Die Kämpferin mit der Kapitänsbinde
Die Kapitänin ist zurück. Nach ihrem Kreuzbandriss im Mai 2021 feierte Tanja Pawollek fast ein Jahr darauf ihr Comeback bei den Eintracht Frauen. Geschafft hat sie das mit der Willensstärke, mit der sie sich auch sechs Jahre bei den Jungs der SG Rosenhöhe behauptete. Trotz ihrer erst 23 Jahre übernimmt sie gerne Verantwortung, geht voran und macht sich Gedanken darüber,, wie der Frauenfußball zukünftig gestaltet werden kann. Beim gemeinsamen Tag mit EintrachtTV und der „Eintracht von Main“ zeigt sich Tanja Pawollek zudem als Familienmensch, Kaffeeliebhaberin und heimatverbundene Hessin mit polnischen Wurzeln.
Ein Mittwochvormittag im Frankfurter Nordend. An einem Holztisch im Halbschatten hat die Kapitänin ihren Platz gefunden. „Kaffeemacherei“ zeigt das Schild hinter ihr. Die braun gebrannten Arme verraten, dass der Urlaub erst ein paar Tage zurückliegt. In der Sommerpause bleibt auch mal Zeit für einen gemütlichen Kaffee und ein spätes Frühstück. „Mit Hafermilch“ bestellt die 23-Jährige und blickt mit einem offenen Lachen in die Runde. „Das wird jetzt guttun“, verspricht sie. Und tatsächlich: Kaum ist das Heißgetränk da, kann das Plaudern schon beginnen.
Tanja, warum hast du uns hierhergeführt?
Wir sind hier in einem Café, in dem es nur vegane Produkte
gibt. Das finde ich cool. Ich habe mir vorgenommen, weniger tierische Produkte
zu verwenden. Jeder kann seinen Teil zum Klimaschutz beitragen, auch ich will
das tun. Es gibt gute vegetarische und vegane Produkte. Deshalb nehme ich sie
gerne, wenn es geht, ohne komplett zu verzichten.
Wie verbringst du deine Sommerpause bislang?
Ich war im Urlaub auf Rhodos und genieße ansonsten die Zeit
zu Hause. Meine Familie und Freunde wohnen nicht weit von hier, deshalb kann
ich sie oft besuchen. Jetzt hat man mal Zeit für all die Dinge, für die während
der Saison kaum Gelegenheit ist. Ehrlich gesagt genieße ich gerade einfach mein
Leben.
Konntest du euren Einzug in die
Champions-League-Qualifikation mittlerweile realisieren?
Dadurch, dass wir direkt nach unserem letzten Saisonspiel in
Sevilla [beim Europa-League-Finale der Männer; Anm. d. Red.] waren, habe ich es
bei all dem Trubel zunächst gar nicht verarbeiten können. Erst im Urlaub habe
ich wirklich realisiert, was wir geschafft haben und wie cool das eigentlich
ist.
Die Tasse ist geleert, ein zufriedenes Lächeln ist auf dem Gesicht von Tanja Pawollek zu sehen. Obwohl sie in Neu-Isenburg und nicht in Frankfurt wohne, sei sie öfter hier für einen Kaffee mit Freunden und Familie, erzählt sie – oder auch zum In-Erinnerungen-Schwelgen, wie eigentlich alles so anfing.
Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit?
Ich war ein sehr lebhaftes Kind und immer draußen unterwegs
– entweder mit meinen Freunden auf dem Spielplatz oder beim Fußballspielen.
Insgesamt war es eine sehr schöne Zeit.
„Anscheinend hatte ich ein bisschen Talent“
Wie kam es dazu, dass du gerne Fußball spielen wolltest?
