft gibt es Spieler, die nicht so oft
spielen, obwohl sie eine andere Erwartungshaltung hatten. Aber man hat immer
das Gefühl, dass du diese Spieler nie abschreibst. Sie kommen immer wieder
zurück und haben dann auch eine reelle Chance, werden von dir auch behandelt,
als ob sie nie weg waren. Wie gelingt dir das?
Mir fällt das nicht schwer.
Für mich macht es keinen Unterschied, ob jemand jedes Spiel über 90 Minuten
oder vielleicht nur eine Minute in der ganzen Saison spielt. Für mich macht es
auch keinen Unterschied, ob ich vor unserem Aufsichtsratsvorsitzenden stehe
oder vor der Waschfrau. Für mich ist jeder Mensch gleich, ich behandele jeden
Menschen gleich, ich grüße jeden und spreche mit jedem. Für mich ist keiner
mehr wert, weil er mehr spielt, sondern als Mensch gleich viel. Trotzdem muss
ich als Trainer diese Entscheidungen treffen, es geht nicht anders. Wir haben
mehr als elf Spieler im Kader. Mathematisch ist es gar nicht anders möglich,
als einige Spieler zu enttäuschen. Aber jeder von ihnen weiß das, ich habe
ihnen das auch in dieser Klarheit gesagt. Es gibt nur ein Kriterium, das zählt:
die Leistung. Wenn ich denke, an diesem Tag, in diesem Spiel, in dieser Phase
hilft der Spieler, uns zu helfen, dann spielt er. Man hat es bei Stefan
Ilsanker gesehen. Ihm haben wir mitgeteilt, dass wir den Vertrag nicht
verlängern werden. Trotzdem habe ich ihn dann eingewechselt. Für mich war er in
diesem Moment die beste Auswechslung, um das Spiel zu gewinnen. Das ist das
einzige Kriterium. Das wissen die Spieler und erwarten es auch. Sie wollen nach
Leistung beurteilt werden. Wenn wir dann wieder beim Essen sitzen, setze ich
mich dazu. Ob es Kevin Trapp war, der jedes Spiel spielt, oder Ragnar Ache, der
sehr viel verletzt ist. Wir quatschen ganz normal.
So soll es auch sein. Diese Art ist dein Charakterzug.
Viele Dinge hast du aber auch als Führungsspieler gelernt, in Ried
beispielsweise. Wer war dein prägendster Trainer, der dich auch im Nach - gang
so inspiriert, dass du noch an ihn denkst?
Ich kann nicht einen herausheben, es gab viele sehr gute
Trainer in meiner Karriere. Mit dem einen oder anderen stehe ich weiterhin in
Kontakt. Leider ist mein letzter Trainer mit Corona verstorben. Bei unserem
letzten Heimspiel war Klaus Roitinger, der acht Jahre lang mein Trainer in Ried
war, zu Besuch. Ich denke immer wieder an Situationen, die mir selbst
widerfahren sind und wie meine Trainer damals reagiert haben. Ich bin jemand,
der Situationen, die mich geprägt haben, auch mitnimmt und nach wie vor
reflektiert. Das ist aber auch eine Grundeinstellung im Leben. Behandele jeden
anderen, wie du selber behandelt werden möchtest. So versuche ich auch immer
wieder, eine Verbindung herzustellen.
Auch taktisch gibt es ein paar Dinge, die man mitnimmt.
Was ist dein Lieblingskonzept, wie gehst du ein Spiel am liebsten taktisch an?
Angenommen, du hättest alle Möglichkeiten der Welt: Was wäre eine Formation,
mit der du Fußball spielen lassen würdest?
