Fußball ist das ganze Leben

Ramon Berndroth ist seit 50 Jahren im gehobenen Amateurbereich und Profifußball eine feste Größe im Rhein-Main-Gebiet, war einst unter Stepanovic, Körbel, Toppmöller, Heynckes, Ehrmantraut und Heese Co-Trainer bei Eintracht Frankfurt. Das war zu Beginn der 1990er, als Nino Berndroth (34) noch ein kleiner Junge war. Kürzlich ist der Vater 70 Jahre alt geworden, sein Sohn ist seit Beginn dieser Saison Videoanalyst bei der U19. Die „Eintracht vom Main“ hat sich mit den beiden Berndroths zum Doppelinterview getroffen.

Interview: Michael Wiener
Bilder: Alessandro Crisafulli

Für den Ort des Interviews kommt freilich nur das Nachwuchsleistungszentrum am Riederwald in Frage. Hier ist Nino Berndroth täglich, sein Vater war hier täglich – vor rund fünf Jahrzehnten als Spieler der zweiten Eintracht-Mannschaft, Anfang der 1990er als Co-Trainer der Profis und Cheftrainer der U23. „Ich habe mit meinen Spielern gerne bei einem Spaziergang gesprochen“, sagt Ramon Berndroth. Während des Interviews umrunden wir das Riederwald-Gelände, am Ende stehen wir noch auf der Tartanbahn des Riederwaldstadions zusammen.

Ramon, wie bist du damals zur Eintracht als Trainer gekommen?
Ramon Berndroth: Ich war über 13 Jahre im qualifizierten Amateurbereich, war Trainer in Neu-Isenburg, bei Rot-Weiß Frankfurt mit Präsident Wolfgang Steubing, bei Viktoria Sindlingen mit einem Spieler namens Jürgen Klopp, in Höchst. Es war eine harte Zeit, bis ich mich hochgearbeitet hatte. 

Früher war das Trainerteam noch viel kleiner als heute. Wie war eure Aufteilung zu deiner Zeit bei der Eintracht?
Ramon: Das waren fünf Jobs auf einmal, insbesondere als ich noch die U23 trainiert habe. Trainer, Co-Trainer und Scout auf jeden Fall, Torwart- und Athletiktrainer gab’s noch nicht. Ich war jeden Tag unterwegs. Samstag hast du gescoutet, Sonntag waren die U23-Spiele. Bei den Bundesligaspielen war ich selten dabei, das hat meistens Karl-Heinz Körbel übernommen. 

Der in Mainz geborene und schon seit vier Jahrzehnten in Neu-Isenburg lebende Ramon Berndroth war in seiner langen Laufbahn nicht nur Cheftrainer in der Ersten, Zweiten und Dritten Liga, sondern auch in den drei obersten Amateurklassen in Hessen. Neben Chef- und Assistenztrainer war er auch schon Sportdirektor, Sportkoordinator und Scout, seine Arbeitgeber waren unter anderem Eintracht Frankfurt, Darmstadt 98 (unter anderem drei Spiele Bundesliga-Cheftrainer 2016) und mehrfach Kickers Offenbach. Beim Regionalligisten ist er aktuell als Nachwuchskoordinator und Chefscout tätig.

War deine Station als Co-Trainer bei der Eintracht die Schule fürs Leben? Du hast in den vergangenen 20 Jahren in so vielen verschiedenen Funktionen gearbeitet.
Ramon: Das Coaching habe ich in Neu-Isenburg gelernt. Dort habe ich wirklich gelernt, Ansprachen zu halten. Wir haben gegen den Abstieg gespielt, um den Aufstieg mitgespielt und sind dann auch aufgestiegen. Alle Erfahrungen hatte ich also schon gemacht. Das konnte ich dann hier verwenden. Ich bin seit 50 Jahren im Fußballgeschäft, da lernst du viel und erweiterst ständig deinen Horizont. Gerade wenn du in vielen Bereichen und bei vielen Vereinen arbeitest. 

„Wir Alten hatten unsere Zeit, und das merken die Jüngeren. Die Wissen, dass ich auf deren Seite bin und zu ihnen halte. Genau das motiviert mich, so bleibe ich jung. Am Umgang mit meinen Mitmenschen werde ich nicht satt“ – Ramon Berndroth

Du bist kürzlich 70 Jahre geworden. Was motiviert dich noch, im Profifußball oder an der Schwelle dazu tätig zu sein?
Ramon: Ich bin ein Fan von jungen Leuten. Wir Alten hatten unsere Zeit, und das merken die Jüngeren. Die wissen, dass ich auf deren Seite bin und zu ihnen halte. Genau das motiviert mich, so bleibe ich jung. Am Umgang mit meinen Mitmenschen werde ich nicht satt. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem meine Mitmenschen eher jünger sind als älter. Ab und an bringe ich natürlich auch gerne mein Fachwissen mit ein, das ist auch schön. Meine Einstellung ist: Eigentlich wissen es die Jungen besser. Und ich lasse jeden seine eigenen Erfahrungen machen. 