Meine Mutter sagt, schon als ich klein war, habe ich immer
einen Ball gesucht, mit dem ich spielen konnte. Das scheint einfach in mir drin
zu sein. Als ich zum ersten Mal im Verein gespielt habe, hat es mir so einen
Spaß gemacht, dass ich drangeblieben bin. Wann ist dir bewusst geworden, dass
du Fußballerin werden willst? Das war tatsächlich relativ früh. Kurz nachdem
ich 2010 vom TV Hausen zur SG Rosenhöhe gewechselt bin, habe ich meine erste
Einladung zur U15-Nationalmannschaft bekommen. Da war mir klar: Du hast
anscheinend ein bisschen Talent, nutze das.
Du hast mit 14 deine ersten Spiele für die
U15-Nationalmannschaft absolviert. Wie hast du Fußball und Schule miteinander
vereinbart?
Durch die Spiele hatte ich einige Fehlzeiten. Je höher ich
gespielt habe, desto öfter habe ich gefehlt. Dadurch war die Schule durchaus
eine Herausforderung, ehrlich gesagt habe ich auch lieber Fußball gespielt, als
zu lernen. Aber ich wusste, dass ich bei beidem dranbleiben muss, und hatte
durch den Fußball den nötigen Ehrgeiz, auch mal Nachtschichten beim Lernen
einzulegen. Letztlich hat es mit dem Abi geklappt.
Mit dem Auto geht es weiter an jenen Ort, an dem Tanja Pawollek einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbracht hat: die Sportanlage der SG Rosenhöhe in Offenbach. „Hier hat mich meine Mama immer abgesetzt“, werden auf dem Parkplatz die ersten Erinnerungen bei Tanja wach. Links die Rasenplätze, rechts der Kunstrasenplatz, geradeaus der Ascheplatz, auf den manchmal ausgewichen wurde – die einzigen nicht so guten Erinnerungen an diesen Ort, wie Tanja verrät. Ansonsten habe sie genau hier das Fußballspielen gelernt.
„Es gab keine andere Option als sich durchzusetzen“
Sechs Jahre lang hast du mit den Jungs bei der SG
Rosenhöhe als einziges Mädchen im Team gespielt. Hast du hier deine
Ellenbogenmentalität gelernt, die du jetzt auch noch auf den Platz bringst?
Ich denke schon. Als Mädchen war es am An - fang unter den ganzen
Jungs nicht einfach. Für mich gab es keine andere Option, als mich
durchzusetzen. Zwar hieß es im Team erstmal: Mädchen können doch gar nicht
Fußball spielen. Aber sobald die Jungs gesehen haben, dass ich etwas kann,
hatte ich mir den nötigen Respekt verschafft. Körperlich habe ich mir viel von
der robusten Spielart abschauen können.
Wer hat dich hier im Verein am meisten gefördert?
Mein langjähriger Trainer Marco Sofke hat immer auf mich
gesetzt, selbst wenn ich mal einen schlechten Tag hatte. Er hat mein Talent
gesehen. Ohne ihn hätte ich es nicht so weit geschafft. Von ihm habe ich die
Mentalität, immer mehr zu wollen und daran zu glauben, das Ruder immer wieder
rumzureißen zu können, egal wie es auf dem Platz steht. Das hat er vor -
gelebt. Auch jetzt sehe ich ihn noch ab und zu.
Wie kam es, dass du 2016 zum 1. FFC Frankfurt gewechselt
bist?
Leider durfte ich bei den Jungs nicht mehr weiterspielen.
Ich wäre gerne noch ein Jahr geblieben. Da ich aus der Region komme, war mir
aber immer klar: Wenn ich wechsle, dann will ich auf jeden Fall zum FFC. Dass
sich die Möglichkeit ergeben hat, dorthin zu gehen und direkt in der ersten
Mannschaft zu spielen, war letztlich das Beste, was mir passieren konnte.
Wie war die Umstellung vom Jugend- in den Frauenbereich?