In etwa so wie Barcelona unter Pep Guardiola. Ich erinnere
mich an das Champions-League-Finale 2009, in dem Barca Manchester United an die
Wand gespielt hat. Manchester war damals auch eine Weltmannschaft, aber
trotzdem absolut chancenlos. Bei Barcelona spielten Xavi, Iniesta, Dani Alves
und Messi, Busquets und Piqué waren auch dabei. Ich darf nicht zu viel schwärmen
von dieser Zeit, aber das war schon sehr beeindruckend. Nicht nur im
Ballbesitz, denn irgendwann verliert jeder mal den Ball. Das Gegenpressing hat
mich damals schon umgehauen. Das war Wahnsinn, wie schnell Barcelona die Bälle
wieder zurückerobert hatte. Teilweise kamen die Gegner nicht aus der eigenen
Hälfte heraus, weil alle nach Ballverlusten fast schon wie Hyänen hingestürzt
sind und den Ball wieder zurückerobert haben. Das wurde von vielen außer Acht
gelassen. Wir versuchen zu ermitteln, welche Taktik zu unserem Kader und zu
unseren Spielern passt. Ich denke, man merkt, dass unser Spiel sehr intensiv
und physisch ist. Wir möchten das Spiel schnell machen. Schnell ist das
prägende Wort. Das geht allmählich in Fleisch und Blut über, jeder Spieler muss
mitmachen und es braucht die richtigen Mechanismen. Wenn einer nicht mitgeht,
ist es, als würde ich eine Karte aus einem Kartenhaus ziehen. Dann fällt es
zusammen. Aber das ist das schönste Teambuilding. Jeder weiß, er ist nie
alleine auf dem Platz, wenn alle mitmachen. Dann ist es auch möglich, gegen
Barcelona zu bestehen.
Wir haben tolle Ansätze in unserem Spiel, nur der letzte
Ball ist immer etwas wackelig. Wie sehr ärgert dich das?
Das kostet schließlich Punkte. Ich bin froh, dass die Kamera
dann nicht immer auf mich gerichtet ist. Natürlich, solche Situationen sind zum
Haareraufen. Aber kein Spieler macht so etwas absichtlich, das weiß ich. Der
vorletzte und letzte Pass sind die schwierigsten Bälle. Diesen Schritt müssen
wir noch gehen. Das müssen wir weiter trainieren und eine gewisse Erfahrung
sammeln. Wir machen vieles sehr schnell, aber die Kunst ist, in den
entscheidenden Situationen ein bisschen Geschwindigkeit rauszunehmen und
ruhiger zu werden. Wenn es darum geht, diesen einen Ball noch anzubringen,
trotz einem Puls von 190. Schnelles Herz, kühler Kopf. Das brauchen wir, auch
wenn es nicht einfach ist. Daran werden wir fortlaufend weiterarbeiten.
Das führt uns zum nächsten Themenkomplex, die Aufteilung
im Trainerteam. Ronald Brunmayr war im Podcast zu Gast, er ist viel für die
Offensive zuständig. Michael Angerschmid haben wir die 2:1-Führung in Stuttgart
zu verdanken, er ist für die Standards zuständig. Wie laufen eure
Trainergespräche ab?
Bei der Trainersitzung sind mehr dabei als nur wir Trainer.
Die Physiotherapeuten kommen auch dazu. Wir nehmen den Jungs jeden Tag Blut ab
und erhalten objektive Parameter über ihren Belastungszustand. Dann schauen wir
natürlich auch darauf, ob jemand krank ist oder wie wir anderweitig Rücksicht
nehmen müssen. Die Schwerpunkte stehen, wir haben im Großen und Ganzen einen
Rhythmus, der jede Woche gleich ist. Die Übungs- und Spielformen verändern
sich, aber die Schwerpunktsetzung ist immer relativ ähnlich. Die Übung wird
dann festgelegt und wir teilen uns auf, wer was coacht. Das unterscheiden wir
nach Gefühl, was für die Jungs gut ist. Als Trainer bin ich manchmal mittendrin
in den Übungen, manchmal beobachte ich nur. Das hat alles eine gewisse Wirkung.
Ich überlege mir dann, was an dem Tag angebracht ist.