Nino Berndroth ist 1987 geboren, war also zu Ramons Eintracht-Zeit ein kleiner Junge. „Ich wollte eigentlich nur, dass er in Neu-Isenburg auf der Straße kickt. Dass er dann mit zur Eintracht gekommen ist, war eher Zufall“, erzählt Ramon.

Wann holt sich der Sohn Ratschläge vom Vater? Was hast du von deinem Vater mitgenommen und gelernt?
Nino Berndroth: Das ganze Leben. Wir reden jeden Tag über Fußball und Basketball. Ich glaube auch, dass Söhne von Trainern anders aufwachsen als andere Söhne. Ich habe viel gelernt, sowohl aus guten als auch schlechten Maßnahmen. 

Dein Vater war zwischenzeitlich auch dein Trainer, unter anderem bei den U23-Teams von Kickers Offenbach und des FSV Frankfurt. Hat er dich ab und an etwas härter rangenommen als die anderen Spieler?
Nino: Papa meinte immer zu mir, ich muss so gut sein, dass selbst der größte Widersacher im Verein sagt, ich spiele zu Recht. Mir ging es aber gar nicht darum, zu spielen. Mir hat das Training viel mehr Spaß gemacht. Mein Fußballspiel ist Sieben-gegen-Sieben oder Vier-gegen-Vier in der Halle mit vielen Ballaktionen. So will ich auch trainiert werden. Das hat Papa wirklich gut trainiert. Ich will nur einen Ball am Fuß haben, egal wie. Mir war es dann auch egal, wenn ich an den Wochenenden nicht gespielt habe. 

Ramon: In der Jugend war er aber ein richtig guter Kicker, ein Stürmer. Nino hat immer viele Tore gemacht. Mit dem FSV Frankfurt sind wir später Hessenmeister geworden.

Wie lange hast du selbst gespielt, Nino?
Nino: Bis vor ein paar Jahren. Jetzt spiele ich auch noch, aber nur hobbymäßig. Da ich beim OFC gearbeitet habe und an den Wochenenden immer unterwegs war, musste ich mich irgendwann entscheiden. 

Ramon: Nino war für mich immer ein super Gesprächspartner, was die Analyse eines Spiels angeht. Als er etwa zehn Jahre alt war, konnte er mir seine Spielweise immer genau erklären, seine Entscheidungen auf dem Feld genau begründen. Meine Schlussfolgerung damals war, dass er heimlich Playstation spielt (beide lachen).

Nino: Wir haben uns schon in meiner Jugendzeit viel über das Training unterhalten. Kurios ist, dass Papa schon immer Fußball mit Ball hat spielen lassen. Alles nur mit Ball. Das war auch schon vor 15 Jahren so, jetzt wird es wieder modern. Ich habe es gar nicht gemocht, wenn wir viel gelaufen sind beziehungsweise viel ohne Ball gemacht haben.

Ramon: Als Nino klein war, dachte ich mir auch manchmal meinen Teil. Ich konnte alle gut leiden, er wurde gut behandelt, ich habe mich auch immer rausgehalten. Ich habe den Trainern damals schon gesagt, sie sollen Nino nicht wegen mir aufstellen, wenn ich mal bei einem Spiel war. Aber das hat die gerade angespornt. Ein Trainer meinte nur, ich unterschätze Nino. Ich wollte einfach zeigen, dass ich nicht der Vater bin, der verlangt, dass sein Sohn spielt. Der soll vorm Haus spielen, das hat mir immer gereicht.

Nino, du bist ja dann auch kein Fußballprofi geworden, sondern bist jetzt Videoanalyst bei der U19. Wir haben schon gehört, dass du früher schon viel analysiert hast mit deinem Vater. Aber wie kam es letztlich dazu, dass du das jetzt beruflich machst?
Nino: Ich habe nach der Schule eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann absolviert, aber selbst noch gespielt. Dann hat der OFC mich angerufen, ob ich auf der Geschäftsstelle aushelfen kann. Papa war daran gar nicht beteiligt. 

Ramon: Das stimmt, damit habe ich nichts zu tun. 

Nino: Arie van Lent war damals Trainer bei den Kickers. Er hat einen gewissen Austausch gesucht und dann auch festgestellt, dass ich mich gerne mit Fußball beschäftige. Nach und nach hat er mir Aufgaben gegeben, Spiele anzuschauen in der Dritten Liga. Irgendwann hat er mich gefragt, ob ich bei einem OFC-Spiel ein paar Szenen rausschneiden kann. Das hat ihm gefallen und daraufhin hat er mich gebeten, das auch vom Gegner zu machen. Das war natürlich kein Problem, vor dem Computer war ich immer sehr fit. Ich habe mir meine eigenen Sachen aufgebaut, alles gefilmt und dann wurde es immer mehr. Es war auch viel Learning by Doing.