Ich war es gewohnt, mit pubertierenden Jungs auf dem Platz
zu stehen. Plötzlich war ich in einer Mannschaft mit erwachsenen Frauen, das
war schon eine krasse Umstellung. Menschlich ist es mir zwar nicht
schwergefallen, mich einzugliedern, das Arbeitspensum war aber definitiv eine
Herausforderung. Ich hatte in Rosenhöhe drei Mal in der Woche trainiert plus
ein Spiel am Wochenende, beim FFC musste ich jeden Tag zum Training. In den
ersten Monaten bin ich körperlich schon an meine Grenzen gekommen. Da fragt man
sich natürlich als junge Spielerin: Schaffe ich das überhaupt? Kann ich
wirklich konkurrenzfähig sein und diesen Weg gehen? TAm Anfang hatte ich
durchaus Angst, aber mit der Zeit hat sich mein Körper an die neue Belastung
gewöhnt.
Wie ist dein heutiger Kontakt zur SG Rosenhöhe?
Wir spielen mit Frankfurt regelmäßig gegen Teams der SG
Rosenhöhe in der Sommer- oder Wintervorbereitung. Für mich ist es immer schön
und gleichzeitig lustig, zurückzukommen und nun auf der anderen Seite zu
stehen. Schon als ich noch bei den Jungs gespielt habe, gab es ein
Freundschaftsspiel zwischen dem FFC und der SG. Damals war ich unglaublich
aufgeregt, weil ich die Spiele der Frankfurterinnen immer verfolgte und wusste:
Dort will ich auch irgendwann mal spielen. Wir haben zwar eine 0:6-Klatsche
bekommen, aber FFC-Trainer Colin Bell kam nach dem Spiel zu mir und sagte mir,
dass ich gut gespielt habe. Das hat mir damals zumindest ein etwas positiveres
Gefühl gegeben.
Es geht wieder ab ins Auto, raus aus Offenbach und rein in die Mainmetropole. „Ich muss doch ein bisschen fit bleiben“, sagt Tanja Pawollek. Statt wie früher auf den Rosenhöher Rasenplätzen ihre Runden zu drehen, geht es heute ins Fitnessstudio. Schnell in die Eintracht-Trainingsklamotten geschlüpft, powert Tanja eine Stunde lang durch. Angefangen auf dem Laufband, endend bei den Hanteln. So kann Urlaub auch aussehen, obwohl der individuelle Trainingsplan von Cheftrainer Niko Arnautis für seine Schützlinge erst in einer Woche beginnt. Der Ehrgeiz der Kapitänin eben.
Sowohl bei den Jungs als auch in der deutschen
U17-Nationalmannschaft warst du schon Kapitänin. Woher kommt diese Fähigkeit,
andere anzuführen?
Ich übernehme sehr gerne Verantwortung, stehe gerne für die
Mannschaft da und habe ein offenes Ohr für jeden. Ich brauche nicht die Binde
am Arm, ich bin auch so gerne Motivator und gehe voran. Das war schon immer so,
egal ob bei den Jungs, bei der Nationalmannschaft oder bei Frankfurt. Es macht
mir einfach Spaß.
Du hast zunächst von der U15 bis U20 in der deutschen
Nationalmannschaft gespielt, wurdest vor einem Jahr aber nun erstmals für das
polnische Team nominiert, standest im Juni wieder im Kader. Wie kam es dazu?
Meine Eltern sind beide in Polen geboren, meine Schwestern
und ich sind in Deutschland geboren. Zum Zeitpunkt, als die Einladung der
deutschen A-Nationalmannschaft kam [im Trainingslager im Januar 2019; Anm.
d.R.] kam, hatte ich auch nur einen deutschen Pass. Ich habe mich gefreut, dort
den Weg so weit wie möglich gehen zu können. Ich habe es bis zur U20 geschafft
und es nie bereut. Seit 2018 hatte ich immer wieder Kontakt zur polnischen
A-Nationalmannschaft und wurde 2021 erstmals zu einem Lehrgang eingeladen, den
ich aufgrund meiner Verletzung leider absagen musste. Umso mehr freut es mich,
dass ich nach meiner Verletzung wieder dabei sein durfte. Ich bin tief
verwurzelt in Polen und gerne dort. Ich freue mich auf die Chance, für Polen
auflaufen zu dürfen und mit der Nation etwas zu erreichen.