Gibt es eine separate Sitzung, in der ihr Standards mit
den entsprechenden Spielern besprecht?
Michael Angerschmid und die Analysten bereiten sich sowieso
auf Standardsituationen vor. Jan Zimmermann [Torwarttrainer; Anm. d. Red.] und
Ronald Brunmayr diskutieren häufig. Manchmal gebe ich auch noch meinen Senf
dazu. Im Endeffekt macht das Michael mit den Analysten in totaler
Eigenständigkeit. Das Gleiche gilt für Ronald, er war auch Torschützenkönig in
der Österreichischen Bundesliga und Nationalspieler. Gerade in Phasen, in denen
wir nicht so viel treffen, übernimmt Ronald als ehemaliger Stürmer. Er kann
eher nachvollziehen, wenn ein Stürmer drei oder vier Mal nicht trifft. Ich kann
das nicht, denn ich habe sowieso nie getroffen.
Mit wem verstehst du dich im Trainerteam am besten?
Mit Michael Angerschmid. Wir beide kennen uns seit 30
Jahren, seit wir beide mit 18 Jahren in den Profikader der SV Ried gekommen
sind. Wir sind schon damals viel zusammen ausgegangen und haben viel gemeinsam
erlebt. Uns verbindet eine mittlerweile jahrzehntelange Freundschaft.
Auf der Torwartposition hat es zuletzt gut funktioniert.
Kevin Trapp hat in dieser Saison einen großen Sprung gemacht, er wirkt wie die
Bank von Eintracht Frankfurt.
Absolut, Kevin ist ein riesiger Rückhalt für
uns. Generell haben wir ein super Torwartteam und mit Jan Zimmermann einen
super Torwarttrainer. Diant Ramaj ist aktuell leider verletzt [er befindet sich
wieder im Aufbautraining; Anm. d. Red.], mit ihm haben wir aber einen jungen und
sehr talentierten Torhüter. Jens Grahl ist ein erfahrener Keeper, der vor allem
Diant zur Seite steht und nicht den Anspruch hat, um die Nummer eins zu
kämpfen. Wir wissen, wenn wir ihn brauchen, können wir ihn bedenkenlos
reinwerfen. Wir haben ein tolles Torwartteam, das sich ergänzt.
„Ich finde Hirnforschung im Fußball sehr interessant und sehe hier noch viel Entwicklungspotenzial“
Du hast ein Studium an der Deutschen Fernuniversität in
Hagen als Diplomkaufmann abgeschlossen, hast ein Faible für Mathematik und bist
ein sehr analytisch denkender Mensch. Woher kommt das?
Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich habe mich mit
Mathematik in der Schule aber immer relativ leichtgetan, auch wenn Sport mein
Lieblingsfach war. Dafür war ich in Deutsch nicht gut, ein Referat halten und
vor der Klasse zu sprechen waren für mich der Horror. Mein Deutschlehrer meinte
damals schon, jeder von euch wird noch ganz oft vor anderen sprechen. Da habe
ich immer abgewinkt. Jetzt spreche ich jeden Tag vor relativ vielen Leuten,
mittlerweile macht es mir auch nichts mehr aus. Die eine Gehirnhälfte ist eher
der Mathematik und die andere eher der Sprache zugeteilt. Bei mir ist es wohl
so, dass sich die logische Gehirnhälfte im Mutterleib etwas mehr ausgebildet
hat als die andere. Ich finde Hirnforschung im Fußball sehr interessant und
sehe hier noch viel Entwicklungspotenzial, dazu spreche ich oft mit der
Athletikabteilung. Kein Muskel würde zucken, wenn er nicht das Signal vom Kopf
bekommt. Wir trainieren immer den Muskel, aber nicht den Kopf. Vielleicht wäre
es aber auch mal gut, wenn der Kopf das Signal früher sendet, dann zuckt der
Muskel früher und der Spieler ist schneller. Das ist ein ganz spannendes Thema.
