Fanabteilung trifft - Thomas Mosch

Bunt ist sie, die Eintracht-Welt, voller Geschichten und Erlebnisse – nicht nur auf dem Platz, sondern vor allem auch abseits des Spielfelds. Getragen werden diese Geschichten durch die Fans und Mitglieder der Eintracht. Einer davon ist Thomas Mosch.

Es ist Samstagmorgen, die Eintracht wird heute gegen Wolfsburg spielen und immerhin sind 10.000 Zuschauer zugelassen. Das sind zwar verhältnismäßig wenig, aber doch mehr als in den vergangenen Wochen. In etwa zur gleichen Zeit sitzt Thomas im Zug, der sich auf dem Weg von Berlin nach Frankfurt in Bewegung setzt. Ein paar Stunden später treffe ich ihn am Fantreff vor dem Stadion und frage ihn: „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du Woche für Woche von Berlin aus zur Eintracht fährst?“ Er lacht und antwortet: „Das habe ich neulich sogar einmal aufgeschrieben.“ Und weil die Geschichte so schön ist, wollen wir sie euch nicht vorenthalten:

„Der Tag, an dem ich Fan von Eintracht Frankfurt wurde …

Am 8. Mai 1971 besuchte ich das erste Mal ein Bundesligaspiel. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden und im Berliner Olympiastadion empfing der Tabellendritte Hertha BSC die abstiegsbedrohte Eintracht aus Frankfurt. Die Berliner drehten einen frühen Rückstand und siegten ungefährdet mit 6:2. Dennoch entschied ich mich an diesem 8. Mai 1971, so ungefähr gegen 17 Uhr, von nun an Fan von Eintracht Frankfurt zu sein.

Im Dezember 1970 zog meine Familie aus dem nördlich von Hamburg gelegenen Quickborn nach Berlin. Hier hatte mein Vater eine neue Stelle gefunden. Ich, fünf Jahre alt und noch ohne Freunde in der fremden Stadt, erwartete meine bevorstehende Einschulung im Sommer 1971. Mein älterer Bruder Andreas ging bereits in die erste Klasse. Zu seinen Klassenkameraden zählte der Sohn des zweiten Torhüters von Hertha BSC. Oliver wurde bald regelmäßiger Gast bei uns. Durch seine Fürsprache durfte ich in den Dahlemer Parks beim Fußball mit den älteren Kindern mitspielen. So erwachte meine Liebe für diesen Sport und Oliver wurde mein bester Schulfreund. Einige Wochen nach meinem sechsten Geburtstag durfte ich dann meinen Vater, einen leidenschaftlichen Anhänger des Hamburger SV, erstmals ins Stadion begleiten. Es war eben jener 8. Mai 1971, der 30. Spieltag der achten Bundesligasaison. Während Hertha BSC noch Meister werden konnte, kämpfte Eintracht Frankfurt gegen den Abstieg. Doch das lernte ich erst viel später. Vermutlich war mir bis zu diesem Spiel sowohl die Existenz der Stadt Frankfurt als auch die des Vereins Eintracht gar nicht bekannt.

Von diesem ersten Stadionbesuch habe ich nur noch ganz vage Bilder im Kopf. In meiner Erinnerung war es ein warmer Frühsommertag und wir saßen „Oberring Kurve“, mein Vater kaufte immer die günstigsten Karten. Ich erinnere mich an derbe Männer in blau-weißen Kutten, laut schreiend, einige offensichtlich betrunken. Die Lautstärke um mich herum machte mir Angst. All das hatte ich bis dahin noch nie gesehen.

Nichts wäre angesichts des deutlichen Heimsiegs für mich leichter gewesen, als gemeinsam mit den zahllosen Berlinern im Block zu jubeln und Fan von Hertha BSC zu werden, so wie die vielen Jungs es waren, mit denen ich im Park Fußball spielte. Was mich aber davon abhielt – und das weiß ich noch genau – waren meine Sitznachbarn. Sie beleidigten die Frankfurter Mannschaft und belegten sie mit ordinären Schimpfworten, vor denen ich erschreckte, obwohl ich deren Bedeutung damals nur ahnen konnte. Diese Menschen stießen mich ab, zu ihnen wollte ich nicht gehören. Ungewollt entwickelte ich Mitleid mit den Geschmähten. Ich fühlte mich ihnen zugehörig. Meine Zuneigung gehörte den Verlierern, die ein Tor nach dem anderen kassierten und dabei verlacht wurden von den hämischen Männern. Immer wenn diese die Frankfurter Eintracht beleidigten, dann fühlte auch ich mich beleidigt. Ich wünschte mir Frankfurter Tore, doch der Spielverlauf wurde immer bitterer und die Eintracht verlor hoch.

Als wir das Stadion nach Spielende verließen, bat ich meinen Vater, mir eine kleine Fahne von Eintracht Frankfurt zu kaufen. Überraschenderweise tat er das. Ich betrachtete die Fahne während der Rückfahrt im Auto voller Stolz und wusste, dass ich von nun an Fan von Eintracht Frankfurt sein wollte. Und so kam es dann auch. Diese ohne Zweifel ein wenig zufällige Entscheidung machte mich während meiner Berliner Kindheit zumindest fußballerisch zum Einzelgänger, doch habe ich niemals an ihr gezweifelt. So gilt sie bis heute und darüber bin ich sehr froh.“

Unsere Eintracht hat das Spiel gegen Wolfsburg dann gnadenlos mit 0:2 verloren. Thomas fuhr noch am gleichen Abend zurück an die Spree. In zwei Wochen wird er trotzdem wieder hier sein. So wie eigentlich immer. Und pünktlich zum 50. Jahrestag seines allerersten Eintracht-Spiels wurde er Mitglied in der Fanabteilung – so hat sich der Kreis endlich geschlossen.

Zusammengestellt von Axel Hoffmann