Wie stark ist deine Verbindung nach Polen?
Als wir klein waren, waren wir jeden Sommer fünf Wochen in
den Ferien dort. Das war immer sehr schön. Viele Verwandte, darunter meine Oma
und mein Opa, leben noch dort. Ich versuche, jedes Jahr mindestens einmal
hinzufahren, um sie zu besuchen. Zuletzt war ich im November dort.
Nach dem Training ist es bereits Nachmittag, also höchste Zeit fürs Mittagessen. Tanja Pawollek hat einen Geheimtipp: das „Aroma“ im Frankfurter Nordend. „Es ist eigentlich nur ein Imbiss, aber für mich ist es fünf Sterne“. Ihre Empfehlung: Falafel-Sandwich mit Halloumi und Aubergine. „Das ist heilig“, sagt sie, bevor sie den Mittagssnack aus der Folie auswickelt und der erste Bissen folgt. Gemütlich auf einer Mauer unter einem Baum sitzend genießt Tanja die vielleicht „besten Falafel in Town“ und blickt dabei auf eine deutlich ungemütlichere Zeit zurück.
Im DFB-Pokalfinale 2021 hast du dir dein Kreuzband
gerissen und im Anschluss fast ein Jahr an deinem Comeback gearbeitet. Wie bist
du damit umgegangen?
Ich hatte davor keinerlei Verletzungen, nicht mal kleine.
Der Kreuzbandriss hat mein ganzes Leben verändert. Statt zum Training bin ich
täglich in die Reha gegangen und habe meine Mitspielerinnen nicht mehr jeden
Tag gesehen. Ich musste lernen, geduldig zu sein und immer an mich zu glauben.
Man muss sich immer wieder pushen, auch wenn man denkt, es geht nicht mehr.
Diese Herausforderung hat mich geprägt, aber ich habe das Beste daraus gemacht.
Auch meine Freunde, Familie und die gesamte Mannschaft waren für mich da.
Woher hast du die Stärke in dieser Zeit genommen?
Ich glaube, niemals aufzugeben, ist einfach mein Wesen. Vom
ersten Tag meiner Diagnose an wusste ich: Ich kann das. Nach dem
DFB-Pokalfinale hätte ich auch aufs Zimmer gehen und weinen können. Aber ich
habe mit der Mannschaft gefeiert, weil ich wusste: Ich habe keine Zeit zu
trauern, sondern muss von Anfang an Vollgas geben.
Hast du auch die Unterstützung der Mannschaft während
deiner Verletzung zu spüren bekommen?
Auf jeden Fall. Die Mannschaft war für mich da, genauso wie
ich für sie da war. Sheki und Cara [Shekiera Martinez und Cara Bösl; Anm. d.
Red.] waren zum Beispiel bei meinem ersten Training, das ich wieder auf dem
Platz absolvieren konnte. Egal, wer sich verletzt, wir sind im Team füreinander
da. Lieblingssnack: Falafel-Sandwich mit Halloumi und Aubergine.
Gab es einen Moment während deiner Zeit in der Reha, der
dich besonders geprägt hat?
Statt eines besonderen Moments gab es viele kleine Momente
im Training. Situationen, in denen im Training meine Beine gezittert haben und
ich mir sicher war: Ich kann und will nicht mehr. Sich in solchen Momenten zu
pushen und zu merken, dass man es doch schafft, lässt jeden Tag in der Reha zu
einem Erfolg und einem prägenden Erlebnis werden.
Du hattest die Möglichkeit, erst in der zweiten
Mannschaft und dann auch im Bundesligateam dein Comeback zu feiern. Wie war das
für dich?