Du hattest vor knapp zehn Jahren eine schwere
Kopfverletzung und warst in Kopenhagen im Krankenhaus. Wie bist du damit in der
Folgezeit umgegangen?
Diese Situation war sicherlich auch beängstigend für dich.
Für mich war die Situation gar nicht so beängstigend, für meine Familie war es
viel schlimmer. Sie wusste anfangs nicht, ob ich lebe oder nicht. Ich habe
sowieso nichts mitbekommen. Für mich war es eher überraschend, als ich
wachgeworden bin und überall die Schläuche gesehen habe. Ich wusste gar nicht,
was los ist. Die nächsten Monate waren sehr anstrengend, ich musste vieles
wieder lernen. Am Anfang, als ich im Krankenhaus war, sollte ich aufgrund der
Operation am Kopf die Sonne meiden. Nun war es aber August. Dann bin ich um 7
Uhr morgens zehn Minuten spazieren gegangen und war daraufhin so kaputt, dass
ich wieder vier Stunden schlafen musste. Ich habe damals oft 16 oder 18 Stunden
am Tag geschlafen. Wenn das Gehirn sich erholt und regeneriert, braucht es viel
Schlaf. Es wurde relativ schnell wieder besser.
Das war aber eine Situation, die dich geprägt hat?
Ja, weil ich meine Karriere im Alter von 37 Jahren beenden
musste. Meine Frau hat immer gesagt, ich hätte sonst sowieso nie aufgehört.
Natürlich prägt so eine Verletzung, aber es ist nicht so, dass ich mich jeden
Tag daran erinnere oder in meinem täglichen Leben eingeschränkt bin. Kopfball
spielen muss ich nicht mehr, daher ist für mich alles gut und glimpflich
ausgegangen. Für mich persönlich ist das kein Thema mehr.
Du kannst dich also gut in Makoto Hasebe hereinversetzen,
der mit 38 Jahren immer noch aktiv ist. Hast du schon einmal mit einem Spieler
zusammengearbeitet, der derart professionell ist?
Ich muss sagen, dass fast alle Spieler sehr professionell
sind, sonst könnten sie dieses Pensum nicht mehr abspulen. Makoto legt
natürlich eine Schippe drauf, sonst wäre es auch nicht möglich, in seinem Alter
solche Leistungen zu bringen. Bei mir war es ähnlich, ich konnte keinen Tag
mehr freimachen. Wenn ich einen Tag nichts gemacht habe, war der nächste Tag
die Hölle. Deshalb war ich an freien Tagen Tennis spielen oder bin locker
laufen gegangen. Ich musste was tun, bei Makoto ist es ähnlich. Die Maschine
muss immer geschmiert sein, sonst läuft sie nicht mehr. Makoto spielt natürlich
auf einem anderen Niveau als ich damals. Das zeigen mittlerweile aber viele Spieler,
zum Beispiel Cristiano Ronaldo oder Zlatan Ibrahimovic. Wenn du sehr
professionell lebst, ist es mittlerweile möglich, auf Topniveau bis 40
mitzuhalten. Da muss man aber auch das ganze Leben danach ausrichten, sonst ist
das nicht möglich.
Makoto bleibt noch ein Jahr im Kader, danach möchte er
die Trainerlaufbahn einschlagen. Kannst du dir eine Zusammenarbeit mit ihm in
Zukunft vorstellen?
Klar, das haben wir alles im Vorfeld seiner
Vertragsverlängerung besprochen. Makoto hat mit der Trainerausbildung begonnen
und wenn er möchte, kann er in der Länderspielpause gerne ein Training leiten,
coachen oder sich bei uns in die Trainerbesprechung dazusetzen. Hier stehen ihm
alle Türen offen. So, wie sich Makoto mit Fußball beschäftigt und wie er
Fußball sieht, denke ich, dass er ein sehr guter Trainer werden wird.