Und wie ging es dann weiter?
Nino: Mit Arie fing alles an und dann habe ich mich weiter durchgearbeitet, zum nächsten Trainer. So langsam wurde alles immer professioneller, ich habe neue Videoaufnahmen bekommen. Aber, und das finde ich extrem gut, wir mussten alles selber machen. Die Möglichkeiten heute sind ganz andere. Damals mussten wir uns durch ein 90-minütiges Spiel selbst durcharbeiten, alles selber anschauen. Es wurde immer mehr. Nachbereitung, Gegneranalyse, irgendwann ging es auch um das Zusammenstellen von Material zu einzelnen Spielern und so weiter. 

Ramon: Da hat er auch etwas von mir gelernt. Ein Bericht muss eine Botschaft haben. Ich habe auch die Sitzungen immer mit einem dramaturgischen Effekt aufgebaut.

Nino: Genau, dabei hat mir Papa auch schon viel geholfen. Die Präsentationen, die ich den Trainern zeige, sehen nach etwas aus, die müssen einen Hingucker haben. Ich war früher schon bei vielen Sitzungen von Papa dabei und er hat mir damals schon erzählt, worauf es ihm ankommt. Das nutze ich, um den Jungs heutzutage etwas mitzugeben.

Klingt nach einer wunderbaren Zusammenarbeit zwischen dem Videoanalyst Nino und dem Cheftrainer Ramon. Nino, wie läuft es für dich heute mit Cheftrainer Jürgen Kramny und dessen Co-Trainer Andreas Ibertsberger?
Nino: Überragend. Wir teilen uns ein Büro, sind täglich zusammen. Das Trainerteam und das ganze NLZ arbeiten sehr eng und familiär zusammen. Es macht mir sehr viel Spaß hier. Jürgen ist für mich als Videoanalyst großartig, er lässt mich viel machen, die Richtung stimmt. Er benutzt die Videoanalyse nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern genau richtig. Die Videoanalyse ist eine begleitende Maßnahme. Ich kann mich selbst ausleben, das bringt mich persönlich auch extrem weiter. 

„Dieser Jahrgang ist meiner Meinung nach der beste Jahrgang der U19-Eintract in den vergangenen 20 Jahren“ – Nino Berndroth

Zumal der sportliche Erfolg im Moment da ist.
Nino: Dieser Jahrgang ist der beste Jahrgang der U19-Eintracht in den vergangenen 20 Jahren. Das macht die Arbeit natürlich nochmal einfacher als Analyst. Ich kann den Spielern etwas mitgeben und sie setzen es auch in Form von Ergebnissen um. Das ist toll. Ich stehe mit auf dem Platz, in der coronabedingten Abwesenheit von Jürgen Kramny war ich auch drei Mal Co-Trainer. Es macht mir insgesamt sehr viel Spaß bei der Eintracht. 

Du hast von deiner Offenbacher Zeit erzählt. Dort hast du vor ein paar Jahren aufgehört, bist dann erst im Sommer vergangenen Jahres wieder eingestiegen. Wie kam der Kontakt zur Eintracht zustande?
Nino: Das kam über Steffen Haas [Leiter Analyse und Sporttechnologie bei Eintracht Frankfurt; Anm. d. Red.]. Er kennt mich noch aus meiner Offenbacher Zeit und wusste auch immer, was meine verschiedenen Aufgaben bei den Kickers sind. Dort habe ich wirklich alles gemacht. Ich habe Spieler verpflichtet, ich war Co- und Athletiktrainer. Es gab 1.000 Bezeichnungen für meinen Job. Aber ich war eben auch Videoanalyst. Das macht mir am meisten Spaß. Steffen wusste, was ich alles gemacht hatte, und hat mich dann gefragt, ob ich mir den Job als Videoanalyst im NLZ vorstellen kann. 

Musstest du lange überlegen?
Nino: Eigentlich war ich aus dem Profifußballbereich raus, habe nur einen Freund bei einem Amateurverein in meinem Nachbarwohnort Friedrichsdorf unterstützt. Ich hatte viel erlebt und mitgemacht beim OFC, ich war auch glücklich ohne Profifußball. Ich habe dann bei einer Firma gearbeitet, die Hochzeiten veranstaltet. Durch Corona hatte ich dann aber ziemlich wenig zu tun. Als die Anfrage von Steffen kam, habe ich mir das ganz locker angehört. Das hat mir dann so gut gefallen, dass ich den Job angenommen habe. Fußball ist einfach mein Leben, und damit ist mein größtes Hobby wieder mein Beruf. 

Ramon: Meine Frau und ich haben das zu Hause gar nicht mitbekommen. Sie meinte dann nachmittags zu mir, dass irgendwas im Busch sei, Nino hatte einen Termin mit Andi Möller und hat nichts gesagt. Das hat Nino aber von mir, ich habe der Familie auch nie davon erzählt, wenn ich irgendwo zu Verhandlungen war. Wenn es dann geklappt hat, haben sie es aus dem Fernseher erfahren (lacht). Ich wollte einfach keine Unruhe, denn bei Gesprächen über die Zukunft schwingen bei den Angehörigen immer Hoffnungen und Erwartungen mit – die dann zerplatzen wie Seifenblasen, wenn es nicht klappt.