Zunächst in der zweiten Mannschaft aufzulaufen, war genau
das Richtige und hat mir geholfen, wieder in den Rhythmus zu kommen. Dass ich
am Ende noch vier Bundesligaspiele absolvieren und somit einen Teil zum Erfolg
beitragen konnte, macht mich sehr froh. Ich bin gespannt, was uns in der neuen
Saison erwartet und will dann wieder topfit sein.
„Der Kreuzbandriss hat mein ganzes Leben verändert
Zum Abschluss geht es zu Tanjas Lieblingsort in Frankfurt: die Hafenparkbrücke im Ostend. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Direkt am Main im Schutz eines Regenschirms erwartet Tanja eine Überraschung. „Was machst du denn hier, Mama?“, platzt es aus der 23-Jährigen heraus, bevor die Verblüffung in eine herzliche Umarmung übergeht. „Mein größter Fan, aber auch mein größter Kritiker“, stellt Tanja ihre Mutter Ursula vor.
Warum ist das dein Lieblingsort in Frankfurt?
Ich verbringe hier gerne die Sonnenuntergänge und gehe am
Mainufer spazieren. Man hat hier immer die Skyline im Hintergrund, gerade am
Abend ist das wunderschön.
Zum ersten Mal bist du mit deiner Mutter hier. Woher
kommt eure enge Beziehung?
Mama war immer für uns drei Kinder da. Wir haben jeden Tag
mir ihr gespielt, waren zusammen draußen und wurden von ihr ins Bett gebracht.
Diese liebevolle Beziehung ist bis heute geblieben. Seit ich ausgezogen bin,
bin ich jeden Sonntag zum Essen da. Meine Mama hat immer ein offenes Ohr für
mich.
Seite an Seite ist die Ähnlichkeit zwischen Mutter und
Tochter unverkennbar, auch wenn Tanja ihre Mutter mittlerweile um fast einen
Kopf überragt. Noch deutlicher als die Ähnlichkeit ist aber der Stolz, der in
der Stimme ihrer Mutter mitschwingt, als sie über Tanja zu sprechen beginnt.
Tanja hat durch ihren Kreuzbandriss eine schwierige Zeit
hinter sich. Wie war die Zeit für Sie?
Ursula: Als Mama leidet man mit und sogar noch mehr.
Es tut sehr weh zu sehen, wenn es dem eigenen Kind nicht gutgeht. Aber sie war
sehr tapfer und wir haben das Beste aus der Zeit gemacht.
Tanja hat ursprünglich mit Turnen angefangen, ist dann
aber zum Fußball gewechselt. Wie kam das?
Ursula: Tanja hat zwei ältere Schwestern, eine von
ihnen hat relativ gut geturnt. Als Mama mit drei Kindern will man es sich
natürlich einfach machen. Also habe ich mir gedacht: Ich nehme Tanja mit zum
Turnen. Leider hat sie sich gar nicht dafür interessiert. Stattdessen hat sie
vom Parkplatz vor der Turnhalle aus immer zum Fußballplatz geschaut, um zu
sehen, was die Jungs machen. Also bin ich irgendwann mit ihr zum Trainer
gegangen und habe gefragt, ob sie mittrainieren kann. So hat es angefangen.
Wie würden Sie Ihre Tochter beschreiben?
Ursula: Tanja ist eine sehr gute Schwester und
Tochter, insgesamt ist sie ein toller Mensch. Wir sind immer sehr gut
miteinander ausgekommen – bis jetzt. Ich hoffe, das bleibt so (lacht). Sie ist
außerdem immer da, wenn man sie braucht, hat für alle ein offenes Ohr, kümmert
sich um Mama und Papa und hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich mal
ein paar Tage lang nicht meldet. Schon als Kind war Tanja immer fröhlich und
zufrieden mit dem, was sie hatte.
Tanja hat in ihrer noch jungen Karriere schon oft die
Kapitänsbinde getragen. Warum passt diese Rolle so gut zu ihr?
Ursula: Tanja hat die Fähigkeit, sehr offen und
direkt mit anderen Menschen zu sprechen, ohne sie zu verletzen. Das können
nicht viele Menschen. Sie ist zwar noch sehr jung, aber sie weiß, was sie will.
Auch wenn sie bei uns zu Hause immer die Jüngste war, hat sie schnell eine
starke Persönlichkeit entwickelt und geht ihren Weg. Gleichzeitig geht sie
gerne auf andere Menschen zu.
Auf der anderen Mainseite geht die Sonne bereits langsam unter. Der Tag mit Tanja Pawollek neigt sich dem Ende entgegen. Die Kapitänin wagt zum Abschluss noch einen Ausblick. Die Zukunft sieht sie bei weiterem nicht so regnerisch und trist wie das aktuelle Wetter. Sie hat klare Ziele, wie sie den Frauenfußball voranbringen will und wo sie ihre eigenen Aufgaben sieht.
Auch heute noch haben Fußballerinnen immer wieder mit
Vorurteilen zu kämpfen. Welche Erfahrungen hast du bislang gemacht?
Die Vorurteile sind auf jeden Fall da. Auch wenn sich der
Frauenfußball weiterentwickelt hat, liest man immer wieder sexistische
Kommentare auf Instagram und Co. Das ist einfach schade. Die, die den Sport
mögen, sollen ihn schauen, die, die ihn nicht mögen, sollen auch ihre
Kommentare zu Hause lassen.
Im Stadion am Brentanobad waren bei eurem letzten
Saisonspiel mehr als 4.500 Zuschauer, der FC Barcelona hat im Camp Nou zuletzt
vor einer Rekordkulisse von mehr als 90.000 Zuschauern erspielt. Wie beurteilst
du die Entwicklung des Interesses am Frauenfußball?
Es ist toll zu sehen, wie viele Zuschauer im Camp Nou waren.
Dass Highlight-Spiele in den großen Stadien der Männermannschaften ausgetragen
werden, ist der nächste Schritt, um noch mehr Werbung für uns zu machen. Ich
glaube, für jede Spielerin ist es ein riesiger Traum, vor einer solchen Kulisse
zu spielen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber ich glaube daran, dass
der Frauenfußball das schaffen kann.
Würdest du der Aussage zustimmen, dass die Akzeptanz für
den Frauenfußball steigt?
Teils, teils. Es gibt immer noch die Vorurteile
und Hasskommentare. Andererseits kommen immer mehr Menschen auf uns zu und
sagen uns, dass sie die Entwicklung des Sports sehen. Gegen Bremen hatten wir
viele Fans im Stadion, die zum ersten Mal bei einem Spiel von uns waren und uns
die Rückmeldung gegeben haben, dass sie uns ab sofort unterstützen werden.
Viele davon waren vorher nur bei den Männern. Gerade durch die Zusammenarbeit
der Männer und Frauen können wir noch viel mehr Werbung für den Frauenfußball
machen.
„Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen“
Wo siehst du den Frauenfußball in zehn Jahren?
Wir machen jedes Jahr einen großen Schritt nach vorne. So
muss es weitergehen. Ich denke, dass wir in zehn Jahren von ganz anderen
Zuschauerzahlen als heutzutage sprechen und unsere Reichweite stetig steigern
werden. Dafür müssen alle mitmachen: Ob die Vereine oder der DFB. Gemeinsam
können wir dieses Ziel erreichen.
Wie schätzt du deine persönliche Rolle bei dieser
Entwicklung ein?
Wir haben als Spielerinnen eine gewisse Medienpräsenz. Diese
sollten wir nutzen, um auch auf das aufmerksam zu machen, was nicht so gut im
Frauenfußball läuft. Alle sagen immer: Wir wollen mehr! Als einzelne Spielerin
sehe ich mich deshalb auch in der Verantwortung zu schauen, was ich selbst
dafür tun kann. Grundsätzlich geht es aber nicht darum, einzelne Spielerinnen
rauszupicken, sondern alle gemeinsam dafür zu kämpfen, dass wir mehr
Aufmerksamkeit bekommen.